Für die Leseratten - Der Bücherthread - Teil 2
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Oder völlig Buch- und Erzählstil-abhängig?
Vollkommen. Ich weiß nicht genau, warum. Ich mag alles, aber richtig geschrieben catcht mich Präsens und Ich-Perspektive emotional mehr als die Distanz durch 3. Person und Präteritum. Das ist dann zB aber viel bei Jugenddystopien der Fall. Man ist halt mehr "live" dabei und kriegt mehr Emotionen mit. Klappt aber bei Weitem nicht bei jedem Autor und bei jedem Setting oder Genre bei mir. Und es kommt halt echt auf den Erzählstil an.
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Ich hadere fast immer mit Präsens, aber warum - Es ist ja richtig, dass man „live“ dabei ist und die Handlung dann irgendwie näher ist. Und inhaltlich macht es einfach manchmal Sinn, dass die Geschichte nicht bereits vorher abgeschlossen ist.
Trotzdem stört mich immer irgendwas, das ich nicht benennen kann, daran.
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Meine Frage also eher, da ich für mich selbst immer hadere, ob Präsens stimmig sein kann: wie fühlt sich das bei euch an? Oder völlig Buch- und Erzählstil-abhängig?
Präsenz fühlt sich für mich immer richtig an, wenn gezeigt wird statt erzählt. Dann wäre jede ander Zeit unlogisch. Wenn mehr erzählt als gezeigt wird (was ich aber oft mühsamer zu lesen finde, weil es so viel Abstand zum Geschehen schafft), finde ich es oft besser, wenn die erzählten Teile wirklich im Nachgang erzählt werden und so die Ebenen klar getrennt sind.
Oder anders gesagt: es kommt darauf an, wie der implizite Leser die Geschichte sieht. Erlebt der Leser das Geschehen mit (quasi als lesender Beobachter), dann Präsens. Präterium/Perfekt schaffen dagegen zusätzlichen Abstand.
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Ich kann es nicht leiden.
Third Person noch weniger als mit Ich-Erzähler.Ich empfinde es als aufdringlich und in vielen Erzählungen als billigen Versuch, Nähe zum Erzähler und zur Geschichte zu erzwingen. Dieses "wir erleben das gerade GEMEINSAM!!!" empfinde ich meistens als aufgesetzt.
Wenn die Story wirklich gut und mitreißend ist, kann ich darüber hinwegsehen - wobei dann diese Krücke mMn schlicht nicht nötig wäre.
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Danke für eure Antworten!
Vielleicht selber nicht so sehr verunsichern lassen.Ich kann es nicht leiden.
Ich weiß nicht warum, aber exakt die Antwort habe ich schon beim Schreiben meiner Frage dir zugeordnet
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Mir ist das total egal, ich habe da keine Präferenzen. Ich stolpere höchstens, wenn es experimentell wird (zum Beispiel durchgehend 2. Person). Aber sonst finde ich 1. und 3. Person gleichermaßen gut und habe von beidem schon sehr gute Geschichten gelesen.
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Laura Purcell – The Corset / Das Korsett
"Als ihre gemeinnützige Arbeit Dorothea Truelove zum Oakgate-Gefängnis führt, freut sie sich über die Gelegenheit, die Theorie der Phrenologie zu erforschen. Kann die Form des Schädels eines Menschen ein Licht auf seine dunkelsten Wesenszüge werfen? Doch als Dorothea die junge Schneiderin Ruth Butterham trifft, stellt sie sich ganz andere Fragen: Ist es möglich, mit Nadel und Faden zu töten? Denn Ruth schreibt ihre Verbrechen einer übernatürlichen Kraft zu, die ihren Stichen innewohnt. Die Geschichte, die sie über ihre tödlichen Kreationen zu erzählen hat – von Bitterkeit und Verrat, von Tod und Kleidern – wird Dorotheas Glauben an die Wissenschaft erschüttern. Ist Ruth verrückt? Nur ein Opfer? Oder eine eiskalte Mörderin?"
Ein knackiger, fieser historischer Gothic-Thriller, der im viktorianischen England spielt. Die Geschichte wird abwechselnd von zwei Frauen erzählt: Ruth Butterham, eine 16-jährige Näherin, die wegen Mordes inhaftiert ist, und Dorothea Truelove, eine wohlhabende junge Frau, die im Rahmen ihrer Wohltätigkeitsarbeit Gefangene besucht. Ruth behauptet, dass ihre Näharbeiten übernatürliche Kräfte haben - insbesondere, dass die von ihr genähten Kleidungsstücke, vor allem Korsetts, denjenigen, die sie tragen, Schaden zufügen oder sogar zum Tod führen können. Dorothea, die sich für Phrenologie und die Erforschung krimineller Seelen interessiert, steht Ruths Behauptungen zunächst skeptisch gegenüber, wird aber zunehmend in ihre dunkle Geschichte hineingezogen.
Ruth's Geschichte ist von Anfang bis Ende nicht ohne und steht in starkem Kontrast zu Dorotheas Welt, hieran werden vor allem die Themen Armut und Reichtum, der Klassenunterschied und das Rechtssystem erforscht. Ruth steht stellvertretend für die armen, minderjährigen, billigen Arbeitskräfte jener Zeit, die fortwährend Ausbeutung erfahren. Dorothea lebt ebenso in einer rigiden Welt mit festen sozialen Regeln, ihr Vater kontrolliert alles und dann ist da auch noch das Thema mit der mysteriös verstorbenen Mutter... Den übernatürlichen Aspekt der Geschichte mochte ich sehr, ab der Hälfte nimmt das Buch Fahrt auf und das Ende kam mit einigen Twists. Ich fand das Korsett im Tempo und Geschichte noch ein bisschen besser als Die stillen Gefährten, wobei letzteres aber wesentlich atmosphärischer ist.
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Da ich mir ja nun bewusst doch mal wieder Zeit fürs Lesen nehme, hier meine 2 aktuellen:
Thriller lese ich eher weniger, das hat mich aber vom Schreibstil her wirklich gefesselt und mit Elissa fiebert man sehr mit. Tolles Mädchen. Es ist aus 3 Perspektiven geschrieben, darunter der Ich-Erzähler, über den ich wenig sagen kann, ohne dass es zum Spoiler wird (s.u.: Elijah). Auf die Ermittlerin hätte ich mit ihrem Drumherum auch verzichten können. Elissa mochte ich wirklich. Und den Schreibstil mochte ich. Spannend auf jeden Fall.
Das ist der Beschreibungstext, trifft es aber eher nur so halb (oder auch gar nicht! Aber ohne Spoiler kann man da kaum weiter etwas zu schreiben. Realität oder nicht, spielt aber eine größere Rolle):
Der Mädchenwald von Sam Lloyd:
"Auf dem Weg zum Jugendschachturnier wird die 13-jährige Elissa entführt. Als sie erwacht, liegt sie in einem dunklen Keller. Ihre Situation scheint aussichtslos - bis Elijah ihr Verlies entdeckt und sie heimlich zu besuchen beginnt.
Elijah ist ein Einzelgänger, der mit seinen Eltern in einer abgeschiedenen Hütte im Wald lebt. Er kennt keine Handys und kein Internet, aber er weiß, es ist nicht richtig, dass Elissa gefangen gehalten wird; er weiß, er sollte jemandem davon erzählen. Aber er weiß auch, dass sein Leben aus den Fugen geraten wird, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Denn Elissa ist nicht die erste, die in den Mädchenwald gebracht wurde.
Während draußen die Polizistin DI MacCullagh alle Hebel in Bewegung setzt, um das Mädchen zu finden, erkennt Elissa, dass ihr nur mit Elijahs Hilfe die Flucht gelingen kann. Doch der Junge ist sehr viel cleverer, als er zu sein vorgibt. Und er hat längst begonnen, das Spiel nach seinen Regeln zu spielen..."
Und (liest hier vermutlich niemand, da keinerlei Anspruch oder zumindest Thriller): das Liebesleben der Suppenschildkröte. Sagen wir mal: es hält, was es verspricht. Ein lustiger Frauen-Liebesroman, bei dem aber nicht eh klar ist, wer Mr. Right ist (da es wer ganz anders ist und ich vermute, das darf man bei dem Genre einfach sagen, da es um den Fun-Faktor geht) und ohne die für mich eher nervigen Endlos-Monologe, die solche Romane gerne mal haben. Wenn man das Genre mag, kann ich es empfehlen.
Text dazu:
Single-Frau Anfang 40 mit zwei kleinen Kindern sucht Mann – zieht man damit seinen Traumprinzen an Land? Eher nicht. Zu dem Schluss kommt zumindest Sophie, nachdem der jüngste potenzielle Liebhaber vor ihrem Nachwuchs Reißaus genommen hat. Als die Münchner Lokalreporterin bei einem Auffahrunfall den schicken Anwalt Roland kennenlernt, verschweigt sie die lieben Kleinen daher kurzerhand – ganz à la Suppenschildkröte, die ihre Brut allein am Strand zurücklässt. Sobald Roland sich in sie verliebt hat, wird Sophie ihm reinen Wein einschenken. Eine winzige Schwindelei, die spektakulär nach hinten losgeht …
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"Und alles so still" von Mareike Fallwickl
Nach "Die Wut, die bleibt" habe ich inzwischen auch den zweiten feministischen Roman von Fallwickl gelesen. In "Und alles so still" lässt Fallwickl ein Gedankenexperiment zur fiktiven Realität werden: Was, wenn Frauen einfach nicht mehr tun würden, was die Gesellschaft von ihnen verlangt? Wenn sie nicht mehr kochen, putzen, Kranke pflegen, Kinder in die Schule bringen, Kuchen für Geburtstagsfeiern backen, E-Mails für den Chef tippen, Supermarktregale befüllen würden? Stattdessen legen sich viele Frauen in Fallwickls Werk einfach hin, weil sie erschöpft sind, erschöpft von den unzähligen Stunden nie wirklich wertgeschätzter Care-Arbeit, müde vom Tragen der immerwährenden Mental Load, fertig mit den unausgesprochenen, stillschweigenden Erwartungen, die die Gesellschaft so selbstverständlich an Frauen stellt.
Im Laufe des Romans begegnen sich die Protagonist*innen - da ist zum einen die engagierte, warmherzige Krankenschwester Ruth, die wiederholt über ihre Grenzen gegangen ist, um andere zu unterstützen, da ist der junge, vom Leben desillusionierte Gelegenheitsjobber Nuri, und da ist die junge, normschöne Elin, deren Dasein jedoch nur an der Oberfläche vermeintlich perfekt und unbeschwert wirkt.
Eine sehr spannende Prämisse, leider hst mich das Resultat nur teilweise überzeugt. Fallwickl versucht hier einfach zu sehr, einen "großen feministischen Roman" zu erschaffen - dem es gerade dadurch wohl an Substanz und Schlagkraft fehlt. Die eigentliche geniale Idee wird irgendwie fast zum Nebenschauplatz, während Falleickl sich viel zu oft darin verliert, der Leser*innenschaft zu erklären, welche sozialen Ungerechtigkeiten herrschen und wie vielschichtig und perfide die Unterdrückung von Frauen im Patriarchat ist. Sie hat damit zwar zweifellos recht - aber es heißt eben nicht umsonst "Show, don't tell". Als Leser*in möchte man nicht aufdiktiert bekommen, wie man zu empfinden, worüber man sich zu empören hat. Man möchte auch kein als Roman ausgeschmücktes halbes Sachbuch lesen, keine als fiktives Werk ausgegebene Analyse der Situation der Frau.
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