Junghund dreht am Rad

  • Hört sich nach Deprivationsschaden an.

    Und dann habt ihr halt einen „besonderen“ Hund. Das ist nicht wegtrainierbar.


    In einem Umfeld, wie du beschreibst, ist dieser Hund von dir geliebt, adoptiert und gerettet.

    Aber ideal ist das nicht. Du hast dir einen Problemhund angeschafft. Und jetzt habt ihr alle ein Problem.

    Wenn das klar ist, dann kann’s losgehen mit dem Trainermarathon.

    Zum Maulkorb: lieber jetzt dran gewöhnen und nutzen, als was zu riskieren.

  • Warum habt ihr euch dann ausgerechnet für diesen Hund entschieden, wenn ihr nicht bereit seid euch auf die Bedürfnisse solch eines Hundes einzulassen? Ein Hund mit solcher Vorgeschichte wird niemals wirklich Bock auf ein Leben mit ständigen Umweltreizen eines Mietshauses und womöglich dem Leben in einer Stadt haben.

    Das ist keine Frage von Erziehung.

  • Hi, mit 3 Wochen von der Mutter weg bedeutet sehr wahrscheinlich einen Deprivationsschaden. Man kann noch nicht genau sagen, wie ausgeprägt der ist. Doch schlussendlich handelt es sich um eine lebenslange Einschränkungen der Funktionen im Gehirn. Da kann mit Training viel erreicht werden, aber nicht alles. Und Training heißt in diesem Fall Gewöhnung an Neues über Wochen, Monate oder möglicherweise Jahre.


    Bei einem Deprivationsschaden haben sich durch Sozialisationsmängel wichtige neuronale Verknüpfungen im Hirn nicht vollständig ausbilden können. In dem sensiblen Zeitraum zwischen der vierten und der zwölften Wochen (gibts unterschiedliches Stimmen, wie genau der Range ist), bilden sich nicht nur Erfahrungswerte aus, sondern genau die Verknüpfungen, die fürs Verarbeiten, Speichern und Generalisieren von Erfahrungen zuständig sind. Das heißt: Die Fähigkeit des Lernens grundsätzlich.


    Wenn da etwas schwächer ausgeprägt ist, dann hat es Euer Hund lebenslang schwerer zu lernen als Andere. Heißt nicht, dass er es gar nicht kann. Aber es dauert und ist mühsamer.


    Ganz viel Geduld. Neues nur in kleinen Dosen. Nichts für selbstverständlich nehmen. Ein guter Trainer mit Erfahrung. Ruhe, Gelassenheit und souveräne Freundlichkeit bei jedem Umgang mit dem Hund. Strukturierte Tagesabläufe, die nicht so reizintensiv gestaltet sind. Und viel Akzeptanz dafür, dass dieser Hund möglicherweise ganz anders ist, als Ihr erwartet. Und manche Dinge eben auch nicht erreichen kann. Das sind so die Grundlagen. Die „da führe ich ihn so schnell wie möglich durch-Mentalität“ ist bei einem Deprivationsschaden meistens gar nicht angeraten und erfordert zudem gerüttelt große Praxiskenntnisse, davon würde ich völlig die Finger lassen. Lieber mit viel Zeit agieren.


    Sollte er heftige Stress-, Unruhe- oder Angstsymptome zeigen - das kann auch deutlich später noch kommen - kann mit dem Tierarzt über eine Medikation gesprochen werden.


    Gebt Euch erstmal viel Zeit, lernt Euch kennen, lasst Euch aufeinander ein und guckt, was Ihr zusammen erreichen könnt. Das kann eine sehr schöne Reise werden, auch wenn sie vielleicht nicht ganz so verläuft, wie Ihr erst gedacht habt :smile:

  • Dein Hund ist - nachdem was du beschrieben hast - nicht so aufgewachsen, wie es Hunde aber brauchen. Mit ihrer Mutter, mit anderen Hunden. Daraus entstehen nun mal Verhaltensstörungen, weil sie große und unwiederbringliche Defizite haben.


    Wenn ihr einen "normalen" Hund wollt, dann hättet ihr einen nehmen müssen, der auch hundetypisch aufgewachsen ist - auch die gibts im Tierschutz. Warum bist du denn so sauer? Du fragst und bekommst Antworten von Menschen, die Erfahrung haben. Die nehmen sich Zeit und geben sich Mühe - auch wenn die Antwort nicht so ausfällt wie du hoffst. Hunde sind soziale Lebewesen, wenn sie nicht so aufwachsen, wie sie es brauchen (unter ihresgleichen, zumindest mal die ersten 7 Wochen des Lebens), dann fehlt da grundlegend etwas. Sie sind einfach nicht wie normale Hunde und "halt es aus und gewöhn dich dran" hilft bei solchen Hunden nicht. Das ist einfach so -das hat sich keiner ausgedacht.

  • Ich weiß immer nicht, warum man Forumsbeiträge so persönlich nehmen muss. Mir wurde hier auch am Anfang gesagt, gib den Hund lieber woanders hin und rechne mit Einschränkungen. Stinkt kurz. Aber danach bin ich dann halt nachts um 3 Uhr Gassi gegangen und hab mir Möglichkeiten gesucht, um den Hund optimalere Bedingungen zu geben.


    Was aber vielleicht etwas ist, worüber ihr euch Gedanken machen könntet, wäre was sind den zurzeit Reize für den Hund. Aktuell seid ihr als neue Menschen, die neue Wohnung, die Gegenstände dort, die Routinen, der Flur, der Fahrstuhl voller Gerüche schon seeehr viel Reiz für den Hund. Dann gibt es noch Autos, Vögel, Radfahrer, Menschen, Häusereingänge, Dönerpapier, Wind,...

    All das kennt euer Hund kaum bis gar nicht. Durch die schlechte Sozialisierung kann das Gehirn tatsächlich nicht einfach die Verknüpfungen machen.

    Man kann das trainieren, aber das geht in Zeitlupe.


    Zum Beispiel hatte meine am Anfang Stress durch Papier in der Straße. Man konnte ihr Ansehen wie sie nach und nach Adrenalineinschuß hatte und es dann irgendwann, an was auch immer gerade vorbeikam rauslassen musste. Solche Reaktionen kommen oft später als der Reiz. Also Papier auf der Straße schöngefüttert, beobachtet, geschnüffelt etc. Normalerweise generalisiert ein Hund irgendwann. Das Papier dort ist genauso lieb wie das Papier da drüben. Tja, meine mit Deprivation kann das weniger gut. Das Dönerpapier 50m vom Dönerladen ist hochgefährlich. Das vor der Ladentür kennen wir ja, also ok. Wir mussten an jedem Ort üben, unterschiedliche Papiersorten.

    Mittlerweile weiß sie ich bekämpfe jedes neue Papier für sie und schreckt nur bei neuen Geruchsrichtungen weg.

    Ein Beispiel von vielen.


    Versucht es einfach mal langsamer. Nur die Welt betrachten ohne was zu wollen und ohne die Triggerreize (die euch bisher bekannt sind), Abstand halten, aus weiter Ferne beobachten und dann kann euch der Trainer beraten, was möglich ist. Meine Trainerin war ziemlich ehrlich.


    Natürlich könnt ihr das schaffen. Aber es benötigt mehr Rücksicht als bei einem "normalen" Hund

  • Falls der Hund tatsächlich einen Deprivationsschaden hat, wovon bei der Vorgeschichte auszugehen ist, dann handelt es sich um ein organsiche Schädigung des Gehirns. Das hat zur Folge, dass Dein Hund nicht lernen kann wie ein normal aufgezogener. Bei solchen Hunden ist es ganz wichtig, das Umfeld dem Hund anzupassen, nicht umgekehrt. Und das dann ggfs. auch den Rest des Hundelebens lang.


    Man könnte es damit verlgeichen, als ob der ein verkrüppeltes Bein hätte, mit dem er noch einigermaßen laufen kann, aber nicht weit und nicht lang. Dann kann man noch so sehr wollen, dass dieser Hund große Runden beim Gassi mitlaufen kann - das geht schlichweg nicht.


    Der Hund kann nichts dafür, dass er so ungünstig verkauft wurde. Der ist der Geschichte ausgeliefert. Wichtig ist, was Ihr jetzt draus macht. Ja, es ist mir klar, dass man das erst Mal schlucken muss. Aber es besteht im Grunde nur eine Chance, wenn Du den Hund jetzt dort abholst, wo er jetzt ist und für ein Umfeld sorgst, was er jetzt braucht.


    Du beschreibst derzeit einen mit den Umständen überforderten Hund. Typisch für solche Hunde ist diese "Randalieren". Das ist schlichtweg, weil der Hund nicht mehr weiß wohin mit sich ...

  • und für mich war das der letzte Angsthund/Deprivationshundthread von Neulingen, auf den ich eine Antwort gebe, denn die Reaktion ist eigentlich immer gleich. Es wird gefragt, die Antwort will man nicht hören und man will auch nicht drüber nachdenken, weil man vermutlich im tiefsten Inneren weiß, daß man sich einen Hund geholt hat, der nicht den Erwartungen entspricht, der nicht zum Leben passt.

    Nein, niemand hat hier von isoliertem Leben gesprochen, aber Liebe bedeutet nicht, über die Seele des Hundes zu trampeln und das erzwingen zu wollen, was Du möchtest und den Hund dabei ignorierst.

    Wer keine ehrliche Antwort möchte, sollte bitte nicht in Foren fragen, just simple.

    Und Du solltest Dir zumindest die Mühe machen, die Antworten an Dich wenigstens zu verstehen und nicht trotzig rumzupampen.

  • Wir möchten unseren Hund aber nicht von allen Reizen abschirmen. Wir möchten, dass sie nach und nach die Angst davor verliert. Natürlich nicht von heute auf morgen- aber ein isoliertes Leben ist kein Leben.

    Eine Gewöhnung an Schreckreize tritt aber nur ein, wenn der Hund die Möglichkeit bekommt, sie im eigenen Wohlfühlabstand kennenzulernen. Nur dann kann er allmählich verinnerlichen, daß etwas wirklich harmlos ist. Dabei gibt der Hund das Tempo vor und niemand sonst.


    Und das funktioniert auf keinen Fall, wenn er dem Reiz täglich im Hausflur oder auf der Straße direkt ausgeliefert ist. Dazu kommt die Vielfalt der Reize im städtischen Umfeld. Menschen und Hunde sind immer und überall und man kann ihnen kaum ausweichen. Lernen ist aber nur im entspannten Umfeld möglich.


    Deswegen kann die Lösung selbstverständlich nicht sein, den Hund ein Leben lang von allen Reizen abzuschirmen. Es ist aber erforderlich, ihm nur so viele Reize zuzumuten, wie er noch gut verarbeiten kann, ohne in den Panikmodus zu verfallen, in dem Lernen unmöglich ist.

    Und da wird es natürlich schwierig, wenn man in der Stadt und im Mehrfamilienhaus wohnt.


    Und wir erwarten absolut gar nichts von ihr, außer das sie weder sich noch andere verletzt.

    Unsere ganz normalen Haus- und Begleithunde leisten jeden Tag sehr viel, indem sie einfach nur dabei sind. Wenn ich mit meinem Pudel nur hier durchs Viertel und durch die Grünanlagen gehe, begegnen wir etwa einem Dutzend Hunde auf mehr oder weniger geringe Distanz, spielenden Kindern, fußballspielenden und schreienden jungen Männern, Joggern, Skatern, Radfahrern, E-Rollerfahrern, Autos, Lastwagen, Straßenbahn, Feuerwehr und Polizei mit Sirenen usw.

    Nur weil es für uns Menschen normal und nicht weiter erwähnnswert ist, muß es das nicht für jeden Hund sein. Indem wir einen Hund in dieses Umfeld holen, erwarten wir bereits eine ganze Menge von ihm.


    Dagmar & Cara

  • Vielleicht hilft dir der Begriff 'Hospitalismus' um zu begreifen, wieso ein Hund mit Deprivationsschaden einfach anders ist und anders behandelt/leben muß um mit der Welt und seinem Leben klarzukommen...

  • Noch so als Nachtrag: Warum sollte für einen Hund nur das reizüberflutete Leben, wo er dann mit jedem Stress zurechtkommen soll, ein erfülltes Leben sein?.

    Im Anschluß mal ein kleines Video, was eigentlich zwei ganz normale Hunde zeigt. Aber das Bonnie so sein kann wie sie jetzt ist, das war ein langer Weg für sie und sie bestimmt das Tempo.


    Und sie leidet sicherlich nicht darunter, immer sehr viel Abstand zur "Norm" zu haben, was sich der Durchschnittshalter halt so vorstellt unter normaler Hundehaltung und wie Hunde zu sein haben und was sie auszuhalten haben.


    [media]https://www.youtube.com/watch?v=VhQYxRFVwh0&t=6s[/media]

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