Für die Leseratten - Der Bücherthread - Teil 2

  • Es gibt im deutschen keine einheitliche Regelung. Genauso wenig wie es personenbezogene, ungeschlechtliche Pronomen gibt. Dadurch entstehen Neopronomen wie zB dey/dem (mein persönlicher Favorit, weil die so gut zu den anderen passen)

  • Interessant ist, was Ursula K. le Guin dazu bereits 1994 in einem Nachwort zu einer überarbeiteten Auflage ihres Romans „Die linke Hand der Dunkelheit“ geschrieben hat:


    Unromantische englische Pronomen müssen dem tatsächlichen Geschlecht oder der Geschlechtslosigkeit ihres Bezugsworts entsprechen (mit einigen Erweiterungen des weiblichen Geschlechts auf Schiffe, Maschinen und Katastrophen). Für geschlechtslose Bezugsworte gibt es das Neutrum, »it«. Dieses Neutrum kann für Tiere verwendet werden, aber nicht für Menschen (außer gelegentlich für ein Baby, von Leuten, die keine Babys mögen). Im Englischen gibt es ein wirklich geschlechtsneutrales Pronomen nur im Plural. He, she, it sind geschlechtsspezifisch, they ist es nicht (»they is not«). (Über Grammatik zu reden gefällt mir; du kannst Dinge sagen wie »they is not«, und keiner wird dich korrigieren.)


    In alter Zeit wurde they regulär als genderfreier oder bisexueller Singular verwendet, wie noch heute in der Umgangssprache. Wir können sagen: »If any student has a problem with this, I want to talk to them after class« oder: »Somebody left, but I didnt see who they were.« Doch im Lauf des siebzehnten Jahrhunderts begannen die Grammatiker, sich um Kongruenz zu sorgen, wahrscheinlich, weil sie das Englische ans Lateinische angleichen wollten, da das Lateinische für edler und viriler gehalten wurde als die Alltagssprache; und sie verfügten, dass they als Singularpronomen nicht »korrekt« sei, wie im Lateinischen. Das hat niemanden von uns seither davon abgehalten, es beim Sprechen zu benutzen, aber doch die meisten von uns davon abgehalten, es zu benutzen, wenn wir schreiben.“


    Quelle:


    Tor-Online.de - Das Geschlecht der Pronomen


    Da hat sich in der Zwischenzeit Einiges getan und they/them ist gebräuchlich geworden. Soweit ich weiß, gibt es keine restgelegte deutsche Entsprechung, diesbezüglich ist unsere Sprache ja noch in der Findungsphase.

  • Chang Yu-ko – Whisper (bisher scheinbar nur ins englische übersetzt)


    Eine "klassische" Horror-Geschichte um eine übernatürliche Stimme und den Menschen, die sie hören...


    Wu Shih-Shen ist Taxi-Fahrer in Taipeh, mit seiner Frau Hsiang-ying wohnt er in einer heruntergekommenen Blechhüte am Rande Taipehs, die beiden sind hochverschuldet und Gewalt und Trauma bestimmen die Ehe. Shih-Shen findet beim faulenzen auf einem Parkplatz ein verlassenes Taxi, durchsucht es und hört hier zum ersten Mal die Stimme. Kurz darauf fängt seine Frau an zu halluzinieren, auch sie hört die Stimme, auch wenn sie für sie anders ist. Hsiang-ying verfällt zunehmend ihren Wahnvorstellungen und wird schließlich in die Psychiatrie eingeliefert. Hier liegt sie auf einem Zimmer mit der schwerst traumatisierten Tsu-tsu, die dem indigenen Volk der Bunun angehört. Shih-Shen ist von alledem genervt und verzweifelt, die Kosten, die seine Frau im Krankenhaus verursacht, nötigen ihn bei seiner Familie (wieder) nach Hilfe zu fragen. Hsiang-ying's rapide Verschlechterung und die Geldsorgen rufen Sozialarbeiterin Jui-yi auf den Plan, die sehr bald, unterstützt durch ihren Mann, nach der Ursache für Hsiang-ying's Wahn sucht. Ebenso versucht Hsiang-ying's Schwester Chen-Shan zu verstehen was mit ihrer Schwester und ihr selbst passiert...


    Die Geschichte ist dicht erzählt mit komplexen Handlungssträngen und einem guten Tempo durch die vier wechselnden Sichtweisen. Die Ursache der Stimme wird in Puzzleteilen nach und nach zusammengesetzt. Für mich unerwartet, da es keine "einfache Erklärung" gibt, die Geschichte ist fest verwoben mit der sensiblen Vergangenheit Taiwans, wie den (schlimmen) Folgen der japanischen Kolonisierung, der Misshandlung der taiwanesischen Ureinwohner und dem Shintoismus, der gewaltsam in die taiwanesische Folklore eingedrungen ist.


    Ich glaube, Jemand, der ein grundlegendes Verständnis von den Religionen, Glaubensrichtungen, Folklore-Geschichten und sozialen Strukturen der asiatischen Länder hat, wird einen wesentlich leichteren Zugang zu diesem Buch finden als jemand ohne diese Interessen. Die englische Übersetzung ist überraschend gut, weit zugänglicher als manch andere, die ich bisher gelesen habe. Großartig ist Shih-Shen als "Unlikeable Character", unsympathisch und erbärmlich, aber glaubhaft und, für mich, macht er eine wahnsinnige Entwicklung durch, die ich ihm am Ende dann doch zugute halten kann. Die wenigen Passagen des Buches, wo es um die Vergangenheit Taiwans geht, fühlen sich manchmal als "Infodump" an, halten sich aber in Grenzen. Grundsätzlich war die Geschichte interessant und spannend, drückte aber zeitweilen ganz schön aufs Gemüt.

  • Hier reihe ich mich gerne mit ein! Über Bücher reden macht immer Spaß.


    Einen Tipp lasse ich auch gerne da. Mein letztes Lese-Highlight war: Die Anomlie von Hervé Le Tellier.


    Ein für mich sehr überraschendes Buch.


    Im Klappentext spielt ein Auftragsmörder eine große Rolle, das ist aber irreführend. Da ich überhaupt kein Interesse an Auftragsmördern habe, habe ich das Buch deswegen lange nicht gelesen, auf eine persönliche Empfehlung dann doch - und ich bin sehr froh darüber!


    Die Story: ein Flugzeug, das mysteriöserweise ZWEImal landet, mit allen Passagieren, die es nunmehr doppelt gibt. Darunter besagter Auftragsmörder.


    Worum es eigentlich geht, ist - mitunter sehr witzig und scharfsinnig - die ganz unterschiedlichen Reaktionen der Menschen auf dieses Ereignis zu schildern. Wissenschaft, Politik, die Betroffenen, das Umfeld. Es gibt keine stringente Handlung, keine Auflösung, dafür viele verschiedene POVs - und es ist sehr unterhaltsam zu lesen.

  • Wie gut, dass ich einer Serie noch eine Chance gegeben habe. Vor einigen Wochen schrieb ich, dass der erste Band des „Donnerstagsmordclubs“ von R. Osman so gar nicht nach meinem Geschmack war und warum. Als gebrauchtes Buch habe ich nun doch Band 2 erworben (Der Donnerstagsmordclub und der Mann, der zweimal starb) und siehe an: Super Unterhaltung. Spannung mit Tempo, überraschende Wendungen, britischer Humor in der für mich richtigen Dosierung und etwas Lokalkolorit. Genau das Richtige bei Kälte und Regenwetter, mit einer Tasse Earl Grey und Scones (Kekse tun es auch) vor dem Kamin. Das agile Seniorenquartett - darunter Elisabeth, ein früheres As beim Geheimdienst, die als Profi zu rechnen ist - macht seine Sache gut und löst die Mordfälle souverän. Die Protagonisten wachsen dem Leser langsam ans Herz.

  • Ich lese aktuell ein Buch, welches mich irgendwie verwirrt. Es geht um eine Frau, die in einer WG lebt und der Mensch, der dort mit lebt, möchte mit den Pronomen "they/them" angesprochen werden. Im deutschen übersetzt wird daraus in dem Buch "dey/demm" und es kommt so oft vor, dass ich da ständig drüber stolpere. Ist das so echt die richtige Übersetzung? Sagt man das im deutschen so? :tropf:

    Ich habe das Buch heute beendet und bin positiv überrascht. Ich habe es für die Challenge gelesen, in dessen Kategorie der/die Autor/in der LGBTQ Community angehören soll.

    Zum Schluss hin, hat sich dann doch ein kleiner Fehler eingebaut, wo es anstelle von "dey/demm" plötzlich "er" hieß.

    Das Buch heißt "Weihnachten - nur du und ich" von Lizzie Huxley-Jones und ist unfassbar witzig. Ich konnte mich richtig gut in die Protagonistin hineinversetzen, weil sie genauso schusselig ist wie ich. :lol: Leider gibt es von der Autorin noch gar nicht so viel, sonst hätte ich gerne mehr von ihr gelesen.

  • Ich lese gerade Jon Fosse - Melancholie. Der norwegische Schriftsteller Jon Fosse hat dieses Jahr den Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen. Bisher kannte ich ihn nicht, aber da ich nun über ihn gelesen habe, war ich neugierig und habe mir zunächst "Morgen und Abend" von ihm zugelegt (absolute Empfehlung!) und nun lese ich den Roman "Melancholie". Fosse hat einen sehr sehr eigenwilligen Schreibstil, erinnert mich manchmal ein bisschen an Thomas Bernhard, die stetigen Wiederholungen, das Hineinsteigern in Ideen, in Gedanken, die den Protagonisten ausfüllen und beherrschen. In "Melancholie" fühlt man, wie der Erzähler langsam wahnsinnig wird, wie er gefangen ist in seiner eigenen Welt, wie er keinen Weg findet, aus seinem Wahn auszubrechen, wie er zwar in seiner Welt lebt, sich aber den äußern Gegebenheiten fügen muss, wie er machtlos und ausgeliefert ist.. Es ist bedrückend, aber trotzdem entfaltet der Text schnell eine Sogwirkung, man kann sich nicht entziehen. ich bin bei 2/3 vom Buch, aber ich weiß jetzt schon, dass ich von diesem Autor längst nicht genug habe. Ich hab mir noch "Trilogie" bestellt und zu Weihnachten lasse ich mir seine "Heptalogie" schenken. Wirklich interessanter Autor. Es gibt auch viele Theaterstücke von ihm, ich lese aber lieber Prosa, bin aber sicher, die Stücke lohnen sich auch - wenn man sich auf den Stil des Autors einlassen kann und mag. Und er hat mich daran erinnert, mal wieder Beckett zu lesen - und Thomas Bernhard.

  • Udo Gansloßer - Ein guter Start ins Hundeleben


    Oberflächlich, gehetzt, polemisch.

    Schade, wäre ein interessantes Thema, wenn es von jemanden mit etwas mehr Disziplin zum wissenschaftlichen Arbeiten und etwas weniger Gehässigkeit verfasst worden wäre.


    Note: 4,9

  • Lily King – Five Tuesdays in Winter / dt. Hotel Seattle


    So kurz vor Jahresende hatte ich noch Lust ein schmales Buch zu schaffen und "10 Kurzgeschichten über die Liebe in all ihren Facetten" klang da passend. Allein die 10. Geschichte funktionierte für mich nicht wirklich, die anderen neun waren unglaublich gut und die Titelgeschichte Five Tuesdays in Winter mein Favorit. Im deutschen hat das Buch eine andere Kurzgeschichte als Titel.


    Die Geschichten sind nie kitschig oder überzogen, die Charaktere glaubwürdig auch auf so wenigen Seiten und die einzelnen Geschichten sehr unterschiedlich. Da besucht ein Großvater seine entstellte, im Koma liegende, Enkelin im Krankenhaus und hat große Probleme damit umzugehen. Ein Ehepaar fährt für zwei Monate in den Erholungsurlaub und lässt ihren noch minderjährigen Sohn von zwei Studenten daheim betreuen. Eine Mutter versucht auf einer Reise sich ihrer entfremdeten Tochter anzunähern, um über den Tod des Vaters zu sprechen. Zwei Männer, beste Freunde aus Studienzeiten, entzweien sich abrupt als einer sich outet und der andere nicht damit umgehen kann...

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