Hund aus Tierheim kommt nicht zur Ruhe

  • Hallo, bei uns wohnt seit Mitte Dezember ein Colliemix-Rüde aus dem Tierschutz mit weitestgehend unbekannter Vorgeschichte, außer, dass er wohl ein Zuhause hatte. Er wurde vor einem Supermarkt ausgesetzt und ist ca. 10-12 Monate alt. Evtl. eine "Lockdown-Anschaffung", die irgendwann nicht mehr gewollt war? Nachdem er gefunden wurde hat er noch ca. 6 Wochen im Tierheim verbracht und ist nun bei uns.


    Er ist grundsätzlich aufgeschlossen, freundlich und sanft, relativ ruhig für sein Alter, nicht ängstlich. So auch die Einschätzung des Tierheims. Die ersten 2 Tage waren auch ziemlich entspannt, dann kam eine recht plötzliche Veränderung. Er hat auf einmal angefangen mich drinnen massiv zu belästigen in Form von an mir hochsteigen und an mir herumknabbern und auf meinem Arm herumkauen. Er war dabei relativ „sanft“, zumindest nicht hektisch oder wild, aber eben sehr distanzlos, ausdauernd und hat sich einfach nicht davon abbringen lassen. Besonders beim essen oder in Situationen, wo er keine Beachtung bekommt und auch sonst nichts passiert, z.B. ich alleine mit ihm Zuhause bin und am Rechner sitze. Als ob er nicht wüsste, was er mit der Ruhe anfangen sollte. Er kommt allgemein kaum zur Ruhe im Haus, legt sich selten hin, ist immer auf der Suche nach irgendetwas zu tun (Sachen klauen und anknabbern, irgendwo hochspringen, Sachen umwerfen,...). Das Bedrängen nahm immer mehr zu und er hat auf keine Abstandssignale reagiert. Ich würde eigentlich von mir behaupten, dass ich mich in „Hundesprache“ normalerweise recht gut verständlich machen kann, aber nichts kam an. Ausprobiert habe ich verschiedenes: ignorieren und wegdrehen/gehen, kommentarlos wegschieben, mit dem Körper wegdrängen oder auch mal in die Seite „knuffen“. Ich habe versucht ihn auf einen Platz zu verweisen und ihn dort bleiben zu lassen. Entweder durch immer wieder in den Weg stellen oder immer wieder ruhiges zurückbringen. Irgendwann wurde er dann aber richtig gestresst und fing an mich hysterisch anzubellen oder sich in den Schwanz zu beißen. Dann habe ich die Situation abgebrochen indem ich mit ihm rausgegangen bin. Da war es dann ok. Diese Situation hatten wir jetzt ein paar Mal.


    Ich habe dann direkt eine Trainerin angerufen, die auch gleich vorbeikam. Sie meinte er sei wahrscheinlich einfach sehr gestresst von der Umstellung und massiv überfordert mit allem. Sie riet uns zu viel Ruhe, kurzen und „langweiligen“ Spaziergängen und viel Kaustangen/Kong/etc, damit er runterkommt. Was wir eigentlich - bis auf die Kausachen - so auch schon gehandhabt hatten. Tagsüber gehen wir 2-3 Mal die selbe Runde, ca. 15-20 Minuten. Dann ab und an noch kurz Pipi im Garten.


    Und sie zeigte mir, wie ich ihn von mir wegschieben sollte, wenn er mich bedrängt: Ganz ruhig bleiben, kein Blickkontakt, kein Wort, nur die flache entgegengestreckte Hand als Stop-Signal und nötigenfalls mit der anderen Hand zusätzlich wegschieben. Kurzes, ruhiges Lob, wenn er ablässt oder sich hinlegt (Hat bei ihr super geklappt). Bei mir leider, nachdem sie weg war, wieder gar nicht. Er hat einfach immer weitergemacht. Wir haben dann ein Türgitter zwischen Flur und Wohnraum installiert, um ihn auf Distanz zu halten. Ich habe mich dann direkt neben dem Gitter hingelegt und lag einfach ruhig da. Er ist dann erstmal aufgedreht, hat am Gitter gekratzt und gekaut, ist umhergerannt, hat gebellt und ist an der Haustür hochgesprungen. Nach ca. 10 Minuten hat er sich ans Gitter gelegt, hat noch ein bisschen gekratzt und gekaut und ist dann schließlich tief und fest eingeschlafen. Auch danach ist er recht ruhig dort im Flur geblieben.


    Seitdem machen wir es so, dass er grundsätzlich tagsüber, wenn wir daheim sind, im Flur ausgesperrt bleibt, wenn er sonst nicht zur Ruhe kommt (Was bisher leider fast immer der Fall ist, außer abends). Er geht mich seitdem körperlich so gut wie gar nicht mehr an. Aber er findet es jedesmal aufs neue blöd, ausgesperrt zu sein und spult erstmal sein Protest-Programm ab, bis er irgendwann zur Ruhe kommt. Ich habe mittlerweile im Flur alles was ging aus dem Weg geräumt, dass ich möglichst wenig eingreifen muss und einfach Ruhe ausstrahlen kann auf der anderen Seite des Gitters. Ich habe das Gefühl, dass er dann auch irgendwie total erleichtert ist, wenn er es irgendwann geschafft hat, sich hinzulegen. Vielleicht hat er in seinem früheren Leben nicht gelernt, zu ruhen? Vielleicht zu früh von der Mama getrennt worden und dann bei seinen Menschen keine Ruhephasen gehabt?


    Abends ist es komischerweise meistens kein Problem mit allen gemeinsam im Wohnzimmer zu sein, da entspannt er dann mit uns zusammen. Da können wir dann auch endlich mal ein bisschen Kuscheln. Tagsüber undenkbar, weil er dann total aufdreht. Nachts schläft er mit im Schlafzimmer und es ist kein Problem (bis darauf, dass er lieber im Bett schlafen würde. Das er das nicht darf akzeptiert er aber mittlerweile).


    Hat jemand hier vielleicht ähnliche Erfahrungen oder eine Vermutung, was dahinterstecken könnte? Oder noch weitere Tipps? Unserer Trainerin hat leider Urlaub bis Mitte Januar. Ich freue mich auf den Austausch mit euch. Vielen Dank und liebe Grüße, SAMI

    (Sorry für den langen Text)

  • Wir hatten das gleiche Problem vor exakt 3 Jahren. Anfang Dezember zog unsere Hündin aus dem Tierheim ein (kam allerdings ursprünglich aus Bulgarien), die ersten Tage wurde viel geschlafen und dann kam Weihnachten. Besuch, Trubel, Alle Zuhause - sie kam gar nicht mehr zur Ruhe. War unruhig, hat überhaupt nicht geschlafen und ist mir permanent hinterher gewackelt. Das war einfach alles zu viel für sie. Ich habs dann auch mit Türgittern versucht, war nur ein mäßiger Erfolg.


    Hier war der Spuk nach ungefähr 2 Wochen wieder vorbei, als alles wieder so halbwegs normal lief. Ich denke, es ist einfach eine sehr große Umstellung, der Stress vom Tierheim wird noch nachwirken, die neuen Lebensumstände...


    Macht langsam, lernt Euch kennen, etabliert feste Strukturen und Routinen/Abläufe und strahlt viel Ruhe aus. Dann wird das sicher in den nächsten Tagen/Wochen auch besser. Es dauert bis sich der Stresspegel normalisiert.


    Unsere Leni hat sich gern ins Schlafzimmer zurückgezogen, am Liebsten ins Bett. Wenn Ihr das nicht möchtet könnt Ihr ihm trotzdem im Schlafzimmer eine gemütliche und ruhige Ecke einrichten in der er auch tagsüber mal abschalten kann? Der Flur ist mMn zu unruhig, da läuft man ja doch öfter mal durch.

  • Wenn Ihr das nicht möchtet könnt Ihr ihm trotzdem im Schlafzimmer eine gemütliche und ruhige Ecke einrichten in der er auch tagsüber mal abschalten kann?

    Das wäre auch mein Vorschlag. Vielleicht hilft ihm ja eine Art Höhle, hier wird die jedenfalls sehr sehr gerne angenommen - von allen drei Hunden. Ich hab zwei größere Stoffboxen, die gibt es immer mal wieder günstig auf eBay Kleinanzeigen. Du kannst natürlich auch eine stabilere Gitterbox kaufen und mit alten Decken abhängen. Alte Decken deshalb, damits nicht so schlimm ist, wenn er da doch mal dran kaut.


    Zusätzlich könntest du zB Leberwurst und Joghurt mischen, in einen Kong schmieren, einfrieren und dann als ruhige Beschäftigung anbieten. Damit sind meine dann auch immer eine ganze Weile beschäftigt. Durch das Lecken und Kauen kommen die Hunde im Normalfall auch gut runter.


    Derlei Kauspielzeuge würde ich ihm immer an seinem Ruheplatz (den könntet ihr auch mittels Welpengitter deutlich abtrennen) geben.


    Meinem Rüden hilft momentan auch Körperkontakt und - ganz wichtig für ihn - gemeinsames Ruhen. Nach einem anstrengenden Tag sitzen wir dann oft zusammen auf dem Sofa, er kuschelt sich irgendwo an oder auch nicht und ich les irgendwas. Und da döst er dann einfach, gern auch den lieben langen Tag.


    Halt durch. Es wird besser und du hast ja schon eine Trainerin an der Hand. =)

  • Danke für eure Antworten! Das mit der Box hatten wir mal probiert, da wollte er nicht rein. Habt ihr das trainiert? Oder einfach hingestellt? Das Problem ist momentan auch, dass er mir am liebsten jeden Schritt hinterher laufen würde. Es macht den Eindruck, als wolle/könne er sich nicht zurückziehen. Von daher würde er sicher nicht freiwillig allein ins Schlafzimmer gehen, zumal es im anderen Stockwerk ist. Ich war auch schon mal zusammen mit ihm oben, in der Hoffnung er würde da runterkommen. Da ist er dann total aufgedreht, weil der Rest der Familie ja unten war und er die Geräusche gehört hat.


    Unten ist nur der Flur und ein großer Wohnbereich mit Küche. Wir versuchen dann, den Flur so gut es geht nicht zu nutzen und im Wohnbereich zu bleiben, während er schläft 🤷🏼‍♀️


    Ich hoffe auch, dass die Zeit das regeln wird und der Stresspegel langsam abfällt. Ja, Weihnachten war natürlich kontraproduktiv. Ich hab deshalb auch den halben Abend mit Hund im Gartenhaus verbracht 🙈

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  • Heißt das, er kennt es noch gar nicht so wirklich, mal von Euch getrennt und allein zu sein? Außerhalb des begonnenen Train8ngs?


    Er braucht dringend die Möglichkeit, abzuschalten und zur Ruhe zu kommen, auch wenn er die nicht von sich aus sucht bzw. sich an Euch klammert. Eure Strategie finde ich gar nicht so schlecht, ggf. wie beim Welpen mit Türgittern arbeiten statt mit festen Türen.


    Und gebt dem Ganzen Zeit :smile:

  • Würdest du sagen, wir sollten das allein sein schon mehr trainieren? Das haben wir tatsächlich noch nicht gemacht, bis auf mal kurz Müll raus bringen oder Toilette oder so. Aus Angst, dass er dann alleine durchdrehet und alles zerstört. Hast du dazu noch Tipps, wie wir das am besten aufbauen ?

  • Ich finds total schön zu lesen, welche Mühe ihr euch gebt um ihm zu helfen. Allein die Sache mit dem Gartenhaus.

    Ich könnte mir vorstellen, dass ihr mit Geduld ein tolles Team werdet.

    Leider kann ich mangels Erfahrung nicht helfen aber es liest sich alles sehr liebevoll und das wollt ich mal loswerden.

  • Danke für die lieben Worte. Ja, wir tun was wir können.


    Noch eine typische Situation: Morgens, wenn er hört, dass jemand anderes schon wach und unten sind, will er unbedingt dort hin und dreht total auf. Ich war dann meistens schon kurz mit im draußen gewesen für pipi und kacka und sein Frühstück hat er auch schon intus dann. Ich versuche das Verhalten mit ignorieren zu erwiedern, was nur mäßig funktioniert. Ich will aber auch nicht nachgeben und raus gehen, wenn er nur genug Terror macht. Er spring dann auch immer wieder aufs Bett und knabbert in meinen Arm, rennt rum, kratzt an der Tür. Kausachen werden nicht genommen dann, lieber Hausschuhe, Kleidung etc. 🙄 Jemand noch einen Tipp für diese Situation?

  • Erstmal großes Lob!

    Das, was man lesen kann, klingt sehr reflektiert und liebevoll. Du machst den Eindruck, das du nicht schnell aufgibst und ich bin fest davon überzeugt, dass du deinen kleinen Wildfang noch super hin bekommen wirst.


    Bei uns war es ähnlich wie bei euch: meine Bordercollie Hündin Donna kam im Alter von ca 8 Monaten zu uns aus Slowenien an, frisch und zu früh kastriert, traumatisiert und völlig durch geknallt.

    Um dir einen Zeitrahmen zu nennen zum Vergleich: die ersten 4 bis 5 Monate waren richtig schlimm :dizzy_face: , danach wurde es nach und nach besser, nach einem Jahr war sie richtig bei uns angekommen und jetzt ist sie 2,5 Jahre da und ein großer Schatz.💓


    Ich finde deine Trainingsrichtung prinzipiell gut.


    Bei uns war es sogar so, dass Donna in typische BC- Verhaltens- Stereotypen verfallen ist, ständig Lichtpunkte gejagt hat und nur schlafen konnte, wenn es komplett ruhig war. Die ersten Wochen sind wir dann tatsächlich alle Mann um 20.00 Uhr im Bett gewesen - ohne Fernsehen und ohne Licht an, damit es wirklich ruhig war.

    Für meinen Mann eine sehr schwere Zeit, weil es war gerade Fussball EM und er hat einige Spiel verpasst weil wir so früh ins Bett mussten. :woozy_face:


    Was ich an deiner Stelle ein klein bisschen anders machen würde:

    ich finde die Gassi-Zeiten zu kurz für einen Junghund in dem Alter.

    Ich habe es so gemacht, dass ich eine ruhige Wiese gesucht habe, den Hund an die Schleppleine und dann aber auch mal eine Dreiviertel- oder Stunde dort hab spielen, mäuseln und laufen hab lassen. Meiner Meinung nach braucht er mehr körperliche Auslastung - aber ohne komplettes Ausrasten oder Überforderung natürlich. Also kein Leinentraining an der Strasse oder Stadtausflug natürlich, aber die Beine strecken und sich müde machen.

    Wirf ihm zb eine Handvoll Futter ins Gras und lass ihn das suchen, dann ist der Kopf ein bisschen beschäftigt.


    Er muss langsam lernen: draussen ist Arbeit, drinnen ist Ruhe.

    Wenn er dann von draussen müde ist und alle Geschäfte erledigt sind, dann gibst du ihm zu Hause seine Mahlzeit und gibst ihn an seinen Ruheort. Mit vollem Bauch und ausgelaufen wird er sicherlich schlafen können. Das ritualisierst du dann, dag dann zb "Geh schlafen" oder "Pause". Später weiss er bei diesem Wort, dass er schlafen gehen kann.


    Ich versuche das Verhalten mit ignorieren zu erwiedern, was nur mäßig funktioniert

    Das reine Ignorieren hätte bei Donna auch nicht funktioniert. In solchen Situationen hab ich sie deutlich abgebrochen..ZB laut in die Hände geklatscht, einen kleinen Schritt vorgebeugt auf sie zu, drohend in die Augen geschaut, mich steif gemacht und "Nein!" gesagt.

    Du musst bedenken, dass dein Hund die menschliche Sprache noch nicht kennt, er kennt kein "Nein". Also brauchst du Körpersprache, die er verstehen kann.


    Ich will aber auch nicht nachgeben und raus gehen, wenn er nur genug Terror macht.

    Das find ich gut!👍

  • Danke für deinen Erfahrungsbericht und die Tipps. Die Idee mit der fehlenden körperlichen Auslastung hatte ich auch schon. Allerdings meinte die Trainerin, dass langes draußen sein momemtan noch zu viel input sei. Aber vielleicht versuchen wir es einfach mal. Vielleicht dann eher im Garten? Der ist groß und umzäunt. Oder würdest du wirklich raus gehen, dass er den unterschied zuhause und draußen (=arbeit) versteht?


    Mit den körperlichen Abbruch Signalen habe ich auch schon versucht. Das klappt tatsächlich dann kurz, aber er fängt dann sehr schnell wieder an...

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