Sie ist nicht mehr.

  • Meine Freki, meine rechte Hand und kleine Schwester, ist heute Morgen gegangen.


    Sie war der gewissenhafteste Wachhund den ich je kannte, eine wunderbare Adoptivmama, eine begnadete Mäusejägerin. Sie ist irgendwo im Ostblock geboren - vermutlich Tschechien, da sie tschechische Kommandos befolgte und auf diese Sprache am meisten reagierte -, hat an der Kette einen Hof bewacht, sich später durch die Straßen und Wälder Osteuropas geschlagen, Reviere erkämpft und Würfe aufgezogen, bis sie, trächtig und tödlich krank, in Sophia in die Hände von Hundefängern geriet. Die ihr damals, vor 2,5 Jahren, das Leben retteten, indem sie sie in die Tierklinik brachten. Ihr riesiger Tumor wurde entfernt, sie wurde aufgepäppelt, auf alle Mittelmeer-Krankheiten getestet geimpft, kastriert und dann vom Tierschutz nach Deutschland vermittelt.


    Damals war die schon alt, und mit ihrer Krankheitsvorgeschichte waren ihre Chancen nicht groß. Aber es fand sich jemand, nämlich meine beste Freundin, die auch einem alten kranken Hund noch eine Chance geben wollte. Das hatte nicht geklappt - Freki stellte sich nämlich auch als ressourcenverteidigender, dominanter, ruheloser und recht aggressiver Hund heraus, und war damals keineswegs als Zweithund geeignet. Meine beste Freundin hat aber bereits einen Hund gehabt, welchem zuliebe Freki dann schnellstens ausziehen musste, es sei denn man wollte den armen Ersthund irgendwann schwer verletzt sehen. Man suchte nach einer Notpflegestelle - mit den neuen Erkenntnissen nicht gerade einfacher.


    Ich hatte damals mein Auge auf einen 6-monatigen second-hand Aussie geworfen, denn ich wollte einen Hüti mit ausreichender Wachhundeignung, Will to Please aber vor allem Motivation, mit mir gemeinsam alles mögliche an Sport zu machen. Ich träumte vom Longieren, leichtem Agility, Nasenarbeit und Dummytraining, vom gemeinsamen Joggen und mehr. All diese Dinge (außer das Joggen) hatte ich mit meinem Labbi damals nicht machen können weil ich damals noch nicht volljährig war und nicht die Erlaubnis dafür hatte. Nach ewig langer Hundepause sollte nun das Hobby endlich ausgelebt werden. Hundebereit war ich also; aber einen Husky-TWH-Mix? Das wollte ich auf gar keinen Fall. Das wäre ja Sturheit in Person, im Gegensatz von dem mir ersehnten Will to Please, dachte ich. Und sie war auch da schon nicht mehr die Jüngste. Intensiver Sport also Fehlanzeige. Und dann auch noch mit Tendenz zum Problemhund. Alles in mir schrie nein.


    Aber natürlich sagte ich zu, als meine beste Freundin und die TSO mich fragten, ob ich Notpflegestelle sein will. Ist ja nur für eine kurze Zeit.


    Sie kam, zerrte die ganze erste Gassirunde durch gewaltig an der Leine, lief aber fröhlich mit und schluckte meine Hand bei jedem Leckerli gleich mit runter, ohne mich mit den Zähnen zu kratzen, betrat dann unser Haus, trank, legte sich hin und ließ sich streicheln. Von Ressourcenverteidigung oder Aggression keine Spur. Vom ersten Augenblick an fühlte sie sich bei mir wohl - und ich mich bei ihr. Aus „Pflegehund“ wurde „mein Hund“. Trotz all der Tierarztkosten die auf mich zukommen würden wollte ich sie nicht mehr missen und habe dann der TSO eröffnet, dass ich sie gern an mich selbst vermitteln möchte ;)


    Mein Hütitraum wurde verschoben, statt Joggen gab es wegen schon etwas kaputter Hüfte von Madame eben ewig lange Wanderungen, statt Hundesport gingen wir auf die Suche nach Wolfsnachweisen oder ließen uns vom örtlichen Jäger die Geheimbisse des Waldes zeigen und erklären, und statt nur Wachhundpotenzial hatte ich einen Wach- und Schutzhund. Leider auch scharf. Ich habe sie nie in dieser Richtung ausgebildet und die TSO hat das in der kurzen Zeit nicht feststellen können. Aber sie mir wegnehmen zu lassen oder einen Wesenstest mit ihr zu machen den sie vielleicht nicht besteht, das wollte ich nicht. Es gab also, sobald ich feststellte, dass sie nicht nur jagt sondern auch „aktiv beschützt“, nur noch Freilauf mit Schleppleine und Maulkorbgewöhnung (na ja - wenn man es gewöhnen nennen kann, es war sehr easy, weil sie es wohl von früher schon kannte). Ich habe es immer verhindert, dass sie jemandem etwas tun kann, und es war nicht schwer - denn sie hörte perfekt auf „Steh“ und „Zu mir“, aber ich musste wachsam sein, immer wachsam, um sie zu schützen vor ihr selbst. Und wir haben es immer super geschafft. Selbst einen Hund hat sie nur einmal verletzt - in Notwehr. Ihre Abwehr bestand auch nur daraus, dem Angreifer die Schnauze festzuhalten bis dessen Frauchen ihn im Griff hatte. Sie wurde sicherer und ruhiger, nachdem sie sich eingelebt hatte, und begann mich bei allen zu unterstützen bei dem es möglich war. Sie passte liebevoll auf unsere Kinder auf, bewachte das Grundstück, gab mir Trost und Lebensfreude in schwierigen Momenten.


    In unserer Nachbarschaft hatte sie viele Freunde. Kinder, die den „weißen Wolf“ liebten und denen sie es stets erlaubt hatte, sie zu streicheln und zu schmusen. Junge Hunde, die mit ihr gemeinsam die Welt entdeckten und von ihr das Mäuseln lernten. Alte Hunde, mit denen sie gern mal eine gemächliche Runde gegangen war. Rüden, die sie verehrten und mit denen sie wieder zur koketten, verspielten Junghündin wurde. Vor allem aber ihren Lebensgefährten, ihren über alles geliebten Spitz Yukon, den sie sich selbst ausgesucht hatte und damit eine wunderbare Freundschaft zwischen dessen Frauchen und mir ermöglicht hatte, mit dem sie gern nicht nur ihr Lager, ihre Mäuselöcher und ihr Essen, sondern auch ihr Herz teilte.


    Sie stellte sich am Ende als mit Kindern, Katzen, Hündinnen und Rüden verträglich, sozial, verschmust und ernsthaft heraus. Sie war stubenrein und bis auf ihre letzten Tage hofrein, konnte super allein bleiben, genoss aber auch sehr die Gesellschaft. Ihre Wachhundqualitäten konnte sie dosiert und auf meinen Wunsch einsetzen; nicht mal der Mülleimer wurde angerührt, nachdem sie verstanden hatte, dass sie nicht mehr hungern muss.


    Sie zog ihre beiden Adoptivsöhne Geri und Garmr zu stolzen, starken und höflichen Junghunden auf und brachte mir nebenbei auf die schönste anschauliche Weise bei, wie man einen Welpen erzieht. Sogar bei der Ernährung der Welpen hatte sie sich eingemischt und mir gezeigt, wenn sie zum Beispiel wegen Wachstumsschub mal mehr Knochen brauchten. Sie brachte ihnen bei, das Grundstück richtig zu bewachen, Schätze zu verbuddeln, anderen nichts wegzunehmen und Ruhe zu bewahren.


    Sie war der perfekte Hund. Der absolut perfekte Hund für mich. Und ich glaube, ich war auch ein ganz ok Mensch für sie.


    Heute starb sie in meinen Armen. Ihre Nieren haben vollständig versagt, und selbst mit stundenlangen täglichen Infusionen hätte sie nur noch eine Lebenserwartung von ein, zwei Wochen gehabt.


    Meine Tierärztin und ich haben schon so oft um das Leben dieser mutigen, sturen Hündin gekämpft. Mehrere Tumor-Operationen, viele Versuche ihre fortschreitende Niereninsuffizienz aufzuhalten... Sie hat sich immer so viel Mühe gegeben. Aber als ich heute mit ihr zum Tierarzt ging, ganz, ganz langsam ging sie, aber immer noch stolz auf ihren vier wackeligen Beinen, da wusste ich, dass es vorbei ist. Ich wusste es. Ich wusste, was meine Tierärztin mir sagen wird, und ich wusste auch, dass Freki nur noch mir zuliebe lebte und dabei schon zu lange litt. Wir hatten schon im Sommer darüber gesprochen, dass Freki vermutlich nur noch wenige Monate hat. Die Welpen hatten ihr nur ein zusätzliches halbes Jahr verschafft, ein halbes Jahr in dem sie so sehr gebraucht wurde, dass sie weiterlebte.


    Sie hat ganz zum Schluss nochmal einen Wurf aufziehen können, wenn auch keinen leiblichen, und ich glaube, dass das ihr Leben verlängert hat und ihre Lebensqualität erhöht. Sie hat sich lange nach Welpen gesehnt und hätte am liebsten jeden Welpen draußen gleich mitgenommen und hatte trotz Kastration immer Läufigkeiten und ganz schlimme Scheinmutterschaften. Wenigstens in ihrem letzten Lebensjahr habe ich ihr ein Leben ohne Scheinträchtigkeit ermöglicht. Die nächste Scheinträchtigkeit hätte sie eigentlich jetzt gehabt. Die bleibt ihr wenigstens erspart.


    Danke Freki, dass du in meinem Leben warst. Ich spüre noch deinen Geist um mich, sehe vor meinem inneren Auge einer deiner so seltenen Spielaufforderungen - du wolltest wenn, dann am liebsten mit mir spielen, ein Rennspiel, bei dem du deine Geschwindigkeit (oh, die hattest du bis fast zuletzt, noch vor einigen Wochen bist du mit mir und Geri und über die Felder gerast) mir zuliebe immer gedrosselt hast. Ich würde dich gern bei mir behalten, bis es Zeit ist dass sich uns ein neuer Welpe anschließt, und dich bitten, in dessen Körper wiedergeboren zu werden - aber du hast mir schon soviel gegeben dass mehr zu verlangen mir nicht möglich ist. Bleib, solange du möchtest, oder gehe in die wilden Wälder deiner Traumwelt, meine Freki. In meinem Herzen werde ich dich für immer tragen.


    Tut mir leid für den langen Text und danke euch, dass ich hier meiner Trauer und meiner Dankbarkeit Raum geben darf. Danke.


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  • Mein aufrichtig empfundenes Beileid. :streichel:


    Eure Geschichte liest sich, trotz der Probleme, sehr lieb und lebenswert.

  • So schön zu lesen - da kommen mir gleich wieder die Tränen. Musste auch letztes Jahr meine geliebte Hündin gehen lassen. Aber sie bleiben für immer im Herzen ?

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