Die große kleine Leserunde- 'der Trafikant' von Robert Seethaler
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Hi,
bin jetzt durch - und werde die nächsten Tage in meiner Gesamtausgabe von Karl Kraus stöbern.
Wunderschön und poetisch geschrieben. Es beschwört auf geniale Weise die Atmosphäre der Zeit herauf. Gestört hat mich allerdings doch eins:
Es passt zum Zeitkolorit und auch zum Thema. Aber trotzdem finde ich es gerade bei einem zeitgenössischem Autor schade, wenn Frauen nur als Hysterikerin/Schrulle, schönes Tier oder Mütterchen bzw. Mütterchenersatz auftauchen. Sollte sich das durch Seethalers Werk so durchziehen, werde ich wohl doch keine dauerhafte Freundin
Ja, eine Runde Boshaftigkeiten aus dieser Zeit und Stadt ist jetzt genau das Richtige.
LG Nicole
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Hi
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Empfandest du das tatsächlich so? Ich fand eigentlich alle drei Frauen, die als Hauptnebenfiguren auftauchten - Franz' Mutter, Anezka und Anna, die Tochter von Freud - sehr emanzipiert und selbstbestimmt. Dass Franz' Mutter eben auch mütterlich auftritt, und bei Anezka aus Franz' Sichtweise der Fokus auf dem Sexuellen liegt, ist eigentlich durchaus verständlich. Zumal Anezka rein objektiv vermutlich nicht als so schön gelten würde wie Franz sie sieht.
Und hysterisch empfand ich eigentlich keine. Wer fällt dir da denn ein?
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Hi, ja - schon. Starke Frauen bestimmt. Aber Männerfrauen. Also Frauen in ihrer Funktion für die Männer der Geschichte.
Von “Der Mutter“ erfahren wir nicht mal den Namen, obwohl sie sicher eine superstarke Mutter ist, die auch mal das schöne Tier sei kann. Über Aneszka erfahren wir nichts als den triebhaften und -befriedigenden Aspekt (darum gehts beim schönen Tier - nicht um Regelmäßigkeit von Figur/Gesichtszügen). Die großartige Anna Freud begegnet uns als umgekehrte Mutter - Betreuerin des Greis gewordenen berühmten Vaters. Die Hysterikein ist die Freudsche Patientin, die Schrulle die Frau Dr. Dr. (von Mannes Gnaden).
Das kann durchaus eine bewusste Wahl des Autors sein. Denn genau diesen Figuren begegnen wir bei Autoren, die roundabout dieser Zeit geschrieben haben. Und auch bei den männlichen Nebenfiguren finden sich solche “Funktionen“. Was es auch ermöglicht hat, dass diese Geschichte so wunderbar komprimiert ist.
Aber gerade beim Talent des Autors, mit wenigen Pinselstrichenn komplexe Charaktere zu schaffen, hätte ich mir für die wichtigen Frauen der Geschichte mehr gewünscht.
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Hm, okay, ich verstehe deinen Punkt, finde ihn aber in der Geschichte stimmig. Die Hauptperson ist nun mal Franz. In dem Sinne ist auch Freud nur für seine Entwicklung dar, genauso wie Otto und das, was mit Otto passiert. Genauso, wie die Nazis relativ stereotyp als die Bösen dargestellt werden. Alles in der Geschichte passiert, um Franz zu entwickeln.
Meines Erachtens haben die drei Frauen aber trotz ihrer Rollenerfüllung durchaus mehrere Facetten, die aber eben nur angedeutet werden. Für mich sind sie in keinster Weise nur Rollenbilder, sondern eigenständig handelnde Personen.
Das ist, meines Erachtens, immer ein Problem bei Nebenfiguren. Je mehr man in die Details geht, umso mehr werden sie von der Nebenfigur zur Hauptfigur. Da sind in meinen Augen die Rollen genau richtig eigentlich beschrieben worden - nur Nebenfiguren, aber dezent angedeutet die tieferen Ebenen, die diese Figuren beinhalten.
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Hi, ich verstehe auch Deinen, aber:
Die Mutter ist für mich - ebenso wie Aneszka - gerade im Kontext einer Geschichte um Freude und den Fall der Gesellschaft in die Barbarei - eine Hauptfigur und man hätte da viel mehr rausholen können - mit nur 2 Seiten mehr. Ich lese noch mal in was anderes von Seethaler rein. Ist halt mein Punkt, auch etwas aus meiner Zei herrührend ;)
LG Nicole -
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Es geht ja in den Spoilern um das Frauenbild in dem Roman. Gerade in den sogenannten Coming-of-Age-Romanen (hier: Entwicklung des Franz Huchel vom Jugendlichen zum Erwachsenen) geht es primär um den betreffenden Protagonisten. Die anderen Personen treten deutlich in den Hintergrund - mit Ausnahme der berührenden Beziehung zwischen dem greisen Dr. Freud und dem jungen Franz.
Die Bedeutung der zwei dominanten Frauengestalten (die Mutter durch die Briefe, Anezka als erste Liebe von Franz) sollte nicht unterschätzt werden - soviel kann man wohl ohne Spoiler andeuten. -
Hi, nochmal ganz kurz - und das Buch ist meiner Meinung nach kein reiner “Coming of Age-Roman“:
In diesem Roman gibt es auch Nebenfiguren, die mit wenig Pinselstrichen aus Rolle und Charakter fallen. Siehe “Der Arbeiter“, dem Seethaler auf zwei Seiten trotz des Stereotyps die Höflichkeit erweist, ihn nicht festzunageln.
Agneszka und “Die Mutter“ werden trotz meiner Meinung nach deutlich wichtigerer Präsenz als reine Nebenfiguren behandelt. Das ist eine Auswahl des Autors. Die mich persönlich - und mehr habe ich nicht gesagt - aber noxht anspricht.
@37mara73 Wie angemerkt spreche ich hier von meinem persönlichen Empfinden. Ich würde in einer solchen Diskussion niemals das Empfinden Anderer herabwürdigen, indem ich mit “Das ist aber soundso“-Definitionen klassifiziere.
LGNicole
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Ich bin inzwischen auf S. 160 und bin wirklich begeistert von diesem Schriftsteller bzw. Buch. Durch die geänderten politischen Verhältnisse in Österreich entsteht auch ein interessanter Spannungsbogen, da der Leser Schilderungen, welchen Einfluss die NS-Propaganda bzw. -Politik auf Franz, Otto, Freud, Franzens Mutter u.a. haben wird, erwartet.
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Hi, also, ich bin durch. Und hätte eine Leseempfehlung an alle weiter am Thema Interessierten: „Die dritte Walpurgisnacht“von Karl Kraus.
LG Nicole
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Plus - um hier Karl Kraus noch einmal wörtlich zu zitieren:
„Man frage nicht, was all die Zeit ich dachte
Ich bleibe stumm;
und sage nicht, warum.
Und Stille gibt es, da die Erde krachte.
Kein Wort, das traf;
man spricht nur aus dem Schlaf.
Und träumt von einer Sonne, welche lachte.
Es geht vorbei;
nachher war‘s einerlei.
Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.“Karl Kraus, „Die Fackel“ Jahr 1933; Ed. 888.
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