Ist es wirklich so kompliziert, den Hund beim Spaziergang über Bewegung auszulasten?

  • Dazu muss nichts falsch laufen. Es gibt halt nun mal Hunde mit Sozialisationsschäden wie meine Lilly, da reichen ein paar ungewohnte Begebenheiten beim Spaziergang aus, um die Nerven zum Flattern zu bringen. Und der Deprivationsschaden ist nun mal da, man kann viel um ihn herumbauen, aber weg kriegt man ihn nicht. Und sie ist trotzdem ganz unzweifelhaft ein Hund. Ein großartiger Hund noch dazu, denn was sie aus ihren Startvoraussetzungen gemacht hat, das ist zum Niederknieen.


    Es gibt Hunde, die sind so darauf spezialisiert, auf Reize mit schneller, heftiger Reaktion zu antworten, dass ein „entspanntes“ Spazierengehen für sie ein deutlich erhöhtes Maß an Impulskontrolle erfordert. Die das trotzdem schaffen, aber die das anstrengt. Und die dafür eine Kompensation brauchen.


    Und es gibt Hunde, die sich dabei gähnend langweilen. Die sich dann reinsteigern, sich anderes Zeug zu suchen, das sie machen können.

    Ich würde Hund mit Deprvationsschäden da auch explizit ausnehmen. Das sind keine "normalen" Hunde, sondern Hunde mit Defiziten in der Reizverarbeitung im Gehirn (was du ja 100x besser weisst als ich).

    Aber du sagst doch selbst, dass durch die Natur eumeln Lilly nicht kirre macht, oder?

    Wie das mit den sehr spezialisierten Arbeitshunden (ich denke da an den Border) ist, kann ich schwer beurteilen. Ich weiss nur, dass ich mich damals auch deshalb gegen die jährige Borderhündin entschieden habe, weil mich dieses extreme angeknipst sein auf einem stinknormalen Spaziergang in der Pampa sehr angestrengt hat. Ich war mit ihr ca. 3 Wochen lang 3- 4x die Woche unterwegs, ehe ich definitiv entschieden habe, dass ich mit diesem Hund nicht zusammenkomme. Und sie war grundsätzlich eine hübsche und liebe Hündin, die auch alles richtig machen wollte.

  • Das ist es, was mir auch nicht so recht in den Kopf will.

    Klar ist der Hund unterwegs auch mal auf einem höheren Level, wenn er z.B. auf eine interessante Wildspur stösst oder auch mal angenervt und gestresst von einer Hundebegegnung, aber das reguliert sich im Weitergehen wieder runter. Da braucht der doch nicht alle Nerven auf und ist so überdreht, dass er zu Hause nicht runter kommt. So reizoffen kann ein Hund doch gar nicht sein, dass er das unterwegs sein in der Natur nicht aushält.

    Ich frag mich da insgeheim schon immer, was da falsch läuft.

    Warum nicht? Man muss auch bedenken, in der Pampa laufen ist für einen Hund nie einfach Pampa. Da gibts Gerüche und Geräusche, die kriegen wir einfach nicht mit. Dann die Kommunikation mit dem Halter, die immer irgendwie stattfindet - und sei es, nur zu gucken, was er grad tut und ob er einen anderen Weg einschlagen will als man selbst. Das ist schon das, was normal auf einen Hund einprasselt im leersten Feld ohne Begegnung oder Wildspur. Und der Rest kommt on top.


    Das kann man doch auch gut mit Menschen vergleichen. Die einen finden nichts besser, als den ganzen Samstag zu shoppen und an jedem Meter mit nem Bekannten zu plaudern, die anderen kriegen schon die Krise, wenn sie im leeren Hausflur dem Nachbar Hallo sagen müssen (überspitzt formuliert). Witzigerweise wird ersteres von der Gesellschaft eher positiv betrachtet, letzteres dann eher als "der hat doch nen Schaden".


    Und so ist es auch mit Hunden. Nur, weil sie reizoffener sind und nicht alles mitmachen können, ist das ja nicht prinzipiell falsch. In ihren Ursprungsgebieten bzw Zuchtursprüngen sind sie halt für etwas anderes gedacht als stupides Gassi gehen.


    (Wobei dein Beispiel in dem Extrem vermutlich eher bei Hunden mit Vergangenheit oder unbedachter Zucht als bei einer sauberen Verpaarung auftritt)

  • Naja - nicht, wenns beim Eumeln bleibt. Aber wenn wir eine Jagd irgendwo in der Nähe haben und mehrere Schüsse zu hören sind, da wird sie nervös. Oder wenn gleich mehrfach Waldarbeiter oder Holzmacher im Auto an uns vorbeifahren. Oder wenn es windet. Oder wenn wir nicht nur 1-2, sondern gleich 5-6 kontakt- und gesprächsfreudigen Menschen über den Weg laufen.


    Sowas kumuliert sich. Und wenns sich einmal kumuliert hat, dann ist eine Grundanspannung da. Und das auch für den Rest des Spaziergangs. Und das sind halt Dinge, die kann man nicht sicher vermeiden.


    Gibt aber auch ganz viel andere Varianten, die ich schon erlebt habe. Auch ohne den Deprivationsschaden kann fehlende frühe Gewöhnung eine erhöhte Grundspannung machen. Der Hormonstatus. Oder eben die Reizempfänglichkeit. Schlechtes Konzentrationsvermögen. Hoher Arbeitseifer …


    Der Border Collie von Freunden - auch Second Hand mit schlechten Startvoraussetzungen - hat sein Bällchen zum „Festhalten“ gebraucht, um wenigstens ein bisschen auf der Erde bleiben zu können.

  • Hm.

    ich finds gerade ehrlich gesagt etwas schade, wohin sich der Thread entwickelt.

    Es wurde gefragt, wie die einzelnen User so spazieren gehen. Viele User erklären, dass sie schon unterschiedliche Hundetypen hatten. Welche, die Tag für Tag stundenlang herumspazieren können und welche die das entweder nicht brauchen oder eben auch psychisch nicht abkönnen und auch mal Pausetage brauchen.

    Es ist ja auch jeder Mensch anders.


    Wieso muss da gleich alles falsch laufen? Wieso kann man nicht einfach die Unterschiede akzeptieren?

    Muss jeder gleich sein?

    Versteh ich nicht.

    Soll man keine Rücksicht nehmen und den Hund, der einfach weniger aushalten kann, ohne Rücksicht auf Verluste mitschleppen?


    Es funktioniert nunmal nicht nach Schemata F.

    Dass man immer urteilen muss... :no:

  • Ich kenne genügend Hunde aus meiner Zeit im Tierheim die erwachsen und gesund waren und trotzdem ein dünnes Nervenkostüm mit sich rumtragen. Hier spielt zum Teil die verkorkste Genetik mit rein, da muss man sich nicht wundern dass aus beispielsweise Ridgeback x Dalmatiner Mischlingen so ein Exemplar hervorgeht.

    Du hast meinen Post dann aber nicht richtig oder nicht zu Ende gelesen, auf den sich KayaFlat bezieht.


    Für mich persönlich (!) ist ein dünnes Nervenkostüm nicht normal. Das gehört zu Hunden, die eine schlechte Genetik, eine schlechte Aufzucht oder schlechte Erlebnisse hatten oder die so spezialisiert auf ihren Aufgabenbereich sind, dass man diese extreme Reizoffenheit braucht.

  • Wenn der Hund nen Deprivationssyndrom oder Sozilisationsschaden hat oder wie in dem anderen Beispiel unpassende Rassen miteinander verpaart werden, wieso darf man da nicht sagen, dass es falsch gelaufen ist?

    Das ist gar nicht wertend, aber für mich läuft das unter "da ist was falsch gelaufen".


    Manche Rassen sind vielleicht auch explizit so gezüchtet, dass sie keinen Mehrwert aus nem 2 stündigen Spaziergang haben und die passende Auslastung andererseits brauchen, ist doch auch ok, wenn ich eben weiß, was ich mir ins Haus hole.

  • Doch, man kann Unterschiede akzeptieren, muss man sogar. Da hast du einerseits recht, aber andererseits versteh ich es wirklich nicht. Und dann frage ich nach. Und vielleicht stellt dann der eine oder die andere was infrage. Das nennt man Austausch oder auch Diskussion. Ich finde das spannend. Und ja, auch dann oder vielleicht besonders dann, wenn ich meine eigene Meinung dann hinterfrage und ggf. revidiere.

    Etwas Offtopic, sorry. Das nächste Mal pack ichs in nen Spoiler.

  • datKleene


    Die Frage war nicht, was da falsch gelaufen ist (die in diesen Fällen eh müßig ist, weil man es selten genau weiß), sondern, was da „falsch läuft.“


    Und anyway: Mein Hund ist jetzt, wie er ist. Und das ist nicht „falsch“, das ist einfach so, wie es ist.


    Ich mag Urteile eh nicht besonders, aber „falsch“ als Bezeichnung für ein Lebewesen - das tut mir schon weh.

  • Ich bin mit meinen Hunden früher oft nur spazieren gegangen. Wir waren jeden Tag 1,5-2h unterwegs. Auf den Feldern, in den Auen, im Wald. Die waren dann gut müde und zufrieden mit der Welt. Das vermisse ich sehr, denn zurzeit geht das einfach nicht.


    Mit Finya habe ich auch lange "Jagdspaziergänge" in sehr wildreichen Gegenden gemacht. Das war für sie die allerbeste und ihre liebste Auslastung. Kontrolliert jagen zu dürfen, war für uns der Kompromiss zwischen gar nicht jagen und unkontrolliert jedes Getier zu hetzen, das irgendwo auftaucht. Es hat ihr viel mehr gebracht und mehr Spaß gemacht als das Mantrailing, das wir davor gemacht haben (gut, das war auch hauptsächlich um ihre Menschenangst zu kurieren und hat auch geklappt).

    Mit Frodo funktionieren solche Spaziergänge nicht. Der pusht sich da viel zu sehr. Für ihn gibt es nur schwarz oder weiß. Grau verunsichert ihn.


    Frodo musste ich gezielt beibringen, dass man sich auf Spaziergängen nicht einfach high läuft, sondern dass man sich da mit seiner Umwelt beschäftigt, rumschnüffelt, mal in der Gegend rumguckt. Der ist als junger Hund wie im Tunnel spazieren gegangen, weil ihn eine Zeit lang die ganze Welt überfordert hat. Entweder er ist an mir dran geklebt oder er ist wie ein Irrer herumgerannt ohne von sich aus ein Ende finden zu können.

    Ganz selten hat er jetzt noch Tage (oft daran gekoppelt, dass ich einen sehr stressigen Tag habe), wo wir rausgehen und er direkt so angeknipst ist, dass ich ihn entweder an der 1m Leine belassen muss oder direkt wieder umdrehen kann. Würde ich ableinen, würde er sich 1h lang das Hirn wegballern und danach alles, was sich bewegt ankläffen. Und der ist kein Arbeitshund, sondern einfach nur ein hochsensibler Pudel.




    Es ist meine absolute Lieblingsbeschäftigung mit den Hunden stundenlang durch die Natur zu laufen und, aufgrund von Finyas Behinderung, etwas Besonders und nichts Selbstverständliches.

    Ein Hund, der nach einer halben Stunde mit den Nerven am Ende wäre, wäre für mich demnach eine größere Belastung als ein Hund, der das körperlich nicht kann. Finya packe ich zur Not einfach in ihren Buggy und dann guckt sie sich von dort aus alles an.

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