Hund aus dem Ausland ist schwierig. Was kann ich tun?

  • Es werden sich bestimmt noch User melden die mehr Erfahrungen mit Angsthunden haben.

    Ja , wir und mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen wird aus dem Angsthund ein Traumhund. So ist es bei Faro


    Ich erzähle einfach mal, ohne zu wissen, ob es irgendwen interessiert


    Faro stammt aus einer Tötungsstation auf Mallorca. Dort wurden die Eltern zum Euthanasieren abgegeben, doch man stellte die Trächtigkeit der Hündin fest und sie wurde nicht euthanasiert. Der Wurf, 2 Rüden, kamen dort zur Welt und lebten ein Jahr in der Perrera, bis TS sie heraus holten.

    Faro kam auf einen Pferdehof in unserer NÄhe und von dort aus übernahmen wir ihn.

    Ein Häufchen Elend mit Angst vor vielen Dingen, Umweltgeräusche, Autos und speziell Menschen fand er total überflüssig. Menschen unter einem Meter sind ihm bis heute nicht geheuer.

    Wir arbeiteten mit der besten Trainerin der Welt, Buddy-Joy hier aus dem Forum und machten einen alltagstauglichen Hund aus Faro.

    Kleinschrittig erarbeiteten wir das, was wir brauchten. Ich lief täglich mit ihm zu unserem kleinen Kreisverkehr, Autos gucken. Da kamen Menschen vorbei, die ihm irgendwann nicht mehr spooky waren.

    Besuch wurde gebeten, Faro absolut zu ignorieren und wenn er der Meinung war, in den Keller gehen zu müssen, ließen wir ihn. So baute er Vertrauen auf und eine andere Trainerin sagte mal "Der Faro lebt nur für dich"


    Es gibt ein gutes Buch von Nicole Wilde "der ängstliche Hund" . Es lohnt sich, das zu lesen


    Was ihm sehr geholfen hat, ist das Mantrailing, denn er musste auf Menschen zu gehen. Beim ersten Trail blieb er in sicherer Entfernung von ca 2 m stehen, guckte mich an als wolle er sagen "da ist er, aber hingehen kannst du". Das änderte sich von Mal zu Mal und heute läuft er freudig auf die Versteckperson zu


    das ist er

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  • M. E. brauchst Du keine Trainingstipps, sondern solltest Dich tunlichst von Deinen Vorstellungen verabschieden, wenn Du mit diesem Hund glücklich werden willst.


    1. Du hast den Hund nicht "gerettet", sondern ihn offensichtlich in ein ihm völlig fremdes Leben katapultiert, in dem er versucht, irgendwie zu überleben, indem er sich möglichst klein und unsichtbar macht. So, wie Du das mit dem Teppichauslegen beschreibst, kennt er wohl das Leben im Haus - und folglich das enge Zusammenleben mit Menschen - nicht.


    2. Daher ist er auch nicht "dankbar", sondern hat offensichtlich ganz viel Angst und will nur weg. Du hast schon richtig überlegt, Garten nur noch an der Leine. Oder besser und höher einzäunen.


    3. Der Hund knurrt und schnappt nicht, weil er aggressiv ist, sondern weil er sich von Deinem Besuch bedrängt fühlt. Zwei Monate sind gar nichts für einen Hund, der mit einer neuen Sprache konfrontiert wird und aus einem Land stammt, in dem Hunde einen wesentlich geringeren Stellenwert als bei uns haben. Ich würde davon ausgehen, dass er bisher nicht unbedingt immer gute Erfahrungen mit Menschen gemacht hat, und ihn daher - siehe Besuch - vor Fremden schützen.


    Wenn man sich so eine Wundertüte anschafft, dann tut man gut daran, keinerlei Erwartungen an den Hund zu haben, sondern ihm im 1. Jahr einfach nur eine möglichst angstfreie Existenz zu ermöglichen, indem man ihn seine neue Welt in seinem Tempo entdecken lässt und ihm möglichst strukturierte, gleichbleibende Abläufe bietet.


    Dazu gehört auch, sich erst mal von dem Wunsch nach Stubenreinheit zu verabschieden, denn durch das Absetzen von Kot und Urin markieren Hunde auch ihr Revier, und wenn sich die Hündin noch viel drinnen löst, dann kann das a) damit zusammenhängen, dass sie kein Leben im Haus kennt und b) dass sie sich offensichtlich noch nicht traut, "hallo, ich bin auch da" in die Gegend zu pinkeln.


    In dem Maße, wie sie sich sicherer fühlt, wird sie sich auch draußen lösen.


    Piano, piano mit der bei uns üblichen Erziehung, Vertrauensaufbau ist die Devise. Zeig der Hündin, dass sie nichts muss, was sie nicht will, und biete ihr bei Besuch einen Rückzugsort an. Z. B. ein Nebenzimmer, das Du vielleicht mit Gitter abtrennst, dass sie Euch sehen kann, und für den Besuch sollte die Devise lauten, Hund nicht beachten, nicht anschauen, nicht ansprechen, gar nichts.

  • Es gibt hier im Forum einen Angst-Hunde-Thread, vielleicht liest du dich da Mal rein und tauscht dich mit den anderen betroffenen aus.



    Und bitte schimpfe deinen Hund nicht mehr aus, wenn er rein pinkelt oder etwas anderes 'falsch' macht. Damit verunsichert du ihn nur noch mehr und vermutlich weiß er es einfach noch nicht besser.

  • Leider ist Lily alles andere als dankbar

    Warum sollte sie auch dankbar sein ? Du hast sie aus ihrem gewohnten Zuhause gerissen und sie muss jetzt in einem Umfeld klar kommen, dass sie nicht kennt. Nicht falsch verstehen, ich bin absolut pro Auslandshund, habe selber drei, aber dass diese Hunde so dankbar seien für die Rettung ist für mich eine ganz furchtbare Marketingmasche. Die meisten Auslandshunde haben vorher noch nie im Haus gelebt und sind die Anforderungen,die wir an unsere Hunde stellen, überhaupt nicht gewohnt. Einige Hunde stecken das schnell weg und gewöhnen sich schnell ein, andere leiden erstmal unter einem 'Kulturschock' und müssen lernen, wie das Leben hier so funktioniert.

    Der Verein sagt ich soll Geduld haben und abwarten, aber wie lange? Es sind 2 Monate vergangen und es ist keine Besserung in Sicht.

    Ich gebe dem Verein Recht, zwei Monate sind gar nichts und es wirkt als ob du deinem Hund schon viel zu viel abverlangst. Das kann sie momentan einfach noch nicht leisten. Man sagt so grob, dass die Hunde nach drei Monaten anfangen im neuen Zuhause anzukommen. Das ist aber nur eine Richtlinie, bei einigen dauert es auch deutlich länger.

    Holzboden war für unsere auch ganz, ganz lange furchtbar. Mochten sie gar nicht. Wir haben halt in Teppiche investiert.


    Sie will ständig abhauen. Ich habe einen kleinen Garten der voll eingezäunt ist. Sie ist da bereits 2 mal ausgebrochen, einfach über den Zaun gesprungen und weg war sie. Einmal fast 24 Stunden und einmal knappe 10 Stunden. Wie bringe ich ihr bei, dass der Zaun eine Grenze ist? Oder soll ich wirklich nur noch mit Leine in den Garten

    Wie hoch ist dein Garten denn eingezäunt ? Wenn sie da so einfach rüber kommt, würde ich da als erstes ansetzen und den Zaun erhöhen. Bei uns wurde von der Organisation mindestens 1.80m gefordert.

    Solange sie versucht abzuhauen, auf jedenfalls nur an der Leine raus. Du hast wahnsinniges Glück gehabt, dass du sie wieder gefunden hast.


    Wenn ich sie erwische schimpfe ich natürlich, aber ich habe das Gefühl, dass sie es jetzt absichtlich heimlich macht, da ich sie seit 2 Wochen nicht mehr erwischt habe, aber ständig Pfützen finde. Wie trainiert man die Stubenreinheit bei einem erwachsenen Hund?

    Auf jeden Fall nicht mit schimpfen. Der arme Hund weiß doch überhaupt nicht, was du von ihm willst. Unter Umständen hat sie draußen auch einfach noch viel zu viel mit der Umgebung zu tun, so dass sie sich dort nicht vollständig löst. Unsere beiden Hündinnen haben anfangs beide ständig ins Haus gepinkelt. Wir haben darauf geachtet, wie bei einem Welpen nach dem Füttern, Spielen und Schlafen rauszugehen und wahnsinnig zu loben, wenn sie draußen gemacht haben. Gigi war nach einigen Monaten stubenrein, Leia hat draußen auch nach einem Jahr oft noch zu viel Angst. Sie hat aber gelernt in einem bestimmten Zimmer auf Pipi-Pads (keine Ahnung wie die auf Deutsch heißen ?) Zu machen, wenn sie sich nicht raustraut. Das ist okay für uns und seitdem der Druck weg ist, löst sie sich auch vermehrt draußen.


    3. Sie lernt ganz schlecht. Wenn wir draußen sind ist sie total abgelenkt und hört überhaupt nicht auf den Rückruf, den wir seit 2 Monaten trainieren. Manchmal klappt es, aber meistens nicht. Sie ist immer an der Schleppleine und bekommt hochwertige Leckerlies als Belohnung. Habt ihr Tipps für einen richtig guten Aufbau des Rückrufes?

    Dein Hund hat vermutlich noch viel zu sehr mit sich selbst zu tun, als Kapazitäten zum lernen zu haben. Die ganze Umwelt ist noch viel zu aufregend und neu. Auch hier, Geduld haben.


    Sie knurrt Besuch an. Eines meiner schlimmsten Probleme. Ich bekomme sehr viel Besuch von Freunden und Familie. Lily knurrt diese jedes Mal an. Natürlich wollten meine Bekannten meinen neuen Hund kennenlernen und haben sich gefreut. Aber Lily liegt ganz geduckt auf ihrem Teppich und knurrt vor sich hin. Wenn man sie dann anfassen will schnappt sie. Das macht mir Sorgen, da ich beim Fragebogen klar ausgefüllt habe, dass ich keinen aggressiven Hund haben möchte. Wie kann ich ihr das abgewöhnen?

    Sie ist nicht aggressiv, sie ist einfach überfordert und hat Angst. Besucher haben an dem Hund nichts zu suchen. Sie macht doch mit der gedruckten Haltung und dem Knurren ganz deutlich, dass sie das nicht möchte, natürlich schnappt sie wenn man sie dann anfasst.

    Bei uns ist ganz klare Regel für Besucher: die Hunde werden ignoriert. Nicht angeguckt, keine Annäherungsversuche. Wenn die Hunde Kontakt wollen, erfolgt das auf deren eigene Initiative, sie können sich aber auch jederzeit zurückziehen in andere Räume. Klappt hier hervorragend und Personen, die öfter Mal hier sind, werden dann auch nach einigen Besuchen von den Hunden freundlich begrüßt. Selbst mein Angshase Leia nimmt dann Leckerlie von Gästen. Meine Schwiegereltern kriegen das ignorieren bis heute nicht hin und gucken die Hunde an und sprechen permanent mit ihnen - die werden auch nach über einem Jahr von Leia und Trip noch angeknurrt und verbellt. Wir hatten hier aber kürzlich nach der Hochzeit gut zwanzig Gäste im Haus, und das lief völlig problemlos mit dem Hunden um uns rum, da sie einfach ignoriert wurden.

  • Sieh es doch mal positiv:


    - Sie nimmt die Teppichbrücken an und kann sich darüber halbwegs in der Wohnung bewegen.

    - Sie bricht aus dem Garten aus, aber sie kommt zurück! Das ist alles andere als selbstverständlich. Scheinbar findet sie in ihrem neuen Zuhause schon etwas Sicherheit. Aus meiner Sicht muss dieses Ausbrechen nicht aus Angst geschehen. Vielleicht hat sie auch einfach ordentlich Jagdtrieb und geht ihrer Lieblingsbeschäftigung nach...

    - Du kannst mit ihr Spazierengehen, sie nimmt draußen Futterbelohnung an und sie kann sich draußen lösen. All das ist nicht bei jeden Hund aus dem Auslandstierschutz so!


    Die Stubenreinheit verbockst du dir gerade schön selbst. Ja, sie macht es nun absichtlich dann, wenn du sie nicht siehst. Wer lässt sich schon gerne für etwas schimpfen, was ein körperliches Bedürfnis ist und für sie bisher völlig normal.


    Wie oben schon geschrieben: Nach jedem Schlafen, Spielen, Fressen nach draußen, tagsüber ca. alle 2 Stunden. Von heftigem Loben draußen fürs Lösen würde ich absehen. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass du schimpft, wenn sie sich in deiner Anwesenheit löst, ein freudiger Gefühlsausbruch könnte da falsch ankommen. Pinkeln ist selbstbelohnend!



    Sei froh, dass sie Besucher anknurrt. So setzt sie Grenzen. Sie ist sicher sehr unsicher, also gib ihr die Sicherheit, dass der Besuch sie nicht bedrängen wird.

  • 2 Monate sind in der Zeitrechnung eines (ängstlichen) Tierschutzhundes (aus dem Ausland) absolut keine lange Zeit.


    Wenn du die ersten zwei Jahre rum hast, wirst du merken, wie langsam es sich entwickelt und wie viel Zeit die Hunde brauchen um anzukommen.


    Der beste Rat ist Geduld und Ruhe.

  • Da waren die Erwartungen an einen Hund aus einer völlig anderen Umgebung mal wieder zu hoch und man hat sich nicht gut genug darüber informiert, was ein Auslandshund so mit sich bringen kann...


    ... aber gut, ich will dir mal erklären, warum Lily sich so verhält.


    Was kann ich da tun? Der Verein sagt ich soll Geduld haben und abwarten, aber wie lange? Es sind 2 Monate vergangen und es ist keine Besserung in Sicht.

    Der Verein hat Recht. Zwei Monate sind nichts für einen Hund, der die ersten 2 Jahre seines Lebens in einer völlig anderen Umgebung verbracht hat.

    Weißt du, wie Lily aufgewachsen ist?

    So, wie sie sich aktuell bei dir verhält, hat sie sehr wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben eine Wohnung von innen gesehen. Das Konzept ist ihr völlig fremd. Das ist in etwa so, als würdest du einen Steinzeitmenschen auf den Berliner Alexanderplatz stellen - der totale Kulturschock!

    Zigtausend neue Gerüche.

    Abertausend unbekannte Geräusche.

    Tausende von fremden Menschen.

    Komische Blechbüchsen, in denen Menschen sich bewegen.

    Noch größere komische Blechbüchsen.

    Noch mehr Menschen.


    Du musst da wirklich Geduld mit ihr haben. Lily fängt quasi bei Null an, die fängt gerade erst an, den Alltag des klassischen deutschen Haushundes zu erlernen. Gib ihr Zeit. Lass ihr ihre Teppichwege, lass sie in ihrem Körbchen KOMPLETT in Ruhe. Das ist ihre sichere "Höhle", in die sie sich zurückzieht, wenn sie Sicherheit braucht. Und die braucht sie jetzt erstmal 24/7, damit sie überhaupt die ganzen neuen Reize verarbeiten kann.

    Beweg dich ganz normal durch deine Wohnung, leb deinen normalen Alltag. Sprich sie ruhig und nett an, lass ab und an mal ein Leckerchen fallen, stell ihr Futter und Wasser hin. Lass ihr Zeit. Dräng sie nicht zu irgendetwas, zumindest noch nicht. Erstmal muss sie ein Grundvertrauen zu dir und ihrer Umgebung aufbauen. Und das geht nur mit viel viel viel Routine und Zeit.


    Wie bringe ich ihr bei, dass der Zaun eine Grenze ist? Oder soll ich wirklich nur noch mit Leine in den Garten?

    Einem Hund, der bereits 2x erfolgreich ausgebrochen ist, wirst du kaum vermitteln können, dass der Zaun eine Grenze ist. Denn der Hund weiß ja schon, wie er diese Grenze überwindet.

    Ein Hund, der derart ängstlich ist, mit der Umgebung überhaupt nicht zurecht kommt und bereits mehr als 24 h verschwunden war, wäre bei mir im Garten stets an der Leine und vor allem NIEMALS unbeaufsichtigt.

    Wo ich hingehe, geht auch der Hund hin, punkt. Da ist nix mit Hund in den Garten schmeißen und ich gammel im Haus rum, nix da!


    Du musst aber auch bedenken, dass im Garten ebenfalls zigtausend Reize auf Lily einprasseln. Die muss sie alle irgendwie verarbeiten. Gestalte die Aufenthalte im Garten kurz und strukturiert.

    Du leinst sie an oder nimmst die Leine, die sie eh schon am gut sitzenden Sicherheitsgeschirr hat (GANZ WICHTIG!) und ihr geht zusammen raus. Du setzt dich in den Garten, hältst die Leine fest. Die ist idealerweise so lang, dass Lily den Garten erkunden kann, wie sie das möchte, ohne eine Chance zur Flucht zu haben. Und dann lässt du Lily Zeit, sich in Ruhe mit der Umgebung "Garten" auseinanderzusetzen. Da sind 5 Minuten am Anfang erstmal völlig ausreichend.


    Sie lernt ganz schlecht. Wenn wir draußen sind ist sie total abgelenkt und hört überhaupt nicht auf den Rückruf, den wir seit 2 Monaten trainieren

    Ja, wie soll sie denn auch konzentriert lernen, wenn da 37930127392017442709 Geräusche, Gerüche, Lebewesen, wasweißich sind, die sie nicht kennt? Die sie erst einordnen muss? Die sie als bedrohlich empfindet? Unter Stress lernt man nur schlecht bis gar nicht, das ist bei Mensch, Hund, Katz und Co. so.

    Lily hat jetzt einfach massiv Stress (siehe unten) und kann daher gerade überhaupt nicht lernen.

    Die muss grad erstmal lernen, wie lernen überhaupt funktioniert. Lass solche Themen wie Rückruf, Sitz, Platz usw. bitte erstmal weg, bis Lily sich überhaupt an ihr neues Leben gewöhnt hat.

    Das kann 6 Monate dauern, vielleicht auch 12. Oder sogar 2 Jahre. Oder es dauert ihr Leben lang. Weiß zum jetzigen Zeitpunkt niemand.


    Sie wird einfach nicht stubenrein. Sie pinkelt ständig auf die Teppiche, die ich überall hinlegen muss, damit sie sich bewegen kann. Ich gehe alle paar Stunden mit ihr raus und sie macht draußen auch, aber trotzdem pinkelt sie danach oft in die Wohnung.

    Sie pinkelt rein, weil sie so viel Stress hat, drinnen wie draußen, dass sie sich draußen gar nicht richtig "lösen" kann. Um richtig pinkeln zu können, muss man entspannt sein.

    Du kennst das doch bestimmt von dir selbst. Du hast verschlafen, kommst zur spät zur Arbeit, die Blase drückt, du rennst fix aufs Klo, dann lässt der Chef seinen Ärger an dir aus, du rennst deshalb nochmal aufs Klo, bist durstig und trinkst n Schluck Wasser, ein Kunde mault dich an, du hast noch mehr Stress, rennst wieder aufs Klo...

    Wer Stress hat, trinkt viel.

    Wer viel trinkt, pinkelt viel.


    Wie sieht euer "Rausgehen" jetzt aus? Geht ihr richtig Gassi? Oder gehst du zur immer gleichen grünen Wiese, lässt Lily angeleint auf der Wiese rumschnuppern, bis sie pinkelt bzw. sich löst?

    Letzteres wäre JETZT mein Handlungsweg. Streich erstmal normales Gassi. Lily muss erstmal lernen, dass die Welt da draußen sie nicht auffrisst. Und da wäre es am besten, wenn du den Garten nutzt.

    Ein Hund, der mit seiner Umwelt so überfordert ist, profitiert erstmal nicht von Gassi gehen. Der braucht erstmal grundlegende Sicherheit. Und die kannst du Lily geben, in dem du sie nur sehr dosiert neuen Reizen aussetzt, WENN! der sichere Alltag etabliert ist.


    Dein sicherer Alltag mit Lily sollte von Routine und Struktur geprägt sein. Damit Lily weiß, was als nächstes kommt. Dadurch gewinnt sie an Sicherheit und weiß "aha, Frauchen ist gerade aufgestanden, das heißt, es geht gleich raus. Aha, wir waren draußen, das heißt, es gibt gleich Fressen." Und so weiter.

    Wenn das sitzt, Lily im Haus wirklich entspannt ist, im Garten entspannt ist, dann könnt ihr euch ans nächste Level namens "Gassi gehen" wagen. Aber das braucht Zeit, Bauchgefühl, Geduld, Zeit, Gefühl für den Hund, Geduld, hab ich Zeit schon gesagt?


    Wenn ich sie erwische schimpfe ich natürlich, aber ich habe das Gefühl, dass sie es jetzt absichtlich heimlich macht, da ich sie seit 2 Wochen nicht mehr erwischt habe, aber ständig Pfützen finde.

    Durchs ständige Schimpfen hat Lily gelernt, dass sie besser nicht in deiner Gegenwart pinkelt, sondern dann, wenn du gerade nicht im gleichen Raum bist. Gratulation.

    Absichtlich macht sie es sicher nicht, so denken Hunde gar nicht!


    Wie trainiert man die Stubenreinheit bei einem erwachsenen Hund?

    Mit viel Geduld, Fingerspitzengefühl, richtigem Timing und ohne Schimpfen - also wie bei einem Welpen.


    Wenn man sie dann anfassen will schnappt sie. Das macht mir Sorgen, da ich beim Fragebogen klar ausgefüllt habe, dass ich keinen aggressiven Hund haben möchte. Wie kann ich ihr das abgewöhnen?

    Ja, dann fasst sie nicht an! Durchs Schnappen zeigt sie sehr sehr deutlich, dass sie nicht angefasst werden will!

    Aggression ist Bestandteil der hündischen Kommunikation, es gibt schlicht keinen Hund ohne Aggression.


    Ganz sicher hast du vorher schon Signale übersehen, mit denen Lily dir und anderen mitgeteilt hat "Ich möchte das nicht". Das sind ganz feine Signale, die ungeübte Hundehalter (das ist kein Vorwurf) nicht sehen oder verstehen.

    Das kann ein leichtes Lecken über die Lefzen (auch "Züngeln" genannt") sein.

    Das kann ein Zucken der Ohren nach hinten sein. Das kann der Blick sein, der starrer und steifer wird.

    Das kann ein "Walauge" (weit aufgerissene Augen, bei denen dann viel Weiß sichtbar ist) sein.


    Bitte mach dir Gedanken darüber, ob du lernen willst, Lily zu verstehen. Angsthunde sind nicht für jedermann, man braucht bei vielen Exemplaren viel Fingerspitzengefühl und Hundeverständnis.

    Ich glaube, dass der Verein da einfach wieder völlig planlos vermittelt hat bzw. auf Teufel komm raus einen Hund "retten" wollte.


    Aus welcher Gegend kommst du?

    Dann können dir die Leute hier vielleicht einen geeigneten Trainer empfehlen. Denn ich glaube, du musst jetzt ganz schnell sehr viel lernen, um Lily verstehen und helfen zu können.


    Wenn du im Berliner Umland lebst, dann komm ich auch gerne mal vorbei und erklär dir ein paar Dinge. Ich hab selbst eine ängstliche Hündin, die war aber nicht so ängstlich wie Lily. Dennoch gibt's einige Dinge, die die beiden bestimmt gemeinsam haben.

  • Sieh es mal ganz realistisch: Aus der Sicht des Hundes wurde er nicht gerettet, sondern gekidnappt und in ein rundum furchterregendes Umfeld verfrachtet. Wofür um Himmels Willen sollte er dankbar sein?


    Das arme Tier ist im Schockmodus, und aus dieser Rundum-Angst mußt du ihm jetzt entweder mit sehr, sehr viel Geduld raushelfen und darfst keine Wunder erwarten - oder du gestehst dir ein, dass du da mit komplett falschen Vorstellungen und Erwartungen rangegangen bist und gibst ihn zurück.

  • Ich war vorhin recht harsch - und hoffe, du bist noch bereit, dir die Sachen hier durchzulesen.


    Eine wirklich, wirklich ernst gemeinte Bitte:


    Verabschiede dich von der Vorstellung, eines aufgeschlossenen, fröhlichen Hundes, der gerne überall im Trubel mit dabei ist. Sei realistisch, sehr ehrlich zu dir und überlege, ob du dauerhaft ein Leben mit diesem Hund willst.

    Der Hund und deine Erwartungen passen nicht zusammen. Der Hund hat zu viel Angst, er kann sich nicht ändern - also müssen sich deine Erwartungen ändern.

    Du wirst diesen Hund nicht in dein Schema pressen können. In einem ruhigen Umfeld, bei entspannten Leuten mit Erfahrung, kann sich der Hund dann auch ganz anders entwickeln.


    Eine Abgabe ist keine Niederlage, keine Schande und nicht das "Schlimmste, was einem Hund passieren kann". Unter bestimmten Umständen kann eine Abgabe die beste Entscheidung sein, die ein Mensch für einen Hund treffen kann.

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