Böllerwerfer vs. aggressiver Hundehalter

  • Zitat

    Das halte ich für ein krasses Statement. Es ist eine herausragende Errungenschaft zivilisierter Gesellschaften, dass (außer in Notwehr) niemand das Recht in die eigene Hand nehmen darf. Sowas nennt man einen Rechtsstaat. Ein sehr hohes Gut!
    (...)
    LG Appelschnut


    Richtig, es ist eine herausragende Errungenschaft und es wäre toll, wenn wir sie noch in allen Landesteilen hätten. Ich bin ein Fan davon, aber gehöre nicht zu den Glücklichen, die in einem besseren Viertel leben, in denen der Rechtsstaat und die Strafverfolgung gut funktionieren. Den Teil, der mich zu obigem Statement veranlasst hat, hast du ja wohlweislich ignoriert. Wie oft bist du denn schon krankenhausreif geschlagen worden, weil du vor ein Kirche gestanden hast? Wie viele Kollegen hast du schon im Krankenhaus besucht, weil sie krankenhausreif geschlagen wurden, weil sie schwul aussahen? Wie viele Male ist jemand auf dich mit einem Messer losgegangen? Wie oft hat dir jemand dein Eigentum weggenommen, dein Eigentum zerstört oder deine Tiere angegriffen und getötet? Wie oft muss ich das noch hilflos erleben, bis ich meinem Unmut durch obiges Statement Ausdruck verleien darf? Nicht zu vergessen, das Zitat des Polizeibeamten.

  • Zitat

    Ein Kirschbaum ist kein Lebewesen, das einen körperlichen Schaden oder / und psychischen Schaden erleidet, wenn ein Kind davon Kirschen klaut. Ein Hund tut das bei Böllern schon, außerdem ist er für viele Halter ein Sozialpartner und vollwertiges Familienmitglied, das nicht so respektlos fremdem Leben gegenüber ist. Abblocken ist in meinen Augen eine völlig andere Situation und hat gar nichts mit einem Böller-Angriff zu tun.


    Verharmlost habe ich das sicher nicht, und auch geschrieben, dass ich hier keine mildernden Umstände erwarten würde, wenn der Hundehalter nicht selbst sternhagelvoll war. Trotzdem kann ich ihn verstehen und ich verstehe mitlerweile jeden, der das Recht in die eigene Hand nimmt. Nicht das es in Ordnung wäre, aber wenn man sich nach zig Diebstählen, Angriffen etc. immer und immer wieder in der Situation sieht, dass man einfach nur gelackmeiert ist, dann geht einem irgendwann die Geduld aus und auch der Frommste wird zur Furie. Mir hat man zu Weihnachten meinen Entenstall zerlegt, meine Enten geklaut und ein tragendes Schaf ist bei dem Einbruch zu Tode gekommen. Originalton der Polizei: Was erwarten sie denn, es wurden gerade 3000 Stellen gekürzt.


    Das Beispiel mit dem Kirschbaum war eher ein Vergleich zur Unverhältnismäßigkeit und kein Vergleich zwischen Kirschen und einem Hund ;)
    Das ist ein beliebter Lehrbuchfall zum Thema rechtfertigender Notstand und der kam mir dabei so in den Sinn.


    Ich bin bestimmt niemand der jemals sagen würde, dass unser Rechtssystem perfekt ist, darüber hatte ich letztens erst eine Debatte mit meinem Freund, aber da ich durch mein Studium mehr oder weniger einen Blick hinter die Kulissen werfen kann, sehe ich auch, dass es gar nicht immer so einfach ist, die Fehler auszumergeln und besser zu machen.


    Natürlich dürfen und sollen solche Dinge nicht passieren, aber in meinen Augen ist Selbstjustiz eines der denkbar schlechtesten Mittel, um die Fehler unseres Rechtssystems zu beheben.


    Ich werde auch nie die Logik dahinter verstehen, ein Vergehen/Verbrechen/Untat mit eben solchem zu vergelten. Man sagt, jemand ist böse, weil er das uns das gemacht hat, aber gleichzeitig bestraft man ihn mit den gleichen Mitteln, dann ist man doch selber nichts besser.


    Und nochmal:
    Mir geht es auch nicht um wirkliche Notwehr - da halte ich es für absolut richtig, dass unser Gesetz dieses auch als Rechtfertigungsgrund anerkennt -, sondern eben um so unverhältnismäßige vermeintliche "Notwehr" wie in diesem Fall.

  • @Lololein :gut:


    Wenn jemanden in so einer Situation die Hand ausrutscht oder der Angreifer abgeblockt oder weggeschubst wird, da würde ich nicht mal was sagen.


    Wie Lololein so schön erklärte geht es um die Verhältnismäßigkeit. Und krankenhausreif schlagen bedeutet eigentlich nicht, das es sich dabei nur um ein blaues Auge oder eine aufgeplatzte Lippe handelt.

  • @ Nocte,


    nein, ich habe den Rest Deines Beitrags nicht aus den Augen verloren. Und glaub mir, ich habe auch meine Traumata hinter mir. Fünf Einbrüche und davon einen Überfall in meiner Wohnung. Wenn Du schläfst, wirst wachgemacht und über Dir droht Dir ein Mann mit Strumpfmaske, der versucht Dich mit einer Strumpfhose (die im Bad zum Trocknen hing) zu strangulieren, dann erlebst Du Panik. Genau das ist mir passiert und trotzdem stehe ich zu dem was ich schreibe. Die diversen materiellen Verluste bei den verschiedenen Einbrüchen waren alle versichert.


    LG Appelschnut

  • Du vergisst dabei, dass man nicht Gleiches mit Gleichem vergilt, weil man geziehlt den Plan hat, sondern situativ so reagiert. Es ist doch nicht so, dass ein rechtsfreier Raum entsteht, wo Recht und Justiz nicht mehr greifen, sondern dass sich dort Räume mit eigenen Rechten entwickeln. Die Entstehung einer solchen Zone zeigt an, dass das Rechtssystem krank ist. In unserem Falle krankt es an Personalmangel. Natürlich werden dann nicht die kleinen Delikte zuerst bearbeitet oder Rechtsstreitigkeiten dauern ewig. Sowas erzeugt Frustration und Frustration erzeugt Agression. Mal ganz davon abgesehen, dass unser Werteverständnis - auch und gerade in rechtlicher Hinsicht - in eine eklatante Schieflage geraten ist. Wer sich nicht in seine Hilflosigkeit ergehen will, wird nach genügend Frustration eben radikal beim Schutz seines Lebens und seiner Familie. Ich will nicht rechtfertigen, dass hier jemand krankenhausreif geschlagen wurde, aber ich sehe das auch aus Sicht eines Opfers, das durch Ermittlungsbeamte und Justiz mehr als einmal nochmals zum Opfer gemacht wurde. Das geht an den Menschen nicht spurlos vorüber. Der Gedanke hinter Strafen war ja ursprünglich auch als Abschreckung gedacht und auch ein Stück weit die Weiterentwicklung des biblischen Auges um Age, Zahn um Zahn. In unseren Gesetzbüchern sehe ich aber kaum Strafen, die ernsthaft abschreckend wirken.


    Appelschnut: und hat man die Täter erwischt? Sind sie verurteilt worden? In meinem Fall sind wir so von den Polizeibeamten drangsaliert worden, zuzugeben, dass wir die Angreifer provoziert hätten. Man hat uns gedroht, dass es sein könne, dass die unsere Adresse auf den Vorladungen hätten. Die Täter sind unabhängig voneinander durch mehrere Zeugen identifiziert worden und der Neurologe, bei dem zwei von uns (ich einschließlich) wegen der Schläge und Tritte gegen den Kopf einfinden mussten, hat uns erzählt, dass diese Truppe ihm in derselben Woche schon drei Patienten beschert hat. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde hat nichts gebracht. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Mit den bleibenden Schäden müssen wir leben. Ich sehe diese Leute noch heute auf der Straße, unbehelligt und meinem Gerechtigkeitsempfinden versetzt das jedes Mal einen Stich. Abgesehen von dem Gefühl, nicht sicher zu sein. Wenn die Täter in nur einem der Fälle, in denen ich betroffen war, bestraft worden wären, hätte ich vielleicht noch Vertrauen in den Rechtsstaat - so vertraue ich auf mich selbst, aber da ich ein friedfertiges Wesen bin, gehe ich weder grundlos auf Leute los, noch plane ich Racheakte. Greift mich allerdings jemand an oder meine Lieben, dann fackel ich nicht mehr. Ich bin in solchen Momenten nicht kopflos, aber ich kann mir vorstellen, dass der Adrenalinrausch einen Menschen dazu bringt über die Grenze des Angemessenen hinaus zu gehen. Mir fehlt in der ganzen Betrachtung hier die Tatsache, dass niemand den Jugendlichen dazu gezwungen hat, einen Fremden und seinen Hund anzugreifen.

  • @ Nocte, in meinem Fall hat man den Täter vermutlich erwischt. Der konkrete Überfall auf mich war ihm zwar nicht nachzuweisen, aber mehrere andere Fälle nach dem gleichen Muster. Er hat GsD immer dann die Flucht ergriffen, wenn die Opfer sich gewehrt haben und das habe ich getan. So bin ich nur mit Trauma, aber ohne körperlichen Schaden davon gekommen.


    Das führt aber leider etwas weg von dem eigentlichen Thema. Ich finde nämlich Böller nach einem Hund zu werfen auch ziemlich krass, aber ist doch was anderes als Menschen krankenhausreif zu schlagen.


    Können wir in dem Sinne Einigkeit finden?


    LG Appelschnut

  • Als Frau hat man aber doch das Problem, körperlich meistens unterlegen zu sein. Wenn ich auf eine Gruppe jugendliche zugehen würde um einem davon eine zu verpassen weil er einen Böller auf meinen Hund wirft, riskiere ich doch erst recht, dass ich einen größeren Schäden davon trage. Dann verliere ich die Leine, mein Hund läuft vielleicht in Panik durch die Böller, auf die Straße etc.
    Ich würde also meinen Hund und mich in Sicherheit bringen, weglaufen und zusehen, aus der Situation herauszukommen. Und mir beim Laufen überlegen, wie ich dem Hund die Ängste, die er gerade erlebt, dann wieder nehmen kann.....



    Falls es bei dem HH aber zu einem Strafverfahren kommt, hat er doch mit Notwehr gute Chancen. Er muss doch einfach nur durch seinen Anwalt darstellen lassen, dass er auch mit den Böllern beworfen wurde, die Gefahr also primär für ihn entstand, nicht für den Hund. Tiere zählen halt nicht so sehr im BGB, die körperliche Unversehrtheit eines Menschen bzw. ein Angriff darauf aber eben schon. Dann spielt es natürlich auch eine Rolle, ob Täter und Opfer bereits früher strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Ist der HH ein "unbeschriebenes Blatt " kommt er denke ich mit einer Verwarnung davon.


    Die Enttäuschung einiger von Euch über den Rechtsstaat oder die Polizei, die ich hier lese tut mir sehr leid. Ich glaube aber in all diesen Fällen macht es immer Sinn, einen Anwalt einzuschalten, der auch die Kommunikation mit der Polizei regelt. Kein Opfer sollte und darf sich später nochmals als Opfer fühlen dürfen.


  • Dass man Menschen nach Möglichkeit nicht krankenhausreif schlägt, da waren wir uns schon vorher einig. Bei dem Rest handelt jeder nach seinen Erfahrungen. Ich bin jedenfalls froh, dass der Täter in deinem Fall aus dem Verker gezogen wurde.

  • Nocte und Appelschnut, es tut mir sehr Leid, was euch passiert ist, dennoch finde ich die Fälle nicht vergleichbar.


    Ich mache mir auch meine Gedanken wie ich bei Notwehr handeln soll bzw. kann. Falls es so scheint als würde ich in einer Stadt wohnen wo Friede-Freude-Eierkuchen herrscht, nein wohne ich nicht. Wir haben es trauriger Weise in den letzten Jahren häufiger in die Tagesthemen und Zeitungen geschafft. Ich verstehe deine Angst, wirklich, ich denke ich wäre sogar umgezogen. Dennoch finde ich die Fälle einfach nicht mit einem böllerwerfenden Jugendlichen vergleichbar, wobei man sich wahrscheinlich (was wir aber ja nicht wissen) sogar hätte entfernen können.


    Auch schockiert es mich nach wie vor, wie viele Leute dem Jugendlichen hier eine runtergehauen hätten, obwohl sie theoretisch Möglichkeiten wie Weglaufen oder Polizei gehabt hätte. Gewalt unbedingt mit Gegengewalt rächen zu wollen finde ich beängstigend ganz ehrlich. Und ganz ehrlich, ob Ohrfeige oder 'wirklich' krankenhausreif macht für mich in dem vorliegenden Fall keinen Unterschied. Sowas finde ich übrigens auch sehr gefährlich, aber gut, das kommt wahrscheinlich auch drauf an wo man wohnt.

  • ich finde heutzutage, und unter anderem auch meine Generation wird da ganz falsch erzogen.


    Ich wurde noch so erzogen, wenn ich ein Tier, zb. Katze ärgere, und sie kratzt mich, dann ist das meine Schuld.
    Ärgere ich einen Hund, und er beißt mich, ist das auch meine Schuld.
    Ärgere ich einen Menschen, und er wischt mit eine, dann hab ich das verdient (ohne sinnlose Gewalt zu befürworten!)
    Lerne ich nicht auf einen Test und hab ne schlechte Note, ist das meine Schuld und nicht die des Lehrers.


    Ich kenne aber sehr viele in meinem Alter oder jünger, die so erzogen werden, dass eine kratzende Katze, ein beißender Hund, ein zuschlagender Mensch oder eine schlechte Note IMMER die Schuld von anderen ist und das Kind selber nie irgendwas dafür kann. Dieses viel zu übertriebene In-Schutz-Nehmen ist ebenfalls genauso unangebracht wie unnötiges Zuschlagen, denn das Kind lernt es kann machen was es will, nix passiert.


    Ich befürworte die Reaktion des HH nicht, es war wirklich überreagiert und absolut nicht angemessen. Aber ich kann sie sehr gut verstehen. Der Junge hat wohl von zu Hause aus nicht gelernt andere Menschen/Hunde allgemein zu respektieren und so musste er es eben so lernen. Später würde er evtl. ins Gefängnis kommen wenn er is immernoch nicht gelernt hat und sich entsprechend verhält.

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