Erziehungsphilosophie - nach welchen Grundsätzen erziehe ich meinen Hund und warum.

  • Irgendwie folge ich keiner richtigen Erziehungsphilosopihie.


    Durch die Arbeit im Verein habe ich schon so viele Hunde mit den unterschiedlichsten Charakteren erlebt und für jeden dieser Hunde gibt es einen anderen, passenden Weg, damit sie mit ihren Haltern entspannt durch den Alltag gehen können. Und ich war bereits auf so vielen Seminaren und workshops und so gut wie überall konnte ich für mich passendes und nicht passendes mitnehmen. Das ist ein fortlaufender Prozess.


    Es gibt grundlegende Dinge, die mir wichtig sind, ja und als ich nur einen Hund hatte, bin ich vielleicht sogar hauptsächlich eine Schiene gefahren.

    Das hat sich spätestens mit dem Einzug von Maja geändert, da die beiden eigentlich grundverschieden sind.


    Ich bin niemand, der sagt, absolut keine Gewalt und ich bin niemand, der sagt, absolut kein Wattebauschwerfen. Angepasst an Situation, Lernstatus und Charakter des Hundes werden bei mir auch Dinge gemaßregelt, die ich nicht möchte. Ich habe meine Große schon am Nackenfell gepackt, weil die 10001te Katze plötzlich gejagt werden wollte und die Kleine mit Bein stellen geblockt, als sie der Großen hinterher und ihr in die Hacken beißen wollte. Das endete dann eben im Purzelbaum. Man hört mich hier und da mal brüllen, weil Nicki nach 5 normalen Abbrüchen gefühlt mit Mittelfinger am Gartenzaun steht und weiter kläfft. Aber nach einer Ansage haben wir das Thema wieder lange Zeit vom Tisch. Grundsätzlich ist mein Vorgehen IMMER ein positiver Aufbau jeglicher Dinge, die ich meinen Hunden lernen möchte. Wenn diese Dinge sitzen und zuverlässig in jeder Situation abrufbar sind, wende ich Abbrüche und auch in angepasster Dosis Maßregelung an, sollten sie ignoriert werden. Dabei sind mir Kleinigkeiten, die niemanden nachhaltig stören oder sich weiter in die falsche Richtung ausdehnen können, aber egal. Möchte ich quasi ein 'Sitz', weil ich im Biergarten in der Schlange stehe und sie ignoriert es, na gut, dann ist das halt so, deswegen werde ich nicht lauter oder energischer, sondern schaue, warum sie es vielleicht grade nicht ausführt und versuche es einfach nochmal. Geht sie jeden Fußgänger und anderen Hund am Zaun an, weil der ihr grade nicht in den Kram passt und ignoriert meine Bitte, das zu unterlassen, werd ich ungemütlich.


    Grundsätzlich wichtig ist mir...

    ...dass keine unfaire oder übetriebene Gewalt (psychisch wie körperlich) angewendet wird

    ...der positive Aufbau einer (sehr) guten Bindung

    ...der positive Aufbau der Grundkommandos Sitz, Platz, Bleib, Stop, Fuß

    ...dass sich meine Hunde im Ernst- und Angstfall an mir orientieren können und wollen

    ...dass sie fair und höflich anderen Lebewesen gegenüber sind, sei es Mensch, Hund oder anderes Getier (oder sie ansonsten entsprechend gesichert werden)

    ...dass ich sie zu 90% sicher und sofort abrufen oder an Ort und Stelle absetzen/legen kann, auch auf Entfernung

    ...dass sie Rücksprache halten, wenn sie außerplanmäßiges vorhaben ("oh da ist ein See, ich würde gern baden gehen".. "oh da ist ein anderer Hund den ich kenne, da würde ich gerne mal hin")

    ...dass sie eine gewisse Zeit alleine bleiben bzw. überhaupt ohne mich sein können, ohne dabei Stress zu haben (angepasst an den jeweiligen Hund)

    ...dass sie durch (sehr) gut sitzende Grundkommandos und Impulskontrolle die meiste Zeit frei laufen können und ich mich dabei auch gedanklich abwenden kann

    ...dass sie lernen und wissen, dass in den eigenen 4-Wänden bis auf Fressen, Kaukram und Leckerlisuche Ruhe herrscht

    ...dass sie wenig gestresst sind und entspannt durch's Leben gehen können

    ...dass man sich aufeinander verlassen kann


    Wie genau ich da beim jeweiligen Hund zum Ziel komme und wie weit und sicher wir dieses Ziel erreichen, das ist ja ganz unterschiedlich und wird entsprechend angepasst.

    Deshalb würde ich mir zum Beispiel nie einen Hund holen, bei dem ich weiß, dass er durch speziell gezüchtete Charaktereigenschaften eine dieser Dinge absolut nicht annähernd für mich tragbar beherrschen wird.

    Und auch kein Überraschungsei aus dem Tierschutz.


    Nicht so wichtig ist mir...

    ...dass ich meine Hunde ÜBERALL mit hinnehmen kann

    ...dass meine Hunde alle anderen Hunde gut finden

    ...dass meine Hunde stadttauglich sind

    .

  • Bis auf den allerletzten Satz finde ich deinen Beitrag großartig und könnte alles so unterschreiben.

    Bloß stadttauglich ist mir persönlich nicht so wichtig. Ich gehe selbst nicht gern in die Stadt und wenn, dann eher ohne Hund. Städtereisen grundsätzlich ohne Hund und wenn im Urlaub mal Stadttour angesagt ist, steige ich entweder aus oder Hund bleibt in FeWo. Dabei macht Kaya die Stadt auch nicht völlig fertig, aber ich finde, dass der Hund nicht in die Stadt mitmuss.

  • Das steht auch bei Kategorie 'was mir nicht so wichtig ist' :pfeif:

    Wir wohnen super ländlich und auch wenn ich in der Stadt wohnen würde, kann ich meine Hunde beim Stadtbummel oder im Eiscafe in der Innencity einfach nicht gebrauchen.


    Andere Hunden sollen sie respektieren und sich nicht aufführen, aber müssen deswegen nicht alle lieben.

  • Jetzt ein anderes Beispiel: Hund XY (ich sag den Namen nicht, weil es nicht mein Hund ist, der Fall ist aber real) HSH-Mix im Tierschutz, läuft der Pflegestellenmama überall hinterher, wird unwirsch wenn sie Gäste hat, und schließlich entscheidet er dass er sich auch in einen Eingang legen kann und sie anknurren und bedrohen wenn sie über ihn steigen will. Er begrenzt sie also sogar im eigenen Heim räumlich. Ihn da wegbewegen - keine Chance für sie. Das ist Kontrollieren im klassischen Sinne.

    Wenn der sich in den Eingang legt und eine erwachsene Person aktiv durch Drohen am Rausgehen hindert, heißt das für mich aber nicht, dass er sie beschützen will. Einen Einbrecher würde er doch auch so behandeln und den will er ja sicher nicht beschützen.

  • Dieser Thread ist echt super und kommt für mich genau zur richtigen Zeit, zieht doch am 09.07. meine kleine Papillonhündin bei uns ein.

    Ich habe auch jede Menge Hunde- und auch Rudelerfahrung. In meiner Vergangenheit lebte ich zeitweise mit einem Rudel von 5 Hunden verschiedener Rassen, verschieden alt, meist Rüden.

    Erst zum 2. Mal überhaupt werde ich jetzt die Situation erleben dass ich "nur" 1 Hund habe. Kein andere Hund bei dem Welpchen sich abgucken kann was ich wohl meine, kein anderer Hund dessen Verhalten man kopieren kann.

    Ich habe viel darüber nachgedacht weshalb meine Hunde in der Vergangenheit derart verschieden waren. Weshalb unterschieden sich 2 (verschiedene Rassen) komplett von den anderen 3. Weshalb waren diese 2 irgendwie besonders clever oder schlau? Was habe ich anders gemacht? Oder war es die Genetik? Wie soll ich meine Papillonhündin erziehen damit auch sie "schlau" wird. Gehorsam ja klar, wir leben mitten in der Grossstadt, da müssen ganz andere Sachen "funktionieren" wie bei meinem früheren Leben das ländlich war... keinesfalls möchte ich eine Marionette welche nur genau das ausführt was Frauchen möchte. Gehorsam aber kein Kadavergehorsam, sondern ein Hund mit eigenen Ideen, ein Hund der auch Probleme selber angehen kann und angeht...

    Mal sehen wie es laufen wird. Dieser Thread ist super, da so ziemlich jeder Gedanke in irgend einem Posting in Worte gefasst wurde - echt super!

  • Jetzt ein anderes Beispiel: Hund XY (ich sag den Namen nicht, weil es nicht mein Hund ist, der Fall ist aber real) HSH-Mix im Tierschutz, läuft der Pflegestellenmama überall hinterher, wird unwirsch wenn sie Gäste hat, und schließlich entscheidet er dass er sich auch in einen Eingang legen kann und sie anknurren und bedrohen wenn sie über ihn steigen will. Er begrenzt sie also sogar im eigenen Heim räumlich. Ihn da wegbewegen - keine Chance für sie. Das ist Kontrollieren im klassischen Sinne.

    Wenn der sich in den Eingang legt und eine erwachsene Person aktiv durch Drohen am Rausgehen hindert, heißt das für mich aber nicht, dass er sie beschützen will. Einen Einbrecher würde er doch auch so behandeln und den will er ja sicher nicht beschützen.

    Das ist auch nicht Beschützen. Kontrollieren im Sinne von Hüten hat teilweise mit Beschützen wollen zu tun, Kontrollieren im beschriebenen Fall XY hat nur insofern etwas mit Beschützen zu tun, als dass der Mensch auch eine Ressource sein kann. Sonst geht es hier darum, dass der Hund die Umgebung inklusive der Person darin kontrolliert.

  • Wenn der sich in den Eingang legt und eine erwachsene Person aktiv durch Drohen am Rausgehen hindert, heißt das für mich aber nicht, dass er sie beschützen will. Einen Einbrecher würde er doch auch so behandeln und den will er ja sicher nicht beschützen.

    Das ist auch nicht Beschützen. Kontrollieren im Sinne von Hüten hat teilweise mit Beschützen wollen zu tun, Kontrollieren im beschriebenen Fall XY hat nur insofern etwas mit Beschützen zu tun, als dass der Mensch auch eine Ressource sein kann. Sonst geht es hier darum, dass der Hund die Umgebung inklusive der Person darin kontrolliert.


    Ja, aber zunächst war ja die Rede von Hunden, die der Meinung sind, ihr Halter sei so schwach und müsse beschützt werden. Woran machst du das dann fest?

  • Das ist auch nicht Beschützen. Kontrollieren im Sinne von Hüten hat teilweise mit Beschützen wollen zu tun, Kontrollieren im beschriebenen Fall XY hat nur insofern etwas mit Beschützen zu tun, als dass der Mensch auch eine Ressource sein kann. Sonst geht es hier darum, dass der Hund die Umgebung inklusive der Person darin kontrolliert.


    Ja, aber zunächst war ja die Rede von Hunden, die der Meinung sind, ihr Halter sei so schwach und müsse beschützt werden. Woran machst du das dann fest?

    Hehe, das war nicht ich mit der Aussage über den schwachen Halter der beschützt werden muss 😉 Aber! Ich kann mir solche Fälle durchaus vorstellen. Das Beschützen - falls der Hund tatsächlich das Gefühl hat dass der Halter es selbst nicht hinbekommt - muss aber noch nicht mal kontrollierend sein.


    Beschützen (gerade wenn das Kontrollieren durch den Hütetrieb kommt bei einem Hund der auch Schutztrieb mitbringt wie DSH oder Aussi) kann kontrollierend sein. Muss aber nicht.


    Ich finde eben dass Kontrollieren auch ganz andere Ursachen und Funktionen hat. Die Schwäche des Halters ist dafür keine zwangsläufige Bedingung. Es kann Zwangsverhalten sein, das durch Trauma/Über-/Unterforderung entsteht, es kann an falscher vorheriger Erziehung liegen (wurde belohnt/war selbstbelohnend) oder an falscher Kommunikation (Hund glaubt es wird von ihm erwartet). Es kann schlicht und einfach ein ressourcenorientierter und wenig sozialer A****loch-Hund sein, ja auch da gibt es verschiedene Charaktere, oder einer der zufällig sehr gross und stark ist und die Erfahrung gemacht hat dass Drohen und Beißen immer zum Erfolg führt, nettes Verhalten aber nichts bringt weil eh alle vor ihm flüchten.


    Es kommt außerdem relativ selten vor. Aber nicht „nie“.

  • Ich kenne das gerne als „Kontrolletti“ beschriebene Verhalten nichtsdestotrotz in allererster Linie von Hunden, die aus Verunsicherung (in Bezug auf was oder wegen was auch immer) ihrem Halter überall hin folgen. Bis dazu, dass sie leiden oder austicken, wenn es ihnen versagt wird. Einen ernsthaften Kontrolletti würde ich vor allem dann annehmen, wenn der Hund (zusätzlich) versucht oder es schafft, den Halter räumlich zu begrenzen.


    Bei Zweien der Hunde, die mit mir gelebt haben und bei einem Hund, den ich viel betreut habe und der oft bei mir war, hat sich das „Folgeverhalten“ von selbst gelegt bzw. deutlich reduziert, sobald Bindung, Vertrauen und Selbstsicherheit beim Hund gut etabliert waren.

  • Ich kenne das gerne als „Kontrolletti“ beschriebene Verhalten nichtsdestotrotz in allererster Linie von Hunden, die aus Verunsicherung (in Bezug auf was oder wegen was auch immer) ihrem Halter überall hin folgen. Bis dazu, dass sie leiden oder austicken, wenn es ihnen versagt wird. Einen ernsthaften Kontrolletti würde ich vor allem dann annehmen, wenn der Hund (zusätzlich) versucht oder es schafft, den Halter räumlich zu begrenzen.


    Bei Zweien der Hunde, die mit mir gelebt haben und bei einem Hund, den ich viel betreut habe und der oft bei mir war, hat sich das „Folgeverhalten“ von selbst gelegt bzw. deutlich reduziert, sobald Bindung, Vertrauen und Selbstsicherheit beim Hund gut etabliert waren.

    Der „unsichere Kontrolletti“ gehört aus meiner Sicht zum Typ „Zwangsverhalten“. Unsicherheit führt ja auch zu ständiger Überforderung mit der Situation.

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