Deprivationsschäden

  • @Die Swiffer boah, das hört sich echt übel an :verzweifelt:

    Sagen wir mal, wenn es mir gut geht, sich mein Stress in Grenzen hält, ist der Umgang mit Mara und ihrem Erbsenhirn einfacher und das überträgt sich dann auch auf sie.
    Aber dadurch, dass sie so sensibel auf Stimmungen reagiert, zieht es quasi automatisch mit sich, dass Mara, wenn ich zB Stress habe, problematischer und damit noch anstrengender ist.

  • Struktur und ein stabiles Umfeld ist wichtig. Bei uns hat viel gebracht den Hund zu fördern, unabhängig von seinen Ängsten. Stetiges anbieten von Beschäftigung, auch wenn es 2 Jahre dauert bis er ansatzweise apportiert. Gemeinsames arbeiten mit anderen Hunden, ruuuhig und nix verlangen.
    Ich merke eigentlich nur noch im Urlaub wie schwer es ist, der Alltag läuft. Blöd ist nur das man solche Hunde niemanden fremden anvertrauen kann, also nix mit Wochenendtrip ohne Hund. Zeiten wo ich den 20 kg Hund aus Paniksituationen tragen musste, hatte ich lange nicht, schön wenn er bei 30 Grad die Analdrüsen auf Deinem Shirt entleert ... lecker. Stressdünnpfiff der zum Himmel riecht, natürlich dort wo Leute sind, hatten wir erst gestern .. das war mal wieder einen Tacken zu viel. Aber wir haben uns daran gewöhnt, auch das die Leuten meinen ich würde den Hund 5 x am Tag verprügeln, weil sonst kann man ja nicht so ängstlich sein. Trotz allem ist er ein Großartiger Hund, wer sich die Zeit nimmt ihn kennenzulernen, liebt ihn.

  • Gibt halt eine nicht kleine Anzahl an Leuten, die dieser Belastung eben nicht über einen längen Zeitraum standhalten können.


    Von Nervenzusammenbrüchen, völliger sozialer Isolation, ernsten Auswirkungen auf die Gesundheit, Depressionen zu generell stark eingeschränkter Lebensqualität schon alles gesehen....

  • Blöd ist, wenn du gar nicht weißt, womit du es zu tun hast. Bei Chucky dachten wir, die ist einfach anders als andere Hunde, hat ein paar Macken und nen kleinen Dachschaden.


    Wir kannten ihre Vorgeschichte nicht. Ein Freund bekam sie beim Gassigehen mit seinem Hund regelrecht aufgeschwatzt. Der Typ meinte, der Hund käme aus der Kampfhundszene "Papa ist Champion in Jugoslawien", am Ende wollte er wissen, wo er einen "reinrassigen Pitbull" herbekommt. Bevor ich sie von meinen Freunden nach einem Monat dort, wo sie mit deren Hunden zusammenlebte, übernahm ging ich öfter mit ihnen zusammen Gassi und besuchte sie häufig. Sie wirkte auf mich erst einmal völlig normal, gut vllt. etwas überdreht, aber sie sollte ja auch erst 6 Monate alt sein. Sie kannte weder Kommandos noch Freilauf, noch Gassi, noch war sie stubenrein aber okay, hatte sie eben alles nicht gelernt, kann man ihr ja beibringen. Das einzige, was mir auffiel war, dass sie panische Angst vor Menschen mit stockartigen Gegenständen in der Hand hatte.


    Mit ca. 7 Monaten zog sie bei mir ein und mir wurde sehr schnell klar, dass sie kein "normaler" Hund war. Sie war hyperaktiv, sie kam nie zur Ruhe, dementsprechend konnte ich ihr nichts beibringen. Ich fuhr mit ihr die ersten 3 Monate jeden Tag von früh bis Sonnenuntergang ins Grüne, ließ sie ihre Umwelt möglichst ruhig entdecken, ließ sie aber auch mit anderen Hunden spielen. Sie wirkte wie ein Welpe mit 8 Wochen, schnuffelte an Blümchen, jagte Grashalme im Wind, Insekten usw. Ich sorgte nicht für Action, sondern saß oder lag einfach auf der Wiese, las ein Buch. Diese ersten Monate brachte sie mich an den Rand der Verzweiflung. Ich dachte auch teilweise ich würde völlig versagen und dass es irgendwie an mir liegt, bis hin zu dass ich sie abgeben müsste, weil sie mich einfach überfordert. Abgesehen davon, dass ich niemanden kannte, der diesen Hund übernommen hätte, wollte ich sie ja haben und dann muss ich eben auch da durch...


    Nach den ersten drei Monaten wurde sie "ruhiger", nicht vergleichbar mit anderen Hunden. Was ich neben ihrer Hyperaktivität und Welpenhaftigkeit noch bemerkte waren einige (wir nannten das so) "Macken". Z. B. Plastiktüte lag auf der Wiese, Hund bekommt nen Anfall. Ich hatte einen Gummibaum in der Wohnung, ein Blatt fiel runter, Chucky rannte panisch in den nächsten Raum und verkroch sich dort zitternd. Das passierte mit Allem was zu Boden fiel oder schwebte und ich bekam es ihr Leben lang nicht aus ihr heraus, außer dass sie später nicht mehr ganz so panisch reagierte. Weihnachtsbäume waren jedes Jahr wieder gruselig, wie alle irgendwo abgestellten Sachen, oder auch Leute, die auf Parkbänken schliefen, oder umgestellte Möbel in der Wohnung, egal wie oft ich ihr diese Dinge zeigte, wir fingen immer wieder bei 0 an. Manchmal sah sie auch Geister, starrte in die Gegend, bellte die Luft an, oder erschrak sich vor ihrem eigenen Schatten. Und manchmal erkannte sie mich nicht, wenn ich aus einem anderen Raum kam, dann machte sie eine Bürste und knurrte und bellte mich an, bis ich sie ansprach, dann war alles wieder okay. Über Gitter lief sie nie, im Treppenhaus lief sie nie am Geländer die Treppe hoch, sondern nur an die Wand gequetscht, in Einkaufzentren konnte man sie nicht mitnehmen, Spiegel waren gruselig und alles was mit Höhe zu tun hatte sowieso.


    Dann wurde sie ständig läufig, scheinträchtig und hatte ausgeprägte Scheinmutterschaften. Das Ganze viermal in einem Jahr. Sie reagierte immer überreizter (sie hatte das schon ansatzweise von Anfang an mit dem Schnappen bei schnellen Bewegungen am Besten noch kombiniert mit lauten Geräuschen) und begann sich mit anderen Hündinnen zu raufen. In alles, was sich bewegte, musste reingeschnappt werden, Joggerwaden, Inliner, Skateboards, Fahrräder wurden anvisiert, es wurde immer schlimmer bis sie sogar im Dunkeln einer beleuchteten Tram hinterherjagen wollte. Ich ließ sie auf Anraten der TA's kastrieren und trainierte mit ihr. Wir bekamen es wieder hin, es dauerte natürlich recht lange und ich rief sie eigentlich ihr Leben lang in solchen Situationen zu mir, führte sie dran vorbei.


    Außenstehende sahen das alles nicht, für sie war Chucky ein ganz normaler Hund, außer vllt. etwas sehr nervig und aufdringlich. Entweder kamen Kommentare wie: "Lass ihr doch mal Freiheiten" oder "Du musst ihr mehr Grenzen setzen/ihr zeigen, wer der Boss ist". Ich hielt es dann so, alles was für den normalen Alltag in der Großstadt absolut wichtig war und Grundgehorsam/Abrufbarkeit, daran arbeitete ich mit ihr, alles andere nahm ich in Kauf, z.B. ihr aufdringliches Gequietsche, das gehörte dann eben einfach zu Chucky. Hektik wurde vermieden. Sie war intelligent, wir übten oft neue Tricks, die lernte sie super schnell und hatte auch großen Spaß dran. Und sie hatte von Anfang an ein unglaubliches Vertrauen zu mir, entfernte sich auch nie weit von mir. Was nicht ging war jegliche Art von Druck, Schimpfen mit dem anderen Hund oder Chucky Ignorieren. Dann brach sofort ihre kleine Welt zusammen.


    Als ich das dann alles wusste, wir die wichtigen Baustellen in den Griff bekommen hatten und ich sie eben so annahm, wie sie war, wurden wir ein spitzen Team. Ich vermisse immer noch ihre ganze Art, wie sie jeden Morgen vor meinen Bett saß und darauf wartete, dass ich die Augen endlich öffne, um dann einen Freudentanz mit Gesang aufzuführen. Eine wie Chucky? Immer wieder!
    :cuinlove:

  • Respekt, viele hätten Chucky abgegeben oder ausgesetzt!!
    Lissi zeigt auch viele Dinge, die Du geschrieben hast, Speedy hat andere Mankos.
    Ich würde so einen Hund nicht mehr aufnehmen wollen, außer ich habe im Hintergrund Unterstützung!!

  • Das finde ich zu hart, im Endeffekt waren es Kleinigkeiten. Sie war kein Extremfall. Als ich wusste, worauf sie reagiert und wie ich darauf reagiere bzw. es unterbinden kann, war sie auch nicht viel komplizierter als andere Hunde. Ich hatte sie fast 14 Jahre mitten in der Großstadt, sie lief als sie dann hörte größtenteils frei (außer an großen Straßen, bei Menschenansammlungen, Öffis), begleitete mich 3 Jahre lang täglich zur Schule und war obendrauf auch noch sehr kinderlieb. Für mich war sie ein Geschenk, ich habe unglaublich viel von ihr gelernt, gerade in Bezug auf die Körpersprache der Hunde und ich kenne meine Grenzen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!