Deprivationsschäden

  • Um mal von dem wissenschaftlichen Schlagabtausch zurückzukommen, bringt es bei einem deprivierten Hund eigentlich was, wenn der den Besitzer wechseln würde?

    Corinna hat mal erwähnt, dass sie ihren betroffenen AH zu ihren Eltern hat ziehen lassen, weil da die Lebensumstände für ihn einfach besser waren.


    Und das wäre für mich auch ein hinreichender Grund. Wenn ich mir vorstelle, wir hätten hier Stadt und nicht plattes Land, dann wäre Eddie hier nicht gut aufgehoben. Oder ein Mehrfamilienhaus, noch Kinder im Haushalt mit regem Freundesverkehr... so was wäre für Eddie unhaltbar.


    Über Besitzerwechsel habe ich auch nachgedacht als Eddie etwa ein Jahr hier war und das ganze Ausmaß deutlich. Ich habe da ja sehr an mir gezweifelt und mich gefragt, ob er mit jemand Anderem bessere Fortschritte machen könnte.


    Ehrlich gesagt, mag das auch sein. Jemand, der sich nur auf Eddie konzentrieren würde, könnte eventuell bessere Fortschritte gemacht haben. Ich muß zugeben, dass mir meine gesundheitliche Lage (auf die ich nicht weiter eingehen werde, als das was ich jetzt schreibe) mir das nicht möglich macht. Ich kann mit "und täglich grüßt das Murmeltier" nicht umgehen, wenn ich nur im Rückblick minimale Verbesserungen sehe, einfache Lernschritte ewig brauchen bis sie wirklich abrufbar sind, der Hund nicht kompatibel mit Hundesport ist, nicht in die Öffentlichkeit passt und das dann der einzige Hund in meinem Leben ist. Das ist unglaublich frustrierend, Kräfte zehrend und die Speicher dafür müssen über irgendwas anderes aufgefüllt werden.


    Nun, für so einen Hund muß man ja auch erstmal jemanden finden. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass sich Eddie jemand freiwillig ans Bein bindet. Und einen Wanderpokal würde ich niemals aus ihm machen wollen.
    Der lebt hier ja nun trotzdem ganz gut. Er hat 2 Collies, hat also Hundekontakt. Fin würde den auch überall raushauen. Er läuft am Rad, kann also rennen, seine liebste Beschäftigung. Er hat regelmäßig Freilauf auf dem Hundeplatzgelände. Er hat ein freistehendes Haus mit Garten auf dem Dorf in der Sackgasse mit relativ wenig Fremdbesuch. Er schläft im Bett unter der Decke und kann auch ansonsten kuscheln bis dorthinaus. Und natürlich mache ich immer noch was mit ihm, allerdings ohne Erwartungen an ihn. Manchmal werde ich dann ja positiv überrascht.


    Wenn man ihm jetzt die ganzen täglichen Strukturen und seine festen Bezugspersonen nehmen würde, stelle ich mir deutliche Rückschritte vor und ob ihm das dann letztlich einen Fortschritt bringt? Auch seine Lebenszeit ist begrenzt.


    Ich finde, ein Besitzerwechsel bei so einem Hund muß sehr gut überlegt sein und absolut sicher. Nach einem halben Jahr aufgeben darf keine Option sein.

  • @ Mittendrin: du bemühst dich, achtest auf die speziellen Bedürfnisse und deine Bedingungen klingen ja nicht suboptimal. ;)


    Nen besseren Platz als den eignen, findet man wohl - ehrlich gesagt- immer. =)


    Die Frage ist ja, wie schlecht geht es dem Hund und wäre zum Beispiel der Fall gegeben, dass für den Hund bei Besitzerwechsel, durch andere räumliche Gegebenheiten, anderer Umgang etc, einige Faktoren, die ihn belasten, einfach wegfallen.

  • Ich hatte das nur gefragt, weil hier ja doch einige sagen, dass sie z.B. in der Stadt wohnen etc. und eigentlich müsste sich ja der Schaden trotzdem nicht ändern beim Hund, denn er würde ja auch genauso reagieren wie beim alten Besitzer, also bringt dann wirklich der Wechsel so viel? Mal abgesehen davon dass ein neuer Besitzer evtl. mehr Geduld oder Erfahrung mit diesem Thema hat.

  • Ja, denn wenn der Stresspegel geringer ist, kann der Hund auch lernen, Dinge annehmen und vor allem verbessert sich seine psychische Lage.


    Überleg mal, wie es dir geht, wenn du unter Dauerstress lebst...

  • So, nochmal alles aufegdröselt..


    Es gibt unterschiedliche Manifestationen und Ausprägungen des Deprivationssyndroms. Die Unterschiede sind entsprechend abhängig von Grad und Dauer der Deprivation sowie den generell folgenden Lebensbedingungen und Erfahrungen.


    Sowohl bei Menschen als auch bei Tieren resultiert in manchen Fällen die Deprivation in verminderter Intelligenz/Lernfähigkeit (ICD F 70). Sind die Defizite aufholbar, handelt es sich um "Pseudodebilität", wobei die Prognose umso besser ist, je eher das Kind/junge Tier gefördert wird.


    Intelligenzminderung kann man nicht grundsätzlich mit Angststörungen oder anderen ICD Schlüsseln in einen Topf werfen (da ja hier die Modifikation von Strukturen des limbischen Systems bei Angsterkrankungen erwähnt wurden...).


    Bei Tieren ist die Sache nochmal schwieriger, da es keine klaren Kriterien für "geistige Behinderung" gibt.
    Aber da es bei Menschen durch Deprivation zu verminderter Intelligenz kommen kann ist das bei Hunden auch sehr wahrscheinlich. Betonung liegt auf "kann" und es grundsätzlich auszuschließen finde ich entsprechend fragwürdig.


    Und warum sich Julia erschießen soll (Hundi mit Deprivationssyndrom und diagnostizierter Intelligenzminderung) erschließt sich mir nach wie vor nicht.


    Vielleicht auch ganz interessant: http://www.psychologische-prax…teratur/Hospitalismus.pdf

  • Du weißt ganz genau, was gemeint war. ;)
    Du hast nichts aufgedröselt, du hast einfach verschiedene Dinge zusammengeworfen und jetzt eine Quintessenz hingeknallt.


    Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

  • dragonwog: Danke für die Aufschlüsselung.

    Ich glaube, was die Diagnostik bei Hunden einfach auch so schwer macht, dass die Tests und medizinischen Diagnose-Schlüssel und Tabellen aus der Humanmedizin eben nicht so leicht auf den Hund anzuwenden sind...
    Ich denke da zum Beispiel an die "Logik- Tests, iQ-Tests und so. Man kann ja schlecht dem Hund nen Tintenbild vorlegen und fragen, was er sieht. ;)

  • Intelligenz ist eh schwer messbar und irgendwo auch Interpretationssache.


    Bei meiner Jules merkt man eindeutig, dass ihr das Leben ländlicher viel besser bekommt. Hier bei uns hat sie ein grosses Grundstück direkt am Wald. Wir waren kürzlich in den Bergen und haben dort einen Kurzurlaub verbracht. Das war super entspannend und sie hat dort gar keine Probleme gehabt, trotz fremder Umgebung, während wir beim Besuch in Leipzig kaum raus konnten, ohne dass der Hund durchdreht. In so einer Stadt müsste man tatsächlich überlegen, ob ein Wechsel für den Hund nicht besser wäre. Wir selbst haben uns damit abgefunden, dass sie nicht überall mit kann, wie wir es bei der Kleinen gewohnt waren. So leben wir eigentlich recht gut und entspannt.

  • Aber man kann ja nur den Stress wegnehmen, frage ist denn ob ein deprivierter Hund zwingend immer gestresst ist und ob das in einem anderen Zuhause besser ist, kommt ja wirklich auf die Auslöser der Deprivation an.

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