Auslandshund bellt alles an

  • Hallo ihr Lieben,


    Nachdem wir keine Hundeschule finden, bei der unser Hund mitmachen kann, und auch die Einzelcoachings nicht so wirklich klappen, dachte ich mir, vielleicht gibt es jemanden hier, der ähnliches mit seinem Hund erlebt hat und uns vielleicht ein paar Tipps geben könnte.


    Unser Hund kam als Welpe als Tierschutzhund aus dem Ausland. Er war super schüchtern, ist mir überall hin gefolgt, hat sich kaum heraus getraut und hatte panische Angst vor allem was draußen auf ihn gewartet hatte. Wir leben in der Stadt, wenn auch etwas beschaulich, mehr vorstädtisch - also keine dicht befahrenen Straßen und Trubel vor der Tür, stattdessen viel Wiese. Er hatte immer sehr defensiv reagiert, ich gab ihm Zeit, zeigte mich aber auch unbeirrt. Eigentlich hatte ich das Gefühl, dass es besser wurde, auch wenn seine panische Angst vor Männern (vorallem wenn sie sprachen) immernoch sehr schlimm war.


    Irgendwann wurde aus unserem Welpen, der sehr schnell und begierig gelernt hatte, super brav war, zu einem Junghund. Er fing an Grenzen zu testen und war so wie junge Hunde eben sind. Wir sind konsequent geblieben, und haben diese Proben gut gemeistert. Ich muss dazu sagen, dass er nicht unser erster Hund ist, aber unser erster Tierschutzhund.


    Allerdings wurde das draußen nun doch nicht besser. Irgendwann hatte er sich mal so erschreckt, dass er losgebellt hatte, der entgegenkommende Passant sprang erschrocken zur Seite. Ab da änderte sich alles. Denn seitdem wird nun alles zerbellt was in die Nähe kommt. Egal ob Mann oder Frau, Kinder oder alte Leute. Schlimmer noch: ist ein Kinderwagen, Rolator dabei oder trägt jemand einfach eine Tüte (oder schlimmer noch: eine Kiste), dann dreht er erst recht völlig am Rad. Er bellt wie ein besessener, zieht an der Leine aktiv in Richtung der Leute. Er ist so fokussiert auf sein Umfeld, vom ersten Moment an, wenn wir das Haus verlassen, dass er absolut gar nichts mehr sonst wahrnimmt. Er hört uns nicht, registriert uns gar nicht, und an Leckerlis ist nicht zu denken, obwohl er überaus verfressen ist. Die Coachs meinten, er muss lernen hinter uns zu laufen. Das klappt nicht. Er rennt wie besessen nach vorn. Uns wurde gesagt, wir müssen ihm den Weg abschneiden. Er rennt aber dermaßen panisch nach vorn, dass das nicht möglich ist. Notfalls quetscht er sich zwischen Mensch und Betonwand/Auto/Hecke/was auch immer, ohne Rücksicht auf Verluste. Unsere Nachbarn gehen uns mittlerweile aus dem Weg, kein Wunder, es muss aussehen als hätten wir eine wildgewordene Bestie an der Leine.


    Hört er Nachbarn im Treppenhaus bellt er ebenfalls wie verrückt. Wenn ich ihn auf seine Decke schicke, dann tut er das zwar, hört auch manchmal auf zu bellen, kommt aber sofort wieder zur Tür gerannt, wenn das nächste Geräusch zu hören ist. Ich habe versucht es nach Martin Rütter zu machen, und selbst an die Tür zu gehen. Ich habe sogar selbst gebellt! Nichts. Interessiert ihn nicht.


    Besuch ist nicht möglich - ausgenommen diejenigen, die er seit Welpenalter wirklich kennt und uns oft besuchen kommen. Ansonsten bellt er, knurrt er, hält aber Distanz zum Besuch. Er verschreckt natürlich die Leute damit, was dazu führt, dass wir gar keinen Besuch mehr bekommen. Die Situation zu üben ist also auch schwierig.


    Andere Hunde sind gar kein Problem, er erträgt dann sogar die Anwesenheit derer Herrchen und Frauchen draußen beim Spaziergang, vorausgesetzt sie sprechen ihn nicht an.


    Mehrere Coachs meinten, ein ruhiger Zweithund würde ihm gut tun, vielleicht ein älteres Tier. Ich ertappe mich zwar oft bei den Gedanken, dass unser alter Opi, der leider vor ihm verstorben ist, ihm bestimmt gut getan hätte, aber ich glaube damit brauche ich gar nicht zu meinem Mann zu kommen. Und ich hätte auch Angst, dass sich der Zweithund am Ende mit hochschaukelt, obwohl es doch sehr deutlich ist, wie viel sicherer sich unser Hund fühlt, wenn er auf andere trifft. Das hektische umschauen, die ganze Körperspannung ist so viel weniger.


    Unser Hauptproblem ist das Gassigehen. Es ist einfach nicht möglich mit ihm draußen zu laufen, weil er massiv bellt, gar nach vorne prescht und auf die Leute zu stürmt. Ich weiß nicht wie wir das Problem lösen sollen. Das Wege-Versperren wirkt auf mich eher hochschaukelnd. Wenn ich alleine mit ihm bin, dann gehe ich zur Seite, lasse die Leute durch, rede beruhigend auf ihn ein, dann wirds besser. Sobald wir aber zu zweit oder mit den Kindern unterwegs sind, funktioniert das nicht. Er ist dann völlig abgeschaltet. Wie im Rausch.


    Wir lieben ihn wirklich sehr und würden gerne das Zusammenleben mit ihm schöner gestalten, damit für ihn der Stress abnimmt und wir nicht mehr ganz so sehr für die Nachbarn die Horrorfamilie mit dem Höllenhund sind.


    Ich bin also für alle Tipps und Ratschläge dankbar!

    Danke fürs lesen :face_blowing_a_kiss:

  • Puh, das klingt nach einem wirklich massiv unsicheren und gestressten Hund.

    So sollte es natürlich möglichst nicht weitergehen, denn je länger er dieses Verhalten zeigt, desto mehr festigt es sich. Und eigentlich sollten Spaziergänge ja einen Mehrwert für den Hund bieten; eurer kann ja das Draußensein vermutlich aufgrund der großen Anspannung gar nicht genießen.


    Meiner Ansicht nach bringt es gar nichts, den Hund nur irgendwie zu "begrenzen", indem man ihn z.B. hinten laufen lässt oder mit dem Bein begrenzt. Das Grundproblem, seine Angst, ist dadurch ja nicht gelöst. Ein wenig scheint mir, der Hund wurde bisher mit seinen negativen Emotionen eher alleingelassen und meint dadurch, sich in solchen Situationen selbst verteidigen zu müssen, indem er sich alles, was eine Bedrohung darstellen könnte, lautstark vom Leib hält.


    Erstmal: Wie oft, wie lange geht ihr so spazieren? Wie sehen diese Gänge aus? Ich würde das Programm da drastisch runterfahren, möglicherweise zeitweise auch überhaupt nicht das eigene Grundstück verlassen.


    Gibt es die Möglichkeit, Gassi erstmal nur in wirklich einsamen, öden Gebieten zu gehen, in denen Begegnungen unwahrscheinlich sind oder wo man problemlos großflächig ausweichen kann?



    Für das Training empfände ich hier Clicker/Marker-Training als sehr sinnvoll. Allerdings würde ich den Hund zunächst erstmal ganz stressfrei drinnen auf den Clicker/Marker konditionieren und das Gassi auch deshalb erstmal einschränken, dass der überhaupt mal wieder runterfahren kann. Bei dem Dauerstress ist er draußen ja sonst gar nicht empfänglich für Bestätigung und Belohnung.


    Ein guter, vorrangig positiv arbeitender Hundetrainer kann euch dabei unterstützen, dass ihr den Hund überhaupt mal ansprechbar kriegt und euch zeigen, wie man behutsam Begegnungen managed und für den Hund angenehmer gestaltet. Ich denke da vor allem auch an bedürfnisorientierte Belohnung oder BAT (Behavior Adjustment Training), aber allein rumprobieren würde ich in eurem Fall wohl nicht empfehlen. Holt euch lieber einen wirklich vernünftigen Experten, der viel Erfahrung mit ängstlichen Auslandshunden hat, ins Boot.

    Unter "Trainieren statt Dominieren" findet ihr online zum Beispiel TrainerInnen, die sich dem gewaltfreien Training verpflichten.



    Gibt es eigentlich etwas, das eurem Hund Spaß macht und das er gerne tut? Etwas, das gut für sein Selbstvertrauen zu sein scheint? Wo er auch mal Erfolgserlebnisse hat?



    Und noch was: Einen Zweithund würde ich hier mal so absolut gar nicht empfehlen! Schafft in den meisten solcher Fälle leider nur noch mehr Probleme. Da müsste ja ein wirklich sehr souveräner, umweltsicherer, gelassener Vierbeiner her, der sich von dem Verhalten des Ersthundes nicht "anstecken" lässt - und das vorherzusagen, ist extrem schwierig. Am Ende hättet ihr dann zwei verstörte, kaum kontrollierbare Pöbler an der Leine, das ist für niemanden schön.

  • Bei diesen massiven Problemen muss meiner Meinung nach ein Trainer her, denn ob Du das allein hinbekommst, wage ich zu bezweifeln. Irgendwelche Ratschläge helfen Dir sicher wenig


    Aber, vergiss das Thema Zweithund. Das wird nicht gehen und die Probleme werden größer.


    Wo wohnst Du? Vielleicht gibt es User, die in Deiner NÄhe wohnen und Dir einen Trainer empfehlen können

  • Ich behaupte mal, dass ihr ohne guten Trainer nicht weiter kommt.


    Keiner hier kann einschätzen, was genau der Kern der Probleme ist. Was sich wie verselbstständigt, wo ihr Kommunikationsprobleme habt etc etc etc.


    Jemand mit Sachverstand muss einschätzen, woher diese Aktionen kommen ,was wirklich dahinter steckt. Damit der Lösungsweg auch der richtige ist. Sonst trainiert und therapiert man evtl Jahre lang in die falsche Richtung.


    Oder macht es noch schlimmer.


    Als Notlösung würde ich schauen, dass du möglichst oft mit dem Auto rausfahren kannst. Irgendwo hin wo kaum Andere unterwegs sind. Um da reizarm und entspannt mit dem Hund spazieren zu gehen. Ohne Kinder. Nur du und der Hund.



    Aber ansonsten: Keine Tips einfach irgendwie umsetzen. Lieber die Energie in die Suche eines richtig guten Trainers investieren.


    Woher kommst du?

  • Ich rate auch zu einem Trainer.


    Und zum Thema Zweithund.... die Nachbarn hier schräg gegenüber hatten einen Hund, der auch wegen allem losgekläfft hat, Hund, Mensch, Radfahrer...

    Seit etwa einem halben oder dreiviertel Jahr sehe ich sie mit zwei Hunden rummarschieren.

    Tja, und gestern war ein Mordspektakel auf der Straße unter meinem Fenster. Da hingen beide Hunde kläffend in der Leine und haben einen harmlosen Passanten verbellt. Die haben auch noch lang hinterher weitergekläfft, als der Mensch schon lang nicht mehr zu sehen war. Soviel dazu.

    Wenn es schon nicht mit einem Hund klappt, wie soll es dann mit zweien klappen?


    Sucht euch einen Trainer, der zu euch nach Hause kommt und das Problem an der Wurzel packt. Das beginnt nicht erst auf der Straße, wenn etwas kommt, das beginnt schon viel früher.

  • Evtl. wäre neben einem guten Trainer auch sinnvoll, mal einen Tierarzt mit Schwerpunkt Verhalten hinzuzuziehen. Der Hund klingt mega gestresst, unsicher und hat halt nun gelernt die Unsicherheit in Bellen umzusetzen. Ob das Problem rein durch Training schnell in den Griff zu bekommen ist, oder ob evtl. auch eine Medikation sinnvoll ist (entweder weil der Hund organisch nicht ganz ok ist, oder weil die Unsicherheit so doll ist, dass eine bessere Trainierbarkeit aus Tierschutzsicht medikamentös unterstützt werden sollte), kann ein Verhaltenstierarzt sinnvoll einschätzen.

  • Wisst ihr, was für Rassen in ihm stecken? Je nach Veranlagung kommt jetzt vllt auch einfach eine gewisse Genetik zum Tragen...

    Bei den Rumänen denke ich da relativ schnell Richtung HSH.

  • Danke euch! Das ist natürlich erstmal hart zu lesen, aber unterstützt was ich denke.

    Wir waren schon bei mehreren Hundeschulen und -Trainer und irgendwie finden wir nicht den "passenden". Uns wurde immer in Einzeltrainings gesagt, wir sollen uns vor ihm stellen, den Weg abschneiden, er soll hinter uns laufen, er habe zu viel Angst um ihn zu trainieren, ein zweiter alter Hund würde helfen usw usw.


    Ich habe aber das Gefühl, dass das in eine Richtung geht die nicht richtig ist.


    Ihr bestätigt mich darin. Ich habe nun nach ganz spezifischen Trainern für "aggressive / verhaltensauffällige / traumatisierte" Hund gesucht, nicht mehr einfach "nur" nach Coach und Trainer. Ich denke, da sind wir richtig(er) aufgehoben. Danke euch! Ich fühle, dass es schwerwiegender ist, aber die Trainer bisher haben das immer recht abgetan und meinten das obrige. Ihr bestärkt mich darin, auf mein Gefühl zu hören.


    Wir gehen schon für lange Runden in den Wald und ansonsten nur sehr kurze ums Eck. Aber man trifft ja trotzdem Leute. Zwar nicht viele, aber doch immer mal wieder. Die Trainer meinten bisher sogar, wir sollen uns mit ihm mitten in Trubel setzen. Haben wir auch eine Zeitlang gemacht, er hat sich sogar irgendwann hingesetzt und hingelegt, aber ich hatte das Gefühl, dass das Gebell danach nur stärker geworden ist.


    HSH kann sehr gut sein, er sieht sehr danach aus. Und sein Verhalten würde gut passen. Er bellt auch im Auto, obwohl er das Autofahren echt gut mitmacht und ewig mitfahren kann. Aber wehe ein Fußgänger kommt zu nahe oder Motorrad oder Radfahrer.

  • Wie alt genau ist der Hund jetzt? Wie groß? Wieviel Kilo Gewicht? Foto möglich oder Beschreibung der Optik?

    Männlich, weiblich, kastriert oder nicht?

    Wo wohnt Ihr denn? (Landkreis reicht)


    Euer Hund ist falsch konditioniert und ev. etwas angstaggressiv u/o unsicher aufgrund seines noch nicht ausgereiften Alters/Persönlichkeit, aber das schwerwiegendere Problem ist: er führt Euch statt andersherum, also konträr dazu, wie es eigentlich sein müßte.

  • Hallo,


    tut mir Leid für Euch!


    Zum Thema zweiter Hund: WÄRE schon ein souveräner Ersthund da, würde das bestimmt helfen. Aber jetzt einen weiteren Hund holen, das wäre sicherlich total kontraproduktiv. Oben wurden ja schon Gründe genannt.


    Ich würde auch zu einem Trainer raten.


    Jetzt komme ich mal wieder mit dem Vorgehen, das ich einsetze bei meinem ebenfalls unsicheren Hund (der aber nicht nach vorne geht, sondern eher mit Angst reagiert, manchmal mit ängstlichem Kläffen. Da ich bei Eurem Hund aber aufgrund der geschilderten Vorkommnisse auch Unsicherheit vermute, könnte das ein erster Schritt sein).


    Ich arbeite mit "Zeigen und Benennen".

    Ziel ist, dass der Hund einige Reize mit Namen lernt, also z.B: "Mensch, Kind, Fahrrad, Auto, Hund", etc. und dass man ihn dann bewusst diese Reize nennt, er sie mit den Augen sucht und man das dann clickert/markert und belohnt. Dadurch wird die Situation für ihn entschärft.


    Meiner hat so mit drei Monaten angefangen, leise zu wuffen, wenn ein Mensch oder Hund auf ihn zukam. Also habe ich ihm "Mensch" und "Hund" beigebracht.

    Das funktioniert so:


    Schritt 1:

    Clicker / Markerwort (z.B. "Klick", "check", "jep") konditionieren. Das schreibe ich jetzt nicht, dafür gibt es gute Youtubevideos.


    Schritt 2: (unbedingt mit großem Abstand zum Reiz, wo sein Stresslevel möglichst niedrig ist):

    Hund schaut zum Reiz. Man clickert/markert und belohnt. Das Ganze wieder und wieder. Irgendwann benennt man den Reiz, z.B. mit "Mensch". Der Hund schaut hin, man clickert/markert und belohnt.


    Schritt 3:

    Irgendwann, wenn er das Prinzip verstanden hat und hoffentlich aufgrund des Abstands nicht austickt, wartet man mit dem Klick/Markerwort. Normalerweise wird er Hund erst zum Reiz schauen, auf den Klick warten und sich dann verwundert zu Dir umschauen. Das sofort markern/clickern und belohnen. Am besten vom Reiz weg.

    Ab dem Zeitpunkt sollte es dann immer so funktionieren:

    Hund sieht Mensch bzw. Du machst ihn darauf aufmerksam ("Wo ist der MENSCH?"), er schaut hin, dann sofort zu Dir und das wird immer gemarkert/geclickert.


    Durch den Marker und die Belohnung wird der Reiz entschärft.


    Wichtig ist wirklich, dass der Abstand so groß gewählt wird, dass der Hund das alles vom Erregungsniveau schafft. Dann klappt es i.d.R. auch zunehmend bei kleineren Abständen.

    Sobald er auf ein gut aufgebautes Markerwort nicht mehr reagiert, ist der Abstand zu gering.


    Das war jetzt nur kurz erklärt. Gibt auf Youtube einiges dazu.

    Ich bin ein großer Fan davon, wir haben damit echt so gut wie alles entschärft: Kinder, Trolleys, Menschen.


    Und wenn ein Hund an den Clicker / ein Markerwort gewöhnt ist, kann man das auch fürs normale Training einsetzen.

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