Arbeitsalltag eines Therapiehundes

  • Hallo zusammen,


    ich hatte heute beim Morgengassi das ungemeine Vergnügen einen unerwünschten Vortrag darüber zu hören, dass Arbeitsrassen ja arbeiten müssen um ausgelastet zu sein und es ein Unding ist die anders zu halten. Von einer Frau mir Therapiehund...
    Ich hoffe das bekommt jetzt keiner in den falschen Hals, aber ich bin den ganzen Tag schon am grübeln, weil das in meinem Kopf nicht ganz zusammen passt.
    Ich habe in meinem Kopf da ein Bild von einem Labbi der sich entspannt und geduldig in die Ecke setzt, oder neben jemanden legt und einfach da ist, oder sich eben anfassen und streicheln lässt. Dass das für den Hund durchaus auch viele Eindrücke und entsprechend ermüdend sein kann, glaube ich gern. Aber wenn ich mir vorstelle, dass ein Hund vom Kaliber Mali oder BC davon ausgelastet sein soll... wie gesagt, in meinem Kopf passt das irgendwie nicht ganz.


    Naja, jedenfalls ist mir aufgefallen, dass ich nicht wirklich Ahnung habe was ein Therapiehund überhaupt macht (machen kann), auch was man da in 2 Jahren Ausbildung so macht und wäre euch dankbar, wenn ihr meine Wissenslücke schließen würdet.


    Ich rede nicht von Assistenzhunden, da die in diesem Unterforum ja auch beheimatet sind.

  • Welche Therapien bietet der Therapiehund denn an? Spannend was Hunde so alles können.



    Mei, ansonsten ist es ganz unterschiedlich was Hunde in therapeutischen/pädagogischen Settings so alles leisten können/müssen.
    Das hängt zB davon ab, ob der Hund alltäglicher Arbeitssbegleiter ist, wie zB in stationären Angeboten oder hin und wieder Einsätze absolviert, wie zB als Besuchshund im Altenheim.
    Wird mit Einzelpersonen gearbeitet, wie zB in der Ergotherapie oder in Gruppensettings, wie zB in der offenen Jugendarbeit....



    Ich hatte meine Hunde im Bereich der Streetwork mit Jugendlichen dabei. Maximal zweimal die Woche. Manchmal kam es vor, daß wir auf unserer Runde gar niemanden getroffen haben - dann hatten sie nen langen Spaziergang. Manchmal haben wir sehr viele Jugendliche getroffen, die dann mal mehr, mal weniger mit den Hunden aktiv waren - manchmal nur streicheln, manchmal Tricks üben... Je nachdem.
    Von daher hatten sie keinen "Arbeitsalltag"

  • Irgendwie häufen sich hier in letzter Zeit die Threads über Therapiehunde :smile:



    Ich habe drei davon (plus einen in Rente und einen inzwischen verstorben). Ich bin ziemlich sicher, dass man einen Border oder Mali mit dieser Arbeit auslasten könnte. Allerdings wären rassetypische Vertreter wohl eher unglücklich in diesem Bereich. Das hat dann aber nichts mit Unterforderung zu tun, sondern dem falschen Einsatzbereich. Du nimmst ja in der Regel auch keinen Border für IPO. Und zwar nicht, weil der Border damit unter- oder überfordert wäre, sondern weil es einfach nicht sein Ding ist und der Border vermutlich nicht artgerecht ausgelastet :ka:


    Therapiehundearbeit fordert Hunde in der Regel nicht körperlich, sondern psychisch. Mit einfach nur dabei sein ist es nämlich in der Regel nicht getan.


    Die Herausforderung für jeden Therapeut und jeden seiner vierbeinigen Therapiebegleiter ist es sich optimal auf jeden Patienten einzustellen und schon kleine Zeichen wie veränderte Muskelspannung oder Atmung zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren.
    Mal ein paar Beispiele aus meiner letzten Woche:


    1. Kind, 8 Jahre, Spastik am ganzen Körper, nicht sprechend/kommunizierend, zur Zeit zeitweise mit Sauerstoffflasche. Ikarus, mein Labrador, hat sich in einer von mir genau vorgegebenen Art neben das Kind auf die Liege gelegt und während ich die Spastik in den Extremitäten massiert habe, mit dem Kind geatmet. Heißt, dass er mit ihr im Einklang geatmet, ihre Atmung genau im Blick gehabt, sie durch Stupsen und Lecken an den richtigen Stellen weiter animiert und mich lange vor meinen technischen Hilfsmitteln gewarnt, dass sie jetzt wieder Sauerstoff braucht. Er war diese 20 Minuten hochkonzentriert und völlig bei dem Kind.


    2. Jugendlicher, 16 Jahre, progressive Muskeldystrophie, E-Rolli-Fahrer, nur noch minimal Handmuskulatur (vorwiegend Daumen) vorhanden. Orion, JRT, hat mit ihm zum Abschluss der Sitzung Ball gespielt. Die Herausforderung für ihn war dabei natürlich nicht den rollenden Ball vom Boden auf zu heben (geworfen wurde ja eh nicht), sondern den Ball so zurück in die Hand zu geben, dass der Patient ihn kurz selbständig festhalten und bewusst wieder werfen konnte. Das erfordert Fingerspitzengefühl (oder Pfotengefühl?) und klingt einfacher als es ist.


    3. Kind, 6 Jahre, mit Lauflernhilfe unterwegs. Übt das freie Laufen und Ikarus bietet dabei Stabilisierung. Er muss also im an das Kind angepassten Tempo eng nebenher laufen und Schlenker und Stopps mit machen, erkennen wann er Tempo anziehen kann oder raus nehmen muss.


    Meine Hunde können eine große Menge an Tricks, die regelmäßig “abgefragt“ und an die Patienten angepasst werden. Sie lassen sich auf Rollbrettern ziehen, fahren auf Rollstühlen mit, öffnen Türen, ziehen Socken aus oder lecken Leberwurst von den Füßen. Und das bei Kindern und Jugendlichen, die so unglaublich verschieden sind und eine ganz andere Behandlung brauchen. Ein Kind mit Spastik in den Füßen brauch vielleicht lange, kräftige und gleichmäßige Zungenbewegungen, während ein anderes autistisches Kind Berührungen an den Füßen nur schwer ertragen kann und braucht sehr sanfte, kurze Lecker (? Ist das ein Wort?) und die Chance diese Sinnenseindrücke zu verarbeiten. Darauf muss sich der Hund, nach meiner Anleitung versteht sich, einstellen. Und einem Labrador verlangt es nebenbei echt viel Disziplin ab nicht sofort den ganzen Fuß in einem von der Leberwurst zu befreien xD
    Therapiearbeit ist vor allem Kopfarbeit für meine Hunde. Die eigenen Bedürfnisse zurück nehmen, sich voll und ganz auf mich UND die Kinder konzentrieren und mit plötzlichen Reizen umgehen (denke nicht viele Hunde bleiben cool, wenn direkt neben ihnen plötzlich jemand epileptische BNS-Anfälle bekommt).
    Für meine Hunde sind Therapieeinsätze anstrengend. Mal mehr und mal weniger. Und auch für mich ist eine Einheit mit Hund immer kräftezehrender als einer ohne. Denn dann muss ich nicht nur auf meinen Patienten, sondern auch meinen Hund achten.
    Wenn du uns spontan besuchen würdest, würdest du meine Hunde vermutlich irgendwo pennend in meinem Büro antreffen. Denn so sieht ihr Arbeitsalltag zu großen Teilen aus. Eben weil der Job so anstrengend ist. Und meine Hunde sind nun wirklich keine Schlaftabletten, sondern rassetypisch triebig und anspruchsvoll.

  • @Golden_Atreju


    Die hunde sind mit tricks/komandos darauf eintrainiert das je nach patient zu tun, gibt es denn auch hunde die dieses therapieverhalten von sich aus machen?


    Trainiere mit meinem hund jagdübungen, jedoch kommt er wenn ich nervös bin oder angstattacken habe und legt sich neben oder auf mich und bleeibt dort liegen bis ich wieder ruhig bin....

  • @Golden_Atreju


    Zitat

    denke nicht viele Hunde bleiben cool, wenn direkt neben ihnen plötzlich jemand epileptische BNS-Anfälle bekommt


    ...ich musste jetzt lachen, denn als ich im Sommer von der Treppe gefallen bin und wie am Spieß schreiend am Boden lag, tat mein Hund... Genau, nichts :ugly: :lachtot: Ihn regt vieles auf, aber wenn ich hinfalle, kümmert es ihn nicht die Bohne und er geht einfach weiter seinem Business nach. Vielleicht ist mein Traum vom Besuchshund mit ihm ja doch realistisch :D


    Danke für deinen tollen Beitrag. Wundervoll, was ihr leistet.

  • @Lennox0611
    Es sind bei uns nicht nur Kommandos. Ich verlasse mich in vielen Dingen auf die geschärften Sinne meiner Hunde, lasse sie nach ihrem Gefühl entscheiden und nehme ihre Angebote an. Ich habe z.B. nie einem meiner Hunde beigebracht im Takt mit einem Menschen zu atmen. Ich wüsste auch gar nicht wie ehrlich gesagt. xD


    Meine Hunde bieten viel an Interaktion mit den Patienten von sich aus an. Ich bestätige das dann nur. Da sie von klein auf gewohnt sind auf Menschen einzugehen, sind sie da sehr offen. Es kommt regelmäßig vor, dass meine Hunde irgendwo im Raum liegen (während ihrer Freizeit) und von sich aus entscheiden zu einem Kind zu kommen und sich z.B. beruhigend auf die Füße zu legen. Sie haben da ein sehr gutes Gespür. Genauso wenn sie Übungen verweigern. Meistens wissen sie da einfach schon mehr als ich und es kommt wenig später ein epileptischer Anfall oder Sauerstoffabfall oder auch nur ein Gefühlsausbruch.

  • @Golden_Atreju


    Es ist schon erstaunlich was tiere so alles wahrnehmen und dann reagieren.... gerade wenn sie in den verschiedenen bereichen eingesetzt werden....


    Kann mich da wurli nur anschließen, tolle arbeit die ihr da leistet

  • @Wurli
    :lachtot: schon mal ein guter Anfang!


    Kommt mir übrigens irgendwie bekannt vor. Ich habe vor ein paar Wochen die letzten Treppenstufe im Flug genommen, weil mir das durchgeknallte Pudeltier um die Beine laufen musste. Hat niemanden gejuckt! Scheint aber irgendwie auch personenabhäbgig zu sein. Wenn mein Stiefsohn fällt, stehen sofort vier haarige Ersthelfer bereit. :headbash: Vermutlich denke sie bei mir lohnt sich das nicht mehr. Ich bin schließlich schon alt und mach es eh nicht mehr lange oder so :pfeif: xD





    Edit: Und danke für das Kompliment ihr zwei. :smile:

  • @Golden_Atreju
    Danke für diesen langen und extrem interessanten Beitrag.


    Dass Mali und BC hier nicht die Rasse der Wahl sind ist relativ klar, aber es ging mir einfach um den Typ Hochleistungsarbeitshund.


    Das ist natürlich wirklich deutlich mehr als ich dachte.
    Kann das eigentlich dann jeder Hund lernen, also theoretisch wahrscheinlich schon, aber praktisch?
    Also gerade die Anpassung an die Atmung ist ja doch eine Initiative des Hundes und fordert einiges an Anpassung.


    Und was macht man dann in der Ausbildung? vorsichtig sein üben, "tricksen" und Erfahrung sammeln?

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