Bedürfnisorientiert oder kontrolliert? Was traue ich meinem Hund zu?

  • Da kenn ich zig Mal mehr Tiere, die bitten, betteln, sich aufdrängen müssen - eben weil die Bedürfnisse ansonsten nicht erfüllt werden. Oder sie geben eben auf. Oder stehen ständig auf Hab-Acht weil der Halter ja jetzt vielleicht demnächst mal sehen Zuwendung austeilen könnte. Und dadurch wirken sie hibbelig, unruhig und als bräuchten sie noch mehr Kontrolle.

    Eben! Ist doch bei Kindern genauso: Wer glaubt, nicht gehört zu werden, fängt an immer mehr zu brüllen. Mich haben in den Kindergruppen schon etliche Eltern gefragt, wieso es bei uns in der Gruppe so leise zugeht. Na ganz einfach: Weil keiner laut werden muss, um sich Gehör zu verschaffen. Selbst die Zweijährigen wissen schon, manchmal muss man zwar einen Moment warten ("wenn ich einmal acht Arme habe wie ein Krake, dann geht es schneller!" :D ), manchmal heißt es auch "leider nein", aber sie werden immer gehört.


    Und genau so handhabe ich das mit meinem Hund auch. Er wird immer gehört, auch wenn die Antwort manchmal eben "nein" heißt. Bzw. wenn er mir signalisiert, dass er etwas nicht möchte, wird das meistens respektiert, aber manchmal gibt es halt auch die Antwort "sorry, muss aber sein". Und interessanterweise akzeptiert er das dann auch problemlos. Vielleicht ja gerade weil er weiß, dass er üblicherweise ein Mitspracherecht hat? Er hat jedenfalls nicht gelernt, dass er sich massiv ausdrücken muss damit der blöde Mensch es kapiert, also kann er es sich leisten die "leisen Töne" zu wählen. (Zumindest im bewussten Umgang mit mir, wenn er austickt weil er reizgeflutet ist sieht das noch mal anders aus.)


    Was ich dabei viel wichtiger finde ist Klarheit. Also nicht erst ja sagen und dann doch verbieten, und nicht erst nein sagen und dann doch erlauben weil der Hund so nervt. Sondern sich eben überlegen, wo ich bereit bin zu verhandeln und wo eben nicht. Bei uns hat das zu dem Ergebnis geführt, dass Sandor (mittlerweile!) unbeschwert nachfragt, wann immer er ein Bedürfnis oder auch nur Interesse hat. Und zwar fragt er in durchaus subtiler, höflicher Form. Und er weiß, sehr oft komme ich seinen Anfragen dann auch nach: Es ist nicht nötig da fordernd zu werden. Wenn ich aber ablehne, dann weiß er genauso, es bleibt dabei: Es ist sinnlos da fordernd zu werden.



    Einen sehr interessanten Aspekt dabei finde ich übrigens, wie sehr diese Grundstimmung sich auch überträgt. Denn umgekehrt, wenn ich ihn zu irgendwas auffordere, muss ich genauso wenig laut oder fordernd werden. Sondern kann ebenso entspannt einfach anfragen, und er reagiert darauf. Das scheint sich schlicht als unsere gemeinsame "Gesprächskultur" etabliert zu haben. (Und mit meinen anderen Hunden war das ähnlich. Dabei ist es ja nun nicht so, als wären Terrier für ihre leise und zarte Art bekannt...)

  • Herr Hund darf anfragen (z.B. aufs Sofa, gekuschelt werden, Spielaufforderung, etc.) und auch einfordern (z.B. Möglichkeit sich zu lösen, betteln). Ich betrachte jede Interaktion mit ihm als Kommunikation und fände es schlimm wenn diese (überwiegend) einseitig erfolgt (von mir ausgehend). Mir ist nur wichtig, dass er jederzeit ein nein akzeptiert und nicht DANN die grosse Diskussion mit mir losgeht. Daher.. "fragen" ist erlaubt, die Antwort wird aber nicht diskutiert.


    Wenn Forderungen von ihm mit einem nein von mir aufgelöst werden, dann wird diese Forderung in der Regel nicht mehr wiederholt. Bzw. zumindest habe ich dann eine ganze Zeitlang Ruhe diesbezüglich.


    Da ich ihn recht eng führe, da er mit den meisten eigenen Entscheidungen überfordert ist und auch zu Übersprungshandlungen neigt, bekomme ich von vielen fremden Hundehaltern - und auch Nicht-Hundehaltern - auch signalisiert dass ich übertrieben streng bin. Es hat seine Zeit gebraucht um da drüber zu stehen.

  • Ich gehe auch oft auf Sina ein wenn sie etwas anfragt/fordert.
    Wenn sie mit einem Spielzeug ankommt und ich gerade Zeit und Lust dazu habe, dann spiele ich mit ihr, wenn nicht, dann sage ich ihr das und sie trollt sich mit ihrem Spielzeug wieder und beschäftigt sich alleine.
    Liege ich auf der Couch und schaue fern und sie kommt und legt sich auf meinen Bauch und schaut mich mit ihrem treuen Dackelblick an weil sie gekrault werden möchte, dann tue ich das auch weil es mich nicht stört.
    Liege ich aber auf der Couch und lese gerade ein Buch und sie legt sich zwischen mich und das Buch, sodass ich nichts mehr sehe, dann sage ich ihr, dass ich jetzt keine Lust auf Kraulen habe und sie legt sich neben mich.


    Sitzt Sina mit Blickrichtung zu mir im Türstock der Wohnzimmertüre, gehe ich immer darauf ein wenn ich denke, sie könnte zwischendurch pinkeln/koten müssen, denn so "meldet" sie.
    Waren wir aber erst draußen und sie meldet wieder weil sie Lust darauf hat, in den Garten zu gehen (alleine mag sie dort aber nicht bleiben und sitzt dann immer vor der Türe), dann ignoriere ich sie einfach und dann kommt sie irgendwann auf die Couch oder legt sich woanders hin.


    Bei mir kommt es immer auf die Situation an und darauf ob es gerade "passt", ob ich auf diverse "Forderungen/Wünsche" von Sina eingehe. In einem Dackel kann man eh lesen wie in einem Buch, sodass ich i.d.R. genau weiß was sie möchte oder gleich vorhat.

  • Aber Tiere, bei denen die Bedürfnisse befriedigt sind. Die sind zufrieden. Und zufrieden ist meist ruhig, ausgeglichen und fröhlich. Da muss ich auch als führender, verantwortlicher Halter nichts oder nur sehr wenig kontrollieren.

    Diese Erfahrung mache ich exakt gleich ...
    Aber ich weiss natürlich, dass die Ausprägung, also wie viel Führung so ein Hund braucht, von vielen Faktoren abhängt. Aber aus Grundleitlinie für völlig normale Hunde, damit fahre ich am Besten.

  • Was ich dabei viel wichtiger finde ist Klarheit. Also nicht erst ja sagen und dann doch verbieten, und nicht erst nein sagen und dann doch erlauben weil der Hund so nervt. Sondern sich eben überlegen, wo ich bereit bin zu verhandeln und wo eben nicht. Bei uns hat das zu dem Ergebnis geführt, dass Sandor (mittlerweile!) unbeschwert nachfragt, wann immer er ein Bedürfnis oder auch nur Interesse hat. Und zwar fragt er in durchaus subtiler, höflicher Form. Und er weiß, sehr oft komme ich seinen Anfragen dann auch nach: Es ist nicht nötig da fordernd zu werden. Wenn ich aber ablehne, dann weiß er genauso, es bleibt dabei: Es ist sinnlos da fordernd zu werden.

    Das ist für mich Konsequenz, bzw. das verstehe ich darunter. Und so bleibt man für den Hund gut einschätzbar (oder wie ich formulierte, die Hunde wissen innerhalb kürzester Zeit, wie ihre Menschen so ticken :smile: )


    Konsequenz bedeutet für mich nicht mit eiserner Faust regieren ... (dös ist für mich was anderes ;) )

  • Aber ich weiss natürlich, dass die Ausprägung, also wie viel Führung so ein Hund braucht, von vielen Faktoren abhängt.


    Ist Führung denn aber das gleiche wie Kontrolle? Mein Krümeltier ist ja enorm schnell mit allem möglichen überfordert, ganz anders als meine vorigen Hunde. Er braucht also eine Menge Führung, in so ziemlich jeder Situation. Das hat aber mehr was mit Anleitung zu tun, mit vielen Sicherheit gebenden ritualisierten Abläufen - Kontrolle ist in meinen Augen schon was anderes. :???:

  • Ist Führung denn aber das gleiche wie Kontrolle?

    Nein, nicht wirklich, wenngleich von Kontrollmechanismen begleitet.


    Meist wird unter Kontrolle eher "Kontrolle der Kontrolle wg." verstanden, etwas herrschaftliches, Gewalt über etwas oder jemanden ausüben (setzt nicht einmal eine weitere Motivation voraus, ausser eben dieser, also Kontrolle ausüben zu wollen ... kommt aber selten vor. Bei Hunden vermutlich noch seltener als beim Menschen ;) ).


    Bei Führung ist Kontrolle doch mehr ein Beiwerk, aber dennoch da, wenngleich der herrschaftliche Aspekt verloren geht (es geht halt um andere Dinge, etwas Zielgerichtetes).


    Wenn Du z.B. Deinen Hund über die Strasse führst, dann kontrollierst Du auch gleichzeitig die Situation, hast die Kontrolle darüber, dass Dein Hund jetzt nicht überfahren wird. Aber es steht nicht unter dem eigentlichen Aspekt der Kontrolle. Sondern mehr unter dem Aspekt, den Hund (und sich selbst) heile über die Strasse zu bekommen. Der Gedanke, Macht ausüben zu wollen, wird Dir dabei nicht in den Sinn kommen.


    Deswegen, bin mir nicht sicher, ob ich Deine Frage richtig verstanden habe (wg. der Threadüberschrift?)

  • Ja, mit der Überschrift hat das viel zu tun. Und auch mit der allgemeinen Frage dazu, wen oder was will ich kontrollieren: Den Hund, die Situation? Immer, oder nach Bedarf? Und natürlich klingelt da immer auch im Hinterkopf die Sache mit all dem "du musst immer Chef sein", das im Alltag noch viel verbreiteter zu hören ist als man sich wünschen würde.


    Die meisten wünschen sich wohl, ihre Situation unter Kontrolle zu haben. Das ist ein völlig normales Grundbedürfnis, und sogar ein ziemlich wesentliches. Auch wenn wir gelernt haben damit zu leben, dass das meist nur eingeschränkt möglich ist. Aber gerade weil das so wichtig ist für das innere Wohlbefinden finde ich es schlimm, wenn Menschen sich diese Sicherheit in Zusammenhang mit ihrem Hund damit erkaufen wollen, dass sie den Hund ständig unter Kontrolle haben. Denn wenn ich diese Kontrolle über den Hund so komplett übernehme, dann nehme ich sie gleichzeitig diesem weg. Oder anders gesagt, um sich selbst das schlimme Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben, komplett zu ersparen, wird es statt dessen dem Hund zugemutet. Und so kommt es dann zu den im TV zu bewundernden Bildern, wie ein glücklich grinsender Mexikaner auf die Kamera zuläuft, und hinter ihm eine Gruppe Hunde die keinerlei Regung mehr zu zeigen wagen...

  • Und während ich so darüber nachdenke, die Begriffe sind im dt. Sprachraum kaum voneinander zu trennen.


    Du machst z.B. einen Führerschein und wirst somit befähigt, ein Fahrzeug zu führen, bist Fahrzeugführer (nicht Fahrzeugkontrolleur). Baust Du aber damit einen selbst verschuldeten Unfall, dann sagt man Dir häufig nach, die Kontrolle über das Fahrzeug verloren zu haben (nicht die Führung).


    In der Hunde-Szene (wie in v.a.m.) m.E. gar nicht so anders. Solange Du Deinen Hund sicher bei Dir führt (Hundeführer), spricht kaum jemand von Kontrolle. Kommt ein Hund nicht mehr auf Rückruf, dann spricht niemand davon, die Führung verloren zu haben, sondern man verlor die Kontrolle über den Hund.


    Insoweit :ka:

  • Denn wenn ich diese Kontrolle über den Hund so komplett übernehme, dann nehme ich sie gleichzeitig diesem weg. Oder anders gesagt, um sich selbst das schlimme Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben, komplett zu ersparen, wird es statt dessen dem Hund zugemutet.

    Glaubst Du, dass man dann noch die Führung und die Kontrolle hat? Oder sieht es dann nicht nur so aus?


    (Ist doch letztlich bei allem so, wenn es aus dem Normalbereich läuft, übertrieben wird ... )

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