Was prägt den Hund fürs Leben?

  • Vielleicht erklärt sich von selbst, durch welchen Thread ich auf das Thema komme...


    Die Fragestellung:

    In welcher Lebensphase werden die Weichen gestellt?


    Im Thread ist die TE der Überzeugung, ihr Hund hat einen Knacks, weil die Aufzucht mies war. Der Hund kommt nach eigener Aussage "vom Vermehrer", wird im Garten gehalten und der Ehemann mag keine Hunde.


    Ich habe jetzt folgende Erfahrung:

    Meine Eltern hatten immer Hunde aus Hofaufzucht, die dann im Haus gehalten wurden und völlig unauffällig waren.


    Zwei meiner eigenen Hunde sind ihr erstes Jahr isoliert gehalten worden und waren davon deutlich traumatisiert. Die Folgen waren bei beiden "behandelbar", aber grundsätzlich irreversibel.


    Mein aktueller Junghund wurde im Zwinger aufgezogen, lebt seither mit mir im Vw-Bus und ist rotzfrech und nervenstark.


    Ungezählte Hunde (auch eigene von mir) waren im Tierheim teils jahrelang in Zwingerhaltung und dabei und später nicht verhaltensauffällig.


    Die mir bekannten Hunde in Zwingerhaltung haben in der Zeit die ich beobachten durfte keine Ablehnung durch Menschen erlebt. Meine erste Hündin hatte sich nach TH-Aussage aufgegeben und hätte die Zwingerhaltung nicht viel länger überlebt, alle anderen waren auch nach Monaten nicht auffälliger als zu Beginn ihrer Zeit in Tierheim, die meisten haben sich eher zum besseren verändert.


    Meine Erfahrung geht also eher dahin, daß Hunde in ihrer Jugend nachhaltig "versaut" wurden, nicht als Welpen, nicht als bereits gefestigte ausgewachsene Hunde.


    Meine Vermutung wäre, daß man vieles aus den ersten Wochen ausbügeln kann, daß gefestigte Hunde vieles wegstecken können und dagegen die Junghundphase eine sehr kritische Phase ist, in der viel richtig oder falsch gemacht werden kann was dann prägend für den Hund ist.


    Selbstredend spielt Aufzucht, Charakter, Genetik auch eine Rolle, auch darin wie Hunde mit Umständen umgehen, trotzdem habe ich den Eindruck, daß die Weichen eigentlich in den ersten ein bis zwei Jahren gestellt werden, nicht so sehr in den ersten 8 Wochen.


    Vielleicht wäre das Thema spannend genug, um es losgelöst vom anderen Thread zu diskutieren.

  • Ps: die Aufzucht der Familienhunde und vom aktuellen Junghund habe ich als liebevoll erlebt. Hof und Zwinger zwar, aber die Hunde wurden sehr gut behandelt und sind kleine selbstbewusste Hunde gewesen, als sie in die Welt gezogen sind.

    Also keine Konfrontation mit Umweltreizen, aber ein gebogenes Nest und tolle Menschen und Hundefamilien.

  • Meine beiden Hunde kamen ja erst mit 11 Monaten und 2 Jahren zu uns. Von beiden bekam ich die erste Lebenszeit erzählt, und das hat beide definitiv auch geprägt.

    Was durchgehend zu merken war!


    Max war zuerst wohl viel alleine mit Artgenossen ohne allzuviel menschlichen Kontakt. Später dann schlechte Erfahrungen mit Kindern und keine Zeit für ihn. Er war viel alleine, auch ohne andere Hunde.


    Dexter hatte immer Kontakte, leider unangeleitetund ohne Hilfe vom Menschen. Er hatte nachhaltig gelernt sich irgendwie wehren zu müssen, war dann zuerst ein ziemlicher hysterischer Kläffer, wenn er andere Hunde gesehen hat.


    Beide haben nicht die besten Nerven. Aber beide ließen sich dennoch gut trainieren und sind heute weitgehend unauffällig.

    Machen durchaus auch anspruchsvolle Dinge, wie eben ein Begleithund zu sein, der überall mit hinkommen kann ohne negativ aufzufallen oder sich zu stressen.


    Vorraussetzung war bei beiden, dass sie sich auf den Menschen verlassen können, Vertrauen in uns haben, dass wir sie im Zweifel schützen.


    Der Weg war vorallem bei Max etwas länger, aber machbar. Insofern glaube ich fest daran, dass man sehr viel wieder hinbekommen kann. Auch wenn es manchmal viel Zeit braucht.


    Ich persönlich glaube nicht daran, dass ein Hund ohne Vorwarnung nach 2 oder 3 Jahren ganz plötzlich austickt, dass das an der Prägezeit liegt.

    Sofern gesundheitliche Gründe ausgeschlossen werden können, dürfte das eher eine Fehleinschätzung der Halter sein, und dass man Warnungen lange übersehen hat.

  • Ich glaube, dass die Grundsteine in der Welpenzeit gelegt werden. Im Junghundalter wird das dann gefestigt und neue/andere Reize werden auch ins "Fundament" eingearbeitet.

    Wenns in der Welpenzeit nun so gar keine Reize gibt, das im Junghundalter (bis +-1 Jahr) aber nachgeholt wird, bleiben meiner Meinung nach "nur" leichte Lernprobleme, ggf. Unsicherheit usw. Die lassen sich sicher nie völlig ausmerzen, aber ich denke, man kann dem Hund mit genügend angepasstem Training dann auch genug Werkzeuge an die Hand geben, damit diese Dinge fast gar nicht auffallen.


    Fehlen in der Welpen- UND Junghundezeit nun aber die gängigen Reize, sodass weder die Basis gelegt noch gefestigt werden kann ... ja, hm, schwierig. Ich glaube, da ist es dann ganz besonders wichtig, dass der Halter sich in den Hund einfühlen und dadurch auch geduldig sein kann, dass man sich auch Zeit nimmt, um dem evtl. vernachlässigtem Hund die wichtigsten Dinge nahezubringen.

    Gleichzeitig muss man sich aber auch damit abfinden, dass der Hund immer speziell und mental eingeschränkt bleiben wird, manche Verhaltensweisen einen ständig begleiten usw.


    Wie meine eigenen Hunde aufgewachsen sind, weiß ich entweder gar nicht oder nur extrem grob. Von Dinos Vorleben ist mir noch am meisten bekannt, weil ich auch guten Kontakt zu seinen Vorbesitzern habe.

    Ich nehm bei den dreien aber auch keine besonderen Defizite wahr ... gut, Bonny steht sich mit ihrer Aufregung manchmal selbst im Weg, Masha ist nicht sooo menschenorientiert wie Dino und Bonns und der Große ist in Hinsicht auf Menschen etwas speziell, aber sonst gibt's da nicht wirklich etwas, was man nicht auch mit den Rasseeigenschaften und Führungs-/Erziehungsfehlern meinerseits erklären könnte.

  • Ich denke, dass "was" und das "ab welchem Ausmaß wird es prägnant", hängt zu seinem sehr großen Teil vom Individuum und der Rasse ab.


    Ein Eigenständiger Hund wird bspw mit kurz gehaltenem Menschenkontakt besser zurecht kommen, als einer der sich sehr stark an seine Menschen bindet und sie am liebsten immer um sich herum hätte.

    Ein Hund mit robustem Nervenkostüm hält länger aus als ein Hund mit Wesensschwäche.

    Ein Sensibelchen ist leichter nachhaltig zu beeindrucken als ein Backsteinhund.


    Von daher kann man da denke ich pauschal nix beantworten. Fakt in dem genannten Beispiel ist jedoch, dass der Hund ein soziales Lebewesen ist, und Kontakte braucht. Zwar in verschiedenem Ausmaß, aber es sind keine Einzelgänger.

    Dem entsprechend wird ein Leben in Isolation früher oder später jedem Hund nachhaltig schaden.


    Tierheim ist da find ich bissl was Anderes. Im Tierheim ist immer was los und im Grunde ist ein Hund dort nie ganz allein. ( außer evtl in der Quarantine oder gänzlich Unverträglich)

  • Es kommt auf Hund (Charakter,Rasse), Art der Schädigung, welche Genetik, was gibt die Mutter als Lösung dem Hund mit, Umfeld, wann passenden Trainer gefunden, körperlich gesund/krank und wie gut sich der Halter schlägt, an. Von daher kann man das so nicht sagen, was den einzelnen Hund nun geprägt hat und was nicht.


    Was nicht sein kann das man das drei Jahre nicht merkt. Tatsächlich habe ich inzwischen mehrere Hunde kennengelernt die einen "Schaden" (ich finde das Wort schrecklich; sie sind halt irgendwie anders) haben und bei allen war sehr früh klar das was anders ist. Es ging nur jeder Halter anders damit um. Einige sind mit drei Jahren bei einer guten Basis, andere sind dann erst richtig in der Hölle, weil der Hund erwachsen wird und man vorher alles verschlafen hat, bzw. Die falschen Ratgeber hatte. Und natürlich gibt es auch alles dazwischen.

  • hasilein75 hat es eigentlich perfekt zusammengefasst. Was Genetik und was Sozialisation ausmacht - da schwankts ja auch beim Menschen heftig in den jeweiligen Erklärungsansätzen. Und in der Erforschung von Epigenetik stehen wir ja noch nicht besonders weit. Diese 3 Faktoren machen es aus. Die genaue Ausprägung ist dann wieder recht individuell. Und ob es sich als „problematisch“ bemerkbar macht, das hängt ja aich vom Umfeld und dessen Wertung ab


    Meine zweite Hündin hat einen Deprivationsschaden. Der ist wahrscheinlich bereits vor der 8. Woche entstanden. Und er geht auch nicht mehr weg, mit dem müssen wir und sie leben. Und sie ist in ihren ersten zwei Lebensjahren - nachdem sie auf der Straße aufgegriffen wurde - erst im Shelter gewesen, da beinah verhungert, dann nach Deutschland verfrachtet worden, wo sie in dauernder Angst gelebt hat.


    Für jegliche Form anspruchsvolleren Sports ist sie vermutlich alleine schon wegen des Deprivationsschadens nicht zu gebrauchen, insofern hat dieser schon „Weichen gestellt.“ Für ein Dasein als nervenstarker gelassener Hund fehlts zusätzlich an in der Jugendzeit erworbenen Kompetenzen, ein „unkomplizierter Stadtbegleiter“ wird nie aus ihr werden. Doch hier auf dem Land und in unserem ruhigen Haushalt - und mit unserer ersten Hündin im Rücken - fallen ihre „Besonderheiten“ gar nicht sonderlich auf. Das passt einfach, sie hat sich unserem Alltag angepasst und wir uns ihrem. Und ich würde behaupten, sie ist glücklich dabei.


    Auch das „versaut“ - darauf wollte ich hinaus - ist eine Frage der Perspektive. Was es noch komplizierter macht. Wenn man einen Hund für einen speziellen Zweck braucht, dann sorgt man im Idealfall dafür, dass alles soweit stimmt: Eltern und Ahnen, soweit nachprüfbar, Verpaarung, Aufzucht, Sozialisation. Und man kann sich vermutlich an allen Stellen „ins Knie schießen.“


    Zu dem Thread: So aus reiner Logik heraus, ich selbst bin kein Hundesportler: Wenn ich in einem Sport glänzen will, bei dem ich ganz präzise, vertrauensvoll und in Einklang mit meinem Hund arbeiten muss und ihm auch in höchster Trieblage Disziplin abverlangen muss, dann sorge ich auch dafür, dass wir ein verdammt gutes Team sind. Und das geht nur, wenn er mich als verlässlichen und kompetenten Sozialpartner erlebt, der ihn und seine Bedürfnisse ernst nimmt.


    Früher gabs das mal anders, aber da hat man die Disziplin auch mit Mitteln abgerufen, über die mag man heute nicht mehr nachdenken. Und auch schon früher gabs andere Ansätze. Mein Großvater hatte da immer sehr viel erzählt. Ist aber ein anderes Thema

  • Gene kann man weder weg erziehen noch weg lieben. Ich hatte eine Inzuchtshündin aus dem Tierheim. Caya hatte wirklich einen "Schaden". Ja es klingt böse aber ist es nicht. Sie war einfach nicht normal. Ich habe nicht erst seit gestern Hunde, sie war nicht unser erster Spitz und wurde nicht anders aufgezogen wie unsere anderen Hunde. Aber einen Hund, der nur gestresst ist oder hinter der Couch liegt, der ständig lauthals schreit, niemals entspannt Gassi gehen kann, beim Fressen vor lauter Gier zusammen bricht und fast erstickt SOWAS erlebt man nicht oft. Sie wurde übrigens nur 8 Jahre alt. Also ja Gene spielen eine Rolle. Aber sie sind nicht die Generalausrede für alles. Wenn ich meinen Hund versaue oder mies behandle nützen die besten Gene nichts.


    Zusätzlich zu den Genen noch wurde die anderen hier schon sagten. Aufzucht, Haltung und Erfahrungen. Man kann einiges herausholen und versuchen Löcher zu stopfen. Macht aber Arbeit.

  • Die Umstände können viel früher versaut werden. Ich bekam meine Schäferhündin halbverhungert mit 7 Wochen.

    Grober Hintergrund: Privatvermehrung, Hündin bekam 8 Welpen in einer Wohnung. Hündin starb/verhungerte, 6 ihrer Welpen ebenso (die exakten Umstände bzw Reihenfolge weiss ich nicht). Zwei restliche Welpen wurden dann verzweifelt bei meiner Staffelkollegin abgegeben. Die Leute hatten vorher noch versucht die Welpen irgendwie laienhaft zu ernähren. Übrig blieben zwei nur etwas mehr als 1 kg leichte halbverhungerte Stöpsel mit viel Überlebenswillen. Normal wären ca. 5 kg gewesen.


    Ich habe sie sofort Welpengerecht in meinen üblichen Alltag mit gut sozialisiertem Zweithund integriert, aufgepäppelt und ihr die Welt gezeigt.


    Trotzdem zeigte sie DeprivationsSymptome.

    Sie zeigte mmer ein starkes fiddeliges Junghundeverhalten, war hochsensibel und Konfliktsscheu, sehr schnell überfordert, hatte starke Lernschwierigkeiten, war etwas autistisch, fühlte sich unwohl wenn sie räumlich eingeengt war und nicht weg konnte (zu kleine Räume mit verschlossener Tür, angebunden im Restaurant usw.)Obwohl sie alles mal in den ersten Wochen und Monaten gelernt hat. Insgesamt einfach kein Schäferhund typisches Verhalten. Aussenstehende merkten ihr auch nichts an, ausser dass sie ein extrem freundlicher und umgänglicher Hund war.

    Natürlich kann es gut sein, dass alles viel schlimmer hatte kommen können durch schlechtere Junghundesozialisierung. Gerüchteweise habe ich gehört, dass ihre Schwester wegen Aggressionsproblemen wieder abgegeben wurde. Sie war damals auch gleich bei einer Vereinskollegin untergekommen. Def Verein löste sich aber bald auf und der Kontakt verschwand. Vielleicht habe ich noch das Beste aus meiner Hündin raus geholt.


    Was es nun exakt bei ihr war, Epigenetische Hintergründe, die ersten 7 Wochen Aufzucht...Keine Ahnung. Ein komplett normaler Hund war sie aber nie.

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