Angsthund, ein besonders schwerer Fall
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Hallo zusammen,
ich habe seit 4 Wochen eine Hündin ( Bonny ) vom Tierschutz in Pflege genommen. Ich bin keine Pflegestelle in dem Sinne, sondern seit dem Tod meines Hundes, wollte ich erst mal keinen eigenen Hund und entschied mich, Hunden zu helfen, die dann später vermittelt werden. Die Auffangstationen sind relativ voll und auch die offiziellen Pflegestellen sind leider überlastet. Es gibt jedoch eine Menge Hunde, die in den Auffangstationen nicht bleiben sollten. Und dazu gehört Bonny. Sie ist ca 20 Monate alt und wurde in den Bergen von Gran Canaria mit ihren 4 jungen gefunden. Niemand weiß, was sie erlebt hat, oder ob sie mal einen Besitzer hatte. Sie hat vor allem Angst. Menschen, Straßenverkehr. Eben irgendwie alles.
Sie wurde mir von der Auffangstation direkt gebracht mit dem Hinweis, dass sie weder Stubenrein ist, noch überhaupt nur 1 Schritt an der Leine macht. Ich trug sie also vom Auto in meine Wohnung, setze sie auf die Decke, die ich schon für sie bereit gelegt hatte. Und dort blieb sie einfach liegen. Ich ignorierte sie vollkommen. Legte so Matten aus, wie man sie aus dem Krankenhaus kennt, damit sie sich erleichtern kann, was sie auch super schnell annahm und nur darauf machte.
Also die ersten Tage hab ich sie vollkommen in Ruhe gelassen und sie hat auch unfassbar viel geschlafen. Nur irgendwann muss ich ja auch mal anfangen, mit ihr vor die Türe zu gehen. Also versuchte ich es. es dauerte so 3 Tage, bis sie endlich von alleine an der Leine lief und sogar einfach so die Treppe hinunter ging. Vorher hab ich sie getragen.
Und endlich konnten wir ein klein wenig spazieren gehen. Sie machte dann auch draußen. Ich war begeistert.
Ab dem Tag, wo sie beides draußen machte, machte sie auch nicht noch ein mal in die Wohnung. WOW, dachte ich, das war ja leichter, als ich dachte...
Sie kam sogar an die Türe, sobald ich die Leine in die Hand nahm. Ich fand es mega. Sie ließ sich dann auch anleinen. Ich ging immer ganz früh morgens und ganz spät abends mit ihr, weil es dann total ruhig auf der Straße ist. Es sind jedoch immer nur kleine Runden. Jetzt muss ich dazu sagen, sie hat Filarien ( Herzwürmer ) und wurde mit Antibiotika behandelt. Ich denke, daher schlief sie auch so viel.
Langsam fing ich an, auch Tagsüber mal mit ihr raus zu gehen. Auch das klappte recht gut. Genau 2 Tage lang. Ich wohne an einer Hauptverkehrsstraße. Autos machen ihr nichts aus, aber Menschen schon. Doch sie machte das schon richtig gut. Ich war total erfreut, wie schnell das doch ging. Bis letzten Samstag. Es war Nachmittag. Ich wollte mit ihr zu einem ruhigen Platz gehen, doch schon 10 Meter von der Haustüre entfernt war Schluss. Es kam ein Motorrad vorbei und beim vorbeifahren knallte der Auspuff, mindestens 3 Mal kurz hintereinander. Es war der Horror. Ich hatte sie sowohl am Halsband, als auch am Geschirr gesichert. Ein Glück, ich konnte sie also halten. Sie Biss in die Leine und windete sich. So viel Angst hatte ich vorher noch nicht gesehen. Flucht ging ja nicht, also kauerte sie sich gegen die Hauswand und bewegte sich nicht mehr. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und dachte mir, ich gehe einfach schnell mit ihr an einen ruhigen Ort, damit sie lernt, dass ihr nichts passieren kann. Ich wollte sie nicht in diesem Zustand gleich wieder mit in die Wohnung nehmen. Sie beruhigte sich jedoch nicht. Also Hochheben ist bei ihr auch keine Option, ein Mal hat sie mich schon ins Gesicht gebissen. Ein Glück war, dass ich eine Brille trage, so hat sie mich nicht so dolle erwischt.
Also ging ich mit ihr dann nach Hause. Jedoch gehen ist das falsche Wort. Ich versuchte sie zum laufen zu bewegen. Naja, irgendwann kamen wir auch zu Hause an. Ich löste die Leine und sie legte sich erst mal an ihren Lieblingsplatz. Ich ließ sie wieder vollkommen in Ruhe. Ich muss dazu sagen, dass sie sich noch nicht so gut anfassen lässt. Sie lässt streicheln zwar mittlerweile zu, aber noch fordert sie es nicht ein. Ich versuche sie, so wenig wie möglich zu bedrängen und in einem solchen Zustand igoriere ich sie einfach. Das einzige, was ich mache, sie aus der Hand füttern. Das mache ich vom ersten Tag an. Hier zu Hause macht sie auch kleine Fortschritte. Gestern kam sie das erste Mal zu mir ans Sofa, aber solange ich da drauf sitze, mag sie nicht drauf springen. Sie machte anstallten. Ich schaute einfach auf den Fernseher und hoffte, dass sie hoch springt. Tat sie aber nicht. Denke, dass das aber in den nächsten Tagen passieren wird. Hier im Haus hat sie auch mit nichts Probleme. Staubsaugen, Geschirr klappern, alles kein Problem. Sie bleibt sogar einfach auf ihrem Platz liegen, wenn ich sauge.
Aber seit letzter Woche will sie einfach nicht mehr raus. Was jedoch noch schlimmer ist, sie macht auch nicht in die Wohnung. Das heißt, sie hält mega lange ein. Ich gehe mit ihr raus, gerade mal kurz um die Ecke, dann macht sie alles und gehe wieder mit ihr rein. Soweit geht das. Aber auch nur morgens bis 7 Uhr und nachts ab 23 Uhr. Die Matten liegen noch da, dennoch macht sie da nicht mehr hin. Ich warte auch recht lange, bis ich mit ihr gehe, frage sie sogesehen und sie zeigt mir dann, ob sie bereit ist, mitzugehen ( weil die Blase drückt ) oder eben nicht.
Ich habe versucht sie mit Futter zu bestärken, doch sie nimmt natürlich nichts an. Zu viel Stress, sobald wir aus der Wohnungstür sind.
Vielleicht habt ihr ein Tipp, was ich sonst noch tun kann, um ihr diese Angst wieder zu nehmen. Ich möchte ihr so gerne helfen. Blöd ist halt, dass ich an der Hauptstraße wohne und sie erst mal einige Schritte laufen muss, bis es in ruhige Ecken geht. Vertrauen aufbauen ist das a und o.
Ich glaube, man kann nichts wirklich richtig machen, für Ideen bin ich offen.Lg Tina
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Gib ihr viel mehr Zeit, ich denke, du wolltest zu schnell zuviel. Erstmal muss sie zu dir viel mehr Vertrauen haben um sie "gefährlichen" Situationen aussetzen zu können.
Meine Hündin hat sich auch anfangs nur morgens und abends lösen getraut.
Die Hauptverkehrsstraße war zuviel. Ich würde daher wieder von vorne anfangen.
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Ich kann dir leider keine Tips geben.
Ich stelle mir aber ernsthaft die Frage, welche hirnlosen Idioten einen Angsthund wie Bonny in eine Wohnlage wie deine vermitteln, wo die allernötigste Grundvoraussetzung fehlt: nämlich ein eigener Garten und eine ruhige Umgebung. Damit der Hund erstmal ankommen kann, bis man irgendwas von ihm fordert.
Denn wie du gesagt hast, hat sie ja vor allem Angst und hat bei dir keinerlei Rückzugsmöglichkeit, um von da aus allmählich ihre neue Welt zu erkunden.
Kannst du sie an die Orga zurückgeben? Denn ich glaube nicht, daß du die richtige Pflegestelle für sie bist. Nicht wegen deiner Person, sondern wegen deines Lebensumfeldes.
Dagmar & Cara
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Ich befürchte, dass bereits die Wohnlage (Hauptverkehrsstraße) für diesen Hund denkbar ungeeignet ist, denn unter ständigem Stress und ständiger Angst lernt es sich schlecht und gerade ein Hund, der als Welpe vermutlich nicht auf Menschen und deren Lebensumfeld sozialisiert wurde (was sich auch nicht einfach nachholen lässt), benötigt ein ruhiges, ländliches Umfeld - von dem aus er dann langsam Schritt für Schritt sein neues Leben kennen lernen kann.
Insofern war es sicherlich gut gemeint, den Hund zu Dir zu geben - für den Hund aber der absolute Horror. Besteht die Möglichkeit, eine Pflegestelle in extrem ruhiger, ländlicher Lage zu finden? Nur so sehe ich für den Hund Aussicht auf Verbesserung der Lebensqualität. Eventuell wären auch weitere Hunde, die souverän und angstfrei sind, hilfreich, an denen er sich orientieren kann.
Ich hatte früher selbst Hunde aus dem Auslandstierschutz, auch Angsthunde. Die Hunde wissen nach Ankunft ja nicht, dass sie "gerettet" wurden und für viele ist das neue Leben der absolute Horror, wenn Angstreize ohne Ende auf sie einprasseln....
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Verstehe ich es richtig, dass du dem Hund sämtliches Futter nur aus der Hand gibst? Falls ich das so richtig verstanden habe, bitte tue dies nicht. Jeder Hund sollte die Möglichkeit haben normal in Ruhe zu fressen. Und gerade bei einem Angst Hund ist es mega unfair in zu zwingen das Futter aus Menschenhand zu nehmen.
Ansonsten ist der Hund definitiv am falschen Ort. So ein Hund gehört einfach in ein anderes Umfeld. Da kannst du es noch so gut meinen. Aber ohne Garten und mit viel Verkehr und Menschen drumherum, wird das niemals etwas werden
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Puh, das ist natürlich sehr dumm gelaufen. Erstmal super, dass du sie doppelt gesichert hattest, hier wäre einem unvorsichtigeren Gemüt in der Situation schon die erste Katastrophe passiert...
4 Wochen sind ja gar nichts, und es hört sich so an, als sei das entstandene Vertrauen einfach zu zaghaft gewesen, um sowas schon auszuhalten. Meine zwei Ausländer waren keine so extremen Fälle wie Bonny, aber in Grundansätzen erkenne ich beide in unterschiedlicher Gewichtung durchaus wieder. Zwei Dinge haben bei uns die Lage schon deutlich erleichtert:
1. Für den ängstlichen Rüden das Vorhandensein der souveränen Althündin,
2. Damit die Hündin alt und souverän wurde: ein riesiger Garten und ein sehr ländliches Umfeld.
Ich bin ein bisschen überrascht, dass solch ein Kaliber in solch eine Lebenssituation vermittelt wurde. Und das hat gar nichts mit dir zu tun, weil ich finde, dass du vieles sehr gut machst. Aber ich sehe diesen Hund von deiner Beschreibung her nicht direkt an einer Hauptverkehrsstraße, und, wenn Bonny auch noch Kommunikationsdefizite mit Menschen hat, auch noch nicht in Einzelvermittlung.
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Erst mal danke für die antworten. Zum Umfeld. Ja, es ist denkbar schlecht hier. Wobei es nur 15 Meter sind und wir dann von der Hauptstraße weg sind und es ruhig ist. Aber die Situation hier auf Gran Canaria ist nicht so einfach. Pflegestellen sind rar. Derzeit haben sie noch 2 weitere Angsthunde in der Auffangstation. Also nein, es gibt derzeit keine andere Möglichkeit, als die Auffangstation oder mich.
Sie sitzt sehr viel auf dem Balkon und schaut dem bunten Treiben auf der Straße zu. Von dort aus hat sie auch keine Angst. Sie beobachtet und liegt entspannt an der Brüstung. Und wie gesagt, erst durch dieses Knallen des Auspuffs, was sich wie Schüsse anhörte, verschloss sie sich komplett. Und dass es genau hier vor der Türe war, ist das größte Problem. Sonst könnte ich diese Stelle ja erst mal meiden.
Ich will nicht zuviel. Ich gehe ihr Tempo. Aber es ist auch eine Gratwanderung. Denn lasse ich sie zu viele Entscheidungen treffen, versau ich sie genauso. Bin ich zu vorsichtig, versaue ich sie bin ich zu fordernd, versaue ich sie. Gar nicht einfach... :)
Zum Hand füttern. Ich behalte das noch bei. Sie hat keine Angst vor mir und auch kein Stress. In der Wohnung ist sie total entspannt. Wenn wir zurück kommen, von der Minirunde, ist sie sofort wieder entspannt. Da sie noch keinen Bock auf spielen hat, ist das Hand füttern erst mal die einzige Möglichkeit, sie dazu zu bringen, mir von sich aus Nah zu kommen und zu erleben, dass ihr rein gar nichts passiert. Ich berühre sie nicht, versuche sie nicht zu streicheln. Sie holt sich das Futter und gut ist. Und ich erlebe kleine Erfolge. Wie gestern Abend, als sie das erste mal zum Sofa kam und sogar Anstalten machte, drauf zu kommen. Ich denke, das dauert noch so 2 bis 3 Tage, dann legt sie sich zu mir. Ich werde sie dann auch erst mal nur liegen lassen, ohne sie anzufassen. Dann soll sie sich erst mal sicher fühlen, wenn ich mich bewege, aufstehe und mich wieder hinsetze, hinlegen und wieder hinsetzen, eben was man so als Mensch auf dem Sofa macht. Wenn sie dann liegen bleibt, dann werde ich anfangen, sie zu streicheln. So der Plan.. smile.
Mein Gedanke dahinter ist: Sie lebte frei und überlebte, also für sie ist es so, dass sie niemanden braucht. Normalerweise jedoch sind Hunde abhängig vom Menschen und sie wissen das auch ( Futter ). Also möchte ich, dass sie verinnerlicht, dass das Futter von mir kommt. Ich habe keine andere Möglichkeit, eine Bindung aufzubauen. Sie spielt nicht, und spazieren gehen fällt ja auch komplett flach als Mittel zur Stärkung der Bindung. Gleichzeitig lernt sie, mir zu vertrauen/ mir vertrauen zu können.
Lg Tina -
Denn lasse ich sie zu viele Entscheidungen treffen, versau ich sie genauso.
Wieso denkst Du das?
Zum Hand füttern. Ich behalte das noch bei.
Was versprichst Du Dir davon? Dass sie lernt, dass Nähe etwas Positives ist? Ich denke nicht, dass das ein guter Weg ist, ich denke sie wird so Deine Nähe mit dem Stress der widerstreitenden Gefühle (einerseits würde sie Dir von sich aus noch nicht zu nahe kommen, andererseits braucht sie Futter) verbinden. Ich würde so einen Konflikt nicht in einem sowieso schon nervösen Hund schüren.
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Sie würde ja normal schon längst in Deutschland sein und dort bei einer passenden Pflegestelle sein, aber das geht erst, wenn sie gesund ist. Die Behandlung der Filarien dauert jetzt noch ca 3 Monate. So lange kann werde ich sie behalten. Und ich hoffe, ich kann sie schon ein Stück weiter bringen in der Zeit.
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Denn lasse ich sie zu viele Entscheidungen treffen, versau ich sie genauso. Bin ich zu vorsichtig, versaue ich sie bin ich zu fordernd, versaue ich sie. Gar nicht einfach... :)
Was meinst du mit "versaue ich sie"?
Ich glaube nicht, dass du irgendwas kaputt machst, wenn du ihre Bedürfnisse erst mal berücksichtigst.
Ich habe kein Problem mit Handfütterung, aber ich bin auch der Meinung, dass sollte nicht mehr als ein Drittel ausmachen. Gerade bei so einem Hund.
Ich verstehe den Grundgedanken, finde das auch ok, wenn man einen Teil des Futters so gibt (WENN deine Einschätzung stimmt, dass es für die Hündin keine Überwindung bedeutet), aber echte Bindung ist nicht dasselbe wie Abhängigkeit von der Futterhand.
Zumal du ja nur Pflegestelle bist. Warum jetzt auf Biegen und Brechen Bindung - oder Abhängigkeit - aufbauen, wenn du die Hündin nicht behalten willst?
Was das rausgehen angeht: Da wird nur Zeit helfen. Viel viel Zeit und viel viel viel Geduld.
Ich weiß nicht, wie die Auffangstation aussieht, bist du 100% sicher, dass es ihr dort nicht gut geht? Solche Hunde kommen manchmal in Hundegesellschaft und einem sicher eingezäunten Gehege besser klar als in einer Wohnung, zumal in so einer Lage wie bei dir.
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