Unser Leben mit einem Border Collie

  • Immer wieder lese ich, Mensch möchte gerne einen Border. Und Mensch ist dann beinahe entsetzt wenn sie/er Gegenwind im Forum bekommt...


    Das hat mich dazu bewogen einen Bericht zu verfassen.
    Wir, das sind mein Partner, unsere zwei Söhne und ich, teilen unser Zuhause und unser Leben seit zwei Jahren mit unserem Border Buben.


    Kurze Vorgeschichte. Bevor wir Kinder hatten lebte ich längere Zeit mit einer Border-Aussie Hündin zusammen, sie gehörte nicht mir, sondern der 12 jährigen Tochter meiner WG Partnerin. Sie war ein Paradebeispiel, wieso so ein Mix hochbrisant ist und was aus einem solchen Tier werden kann, wenn es zwar mit Liebe aber ohne jeglichen Sachverstand gehalten wird. Sie war unverträglich mit anderen Hunden, Menschen ausserhalb ihres "Rudels" fand sie ebenfalls überflüssig, Katzen, andere Tiere waren zum kontrollieren, hüten bzw. fressen da. Die Liste kann man beliebig vorsetzten.
    Zu Beginn als ich da wohnte, hab ich mit der Hündin und einer befreundeten Trainerin gearbeitet und ganz schnell zeigten sich positive Veränderungen in ihrem Verhalten. Sie kam zur Ruhe, wurde ausgeglichener. Jedoch musste ich unser Training schnell wieder beenden... Die Hündin fixierte sich stark auf mich und das Kind wurde eifersüchtig... Das Tierwohl war den Besitzern egal, Hauptsache die Tochter hatte ihren Hund...


    Als ich da auszog in mein eigenes kleines Häuschen, zog ein Aussie-Spitz-irgendwas Mix vom Bauernhof bei mir ein. Ein toller Kerl, ein Charmeur der seinesgleichen sucht! Nicht ohne, aber sehr gut lenkbar. Sanfte Konsequenz, gepaart mit, ich verlange nur Dinge wo ich weiss er kann sie, ansonsten manage ich... Er war mein bester Lehrer! Auch im Bezug auf meine Kinder später.


    Dann kamen einige Jahre ohne eigenen Hund, aber immer Hunde um mich rum. Die Kinder waren klein, die Wohnsituation nicht optimal... Doch war uns immer klar irgendwann zieht wieder eine Fellnase bei uns ein!
    Als es soweit war hab ich mich informiert, Rassenbeschreibungen gelesen, Züchter kontaktiert, Hundehalter ausgefragt. Für uns stand fest, wir wollen einen Hund vom Züchter. Überraschungen gibt's sowieso genug, aber mit Kindern im Haus wollten wir die Risiken so klein wie möglich halten. Mein Partner wollte einen Retriever, ich wurde und werde mit denen einfach nicht warm... War/bin den Hütis verfallen. Und da es ja in erster Linie mein Hund sein würde, hatte ich das letzte Wort.


    Und so zog, wider besseren Wissens, da ohne Vieh, ein Border Welpe bei uns ein.
    Unser grosser Sohn war schnell enttäuscht... Immer wieder kam von den Erwachsenen, lass ihn in Ruhe, nein, du darfst ihn nicht wecken, nein, mit Bällen wird nicht mit dem Hund gespielt, mach ruhige Spiele mit ihm etc.
    Unzählige Socken wurden gelöchert, Spielsachen der Kinder geschreddert, positives Fazit: unsere Söhne wurden ordentlicher. Diesbezüglich also ein ganz normaler Welpe... Oder doch nicht?!


    Welpenstunde und Junghundegruppe, leider Pflicht in der Schweiz, waren suboptimal. Trainer zu finden die einen Plan bezüglich Border haben, ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen... Naja, wir habens hinter uns gebracht, leider mit den ersten Fehlverknüpfungen. Und mir wurde einmal mehr vor Augen geführt, wie verdammt schnell diese Tiere lernen!!


    An der Strasse durften die Jungs den Welpen/Junghund nicht führen, den schon im zarten Alter von vier, fünf Monaten zeigte er erstes Hüteverhalten bei vorbeifahrenden Autos und Fahrrädern.
    Wenn er irgendwo hin wollte und durch die Leine ausgebremst wurde, attackierte er die Füsse des Leinenhalters. Dasselbe tat er wenn er müde wurde, die Runde zu gross, die Eindrücke zu viele waren.
    Die ersten Monate verbrachten wir mit stubenrein werden, Namen lernen, nein respektieren, sauber an der Leine laufen und Balance finden zwischen Ruhe lernen und Welt entdecken ohne unnötig hochzudrehen.
    Er hat sich in der Zeit einmal in einem Treppenhaus erschreckt, EINMAL, das hat gereicht, Treppenhäuser findet er richtig doof und es hat lange gedauert bis er wieder einigermassen entspannt ein Treppenhaus betreten konnte.
    Er wurde als Junghund zweimal von einem blonden Labrador überrannt. Auch hier hat es lange gedauert, bis er nicht mehr schreiend zu mir gerannt kam, wenn mal wieder ein blonder auf uns zu gedonnert kam.
    Jetzt wird er langsam erwachsen und ich bin, wie vorher auch schon, sehr darauf bedacht dass er positive, ausgewählte Kontakte hat. Fremdhunde Kontakt gibt's fast gar nicht, unnötiger Stress, mehr nicht. Denn er wird ernsthafter und was vor ein paar Monaten noch mehr oder weniger mit einem Schulterzucken, fidle around, abgetan wurde, wird heute schonmal konkreter kommuniziert. Und er wird langsam etwas rassistisch, war mir bewusst dass das kommen kann...


    Fremdbetreuung, auch so ein Thema... Eigentlich hätten wir meinen Vater, eigentlich. Spatzieren gehen mit Herren Hund fordert hundert Prozent Aufmerksamkeit. Mein Vater ist zwar nicht unerfahren im Umgang mit Hunden, allerdings ist er auch schon ein älteres Model und würde schnell an seine Grenzen kommen. Huta kommt für mich gar nicht in Frage, da hät ich Abends einen aufgekratzter, völlig fertiger Hibbel zu Hause. Ganz zu schweigen von den ungeplanten special Effekts die er mit nach Hause bringen könnte...


    Man braucht ein dickes Fell gegenüber seinen Mitmenschen, denn die haben ja alle einen Plan wie man den Border auslasten, führen, trainieren, erziehen muss!
    Wieso seit ihr nicht mindestens drei Stunden am Stück, am Tag mit dem Hund unterwegs?! Borders brauchen viel Bewegung!!
    Gebt dem armen Hund endlich einen Ball damit er sich mal richtig austoben kann!
    Wie der Hund ist an der Schleppleine im Wald?! Hütehunde jagen nicht! Lassen sie den armen Hund doch frei. Und wenn er doch mal abzischen sollte, der kommt doch wieder...
    Wieso kann der Hund keine 7000 Tricks? Und 400 Gegenstände auseinander halten? Borders können sowas!
    Wieso ist/war der Hund im eigenen Garten angeleint wenn die Kinder Fussball spielen? Lass ihn doch mitspielen, das ist soooo süss wenn er die Kinder umrundet und sie vom Ball wegtreibt...
    Wieso darf er nicht weiter mit den Hunden spielen, er hat doch grad soooo viel Spass beim einkreisen des anderen Hundes...
    Wieso darf er sich nicht ducken/hinlegen wenn andere Hunde auf euch zukommen, dass ist doch eine ganz normale Spielaufforderung?
    Wieso muss der jetzt auf seinem Platz liegen und darf nicht mit den Kids im Wohnzimmer mittoben? Der hütet die doch nicht, der will nur mitspielen...


    Ursprünglich hatte ich die Idee mit ihm Agility zu machen. Hab ich ganz schnell wieder verworfen! Wenn überhaupt werden wir dieses Jahr mal ins NADAC reinschnuppern.
    Heute liegt unser Schwerpunkt bei Nasenarbeit. Wir machen ein bisschen ZOS und trailen. Er ist ein toller Begleiter geworden, allerdings sind wir noch lange nicht fertig. Und neben dem Training bedarf es ganz viel Management um einen allseits entspannten Alltag zu leben.


    BTW, er ist kein überempfindliches Sensiebelchen, nein, er ist für einen Border sehr cool, er ist halt einfach ein Border.


    Fazit, ich könnte mir in den Allerwertesten beissen, dass wir uns einen Border zugelegt haben, wir möchten ihn nicht mehr missen und für uns ist er der perfekte Hund! Allerdings setzten wir, ungewollt, total falsche Signale dadurch dass wir als Familie einen Border halten. Die Menschen sehen nur ein entspanntes, hübsches Familienmitglied. Was alles an Arbeit drin steckt, welche feinen Nuancen man erkennen lernen muss um so einem Tier gerecht zu werden, wollen die wenigsten wissen und noch weniger hören.

  • Finde ich auch gut und lege es mir sicher mal als Favoriten ab.
    Meine kleine Bordermaus zeigt mir auch viel - was ich gelernt habe, was ich noch lernen muss, dass sie noch lange nicht erwachsen ist, was diese Rasse ausmacht, wo sie anderen schon Jahre voraus ist, dass man aber daraus niemals auf andere Eigenschaften schließen darf... Sie sind sehr, sehr vielfältig, echt intelligente Tiere und absolut faszinierend. So einen Hund ohne enge Bindung/Zusammenarbeit/herausfordernde Ansprache zu halten, lässt mir das Herz bluten. In diesem Sinne sind die wenigsten Border für "Unbedarfte" geeignet. Ich habe zu allen meinen Hunden eine sehr enge Bindung, aber die zu ihr ist nochmal ganz anders als die zu den beiden Jungs (andere Rasse).
    Grüßle
    Silvia

  • :bindafür: SUUUPER Beitrag...vielen Dank dafür.
    Hoffentlich werden den viele "eventuell Zukünftige" Borderbesitzer lesen.
    Ich kann auch nicht verstehen warum man immer wieder, gerade bei schnell Hochfahrenden Rassen, Agility als "die Beschäftigung/Bespassung" vorschlägt...

  • kann man diesen Beitrag bitte irgendwo festpinnen damit er ja nicht wieder in Vergessenheit gerät?

  • Danke für die positive Resonanz, das freut mich. Und ich hoffe das der eine oder andere diesen Bericht liest bevor er/sie sich ins Abenteuer Leben mit einem Border Collie "stürzt"....


    Ich ging schon lange schwanger mit der Idee einen Bericht über unser Zusammenleben zu verfassen und die Feiertage haben mir nun die Muse gelassen.


    Verzeiht die vielen Fehler, im Eifer des Schreibens hat sich das Fehlerteufelchen ganz schön ausgetobt...

  • Spatzieren gehen mit Herren Hund fordert hundert Prozent Aufmerksamkeit.


    Allerdings setzten wir, ungewollt, total falsche Signale dadurch dass wir als Familie einen Border halten. Die Menschen sehen nur ein entspanntes, hübsches Familienmitglied. Was alles an Arbeit drin steckt, welche feinen Nuancen man erkennen lernen muss um so einem Tier gerecht zu werden, wollen die wenigsten wissen und noch weniger hören.


    Danke für den Bericht! Kann gerade die oben eingefügten Dinge nur unterschreiben.
    Allerdings finde ich auch (wofür mich jetzt hier wahrscheinlich einige kritisieren werden), dass nicht alle Border überhaupt nicht als Familienhunde glücklich werden können. Mein erster Hund war auch eine Border-Hündin mit der ich nicht gehütet habe. Sie war ein ausgeglichener, nach entsprechender Bindnung und Erziehung leichtführiger Hund. Natürlich anspruchsvoll und ich musste immer sehr auf die Balance von Unter- und Überforderung achten aber wir hatten beide eine sehr, sehr schöne Zeit.
    Wenn man natürlich einen so stark triebigen Hund abbekommt wie deiner es offenbar ist, liegt die Sache natürlich nochmal anders. Die Border bei uns in der Schäferei bspw. sind auch absolut altagsUNtaguliche Hunde, die ohne Hüten auch nicht klarkommen würden. Aber ich finde es kommt eben immer auf den individuellen Hund, die Zucht usw. an. Und dieses Verteufeln von allen Bordern, die nicht ausschließlich für die Arbeit mit Schafen in die Familie geholt werden finde ich auch etwas übertrieben, muss ich ganz ehrlich sagen.

  • Ich habe zwar nur einen Bordermix, aber trotzdem erkenne ich mich und meine Hündin in vielem wieder was Du schreibst. Danke , ganz toll.

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