Gewalt im Namen der 'Resozialisierung'

  • Eine von mir durchgeführte Handlung macht mich noch lange nicht zu einem Gewalttäter, nur weil der Empfänger dies als Gewalt EMPFINDET.

    Doch, eigentlich schon ... und zwar immer für den Empfänger sowie für einen "Dritten" (Betrachter). Vll. nicht zu einem "Gewalttäter" oder "Straftäter im eigentlichen Sinne, es bleibt aber beim Gewalt und Strafe Ausführenden. Innerhalb des menschlichen Sozialverhaltens sagt man z.B. eher sehr selten: "Selbst schuld, wenn Du das so empfunden hast" (klar, kommt auch vor ... wenns nicht extrem übersensibel gewesen ist oder der andere sich seinerseits deswegen dazu berufen fühlte, zurückzuschlagen, also selbst zum Täter wurde, zeugt das im Allgemeinen aber dann keine hohe Sozialkompetenz, aber es gibt tatsächlich so Büffel). Und so neigt Mensch eher dazu zu formulieren: "Sorry, das war nicht meine Absicht, das wollte ich nicht" (man entschuldigt sich also spontan, wenn der Empfänger sich unangemessen behandelt fühlte).


    Wenn ich es einfach mal rein juristisch betrachte, wird vieles "angezeigt", über das sich "Gewalttäter" keiner Schuld bewusst ist. Und dennoch richtet sich die Entscheidung ob der Tat oft am Empfinden (Messen des Leidens) des sog. "Opfer" aus (welche Folgen es hatte, spielt massgeblich eine Rolle).


    Oder anders: ginge es z.B. in Verbindung mit dem Behaviorismus nicht auch um das Empfinden des Empfängers (eine feste Säule der Theorie, sonst würde es nicht funktionieren), könnte man die Theorie glatt über den Haufen werfen. Eigentlich geht es doch nahezu ausschliesslich nur darum, wie was empfunden wird (sonst erwünschte oder aber auch unerwünschte Wirkung weg). Man könnte sich das System Strafe glatt ersparen. Selbst die Strafe für den "Täter" orientiert sich dann wiederum stets am Empfänger (eben auch juristisch, weil man es darauf auslegt, dass es wiederum dem so bestraften Täter gegenüber angemessen ist und im Verhältnis zu dem, was dem Opfer widerfuhr. Wenn es rein um Vergeltung ginge, dann sähe es wahrscheinlich anders aus).

  • Eine von mir durchgeführte Handlung macht mich noch lange nicht zu einem Gewalttäter, nur weil der Empfänger dies als Gewalt EMPFINDET.

    Doch, natürlich. Sonst sind wie ganz schnell bei: "Ich hab ihr die Hand auf den Po gelegt als Kompliment. Warum stellt die sich so an." Oder bei: "Ich habe doch nicht gemobbt, das war nur Spaß, du bist humorlos." Oder im Hundebereich: "Ich habe dich lieb und das ist meine Art, es auszudrücken, deswegen musst du es ertragen wenn ich mich über dich beuge und dich durch Umarmungen begrenze und dir mein Gesicht ganz dicht in den personal space stecke."


    Was übergriffig ist, entscheidet immer der/die/das Objekt der Handlung, nicht das ausführende Subjekt.

  • Was übergriffig ist, entscheidet immer der/die/das Objekt der Handlung, nicht das ausführende Subjekt.

    Und ich sage, es gibt nicht die eine Wahrheit, vor allem nicht im zwischenmenschlichen Bereich...

    Ersetze "übergriffig ist" durch "übergriffig empfindet", und ich sehe es genauso wie du.


    Aber ich finde den Vergleich Mensch-Mensch-Beziehung hier nicht passend. Schließlich geht es um Hunde, Tiere, für die wir die Verantwortung haben, die unsere "Schützlinge" sind. Selbst zwischen Menschen ist Kommunikation nicht eindeutig, obwohl man eine Sprache spricht. Wie soll das dann bei Hunden funktionieren? Deshalb finde ich es schwer zu sagen, ab wann man für den Hund empfundene Gewalt ausübt und wann noch nicht.
    Alles eine Frage der Definition :ka:

  • Deshalb finde ich es schwer zu sagen, ab wann man für den Hund empfundene Gewalt ausübt und wann noch nicht.
    Alles eine Frage der Definition :ka:


    Ich glaube, genau darin liegt eines der größten Probleme. Viele Hundehalter sehen rein aus Unwissen nicht, ab wann genau der Hund anfängt sich unwohl zu fühlen. Und dann kommt Gewöhnung und Abstumpfung und simples Aushalten dazu...

  • Also ich habs ja losgetreten, und ich habe mich darauf bezogen, was Strafe ist. Nicht, was Gewalt ist. Ich betrachte Strafe nicht per se als Gewalt.


    Und wenn man sich gedanklich innerhalb der Lerntheorie bewegt (muss man ja nicht), dann ist das einzige Kriterium, dafür was Belohnung und was Strafe ist, die Wirkung auf den Empfänger.

    Es geht bei der Lerntheorie ja nicht um Beziehung, sondern darum, we ein Lebewesen lernt durch Umwelterfahrung. Strafe ist z.B. die heisse Herdplatte, der Dorn im Finger, der Energieverbrauch durch eine erfolglose Jagd. Da wird ja schon deutlich, dass das NICHTS mit Intention zu tun hat. Umwelteinflüsse haben ja keine Intention.


    Intention und Beziehung kann man natürlich mit einbeziehen, um die Wirkung bestimmter Verhaltensweisen ALS Strafe oder Belohnung besser zu verstehen.

  • Hier im Video aber sehe ich sehr wohl Gewalt. Da wird ein Hund, der von seiner (vom Menschen sorgfältig herangezogen) genetischen Herkunft her ein Wach- und Schutzhund ist, Situationen auszuhalten, für die er einfach nicht gemacht ist. Der Hund ist dafür gezogen zu sagen: Bis hierher und nicht weiter. Das ist sein Job.


    Das Getue mit der Feder am hilflos gemachten Hund empfinde ich gerade vor diesem Hintergrund einfach nur als übergriffig und respektlosl. Genauso die Bedrohungssituationen. Und wie flying-paws geschrieben hat: Dass der am Ende dieses "Trainings" einfach nur erschöpft (und möglicherweise erstmal resigniert) ist heißt nicht, dass er da irgendwas Sinnvolles gelernt hat.

  • Nur weil ich mir nicht klar mache, dass was ich tue jemanden verletzt, ist es trotzdem die Tat eines (Gewalt-) Täters.

    Ach ja?


    Folgendes Szenario:

    Ein Paar sitzt im Außenbereich eines Lokals und wartet auf seine Bestellung.

    Plötzlich hält ein Kleinbus vor dem Lokal, und es kommt eine kleine Gruppe von Menschen mit dem Trisomie 21 Syndrom mit ein paar Begleitern in das Lokal, und setzt sich an einen Nachbartisch bei dem Paar.

    Das Paar fühlt sich dadurch gestört, verlangt den Wirt zu sprechen und erwartet, dass dieser die Gruppe entfernt.

    Der Wirt verweigert dies, das Paar fühlt sich gezwungen diese Situation entweder auszuhalten, oder aber dem Zwang (der Machtausübung) des Wirtes zu weichen und geht, ohne auf die Bestellung zu warten.


    Gemäß eurer Definition ist das, was die Gruppe oder der Wirt auf das Paar ausüben, GEWALT.


    Und wenn man sich gedanklich innerhalb der Lerntheorie bewegt (muss man ja nicht), dann ist das einzige Kriterium, dafür was Belohnung und was Strafe ist, die Wirkung auf den Empfänger.

    Bleiben wir doch mal bei den Lerntheorien, und wechseln vom Behaviorismus zum Kognitivismus - Lernen aus Einsicht.

    Dazu ein Beispiel aus meinem (früheren) Berufsleben:

    In einer meiner Tanzklassen gab es einen etwas verhaltensoriginellen Jungen (ca. 9 Jahre alt). Im Sitzkreis hat er es immer nach kurzer Zeit geschafft, für Unruhe zu sorgen.
    Die ganzen Ermahnungen, die vorprogrammiert waren, hingen mir selber nach einiger Zeit zum Halse raus.

    Dann kam mir eines Tages, nachdem er wieder mal als erheblicher Störfaktor glänzte, die Idee, ihn auf die an der Seite stehende Holzbank zu setzen.

    Er ging betreten dort hin.

    Als er da saß habe ich ihn gefragt, ob er wüsste warum ich ihn da hin setze.

    Er meinte: "Ja, als Strafe, weil ich wieder gestört habe."

    Ich habe ihm dann Folgendes erklärt - und auch genau so gemeint: "Ja, du sitzt da weil du mal wieder gestört hast. Es nervt einfach, und hält uns auf, wir verlieren dabei Zeit für die schönen Dinge, die wir eigentlich noch machen wollen.

    Mich nervt aber auch, dass ich dich dann immer ermahnen/mit dir meckern muss. Ich will das nicht, ich mag gar nicht mit dir schimpfen. Du sitzt jetzt da auf der Bank, weil du dort niemanden stören KANNST - und ich brauche nicht mehr meckern. Du sitzt also dort, weil ich dich schützen will - davor, dass du andere störst, und davor, dass ich dann mit dir meckern muss. Verstehst du das? Deshalb kommst du auch einfach wenn wir gleich mit Tanzen weiter machen, wieder zu uns und machst mit. Du musst mich nicht um Erlaubnis fragen, du bist nicht ausgeschlossen."

    Er HAT es verstanden.

    Meine Intention war wichtig - und es war wichtig, dass er diese Intention versteht.

  • In der sehr abstrakten Nebendiskussion hier müsste mMn zwischen der Ausübung von Macht und der von Gewalt unterschieden werden. Aber für das gezeigte Video spielt das keine Rolle. Jemanden unter Druck in eine Form pressen zu wollen, in die er nicht passt, ist Gewalt.

  • Er meinte: "Ja, als Strafe, weil ich wieder gestört habe."

    Erkläre das mal einem Hund und hoffe auf ausreichend Kognition durch Deine Erklärung.


    Aber zurück zum Menschen, er fühlte sich sicherlich immer noch bestraft (er wurde ja auch bestraft), egal, wie Du das auch begründest. Und faktisch weisst Du nicht, ob es derart peinlich für ihn war, die Strafbank (wobei ich davon ausgehe, das nachgelagerte Gespräch noch weit mehr), dass er das in Zukunft lieber vermeiden wollte. Er hätte ganz sicher auch den Teufel getan zu erwidern: "Nö, sehe ich nicht ein und nö, hab ich nicht verstanden, halte mir den Vortrag noch einmal bitte".


    Das ist oft (natürlich nicht immer) ein Fehlschluss der Strafenden und eigentlich unter Menschen oft sogar noch eine zusätzliche, wenn nicht gar härtere Bestrafung (gleichzeitig eine Demütigung), die Strafe auch noch in der Begründung und mit Einsicht akzeptieren zu müssen. Weitab die meisten möchten nur noch raus aus diesem hochnotpeinlichen Strafszenario, gerne noch verstärkt durch Publikum und segnen alleine deswegen schon alles ab ...


    Aber Hauptsache der Strafende fühlt sich besser ...

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