Für die Leseratten - Der Bücherthread - Teil 2

  • Fertig gelesen - "Orbital" von Samantha Harvey


    Das Buch wurde 2024 mit dem Booker Prize ausgezeichnet, und die Online-Beschreibungen und Rezensionen machten mich neugierig. Vor vielen Jahren las ich bereits Harveys "The Wilderness", ein sehr eindrückliches und mir lange in Erinnerung gebliebenes Buch aus Sicht eines Mannes mit Alzheimer-Erkrankung.

    "Orbital" wartet natürlich mit einem völlig anderem Setting auf und einer ganz anderen Story - erzählt wird nämlich von sechs Astronaut*innen bzw. Kosmonaut*innen, die sich auf einer Raumstation im All befinden und von dort aus die Erde umkreisen. Harvey entschied sich hier für einen sehr interessanten zeitlichen Rahmen ihres neuen Werks: Erzählt werden letztlich nur 24 Stunden - in denen die Protagonist*innen die Erde sechzehnmal umkreisen, da sie für eine solche Umlaufbahn eineinhalb Stunden benötigen.

    Viel Handlung passiert eigentlich nicht - und doch geht es in dem mit nicht einmal 150 Seiten sehr dünnen Büchlein um die großen Themen des Lebens: Chie hat auf der Raumstation gerade vom Tod ihrer Mutter erfahren, ein anderer Astronaut grübelt über seine lieblose Ehe nach, generell wird der Gedanken- und Gefühlswelt der handelnden Personen viel Raum gegeben, wobei es sowohl um philosophische Überlegungen geht als auch ihre Erinnerungen an einprägende Momente in ihrer Biographie.

    Auch das Leben in der Raumstation an sich wird beschrieben - die Enge, die nötigen Wartungs- und Reparaturarbeiten, die täglich zu erledigenden Aufgaben.

    Vor allem aber geht es um den Planeten Erde - um unsere Beziehung, um die Beziehung der Protagonist*innen zu dieser wundersamen lebensgebenden Kugel, um diese bisher einzige Heimat der Menschheit und deren Streben nach mehr, um sich anbahnende Naturkatastrophen (die Astronaut*innen können beobachten, wie sich ein riesiger Taifun entwickelt, der ganze Inseln zu verschlucken droht) und alles, was das Menschsein ausmacht. Harvey hat hier unter anderem zugängliches Videomaterial der NASA und ähnlicher Organisationen genutzt, um die Eindrücke aus dem All aus Sichtweise der Protas wiedergeben zu können. Ihre Beschreibungen sind dabei sehr ausführlich, von lyrischer Schönheit und sprachlich äußerst versiert - Harvey nutzt Worte, um damit komplexe, sich stets verändernde Bilder zu erzeugen, und das kann sie wohl wie kaum eine Zweite. So brillant ihre Schilderungen auch sind, so viel Konzentration braucht es aber auch, sich auf diese voll und ganz einlassen zu können - und manchmal scheint sie sich darin auch ein wenig zu verlieren. Wer sich also in erster Linie einen Weltraumroman wünscht, der den klassischen Regeln der Belletristik folgt, ist hier womöglich nicht ganz richtig, denn Harvey verwebt ihre Erzählung eben mit lyrisch anmutenden detailverliebten Beschreibungen und Wissen über das All.

    Mir hat der Roman insgesamt gut gefallen, auch die Auszeichnung empfinde ich als verdient.

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