Intuition oder Wissenschaft in der Hundeerziehung?

  • Der Titel ist irgendwie blöd. Falls jemandem was besseres einfällt, gern her damit.


    Ich hab in all den Jahren mit den Hunden vieles gelernt und lerne immer noch weiter.

    Aber ich wundere mich irgendwie - als ich gar keine Ahnung hatte, bei meiner ersten eigenen Hündin Luna, da war ich gerade mal 13, 14 - oder auch noch viel später bei meiner Lotte... und bei einigen, die es dazwischen gab, denke ich mir im Nachhinein, dass es mit denen so einfach war.

    Und das, obwohl ich garantiert super viel falsch gemacht habe.


    Irgendwie geistert diese schwammige Frage in meinem Kopf herum, ob das wohl so war, weil die einfach unkompliziert waren. Oder ob ich vielleicht mit "einfach nach Intuition" besser gefahren bin, als mit stetig wachsendem Hintergrundwissen. Oder ob es einfach so ist, dass ich jetzt einfach einen besorgteren Blick habe und z.B. Stressanzeichen schneller erkenne oder den Hundeknigge tiefer verinnerlicht habe und deshalb einfach häufiger denke, dass irgendwas nicht optimal läuft.


    Und dann sieht und kennt man natürlich auch andere Menschen mit Hund. Die haben nie irgendwas gelesen. Die haben nie irgendwelche Seminare besucht und dann mit Argusaugen den eigenen Hund beobachtet. Und bei denen läuft es einfach trotzdem komplett entspannt. Wenn ich so beim Autofahren aus dem Fenster gucke und sehe, wie viele Leute da mit ihren brav an der Leine zockelnden Kälbchen durch die Innenstadt gehen, überall Hunde, überall Reize, alles total hektisch und die würdigen diese Meisterleistung gar nicht - so war ich früher auch. Mit Hund mitten durch Köln.


    Wie seht ihr das?

    Geht das meiste doch irgendwie intuitiv?

    Oder wird man durch Fachwissen einfach immer besser im Handling?

    Oder verkrampft man immer mehr?

    Hat man vor dem ganzen Backgroundwissen einfach viele Probleme nicht gesehen?


    Ich für meinen Teil verstehe jedenfalls nicht, weshalb es so viele Hunde gibt, die so problemlos mitlaufen, obwohl deren Halter*innen sich so wenig mit dem Thema Hund auseinandersetzen. War bei mir selbst ja auch so.


    Hmpf.

  • Auch wenn es irgendwie unmodern geworden zu sein scheint, plädiere ich wie so oft einfach für den gesunden Mittelweg.

    Ohne Wissen kommt man nicht weit, ohne Bauchgefühl bringt einem aber auch Wissen oftmals nix.


    Ich für meinen Teil verstehe jedenfalls nicht, weshalb es so viele Hunde gibt, die so problemlos mitlaufen, obwohl deren Halter*innen sich so wenig mit dem Thema Hund auseinandersetzen. War bei mir selbst ja auch so.

    Weil viele Hunde sehr anpassungsfähig sind und viele Halter einfach verdammtes Glück haben.

    Allerdings ist Glück eine wankelmütige b*tch und man sollte sich nicht sein (Hundehalter)Leben lang drauf verlassen, dass sie einem gewogen ist.

  • Ich weiß, dass ich "früher" sehr vieles nicht wahrgenommen oder erkannt habe.

  • Ich weiß, dass ich "früher" sehr vieles nicht wahrgenommen oder erkannt habe.

    Beim gleichen Hund oder bei einem vorherigen?

    Das finde ich total spannend. Ich würde mich gerne nochmal retrospektiv mit den alten Hunden beobachten und gucken, was ich da jetzt so sehe, da hab ich ja leider keine Videoaufnahmen.


    Meine Luna war eigentlich allein von den Rassen her, die da vereint waren, ein Mix von dem ich heute dringend abraten würde. Vater war Schäfi-Rottweiler, Mutter Bullterrier-Münsterländer. Luna kam aus total unseriöser Quelle vom Bauernhofvermehrer, die Elterntiere gehörten ihm.

    Ich wusste nix über Hunde, ich hab die von klein auf immer mitgeschleppt, als sie schon 8 war habe ich sie komplett entwurzelt und aus dem Dorf mit nach Köln geschleppt. Weg von ihrer Partnerin, weg vom Garten, weg vom ebenerdigen Haus in eine Mietwohnung mitten in der Stadt. Von einem Tag auf den anderen musste sie mit mir am Fahrrad durch die Stadt. Über Flohmärkte. Auf die unzähligen Hundewiesen.


    Ich würde heute jedem sagen, dass das eine total bescheuerte Idee ist. Aber es hat einfach (in meiner Erinnerung) funktioniert, es gab nie Ärger. Ich hab einfach einen fremden Junghund mit in die gleiche winzige Wohnung gepackt. Und es lief irgendwie.

    Aus heutiger Sicht denke ich, dass sie vermutlich total gestresst sein muss und ich ganz vieles einfach nicht gesehen habe.


    Oder - das sagt meine Mutter immer - ich war einfach früher nicht so verkrampft und hab deshalb mehr Ruhe ausgestrahlt.

    Ich wüsst's so gern, wie's wirklich war.

  • Hmmmm, Joa, ich kenne auch viele wo es nach Meinung der Besitzer prima läuft. MICH nervt es dann zwar, wenn die Tutnixe auf uns zugerollt kommen, der Hund in der BuS Zeit dem Kaninchen hinterherfetzt während der Besitzer gemütlich auf dem Deich steht und schnackt weil „der kommt ja immer wieder“ und „nach spätestens 5 Minuten ist der wieder da“ und „ein bisschen Spaß muss er ja auch haben, gibt ja auch genug Kaninchen hier und der hat noch nie was gefangen“ (woher auch immer die das wissen wollen, wenn der Hund öfter mal für 5 Minuten im Dickicht verschwunden ist….), oder der Hund kann keine zwei Minuten ohne den Besitzer sein weil er emotional vollkommen von ihm abhängig ist a la alte Frau mit Hund und Hund muss nieeeee alleine sein…Joa, da ist das Leben für die Hundebesitzer natürlich angenehm entspannt. Für die Umwelt eher weniger.

    Oder neulich der Viszla Balljunkie, die lief frei im Park herum und klebte mit Nase und Blick an dem Beitel, in dem der Ball war. Besitzer völlig begeistert wie gut der Hund hört und wie entspannt der doch ist.


    Also, alles ein bisschen Ansichtssache, ob das gut funktionierende wirklich so toll läuft oder nur so wahrgenommen wird.


    Mit meinem Setter Junghund (Gassihund) war ich am Anfang auch stundenlang unterwegs, bis ich ihn irgendwann so gut lesen konnte dass ich wusste: jetzt ist er drüber und es ist Stress statt Spaß. Mit weniger Erfahrung war ich auch ganz entspannt damit, 4 Stunden am Stück mit ihm durch den Wald zu laufen, er war ja immer scheinbar begeistert dabei. Den Unterschied zwischen Begeisterung und Stress konnte ich mangels Erfahrung anfangs einfach nicht wahrnehmen 🤷‍♀️ (und die Besitzerin fand es auch klasse, dass er so lange draußen war…).


    Also, ich denke auch eine Mischung aus Wissen und Erfahrung ist gut. Wenn ich weiß, dass 3 Tage hintereinander 4 Stunden draußen vielleicht ein bisschen lang sind für einen 13 Monate alten Jagdhund, kann ich anfangen zu schauen wie er sich genau verhält und wann es kippt und stelle vielleicht fest, dass 45 Minuten für ihn eigentlich auch reichen bis die Murmeln aufgebraucht sind 🤷‍♀️

  • Hmh. Unser erster Tierschutzhund, der zu meinen Eltern und mir kam, wat einfach ein Schatz. Völlig unkompliziert. Ohne je Erziehung genossen zu haben, die hat sich komplett angepasst. Der Zweite war nicht ganz so unkompliziert, aber kam mit seinen Eigenheiten mit meinen Eltern gut über die Runden. Dorf halt, und über Einiges hat man damals einfach hinweggesehen.


    Mit Ronja wollte ich einen erzogenen Hund haben und nur mit Bauchgefühl konnten sowohl Mann als auch ich definitiv keinen Blumentopf gewinnen. Wir mussten uns auf den Hosenboden setzen und lernen. Über Verhalten, über die Ausgangsrassen, über die biologische Komponente des Lernens. Und dann den Bauch wieder einschalten. Dann hats gefunzt.


    Lilly hätten wir ohne „neueres Wissen“ vermutlich kein artgerechtes Zuhause bieten können.


    Ich hab hier ja jetzt den schon quirligen, aber doch sehr unkomplizierten Pudelwelpen den ersten Tag. Die hat schon Pfeffer, aber ist ernsthaft nicht ein Zehntel so anstrengend und rabiat wie Ronja in ihrer ersten Zeit.


    Es kommt auf den Hund an, denke ich. Und die Rassevielfalt in Privathänden ist heute für mein Empfinden viel größer als vor 30 Jahren.

  • Oh, spannendes Thema!


    Also ich bin mir bei mir auch sehr sicher, dass ich durch mehr wissen einfach sachen erkenne, als "problem", die ich früher einfach nicht gesehen hätte. Und dadurch manche Probleme quasi erst entstehen (klar, waren die auch vorher schon da, potenziell).


    Gerade was so Unwohlsein, sstressanzeichen, überforderung etc, das von Hunden (für uns Menschen) ja oft eher subtil geäußert wird. Wenn da dann noch ne Haltung dazu kommt, was alles total normal ist (hund kommt überall mit, hundewiese, " spielen" mit anderen Hunden, besuch.....) dann ist es logisch für mich dass es da wenig Probleme gibt.

    Und Hunde sind ja dann doch auch einfach seit sehr sehr sehr langer zeit darauf angepasst, sich auf Menschen und unterschiedlichste Umstände einzustellen und irgendwie damit klar zu kommen.


    Worauf man sich natürlich nicht verlassen kann und oft genug klappt das alles auch nicht. aber genauso oft? Noch öfter? Eben schon...



    Ansonsten hab ich irgendwas im kopf dass die tolle Pfeffernaserl zu genau dem Thema was schreibt gerade? Oder zumindest recherchiert?

  • Also bei mir war das ähnlich, um so mehr wissen ich mir angeignet hatte umso komplizierter wurde alles 😅 weil man eben "alles" bemerkt...damit muss man Dan auch umgehen können 😉


    LG

  • Ich denke mir auch oft, mit dem Wissen von heute hätte ich bei meinem 1. Hund nicht so viel falsch gemacht. Aber ob das stimmt ….?


    Ich glaube einfach inzwischen, dass es viel an der eigenen Wahl des Hundes/Rasse liegt. In diesem Fall sollte man sich eben einfach nicht selbst belügen und überschätzen oder eben nur rein nach Optik gehen, bzw. Nach dem eigenen sehnlichsten Wunsch. Demnach würde hier ein Rotti wohnen, wird er aber nie …


    Auch bei der Auswahl des Welpen sollte man sich gegenüber ehrlich sein, selbst reflektiert und wissen, was zu einem passt, selbst wenn es eine unpassende Fellfarbe ist. Also schon eine Mischung aus Intuition aber auch (Selbst-)Kenntnis, bzw. Einschätzung der eigenen Möglichkeiten.


    Persönlich und auch aus meinem Umfeld kenne ich es so, dass Menschen, die eher gelassen und in sich ruhend sind, auch eher die wuseligsten Hund erden können. Die Hunde passen sich an, die Menschen umgekehrt eher nicht.

    Und ja, es ist auch ein wenig Glück/Zufall dabei einen Hund zu erwischen, der unproblematisch ist und bleibt. Aber das Umfeld muss stimmen.


    Meine letzte Hündin war eher unsicher, aber in unserer Familie fiel das kaum auf, weil wir ihr mit unserer Art Sicherheit gegeben haben. Ich habe mich aber schon ab und zu gefragt, wie sie in einer anderen Umgebung geworden wäre, vermutlich eine Angstbeisserin.

    Klar, man lernt mit der Zeit sehr viel. Aber nicht alles ist auf jeden Hund anwendbar. Aber man kann aus einem großen Pool an Erfahrung schöpfen und das Richtige für den jeweiligen Hund heraussuchen, bzw. Ist nicht so leicht verunsichert, wenn man weiß, was eventuell das Problem ist. Also eine gute Mischung aus beidem, denke ich.

  • "Früher" war auch einfach das Umfeld / die Umwelt anders für die Hunde.

    Es gab weniger Hunde und entsprechend weniger Konfliktpotential.

    Die Hemmschwelle Hunde gehen zu lassen die Auffällig waren war geringer oder es gab halt einen Zwinger.


    Das trifft warscheinlich nicht für die User hier zu, aber das ist in meinem Umfeld so zu beobachten.



    Wir hatten vor 20 Jahre einen Familienhund. Die war 100x schlechter Erzogen als mein aktueller Hund. Aber halt eben nett zu alles und jeden. Da hat halt nicht interessiert, dass der Hund nix könnte - nicht Mal hören :tropf: .

    Obwohl Berner Sennen und keine kleine Rasse.

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