Richtiges Verhalten in plötzlichen Stresssituation (Hundebegegnung, Rollkoffer, LKW, usw.)?

  • Liebe Hundefreunde,


    wir haben seit knapp 7 Wochen einen Hund (3 Jahre alt, Mischling, 7 kg, kastrierter Rüde) aus dem Tierschutz bei uns aufgenommen. Er sieht aus wie ein geschrumpfter Border Collie. Das Fell ist auch kürzer als bei einem BC. Der Hund kam im Januar von den Kanaren nach Deutschland und war zunächst auf einer Pflegestelle auf dem Land. Dort hatten wir ihn auch vorab besucht um ihn besser kennenzulernen.


    Wir leben in einer Großstadt. Die Gassi-Routen wählen wir zwar mit Bedacht aus (um eine Reizüberflutung so gut es geht zu vermeiden), aber es geht natürlich trotzdem viel hektischer zu als auf seiner Pflegestelle. Am Anfang hat der kleine Kerl fast jedes Auto angebellt. Mittlerweile stört er sich nur noch an lauten LKWs oder Motorrädern. In der Nacht reagiert er ebenfalls sensibler auf Passanten, Fahrradfahrer oder Rollkoffer. Das größte Problem sind allerdings Hundebegegnungen. Aus sicherer Entfernung (z.B. 30-40 m Abstand auf einer Wiese) fixiert er nur und es gelingt uns manchmal ihn mit Click-für-Blick und Leckerlis abzulenken und weiterzugehen. Leider lassen sich spontane Begegnungen aber auf keiner Gassi-Tour vermeiden. Man wechselt die Straßenseite und plötzlich steht da eine ältere Frau mit ihrem Zwergpudel hinter einem Kleinbus. Dann bellt er energisch los und springt hektisch hin und her. Oder aber er erblickt einen Hund auf der anderen Straßenseite - das gleiche Bild wie oben beschrieben. Click-für-Blick, Sitz machen lassen oder einfach weitergehen funktioniert dann nicht mehr. Er springt mir dann meistens vor die Füße und - wenn's dumm läuft - trete ich ihm versehentlich auf die Pfote. Er kommt auch nicht mehr runter und jeder kleinere Reiz (Passant, normales Auto, Taube, usw.), der vorher noch kein Problem war, wird plötzlich auch hektisch angebellt. Momentan weiß ich mir nicht besser zu helfen als ihn hochzuheben. Ich sage dann "hoch" und hebe ihn auf meinen Arm. Dann hört er fast immer sofort auf zu bellen und startet quasi die Festplatte neu. Wenn ich ihn dann nach einer halben Minute wieder auf die Straße setze, ist er meistens ruhig.


    In der Wohnung (Altbau, etwas hellhörig) verhält er sich die meiste Zeit ruhig und ist stubenrein. Autofahren funktioniert ganz OK und alleine bleiben (bis 30 min) auch.


    Wenn wir mal erfolgreich Kontakt zu anderen Hunden aufnehmen, bellt er bis wir zur "Hundegruppe" aufgeschlossen haben. Bei der Begrüßung wird dann auch noch etwas gebellt, geschnüffelt und geknurrt (mehr als die anderen Hunde), aber dann ist gut. Er verliert dann relativ schnell das Interesse an seinen potentiellen Spielkameraden und fängt dann an irgendwo abseits zu schnüffeln und alle anderen Hunde, die noch nicht Teil der Gruppe sind und nur vorbeilaufen oder dazustoßen (wollen), werden quasi "verbellt". So sieht es zumindest für mich aus...


    Nun zu meiner Frage: Wie verhalte ich mich in der obigen Stresssituation korrekt? Kann ich ihn hochnehmen um ihn da "rauszuholen" oder ist das kontraproduktiv?


    Wir gehen regelmäßig zu einer Hundetrainerin ("Trainieren statt dominieren"). Click-für-Blick funktioniert nur in reizarmer Umgebung. Hoffe hier auf zusätzliche Tipps und wäre dafür sehr dankbar.

  • Er ist 7 Wochen bei euch und Click-für-Blick funktioniert schon bei einem Abstand von 30-40m? Das ist doch super!


    In zu engen Situationen ist der Stresspegel für ihn noch zu hoch um erlerntes zu zeigen, also ist Management perfekt. Am Besten, bevor er sich reinsteigern kann. Auf den Arm nehmen, umdrehen, Bogen gehen….alles erlaubt, was dem Hund hilft, nicht in (übermäßiges) Stressverhalten zu fallen. Gut wäre, wenn ihr Auslöser wie andere Hunde, Lkws etc. seht, bevor euer Hund reagieren kann, evtl dem Hund dann das zeigt/drauf aufmerksam macht und die Situation über Management löst.


    LG Anna

  • Er ist 7 Wochen bei euch und Click-für-Blick funktioniert schon bei einem Abstand von 30-40m? Das ist doch super!


    In zu engen Situationen ist der Stresspegel für ihn noch zu hoch um erlerntes zu zeigen, also ist Management perfekt. Am Besten, bevor er sich reinsteigern kann. Auf den Arm nehmen, umdrehen, Bogen gehen….alles erlaubt, was dem Hund hilft, nicht in (übermäßiges) Stressverhalten zu fallen. Gut wäre, wenn ihr Auslöser wie andere Hunde, Lkws etc. seht, bevor euer Hund reagieren kann, evtl dem Hund dann das zeigt/drauf aufmerksam macht und die Situation über Management löst.


    LG Anna

    Danke für den Ratschlag. Wie lange braucht ein Hund denn für gewöhnlich um so einen "Kulturschock" (Umzug Land/Stadt) zu überwinden und sich an ein hektischeres Umfeld zu gewöhnen?

  • Kann kein Mensch sagen, wie lange das dauert... - jeder Hund hat ein anderes Problem, Herrchen/Frauchen ist mehr/weniger talentiert, Umgebung ist besser/schlechter geeignet, man hat Glück/Pech mit Begegnungen... Ich würde, rein aus dem Bauch raus, sagen mehrere Monate. Was auch nicht hilft.

    Grüßle und weiterhin viel Erfolg

    Silvia

  • Diesen Kulturschock zu überwinden braucht schon eine gewisse Zeit und ein gutes Einfühlungsvermögen seitens der Hundehalter.Du machst das gut!


    Faro, Border Collie aus Mallorca, Tötungsstation hatte große Probleme mit Autos und allen lauten Geräuschen, allerdings verbellte er nicht, sondern wollte flüchten. Wir zeigten ihm, dass wir seine Angst wahrnehmen, ohne sie zu verstärken, d.h wir gingen einfach ganz ruhig unseres Weges und wenn er dann mal richtig panisch wurde, haben wir uns zu ihm nach unten gehockt und ihn einfach nur "in den Arm" genommen.

    Ich habe mich mit Faro regelmäßig hier an unseren kleinen Kreisverkehr gesetzt und wir haben Autos geguckt und irgendwann fand er Autos etc total normal.


    Hundetrainer, der sich mit Hütehunden auskennt, wäre auch gut

  • Danke für den Ratschlag. Wie lange braucht ein Hund denn für gewöhnlich um so einen "Kulturschock" (Umzug Land/Stadt) zu überwinden und sich an ein hektischeres Umfeld zu gewöhnen?

    Bei uns hat die Eingewöhnung etwa ein Jahr gedauert, aber auch danach kamen immer wieder und mehr Fortschritte. Manche Fahrzeuge gehen bis heute nicht gut, vor allen Dingen, wenn Donna schon müde ist. klappernde Lastwagen mit Anhängern gehen gar nicht. Da ist die Konditionierung wohl einfach zu heftig, wenn ein Hund in solchen Anhängern über Tage nach Deutschland transportiert wird. :ka:


    An der Strasse hab ich ein Stück Fleischwurst in die gewölbte Hand gesteckt und den Hund daraus zusseln lassen, bis wir an dem Schreckensobjekt vorbei waren.

    Manchmal hab ich auch (zb in so einer Situation wie bei dir mit dem Kleinpudel hinter dem Laster), ein paar Kekse hinter uns geworfen( also in die Gegenrichtung vom Schreckensobjekt) und Donna suchen lassen.


    Du brauchst viel Geduld, du musst extrem kleinschrittig vorgehen, immer wieder die gleiche Strecken laufen. Für uns hier waren Routinen und gleiche Strecken zu gehen sehr hilfreich und - wenn etwas sehr stressig war - einen oder zwei Tage Pause einbauen mit viel Schlafen und nur kleinen Lösegängen.


    Später an Tagen, wenn du merkst, euer Kleiner ist gerade eigentlich mutig und nervenstark, dann lasst ihn in Ruhe und aus großem Abstand schauen. Wenn das gut klappt, könnt ihr immer mal vorsichtig ein wenig näher an das Objekt des Schreckens.

    Bei uns hier war es das Postfahrrad, welches Donna schier verrückt machte. Wir haben uns über ein halbes Jahr vorsichtig angenähert und hatten dann das Glück, dass ein netter Postbote Donna hat am Rad schnuppern lassen und ihr sogar einen Keks gegeben hat. Seitdem ist es gut und Donna hat keine Angst mehr davor.


    Click für Blick ist doch jedenfalls schonmal eine super Idee!👍

    Verliert nicht die Geduld. Euer kleiner Bordercollie-Strops-Mix ist erst so kurz bei euch und hat noch so viel zu verarbeiten. Ihr schafft das!

  • auch hier kann ich erst jetzt sagen, dass unsere Rosi angekommen ist. Und sie lebt jetzt seit 1,5 Jahren bei uns. Das hat wirklich lange gedauert. Erst jetzt hat sie keine Angst mehr vor Autos, Bulldog, Roller, Kinderwagen und Co. In dem Moment wo sie anfing zu bellen wussten wir, es ist zu nah. Also sind wir von Reiz weiter weg gegangen. Hat sie es dann angeschaut gab es ein Click und leckerli. Ich habe also das anschauen belohnt. Solange sie ruhig war. Genauso machen wir es jetzt bei Hundebegegnungen.

  • Danke für deine Ratschläge. Kekse auf den Boden werfen, klappt in so einer Situation leider gar nicht. Dafür ist der Bruddler viel zu sehr im Tunnel. Er schleckt nicht mal an der Lebenwurst-Tube, selbst wenn ich sie ihm direkt vor die Nase halte... In so einem Moment hilft eigentlich nur hochnehmen - dann hört er sofort auf zu bellen.


    PS: Was ist ein "Strops"? Finde gar nichts dazu im Internet.

  • Nun zu meiner Frage: Wie verhalte ich mich in der obigen Stresssituation korrekt? Kann ich ihn hochnehmen um ihn da "rauszuholen" oder ist das kontraproduktiv?

    Wie fühlt er sich denn auf dem Arm? Ich würde das als Werkzeug etablieren. Üben, dass er auf dem Arm zur Ruhe kommt - erst Mal jenseits jeden Stresses. Also in ruhiger Umgebung immer wieder durch die Gegend tragen und belohnen, wenn er das ruhig mitmacht. Das Hochheben würde ich einzeln üben und mit Ankündigung, so dass er sich nicht erschreckt, wenn Du ihn plötzlich hochnimmst, weil es eilig ist.

    Wenn wir mal erfolgreich Kontakt zu anderen Hunden aufnehmen, bellt er bis wir zur "Hundegruppe" aufgeschlossen haben. Bei der Begrüßung wird dann auch noch etwas gebellt, geschnüffelt und geknurrt (mehr als die anderen Hunde), aber dann ist gut. Er verliert dann relativ schnell das Interesse an seinen potentiellen Spielkameraden und fängt dann an irgendwo abseits zu schnüffeln und alle anderen Hunde, die noch nicht Teil der Gruppe sind und nur vorbeilaufen oder dazustoßen (wollen), werden quasi "verbellt". So sieht es zumindest für mich aus...

    Damit trainierst Du das Pöbeln, das ist Dir klar? Es könnte sich zukünftig dahin entwickeln, dass er lernt andere Hunde mit Gebrüll und Fäusten von sich zu halten, weil Du ja übst, dass er das machen soll bis er Kontakt aufgenommen und abgecheckt hat. Viele unsichere Hunde entwickeln sich zu Mobbern, wenn man das laufen lässt.

    Danke für den Ratschlag. Wie lange braucht ein Hund denn für gewöhnlich um so einen "Kulturschock" (Umzug Land/Stadt) zu überwinden und sich an ein hektischeres Umfeld zu gewöhnen?

    Ein bis zwei Jahre. Manche gewöhnten sich niemals dran. Zum Beispiel Hunde, die vom Wesen her eh sensibel und sehr reizempfänglich sind und dann zusätzlich in Welpen- und Junghundzeit damit nicht konfrontiert wurde.


    Ich würde so oft wie möglich in die Pampa fahren und nur zwei bis drei mal die Woche in die Aufregung gehen.

  • flying-paws


    Ich sage "hoch", greife ihm dann mit der rechten Hand unter die Brust und nehme ihn hoch. Er liegt dann quasi halb auf dem Unterarm und ist meist sofort ruhig. Er knurrt vielleicht noch ein bisschen in Richtung des Störkörpers aber manchmal auch nicht. Wenn ich ihn schon vorher hochnehme, kann ich auch ohne Probleme an anderen Hunden vorbeigehen - er ist dann relativ entspannt.


    Zum "Pöbeln": Das war bzw. ist mir nicht bewusst, dass ich damit das Pöbeln trainiere. Das macht er auch bei der Hundeschule. Wenn wir 5 min vor Beginn da sind, beschallt er die andere Trainingsgruppe mit seinem Gebell. Die eigene Gruppe wird dann allerdings auch beschallt bis zur Begrüßung...


    Was soll ich in so einer Situation deiner Meinung nach tun? Ich will ihm ja soziale Kontakte zu anderen Hunden ermöglichen.

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