Bin ich zu ungeduldig?

  • Fietje kommt ja aus dem TS und ist seit knapp drei Monaten bei mir. Er hat auch schon eine Menge gelernt. Zu Hause zumindest. "Sitz" und "Platz" kennt er und führt es zuverlässig aus - wenn er ein Lecker ahnt. Draußen sieht die Sache anders aus: Er ist an der Leine und soll sich hinsetzen zum ableinen. Null Reaktion! Er steht neben mir und sieht geradeaus. Keinerlei Reaktion, weder auf Berührung noch auf Ansprache. Er steht und guckt und ignoriert mich völlig.
    Irgendwie muss ich jetzt aber das Kommando durchsetzen. Also habe ich es gemacht, wie "man" es früher tat: eine Hand an die Brust, mit der anderen vorsichtig die Kruppe runtergedrückt. Sobald die Hand weg ist, steht er wieder. Ein Lecker habe ich dann nicht dabei weil ich der Meinung bin, dass Ableinen an sich schon eine große Belohnung sei.
    Erwarte ich zu viel von dem Kleinen? Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass er nicht verängstigt ist, sondern recht selbstbewußt. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass meine früheren großen Hunde die Grundkommandos sehr viel schneller und sicherer verinnerlichten als der Zwerg.
    Was sagen hier die erfahrenen Kleinhundebesitzer dazu?

    Die einzige Anwort kann nur lauten: Ja, bist Du.


    Und warum wendest du zwei völlig unterschiedliche Methoden an? Zuhause die positive Verstärkung und unterwegs eine alte abgegammelte aversive Methode? Auf welche genau, soll der Hund denn reagiere? GERADE Hunde aus dem Tierschutz und mit entsprechender Vergangenheit brauchen Beständigkeit, weil es das ist, was sie in der Regel nie hatten. Beständigkeit = Sicherheit. Und Sicherheit heisst da nicht nur, dass er selbstbewußt ist, denn dass sind sehr viele Hunde aus dem Tierschutz (zumindest was ihr nach Aussen präsentiertes Verhalten suggerieren soll), sondern auch, dass er sich auf DICH verlassen kann und Du ihm eine Orientierungshilfe bist. Es gibt zwei grundsätzliche Arten, zu überleben: Selbstbewußtsein zeigen (also Stärke und hoffen das das ankommt) oder völlige Unterwerfung (also Schwäche und zeigen das man völlig ungefährlich ist). Ziel einer vernünfitgen Hundehaltung sollte sein, ihm zu zeigen, dass er er beides im Umgang mit Dir überhaupt nicht mehr benötigt. Dafür gibt es Bindungs- und Vertrauensarbeit.


    Man muss auch kein Kommando "durchsetzen", weil man das so macht. Auch DAS ist sehr altbacken, stammt noch aus dem "Preussischen Hundeerziehungsbuch" und basiert auf der Ansicht, dass Hunde sich unterzuordnen haben und alles was Mensch ihnen befiehlt, widerstandslos auszuführen haben. Vieles davon ohne jemals darüber nachzudenken, ob das gerade gegebene Kommando überhaupt notwedig ist oder Sinn macht.


    Ich kenne den Hund nicht, nicht seine Vergangenheit und auch Dich nicht. Da fällt es schwer einen wirklich guten Tip zu geben. Ein Anhaltspunkt könnte aber sein, dass er draussen nur guckt und überhaupt nicht auf Dich reagiert. Wenn ich sowas in Trainingsstunden sehe, dann empfehle ich in der Regel erst mal Basisarbeit, sprich einen verstärkten Aufbau der Mensch-Hund Beziehung. Erst wenn der Hund Dich als ernstzunehmenden "Sozial-Partner" akzeptiert und Du auch draussen entsprechende Resonanz erfährst (soll heissen der Hund schaut nicht mehr nur nach vorn und igrnoriert Dich, sondern DU bist ein mindestens ebenso interessantes "Objekt" wie die Umgebung) kann Du vernünftig mit ihm Trainieren. Viele TH Hunde von uns, zeigen diese "Stärke", einfach weil sie auf sich allein gestellt waren. Man kann es "brechen", was zwar dazu führt, dass er gehorcht, andererseits setzt das aber das Vertrauen herab, was man sich evt. mühsam aufgebaut hat. Ich an Deiner Stelle würde das Training zwar weiterführen, aber keine der von Dir genannten Mittel anwenden. Viel wichtiger ist, dass der Hund eine gute und starke Bindung zu Dir aufbaut und er Dir vertraut. In der Regel änderts sich so ein Verhalten, wenn man da kontinuität zeigt. Arbiete genau wie Zuhause mit Leckerlies und bestätige richtiges Verhalten. Jeder Hund ist anders und jeder Hund verarbeitet Erlebtes anders. Dazu kommt natürlich noch einge gehörige Portion Rasse, gewürzt mit subjektivem Charakter.


    Bei einem gehts schneller, beim anderern dauerts länger. Und bei noch einem anderern dauert es sehr lang und einiges verliert der Hund nie.

  • ....Im Übrigen: NIcht für alle Hunde ist ableinen eine Belohnung. Somit also zum Belohnen völlig unbrauchbar.

    Warum - wenns für nen Hund Belohnung ist, dann kann man es auch so verwenden. Nur, weil das nicht für alle Hunde gilt, da geb ich Dir recht, heißt das nicht, daß man es nicht bei nem Hund verwenden kann, der das so empfindet.


    Meine finden Freilauf total klasse, für sie ist das ne tolle Belohnung. Nachdem Bossi aber zB losspreißelt wie irre, sobald der Haken der Leine "klick" macht, hab ich ihm angewöhnt, sich hinzusetzen, dann Leine ab, dann abzuwarten, dann Freigabe zum Laufen - sonst hab ich irgendann gebrochene Finger, weil der noch im Halsband hängt oder so... *gg

  • Ich denke, daß der Hund einfach nach so kurzer Zeit bei Euch noch viel zu sehr abgelenkt ist draußen, um da Kommandos zu befolgen, ganz unabhängig vom Sinn oder Unsinn eines Kommandos.


    Ich würde das Kommando drinnen erstmal so aufbauen, daß es auch ausgeführt wird, wenn ich von nem anderen Zimmer aus das Kommando gebe. Erst dann kann ich Ablenkung hinzufügen, mal SITZ verlangen, wenn ein Besucher danebensteht, oder das eigene Kind daneben spielt oder so. Oder während der Fernseher läuft. Das muß daheim in allen Zimmern funktionieren, auch mit Ablenkung.


    Erst dann kannst es draußen verlangen, aber dort dann wiederum in ablenkungsarmen Situationen (weil andere Umgebung), also nicht neben dem Kinderspielplatz, oder wenn grad ein Hund auf ihn zustürmt, sondern in freier Natur, wenn der Hund gerade vollkommen entspannt ist. Klappt das dort, kann man auch draußen zunehmend Ablenkung einbauen.


    Und solange das noch nicht "sitzt", würde ich es keinesfalls zur Voraussetzung für ein Ableinen/Freilauf machen. Dann lieber ein "schau", oder einfach ableinen, wenn man noch kein Kommando hat, das wirklich immer und überall gern befolgt wird. Oder Du bleibst stehen, bis der Hund Dich anguckt, bestätigst das mit nem Leckerli oder verbal und leinst dann ab.


    Und natürlich (!) mußt Du, wenn Du daheim schon Leckerlies nimmst als Bestätigung im Aufbau, diese auch beim Ausbau des Kommandos draußen verwenden. Später, wenn der Hund weiß, was er soll, kann man das wieder abbauen. Aber allein, damit das Ritual rund ums Kommando dasselbe ist wie innen, wenn schon die Umgebung ne andere ist, sollte das genauso gehandhabt werden. und, weil ein hudn genau wie ein Mensch nix umsonst macht. Du willst doch bestimmt, daß das Kommando auch draußen gern und zuverlässig ausgeführt wird, und nicht für den Hund draußen zum ungeliebten Hindernis wird, das ihn vom Freilauf trennt....


    Wenn der Hund noch zu abgelenkt ist, dann hilft auch ein Runterdrücken des Hinterteils nicht, sich zu beruhigen oder auf Dich zu konzentrieren - und wenn er im Kopf wegen der Ablenkung nicht "bei Dir" ist, wird er dabei auch nichts lernen. Weil er ins Sitz geführt wird, und das nicht selbst ausführt und dabei mitdenken kann. Also wird das Runterdrücken auf Dauer auch nix helfen (das würde nur helfen, wenn der Hund das Kommando draußen schon perfekt beherrschen würde, und einfach die Priorität eben anders setzt und deswegen sich net setzt - dann sieht er, daß Du draußen auch konsequent ist und Dich durchsetzt, und seine Prioritäten grad mal unwichtig zu sein haben. Aber zu dem Zeitpunkt jetzt eben hilft das sicher noch nicht.).

  • Warum - wenns für nen Hund Belohnung ist, dann kann man es auch so verwenden. Nur, weil das nicht für alle Hunde gilt, da geb ich Dir recht, heißt das nicht, daß man es nicht bei nem Hund verwenden kann, der das so empfindet.

    Das war auch rein auf Hunde bezogen, die das Ableinen mit dem anschließenden Freilauf nicht als Belohnung empfinden. Für alle anderen Hunde ist es natürlich eine super Belohnung. Das habe ich nicht wirklich klar ausgedrückt, sorry.

  • Irgendwie muss ich jetzt aber das Kommando durchsetzen.

    MUSST du?
    Funktioniert aber - wie ja bereits gesagt - nur wenn er dich wahrnimmt und "weiß" was du von ihm erwartest - dazu bedarf es in der Tat Geduld und Training.


    Mein Hund empfindet den Freilauf situationsabhängig sicher auch manchmal als belohnend - allerdings sollte man meiner Meinung nach gerade in diesen Situationen eher vorsichtig sein, dass man nicht für "aufgeregtes Verhalten" belohnt.
    Im Grunde ist aber Freilauf in den uns bekannten Gebieten für ihn nahezu der Normalzustand, sodass ich ihn nicht gezielt als Belohnung für ein anderes Verhalten einsetze als mitunter für das ritualisierte Verhalten nach dem Ableinen.
    Den Karabiner löse ich meist während des Laufens, was aber zunächst keinerlei Änderung der Situation bewirkt - wir laufen weiter nebeneinander, das Lösen der Leine ändert also zunächst NICHTS. Wenn ich es für sinnvoll halte gebe ich ihn frei - das dauert mal länger und mal weniger lang.
    Wenn ich höre "Freilauf gleich Belohnung", dann lässt das hoffentlich nicht den Rückschluss zu "Laufen an der Leine gleich Strafe" ;)
    Meinen an die Leine zu nehmen hat - situationsbezogen - für ihn häufig eine offensichtlich erleichternde (deshalb womöglich auch als belohnend empfundene) Wirkung.


    An der Leine ist er "sicher" vor Zudringlichkeiten - er muss nichts klären, da kein Kontakt. Sehe ich also "Ungemach" voraus kommt er an die Leine und nichts passiert!



    Dass er im Freilauf Kontakt zu mir hält, ansprechbar bleibt und MICH im Zweifel anderen Reizen - die für ihn durchaus verlockend sein müssen ;) - vorzieht empfinde ICH immer als belohnend! Das ist dann meine Belohnung für geduldiges und ausdauerndes Training



    Tschüss und viele Grüße


    Ralf


  • Das ist ein wenig mit Vorsicht zu genießen. Wenn der Hund den Freilauf OHNE Leine tatsächlich als eine Belohung empfindet, dann muss er den Gang an der Leine bestenfalls als normal langweilig und schlimmstenfalls als Strafe empfinden. Hunde abstrahieren nicht und je größer eine Diskrepanz zwischen zwei Zuständen ist, desto leichter verinnerlicht der Hund das.
    Wenn man den Freilauf sogar geziehlt als Belohnung einsetzt, wird der "Leinengang" quasi automatisch negativ belegt. Hat man diese "Denkweise" erstmal etabliert, dann ist jedes "An die Leine nehmen" zumindest eine kleine Bestrafung. So erzieht man sich ganz schnell Leinenpöbler und unsichere Hunde, die nicht immer genau wissen was sie eigentlich machen sollen. Denn an die Leine geht es ja, wenn ein anderer Hund kommt und sie bellen aber auch wenn eine Straße kommt oder der Halter es gerade für gut befindet und sie eigentlich nichts machen, etc. Also mal Dinge, bei denen er sichtlich aktiv ist und mal quasi gar nichts macht. Da Hunde bei Regelementierungen eine aktuell stattfindende Regelementierung aber gern mit einer zum selben Zeitpunkt stattfindenden "Umgebungs-Aktion" verknnüpfen (so funktioniert ja das Lernen) die aber nichts mit dem "an die Leine Nehmen" zu tun hat, sind Fehlverknüpfungen somit vorprogrammiert.


    Normal sollte es eigentlicht sein, dass es für den Hund kaum einen Unterschied macht ob er an der Leine ist oder nicht, bzw. sollte man darauf hinarbeiten. D.h. Freilauf sollte etwas normales und keine Belohnung sein und Leinenführung keine Bestrafung oder etwas das als solche empfunden wird.

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