Bedürfnisorientiert oder kontrolliert? Was traue ich meinem Hund zu?

  • Könnte nicht mehr zustimmen.


    Zitat von Montagsmodell

    Die meisten wünschen sich wohl, ihre Situation unter Kontrolle zu haben. Das ist ein völlig normales Grundbedürfnis, und sogar ein ziemlich wesentliches. Auch wenn wir gelernt haben damit zu leben, dass das meist nur eingeschränkt möglich ist. Aber gerade weil das so wichtig ist für das innere Wohlbefinden finde ich es schlimm, wenn Menschen sich diese Sicherheit in Zusammenhang mit ihrem Hund damit erkaufen wollen, dass sie den Hund ständig unter Kontrolle haben. Denn wenn ich diese Kontrolle über den Hund so komplett übernehme, dann nehme ich sie gleichzeitig diesem weg. Oder anders gesagt, um sich selbst das schlimme Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben, komplett zu ersparen, wird es statt dessen dem Hund zugemutet. Und so kommt es dann zu den im TV zu bewundernden Bildern, wie ein glücklich grinsender Mexikaner auf die Kamera zuläuft, und hinter ihm eine Gruppe Hunde die keinerlei Regung mehr zu zeigen wagen...


    Ich habe in letzter Zeit häufiger darüber nachgedacht.
    Erster Anstoß: mein Agi-Trainer ist professioneller Trainer, also Leiter einer Hundeschule. Er hat Malis und kontrolliert sehr viel. Das "ganze Ausmaß" ist mir erst bewusst geworden, als ich einen Kurzvortrag von ihm auf der CACIB zum Thema "Respektiert mich mein Hund" gesehen habe. Seine ältere Hündin zB kennt an der Leine den Befehl "hinten". Dann läuft sie eine komplette Leinenlänge hinter ihm und hält diesen Abstand. Für ihn wichtig, weil sie nicht ganz so verträglich ist - ich kontrolliere meine Hunde kaum an/mit der Leine, nur in Extremfällen. Er ist ein ganz lieber Kerl, aber irgendwo drinnen ist er ein starker Kontrolleur. Hatte ich so noch nicht gesehen.
    Zweiter Anstoß: Im Feld habe ich eine junge Frau mit (glaub) Continental Bulldog getroffen. Wir haben die Hunde angeleint gelassen und sind mit geringem Abstand nebeneinander her Richtung nach Hause gegangen. Sie hat mir mehrmals gesagt, wie toll sie das findet, wie gut ich meine Hunde unter Kontrolle habe, wie entspannt die (folglich) wären. Der Ausdruck ist mir gleich total aufgefallen. Ich hatte die zu diesem Zeitpunkt gar nicht wirklich unter Kontrolle. Die haben alle gemacht, was sie immer machen... ihr Ding... bloß ist das halt unauffällig... Dee zieht etwas, Lima markiert wie ein Weltmeister mit homöopathischen Pipimengen und Pick latscht halt so mit. Ich habe die draußen bzw. abgeleint "unter Kontrolle", weil sie im Freilauf auf Rückruf und sonstiges hören, worauf ich mich verlassen kann. Aber das sind nur so punktuelle "Eingriffe". Ansonsten... stehen die nicht unter Kontrolle. Die sind von sich aus entspannt (meistens) und brauchen keine engmaschige "Aufsicht".


    (und schön, dass jemandem das mit dem Balli in der Schnute auffällt <3 in den ersten 2-3 Jahren war es extreeeem schwierig, Lima zum Spielen oder gar zergeln zu bewegen, er hat alles sofort immer losgelassen. Höchstens Balli-jagen war drin. Ich war total gerührt, als ich mal beim Abwasch bemerkte, dass er mir das Balli vor bzw. hinter die Füße gelegt hatte. Hätte ihn knutschen können. Leider zu spät.)


    Grüßle
    Silvia

  • Seine ältere Hündin zB kennt an der Leine den Befehl "hinten". Dann läuft sie eine komplette Leinenlänge hinter ihm und hält diesen Abstand. Für ihn wichtig, weil sie nicht ganz so verträglich ist - ich kontrolliere meine Hunde kaum an/mit der Leine, nur in Extremfällen. Er ist ein ganz lieber Kerl, aber irgendwo drinnen ist er ein starker Kontrolleur. Hatte ich so noch nicht gesehen.

    Also den Anfang hab ich noch verstanden und würde Dir zustimmen, was für eine Frage "respektiert mich mein Hund" .. .wobei ich nicht weiss, wie er darauf kommt.


    Aber was ist falsch daran, wenn eine Mali Hündin besser "hinten" läuft, weil sie ansonsten unverträglich ist. Wie würdest Du das sinnvoller, weniger kontrollierend hAndeln, so dass es kein Ausmass erreicht, welches Dich stören würde? Und was ist ein Extremfall?


    Also ich brauche für bestimmte, sehr enge und unübersichtliche (manchmal auch gefährliche) Stellen auch hinten, bei mir "behind". Dann geht es darum, dass meine Hunde gar nicht warten oder absitzen müssten, sondern einfach erst mal hinter mir gehen, weil das sinnvoller ist. Schaue ums Eck, rechts-links ... und ab :ka: .
    Bin ich jetzt ein Kontrolletti oder nur Sicherheitsbewusst ... weil Auto -> *dusch* ... Velo *kräsch* ... Zug *matsch*, oder bei Wanderungen im bergigen Gelände ... wo hin und wieder auch mal Touris plötzlich im Nirwana verschwinden ... vll. mit einem langezogenen *aaaaaahhhhh"?


    PS: Wenn ich einen Femdhund blocken möchte, dann lasse ich meine Hunde auch gerne hinter mir, dann kann ich mich voll und ganz auf das kommende konzentrieren ...

  • Meine Dackelhündin muss im Freilauf auch hinter bzw. darf max. neben mir laufen, denn dadurch habe ich ihren Jagdtrieb bisher zu 100% unter Kontrolle. Ein Kommando brauche ich dafür nicht weil sie das mittlerweile verinnerlicht hat, dass sie hinten bleiben muss sobald die Leine ab ist.
    Auch bei meiner letzten Dackelhündin hat das super funktioniert und sie ist nie einem Hasen oder Reh hinterher. Ich musste sie nicht mal anleinen als mehrere Hasen neben uns im Feld umhergehüpft sind.
    So habe ich die nötige Kontrolle über meinen Hund und bisher folgt Sina in diesen Situationen 100%ig und rennt nicht einfach dem Tier hinterher.

  • Hi,


    bei uns gibts auch ein „Hinter mich“. Das nutze ich, wenn ich merke, dass einer der Hunde unsicher ist, was da auf ihn zukommt. Bei Ronja sehr selten. Bei Lilly klappt das super und entlastet sie, bevor die Angst einen gewissen Pegel aufgebaut hat.


    Danach kann ich es mir schenken.

  • Ah, Formulierung.


    Zitat

    Aber was ist falsch daran, wenn eine Mali Hündin besser "hinten" läuft, weil sie ansonsten unverträglich ist. Wie würdest Du das sinnvoller, weniger kontrollierend hAndeln, so dass es kein Ausmass erreicht, welches Dich stören würde? Und was ist ein Extremfall?

    Ich bringe das schlecht rüber. Die Hündin hat fast an der Leine nach hinten gezogen, sie war so weit hinten, dass die Leine gespannt war. Sie hatte einen Ausdruck im Gesicht, als wollte sie lieber von dem Menschen da vorne weg. Bissel überspitzt, aber in der Richtung habe ich es wahrgenommen.
    Ich würde mir eine Lösung wünschen, bei der sie nicht so einen Gesichtsausdruck hätte. Idealerweise, weil sie mich anschaut oder mich "fragt". Sowas in der Richtung. Wie gesagt, ich mag der Typ, aber irgendwie... war mir das zuviel. Ich weiß natürlich nicht, WIE schlimm sie ist. Ihn halte ich für ziemlich kompetent.


    Ein Extremfall mit meinen an der Leine ist zB, wenn ein Hund hinter einem Zaun loskläfft und wildes Theater macht. Lima steigt drauf ein, Dee will nur weg, Pick macht bei Lima mit, weil es sich so gehört. Da "kontrolliere" ich in dem Sinne, dass sie weniger Radius bekommen und ich ihnen eine Laufrichtung und ungefähre Geschwindigkeit aufzwinge.
    Grüßle
    Silvia

  • Ich bringe das schlecht rüber. Die Hündin hat fast an der Leine nach hinten gezogen, sie war so weit hinten, dass die Leine gespannt war. Sie hatte einen Ausdruck im Gesicht, als wollte sie lieber von dem Menschen da vorne weg. Bissel überspitzt, aber in der Richtung habe ich es wahrgenommen.
    Ich würde mir eine Lösung wünschen, bei der sie nicht so einen Gesichtsausdruck hätte. Idealerweise, weil sie mich anschaut oder mich "fragt". Sowas in der Richtung. Wie gesagt, ich mag der Typ, aber irgendwie... war mir das zuviel. Ich weiß natürlich nicht, WIE schlimm sie ist.

    Glaube, das sind Eindrücke/Emotionen, die sich schlecht in Worte fassen lassen ...


    Also meine sind dabei frei, wenn es das Gelände noch erlaubt (die Mali vll. sonst auch?) und machen hinter mir vermutlich eher ein Gesicht, wie: "mach mal voran, haste jetzt die Lage endlich gecheckt"? (Zumindest der TS-Maus fehlt noch ein wenig Geduld mit mir).


    Aber ich gebe zu bedenken, nicht alle Hunde, die bei Unverträglichkeit nach vorne streben, halten sich mit Fragen auf. Die Malis, die ich kenne, fragen nicht lange nach. Verglichen damit umspannt die Zündschnur meines Beauci-Rüden glatt die Erde ... Selbst wenn er von einem Hund (beim zweiten Mal sieht es schon anders aus) das 1. mal attackiert wurde, dann muss er das erst mal durch die Windungen laufen lassen. Auch wenn einer meint, einfach aufzusteigen (hatten wir kürzlich, dann fragt er noch, darf ich ihn zerlegen?). Würde kein Mali tun, den ich kenne.


    Deswegen, vll. ist er bezüglich Unverträglichkeit aus Sicherheitsgründen - mehr oder weniger - gezwungen, seinem Hund Unbehaben zu bereiten. Vll. ist das Denken und die Ansprechbarkeit schon aus, wenn sie nach vorne geht? Frag ihn doch einfach mal.



    Ein Extremfall mit meinen an der Leine ist zB, wenn ein Hund hinter einem Zaun loskläfft und wildes Theater macht. Lima steigt drauf ein, Dee will nur weg, Pick macht bei Lima mit, weil es sich so gehört. Da "kontrolliere" ich in dem Sinne, dass sie weniger Radius bekommen und ich ihnen eine Laufrichtung und ungefähre Geschwindigkeit aufzwinge.

    So sind die Anforderungen halt von Individuum zu Individuum verschieden. Für meine brauche ich dabei nicht mal eine Leine, wir gehen einfach daran vorbei. Da fragt nicht mal einer mehr, ob man sich aufregen soll oder eher nicht.


    Aber Deine Situation ist nicht extremer, als z.B. bei einem Mali, der nach vorne geht.


    Deswegen ... man hat schnell mal geurteilt, wenn man die Hintergründe nicht kennt.

  • Es gibt ja auch verschiedene Arten "Kontrolle auszuüben".
    Und ich glaube da spielt die emotionale Ebene stark mit rein, wie man die äußere Erscheinung halt so beurteilt.


    Mir gehts da nicht anders.
    Ein Hund der hinterm Halter laufen muss macht auf mich einen deutlich "unschöneren Eindruck" als ein Hund, der neben dem Halter laufen und diesen anschauen muss. Weil ersteres einfach nach "unterdrücken, kontrollieren, begrenzen" aussieht und letzteres nach "Wir sind als Team, schau mich an, wir gehen da zusammen durch".
    Ist natürlich Murx. Beides ist ein hohes Maß an Kontrolle und beides kann ich stark aversiv aufbauen und genauso positiv.


    Aber das Bild dahinter ist einfach ein anderes.

  • Ich glaube, das hier

    Ich hatte die zu diesem Zeitpunkt gar nicht wirklich unter Kontrolle. Die haben alle gemacht, was sie immer machen... ihr Ding... bloß ist das halt unauffällig...

    bringt einen sehr wichtigen Aspekt auf den Punkt: Wie viel Kontrolle braucht es wirklich? Und vor allem, wo macht Kontrolle Sinn - und wo wäre es genauso gut möglich, eher an der Kernmotivation des Hundes zu "drehen"?


    Mir ist durchaus klar, dass zumindest bei den meisten schwierigen Themen ein Stück weit beides nötig ist. Aber auch da kann man den Schwerpunkt setzen. Mit Pünktchen, Glenny und Kaya ging es mir dabei so wie hier beschrieben: Kontrolle war nahezu immer unnötig, weil die Hunde einfach von sich aus sehr in sich gefestigt waren. Was es an Situationskontrolle gebraucht hat konnten wir durch positiv auftrainierte Signale locker lösen. (Zugegeben, bei Pünktchen musste ich diesen Weg erst finden; Glenny und Kaya haben da von Anfang an davon profitiert.) Dabei war mir schon beim Aufbau der Übungen immer wichtig, meine Hunde selbst rausfinden zu lassen, dass sie durch die Befolgung der Signale nur gewinnen konnten - also schon "Kontrolle", aber aufgebaut auf ein freiwilliges Lernen.


    Bei Sandor ist nun notgedrungen ein hohes Maß an Kontrolle von außen nötig, einfach weil seine Fähigkeit zur Selbstkontrolle nicht ausreichend entwickelt ist, und trotz aller Übung auch nie sein wird. Aber auch da kann man den Schwerpunkt so oder so setzen. Standardsituation: Ein fremder Hund kommt frontal auf uns zu. Natürlich muss ich hier Kontrolle ausüben, damit Sandor nicht kopflos auf diesen losgeht. Das ist die eine Seite. Aber auf der anderen Seite steht natürlich die Bedürfnisfrage: Weshalb handelt er so, welches Bedürfnis steht dahinter? Entsprechend fand und finde ich neben der nötigen Kontrolle sogar noch viel wichtiger, ihm generell zu vermitteln dass lange nicht alle anderen Hunde eine Gefahr darstellen. Und quasi "mitten drin" zwischen Kontrolle und Bedürfnis, ihm ein Alternativverhalten aufzuzeigen das seinem Grundbedürfnis entspricht. In unserem Beispiel ein Wechsel der Straßenseite: Anfangs natürlich per Kontrolle, weil er schlicht von sich aus nicht in der Lage gewesen wäre, dieses Verhalten zu zeigen, und ein akuter Handlungszwang bestand. Mittlerweile hat er das so verinnerlicht - und zwar nicht als von mir durchgesetzte Regel, sondern durch Verknüpfung mit seiner inneren Erleichterung - dass er mir von sich aus signalisiert, wann er lieber auf die andere Seite wechseln möchte. Und eher in Stress gerät, wenn ich ihm das etwa aufgrund eine heranfahrenden Autos nicht gleich ermöglichen kann. Auf diese Art war die anfängliche Kontrolle also kein Selbstzweck, sondern nur ein Schritt auf dem Weg zum Erlernen einer auch selbstbestimmt anwendbaren Strategie.


    Und genau das ist etwas, was mir bei sehr vielen Hundehaltern, die den Kontrollaspekt betonen, leider ein Stück weit fehlt. Kontrolle ist oft nötig, allein schon um den Hund vor der Umwelt und die Umwelt vor dem Hund zu schützen. Aber ich finde, man sollte möglichst wenig an diesem Punkt stehen bleiben, und die Kontrolle nur dort als Dauerzustand akzeptieren, wo es anders nicht lösbar ist. Ansonsten sollte sie ein nötiger Zwischenschritt sein. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

  • Aber ich finde, man sollte möglichst wenig an diesem Punkt stehen bleiben, und die Kontrolle nur dort als Dauerzustand akzeptieren, wo es anders nicht lösbar ist.

    Sehe ich auch so.
    Für mich ist das wichtigste Erziehungsziel, darauf hinzuarbeiten, dass ich möglichst wenig kontrollieren muss.

  • Montagsmodell beschreibt besser, was ich meine. Ich KÖNNTE gar nicht alle drei ständig unter Kontrolle haben. Es reicht schon, wenn ich auf den alten Sack <3 immer wieder aufpassen muss. Deshalb ist das auch überhaupt nicht mein Typ Hund, die "Diskutierer" und "erstmal-Draufhauer".
    Mein Hirn ist wohl schon Matsch ;)
    -s-

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