Für die Leseratten - Der Bücherthread - Teil 2
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Ach, historische Romane...
Ein Genre, dass ich selten lese. Da ist immer ein gewisser Konflikt zwischen dem heutigen Blick und der latenten Frage: Ob das wirklich so war? So gewesen sein kann?
Ariel Lawson: The Frozen River (Der geforene Fluss) basiert auf der wahren Geschichte von Martha Ballard, eine Hebamme, die in Maine in der zweiten Hälfte des 18. Jhd. lebte.
Die Geschichte ist spannend und angenehm zu lesen, dreht sich um Mord, Vergewaltigung, das Justizsystem, das Leben der Siedler. Die Heldin ist eine starke Frau, führt eine sehr gleichberechtigte Ehe, ist stets auf der Seite der Schwachen, traut sich, für die Rechte anderer einzustehen. Tolle Protagonistin - aber ich habe mich dauernd gefragt: wie war diese Frau wohl wirklich?
Man kann es nie wissen.
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Das geht mir auch so bei historischen Romanen. Ich glaube, man liest sie unbefangener und mit mehr Spaß, wenn man sie mehr als Histo-Fantasy liest und nicht als faktenfesten Bericht aus der Vergangenheit. Umso schöner, wenn doch mal jemand seine Recherchearbeit gut gemacht hat und gleichzeitig fesselnd schreiben kann. Dann lasse ich mich auch gerne hineinziehen.
Wie zeitgeistig historische Romane sind, zeigen besonders ältere Exemplare, wobei "älter" gar nicht sooo sehr alt sein muß. Solche historischen Romane können auf ihre Art auch recht unterhaltsam im Sinne von unfreiwillig komisch sein. In Felix Dahn's "Ein Kanpf um Rom" trifft man auf geballte opernhafte Wogalawaia-Wagner- Germanen, während man nach der Lektüre der späteren Bände der Steinzeitsaga um "Ayla" ein recht gutes Bild davon gewinnt, wie es in den Siebzigern und Achzigern in kalifornischen Land-WGs zugegangen sein muß.
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Ja, das stimmt wirklich. Ist ja genauso, wenn man ältere Science Fiction liesst.
Unfassbar, wie man sich die Zukunft z.B. in den 70ern oder 80ern teilweise vorgestellt hat. Weniger in Bezug auf technische Entwicklung, sondern v.a. die sozialem Strukturen (man denke an Lieutenant Uhura in Star Trek Original Series vs. Strange New Worlds...).
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Ich finde das gerade gut am historischen Roman. Es ist ja kein Sachbuch und erst keine Geschichtsschreibung. Im Roman ist Fantasie nicht nur erlaubt sondern unerlässlich. Die Frage, ob es wirklich so war, stelle ich eher nicht. Grobe Fehler im historischen Setting sind Mist aber ansonsten finde ich jedes Gedankenspiel zulässig.
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Da ich gerade das Rad der Zeit auf Prime schaue... Lohnt es sich, die Bücher zu lesen? Sind die gut?
Ich habe ziemlich weit reingelesen in die Serie, aber irgendwann entnervt aufgegeben. Grund: Allgemeine Überlänge. Nur ein Beispiel: Ein ziegelsteindicker Band irgendwo in der Mitte der Serie, nix passiert so recht, außer daß der Protagonist darüber nachgrübelt, ob er wohl mit Mädel A oder Mädel B in die Falle hüpfen möchte, und am Ende hat er sich immer noch nicht entschieden - Sorry, dann ist es mir auch egal.
Nervpunkt 2: So spätestens ab dem dritten, vierten Band einer seitenstarken Fantasyserie ist nun doch so einiges an Handlung passiert und es sind zahlreiche Charaktere eingeführt worden.
Nun kann es aber sein, daß ein unbedarfter Leser zufällig den fünften Band als erstes in die Finger bekommt. Was tut ein netter Autor in diesem Falle, um den Neuleser nicht hängenzulassen? - Er beschreibt, was bisher geschah.
Er kann dies in Form einer kurzen Zusammenfassung vor dem eigentlichen Beginn des Buches tun, oder er läßt die Informationen stückweise in die neuen Kapitel einfließen. Unglücklicherweise hat sich der Autor vom "Rad der Zeit für die zweite Möglichkeit entschieden. Und die sieht bei ihm so aus:
Die Protagonistin erwacht an einem schönen Morgen, und zufällig berührt ihre Hand das Medaillon auf ihrer Brust, das ihr ferner Geliebter ihr dermaleinst geschenkt hat. Ihre Gedanken wandern zu ihm, sie rekapituliert die gesamte komplizierte Beziehungsgeschichte sowie sämtliche Gründe, warum sie nicht zusammenkommen können und zwar mindestens 20 Seiten lang.
Und das ist nur ein Charakter von vielen, und alle LeserInnen, die die vorherigen Bänge gelesen haben - also die allermeisten - kennen die Vorgeschichte in- und auswendig. Man kann es aber natürlich schlecht rausfiltern aus dem fließenden Text, weil man ja nicht weiß, wann es doch wieder weitergeht mit der aktuellen Handlung.
Und das Ganze wiederholt sich in jedem neuen Band - natürlich immer erweitert um die Ereignisse, die im letzten Band passiert sind.
Als ich die Serie aufgab, bestand etwa ein Drittel jedes Bandes aus Rekapitulation dessen, was in den vorigen Bänden passiert war, und da hatte der Spaß für mich ein Ende.
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Die Frage, ob es wirklich so war, stelle ich eher nicht.
Mir geht es nicht um die Ereignisse, sondern um das Lebensgefühl, die Einstellungen, die Weltsicht der Menschen.
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Ich finde es wiederum gerade bei (guter) SF hochinteressant zu lesen, wie sich Menschen einer früheren Zeit eine utopische oder dystopische Zukunft vorgestellt haben. Gibt Einblicke in das „Wie“ des Denkens einer Zeit, ein Thema, das mich prinzipiell sehr fasziniert. Star Trek Classic würde ich dabei tatsächlich nicht zu guter SF zählen.
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Die Frage, ob es wirklich so war, stelle ich eher nicht.
Mir geht es nicht um die Ereignisse, sondern um das Lebensgefühl, die Einstellungen, die Weltsicht der Menschen.
Jeder Roman, egal welchen Genres, entwickelt eine eigene Welt, mit einer eigenen Weltsicht, eigenem Lebensgefühl, eigenen Einstellungen. Nichts davon ist real und nichts davon muss (oder kann) irgendeine Realität originalgetreu wiedergeben. Es muss den Leser mitnehmen können. Bzw. es muss Leser finden, die bereit sind, in genau diese Welt einzutauchen.
Historische Romane, die sich mit realen historischen Personen befassen, haben diesbezüglich Einschränkungen. Aber auch da ist klar: was ein Autor da entwickelt, ist keine Realität. Es ist mehr oder weniger nah an den bekannten Fakten, es ist mehr oder weniger nah an dem durch die Geschichte vermittelten Bild, es ist mehr oder weniger glaubwürdig. Wobei Glaubwürdigkeit im historischen Roman zwei voneinander komplett unabhängige Referenzen hat: den historischen Kontext und den Kontext des Romans. Ich finde es interessant, wenn ein Autor mit diesen verschiedenen Glaubwürdigkeiten und den verschiedenen Kontexten spielt.
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Denken - genauer gesagt das Denkbare - (und Sprache - und Sprachgebrauch) verändern sich. Es ist für einen Menschen unserer Zeit praktisch schlicht nicht möglich, exakt so zu denken, wie es ein Mensch aus dem eigenen Kulturraum vor 200 Jahren getan hat. Weil sich die Parameter verschoben haben. Man kann es erahnen, man kann sich mit viel Wissen um die Zeit ein Stück weit hineindenken. Aber reproduzieren lässt es sich nicht. Ebenso wie der erwachsene Mensch im vollem Sprachgebrauch das eigene Denken vor dem ausgearbeitetem Spracherwerb nicht mehr genau fassen kann. Die Gesellschafts- und Lebensverhältnisse lassen sich vermutlich besser darstellen, aber auch die notwendigerweise mit einem Blick aus unserer Vorstellungswelt.
Ich hätte diese Erwartung an einen historischen Roman daher tatsächlich gar nicht. Ich muss aber dazu sagen, dass es auch nicht mein Genre ist. Historische Romane vor ca. 1850 sind so gar nicht meins. Die Gaslight Era und das Fin de Siecle finde ich spannend, aber eben auch mit dem Hintergrund, was ich in diese Zeit hineinprojiziere und mit ihr verbinde.
Für mich gute historische Romane konfrontieren einen mit der Andersartigkeit. Wie es z. B. meiner sehr zurückliegenden Erinnerung nach bei Eco der Fall war. Ansonsten würde ich tatsächlich auch eher eine nette Geschichte erwarten.
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Richard Beck - We believe the Children
In den 80er Jahren wurden quer durch die USA unzählige Angestellte von Tagesstätten und Kindergärten verhaftet. Der Vorwurf: Ritueller Missbrauch von Kindern, Zugehörigkeit zu Satanischen Sekten und einem Kinderporno Ring. Kinder erzählten von grausamen Ritualen, Missbrauch, Morden und schwarzen Messen. Gegen hunderte Personen wurde ermittelt, gegen 190 wurde offiziell Anklage erhoben, 80 wurden verurteilt. Der längste Prozess dauerte sieben Jahre.
Am Ende stellte sich heraus, dass nichts von alle dem je passiert war und man Unschuldige vor Gericht gestellt und teilweise zu wahnwitzigen Strafen verurteilt hatte.
Richard Beck hat in diesem Buch gründlich nachrecherhiert und die Gründe zusamengetragen, die zu diesem unglaublichen Skandal führen konnten, Angefangen von der psychiatrischen und medizinischen Lehrmeinung zu dieser Zeit, über die persönlichen Interessen mancher Beteiligter ,bis hin zu politischen Entwicklungen und geschichtlichen Wurzeln, sammelt er alle möglichen Puzzleteilchen zusammen, die zum Entstehen der Satanic Panic und ihren Auswirkungen bis ins hier und jetzt geführt haben.
Eine spannende Lektüre, die aber bisweilen schwer im Magen liegt. Es ist interessant zu lesen, wie manche Praktiken und Überzeugungen, die heutzutage schon zum Klischee der Psychologie geworden sind (zB "zeig es an der Puppe" oder die gespaltene Persönlichkeit wie Hollywood sie versteht, als Folge von Missbrauch) in dieser Zeit entstanden sind, anderseits lässt es einen wütend und machtlos zurück, wenn man die Passagen liest, in denen (Klein)Kinder ins Verhören so lange unter Druck gesetzt und teilweise bedroht und beleidigt werden, bis sie die erwünschten Antworten geben.
Bei Aussagen wie (sinngemäß übersetzt) "auf die Frage ob man missbraucht wurde, gab es nur zwei Antworten "ja" und "Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich erinnere". Nein, war keine Option", weiß man bisweilen nicht mehr, was man denken soll.
Note: 2,6
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