Welpenblues vs. echte Überforderung

  • Hallo ihr Lieben, ich lese seit einigen Wochen fleißig mit und konnte auch schon viel lernen. Nun brauche ich als frischgebackene Hundebesitzerin auch direkt eure Meinungen und Einschätzungen.


    Zu mir: Ich bin Anfang 30, Single, wohne in einer Großstadt in einer 2-Zimmer-Mietwohnung an einer recht lauten Straße in einer recht lauten Gegend. Innerhalb von 10 Minuten komme ich in eine grünere, ruhigere Gegend, direkt am Wasser, wo man super mit und ohne Hund spazierengehen kann.


    Ich hatte seit Jahren den Wunsch, einen Cockerspaniel als besten Freund zu haben. Ich liebe das freundliche, verschmuste Wesen und die aktive Art der Tiere sehr. Sie scheinen immer gute Laune zu haben und sind damit so anders als ich. Wann immer ich einen Cockerspaniel auf der Straße gesehen habe, ist mir das Herz aufgegangen, ich bin sogar den Besitzern "hinterherspaziert", nur um mehr von den Tieren zu sehen.


    Im April hatte ich dann einen Moment, wo ich gedacht habe, schauen wir mal, wie wir diesem Herzensprojekt nachgehen können. Und zu meiner großen Überraschung und vor allem Angst (dazu gleich mehr), zog letzten Samstag der schwarze Cocker-Rüde Jasper bei mir ein. Er ist ein Englischer Cockerspaniel, sehr lieb, aber auch sehr reizempfindlich, was bei Cockern aber ja normal ist, da sie sehr sensibel sind. Mich hat das dennoch sehr überrascht.


    Jasper, jetzt 11 Wochen, erschrickt immer noch regelmäßig vor der Klospülung und auch der erste und einzige Besuch wurde erst akzeptiert, dann hat er sich doch wieder davor gefürchtet. Meine Freundin hat bestätigt, dass Jasper wirklich sehr sensibel ist und ein kleiner Angsthase.


    Ich könnte jetzt schreiben: Er ist ein toller Hund und es läuft an sich alles normal, und das tut es auch. Eine Woche ist als Eingewöhnung ja nichts und er akzeptiert mich völlig, hört auf seinen Namen, ich konnte ihn schon erfolgreich begrenzen (er darf nicht aufs Sofa oder aufs Bett) und wir haben sehr ausgiebig das Runterkommen und Schlafen geübt. Dadurch, dass die ersten zwei Tage und Nächte mit ihm schlimm waren und ich am Montag meinen ersten Nervenzusammenbruch mit Heulkrampf hatte, lege ich jetzt viel Wert aufs Schlafen. Es hat quasi dahingehend Klick gemacht.


    So weit, so gut. Nun muss ich noch erzählen, was bei mir noch los ist. Ich habe eine Depression und eine Angststörung (hatte mal Panikattacken) und war dafür letzten Herbst in einer Klinik. Nach der Trennung von meinem Partner im Winter versuche ich nun, mir selbst gerecht zu werden und meinen Weg im Leben zu finden. Ich habe seit einigen Wochen einen festen Therapieplatz und bin dahingehend gut versorgt. Zudem nehme ich Antidepressiva, da ich mit massiven Schlafproblemen zu kämpfen hatte und generell keine gute Schlafqualität habe.


    Ich bin Vollzeit berufstätig, arbeite aber seit Monaten uneingeschränkt im HomeOffice und kann das auch bis Ende des Jahres (oder länger) beibehalten. Andernfalls hätte ich mir nie einen Hund geholt. Dazu bin ich teilselbstständig und arbeite nebenbei einige Stunden in der Woche (2-4h, kann ich mir komplett selbst einteilen).


    Ihr ahnt jetzt vielleicht schon, was kommt: Ich habe einen richtig schlimmen Welpenblues. Jasper ist der liebste, freundlichste und höflichste Hund, den ich je erlebt habe und dahingehend passt er perfekt zu mir. Ich hab nur zum dritten Mal gestern einen schlimmen Heulkrampf gehabt, weil ich so überfordert bin und meinen eigenen Bedürfnissen nicht entsprechen kann. Es ist ja nur logisch: Ein Welpe stellt das Leben auf den Kopf, man ist nicht mehr so bewegungsfrei, Schlaf ist rationiert, neue Pflichten stehen an. Ich weiß das alles.

    Dennoch hatte ich gestern ein langes Gespräch mit einer Freundin, die mir ihre Sicht geschildert und die Frage in den Raum geworfen hat: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, mir eine 24/7 Verpflichtung zu holen, wo ich schon kaum mir selbst gerecht werden kann? Ich arbeite zu viel, so oder so, und ein Hund ist eben auch Arbeit. Ihr wisst das, ich weiß das.


    Nun ist in mir der Gedanke gereift, dass es stimmen kann, dass ich mich nicht quälen muss, denn der Welpenblues kann ja, wie ich hier gelernt habe, mehrere Wochen bis Monate anhalten.

    Fairerweise muss ich sagen, dass ich in dieser ersten Woche mit Jasper Urlaub geplant hatte, der aber abgelehnt wurde. So muss ich noch 2 volle Wochen arbeiten, bis ich eine Woche Urlaub habe. Dadurch, dass Jasper so sensibel ist, seh ich uns nicht in den nächsten zwei Wochen U-Bahnfahren oder auch nur tagsüber auf die Straße gehen. Es ist wirklich sehr laut bei mir, zwei große Straßen, direkt vor meiner Haustür poltert alles vorbei, was rädert hat, der Kleine ist schon davon abgelenkt, wenn das Fenster offen ist. Was übrigens bedeutet, dass ich bei den Sommertemperaturen die Fenster auch nachts geschlossen halte (und, weil ich es schon vergessen hab). Was mir wirklich Sorgen bereitet, ist, dass ich das Gefühl habe, dass mir die Kräfte schwinden. Ich wohne im 3. OG und muss den 4,5kg-Hund hoch und runtertragen und das wird ja auch so sein, wenn er 6kg wiegt. Wir üben Treppen laufen und er macht das toll, aber es wird eben noch Monate dauern, bis er so selbstständig ist, dass ich ihn nicht mehr tragen muss. Teilweise war ich abends nach 8 so platt, dass ich mutwillig zugelassen hab, dass er in die Wohnung macht. Generell macht er häufig in die Wohnung, weil ich nur etwa 5 Mal am Tag mit ihm rausgehe, was zu wenig ist, ich weiß das. Morgens um halb 6 bin ich dann nicht schnell genug, als dass er sich nicht im Bad erleichtern würde.


    Dazu kommt eine Sache, die mich fertig macht: Jasper wufft jetzt schon viel und ich befürchte, er wird ein bellfreudiger Hund. Das ist bei Cockern ja auch keine Seltenheit, aber ich hab einen superhellhörigen Altbau und vor allem: Er erschrickt mich jedes Mal. Letzte Nacht hab ich einen Moment gebraucht, um mein Herz zu beruhigen, als er, Miniwelpe, neben mir einmal gebellt hat. Ich schlafe mit Ohropax, wohlbemerkt.


    Jetzt sollte ich noch sagen, warum ich einen Hund und speziell einen Cocker wollte: Ich liebe Apportierspiele. Ich kann mir Agility mit ihm vorstellen, ich fand den Gedanken toll, einen Hund zu erziehen und dann einen sympathischen, freundlichen Partner an meiner Seite zu haben, der zu mir gehört. Und ich wollte Bindung lernen, damit hatte ich aus psychologischen Gründen zeitlebens Probleme.


    Nun die Frage: Was sollte ich aus eurer Perspektive tun? Wie lange sollte ich den Stress aushalten, um die wahre Antwort zu kennen, ob dieser Zeitpunkt gut ist oder nicht? Ich muss dazu sagen, ich habe heute, nach einer Woche, bereits um 6 Uhr morgens gemerkt, wie schwer es mir fällt, ihn nach unten zu tragen. Aber das kann auch an der Hitze liegen. Ich hab einfach keinen Maßstab, daher bin ich für alle Gedanken und motivierenden Worte dankbar.


    Ich danke euch vorab für eure ehrlichen, unverblümten Meinungen!

  • Nun die Frage: Was sollte ich aus eurer Perspektive tun?

    Ist der Hund von einem Züchter?

    Falls ja, würde ich ganz schnell Kontakt suchen und den Hund zurückgeben.

  • Der erste Gedanke, der mir kam, nachdem ich deinen Text durch gelesen hab, war ein erschrecktes und betroffenes : das ist jetzt schon der dritte Thread zu genau demselben Thema... :(

    Du kannst jetzt nichts dafür, aber mich macht es gerade sehr traurig..


    Niemand hier im virtuellen Raum kann ermessen, wie genau! es dir mit deinem Krankheitsbild geht, wie gut du generell drauf bist oder wieviel Kraft du hast für die Aufzucht eines Welpens. Ob es lediglich ein bisschen normaler Welpenblues ist oder viel mehr.


    Ich denke folgendes: dein Hund ist ein junges Wesen, welches Anleitung, Geborgenheit und Sicherheit braucht. Und zwar noch ziemlich lange! Bis der Kleine gefestigt im Leben steht, dauert es ein paar Jahre.

    Kannst du das leisten?


    Nicht er hat die Aufgabe, dich zu stabilisieren, sondern umgekehrt du musst ihn stabilisieren. Traust du dir das zu?

    Ist es nicht total unfair und egoistisch, seine eigene Lebenslast auf ein Hundekind abzuladen?


    Ich wünsche dir von Herzen alles Gute, und auch deinem Hundekind.

  • Zuerst mal; Woher hast du denn den Hund?

    Ich an deiner Stelle würde mir gut überlegen obs dem kleinen in einem Hundefreundlicheren Umfeld nicht besser gehen würde....

  • Es war nie mein Gedanke, dass der Hund mich therapieren soll, wirklich nicht. Und ich war mir der Verantwortung immer bewusst. Was mir jetzt, glaube ich, einen Knüppel zwischen die Beine schlägt, das sind meine körperlichen Kräfte. Bzw. deren Fehlen.


    Ich hab auch immer gedacht: Was sind das für Leute, die sich einen Hund holen, so unüberlegt, so fahrig und ohne das langfristig zu durchdenken. So war es bei mir nicht. Ich habe seit einem Jahrzehnt von einem Hund geredet, alle meine Freunde meinte: Endlich machst du's! Und ich empfinde auch Scham, aber am Ende zählt, was das beste für den Hund ist.


    Er kommt von einer guten Züchterin, ich habe sie schon kontaktiert. Leider antwortet die Frau meist erst nach einigen Tagen, was jetzt sehr kontraproduktiv ist. Eig weiß ich, was zu tun ist, es ist nur auch Traurigkeit und Verzweiflung bei mir, dass ich da jetzt so "versage".

  • Dem kann ich mich nur anschließen.


    Massive psychische Erkrankungen und Welpe ist eine Kombination, die leider unterschätzt wird.


    Gib dir selbst und auch dem Kleinen eine Chance auf ein wohltuenderes Leben - getrennt.

  • Hallo,

    grundsätzlich bin ich schon der Meinung, dass auch ein Hundebaby einem Menschen mit psychischen Belastungen helfen kann, das Leben mit Leben und Struktur zu füllen. ( Habe häufiger mit dem Thema zu tun)


    Doch ehrlich gesagt wenn du es jetzt schon nicht schaffst, mit dem Welpen so regelmäßig rauszugehen wie es gefordert ist, damit dieses Wesen einen Hauch der Chance kriegt stubenrein zu werden...... Das ist so nicht gut!! Kann vielleicht jemand für einige Zeit bei dir einziehen und dich unterstützen? Sonst müsstest du wirklich über die Abgabe des Hundes nachdenken....

  • Er kommt von einer guten Züchterin, ich habe sie schon kontaktiert. Leider antwortet die Frau meist erst nach einigen Tagen, was jetzt sehr kontraproduktiv ist. Eig weiß ich, was zu tun ist, es ist nur auch Traurigkeit und Verzweiflung bei mir, dass ich da jetzt so "versage".

    :streichel:

    Versagen würdest du nur dann, wenn du dir keine Gedanken um deinen Hund machen und es weiter laufen lassen würdest.


    Noch ein Gedankenanstoß:

    Es muss in dem Fall zb, dass du ins KH müsstest oder völlig ausfallen würdest, jemand absolut Zuverlässiges da sein, der dann den Hund ohne wenn und aber sofort nimmt und versorgt.

    Wenn du zB keine Kraft mehr hast.

    Hättest du so Jemanden gehabt?

  • Es kann helfen - allerdings sollten Betroffene solche Entscheidungen mit professioneller Unterstützung treffen; durch Hundetrainer und menschlichem Profi.


    Der Betroffene allein - gerade als Ersthundehalter, überschätzt sonst sich selbst und unterschätzt die Herausforderungen der Hunde- und speziell der Welpenhaltung.


    Insgesamt ein ganz schlechtes Feld für Experimente, weil zwei Wesen Schaden zu nehmen drohen.

  • Liebe Estelle


    Nachdem ich deinen Text gelesen habe, war mir auch etwas mulmig zu Mute... Ich habe das Gefühl, dass dein beschriebenes Umfeld gekoppelt mit deiner persönlichen Lage nicht für die Aufzucht eines Welpen geeignet sind. Welpen sind viel Arbeit und auch wenn man keine Krankheitsgeschichte mit sich trägt, ist es anstrengend (das habe ich auch bei mir gemerkt und ich denke, dass ich keinen schwierigen Welpen habe :roll: ).


    Ich würde mir für Jasper wünschen, dass er mit jemandem aufwachsen kann, der ihm wirklich viel Zeit und Aufmerksamkeit schenken kann, damit er sich gut entwickelt. Wenn du jetzt schon merkst, dass du an deine Grenzen kommst, dann ist das weder für dich, noch für Jasper förderlich. Es ist wie Donna63 sagte: Du musst der Fels in der Brandung sein. Nicht umgekehrt. Jasper ist abhängig von dir und wird es in diesem grossen Ausmaß auch noch eine Weile bleiben.


    Ich finde, dass dir auch keine falsche Scham im Wege stehen sollte, um mit dem Züchter (ich gehe einfach mal davon aus, dass Jasper von einem verantwortungsvollen Züchter kommt) in Kontakt zu treten. Das wäre in meinen Augen der beste Weg. Übrigens: auch im Wurf von meinem Welpen kam ein Bruder wieder zu den Züchtern zurück. Nur ein paar Tage später hatte er aber bereits wieder ein neues Zuhause gefunden und es geht allen Beteiligten super. Vielleicht nimmt dir diese Schilderung ein wenig die Angst vor dem „Was soll denn dann aus ihm werden?“.


    Ich wünsche euch alles Gute!

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