Zweithund ist abhängig von Ersthund. Was tun?

  • Ist doch jetzt aber nicht wichtig, wie Maya sich wohl in Rumänien auf der Strasse gefühlt hat. Weiß kein Mensch. Sie ist ja nunmal hier, von diesen Hundetransferen aus Rumänien und Ungarn kann man geteilter Meinung sein, da gibt es ja auch riesen Unterschiede, je nach Organisation.


    Meine alte Hündin kam aus dem inländischen TS und war auch sehr schissig, als sie hier ankam. Ich und meine kleine Tochter waren ok. Meine kleine Tochter wurde sehr schnell sehr wichtig für den Hund, obwohl meine Tochter damals erst knapp sechs war. Die Hündin klebte extrem an ihr, schlief in ihrem Bett, wartete an der Haustür, wenn sie nicht da war. Warum das so war, keine Ahnung. Das Kind war recht impulsiv und ja viel zu jung für so eine Aufgabe, war aber der Hündin egal.

    Ich konnte hier beobachten, wie die Hündin mehr und mehr zu sich fand und den Rest der Familie an sich heran ließ, hat aber gedauert. Hatte meine Tochter Besuch musste ich sie weg tun (zu mir in Küche/ Wohnzimmer oder was auch immer holen), weil sie andere Kinder nicht in der Nähe meiner Tochter haben wollte. Naja, das Kind wurde älter und älter, der Hund wurde immer öfter bei mir gelassen, das Kind immer mehr ausser Haus. Und so lernte die Hündin gaaaaanz allmählich mit uns anderen, vornehmlich mit mir, klar zu kommen. Emotional war sie nie so richtig "mein" Hund, Terriermix und eine unfassbare Zicke, aber als wir sie im März mit stolzen 18 Jahren gehen lassen mussten waren wir alle am Boden. Das liest sich jetzt sehr nach Lassieromantik fällt mir gerade auf, aber ganz ehrlich, diese 18 Jahre waren wirklich hart. Zeitlebens waren fremde Menschen und Hunde schwierig, man konnte sie nie einfach so mitlaufen lassen, sie brauchte lebenslang sehr viel Aufmerksamkeit.

    Aber es hat sich gelohnt. Sehr eigener, aber trotzdem toller Hund war das...

  • Das Thema Tieschutzhund hat viele Facetten und ich tue mich da mit so einigen sehr schwer.


    Aber ob gerettet oder entführt, Maya ist jetzt da. Und das große Glück von Hunden bei netten Menschen ist, dass Menschen flexibel sind und sich ziemlich weit auf den Hund und seine aktuellen Möglichkeiten und Ängste einstellen können.

  • Sie will nicht spielen, sie nimmt keine Leckerlies, trainieren ist sowieso unmöglich.

    Logisch. Die ist im Panik Zustand, da löse ich auch keine Rechenaufgaben mehr. Nicht mal mehr eins und eins kann ich dann addieren :winking_face_with_tongue:

    Auch wenn sie keine Leckerlis annimmt: das zeigt einfach nur, daß sie gerade Streß hat.

    Aber eventuell kann man unterwegs, wenn man bestätigen möchte, mit funktionellen Bestätigungen arbeiten. Sprich der Hund bekommt genau das, was er gerade braucht. Ist sie in Ruhe sitzen geblieben, wenn sich Dein Partner mit Ally entfernt, wird sie kein Leckerli annehmen, weil das für sie Streß bedeutet. Aber wenn sie das schön gemacht hat, und Ally kommt zu ihr zurück, ist das in dem Moment die allerbeste Bestätigung überhaupt. Sie möchte ihren Schutz und sie bekommt ihn. Sie bekommt Sicherheit. Und ihr diesen Wunsch zu erfüllen, ist die beste Bestätigung. Das nennt man dann funktionelle Bestätigung. Oder funktional oder wie auch immer, egal 🤣 ein weiteres Beispiel für eine funktionelle Bestätigung ist beim Gassigang bei 35 Grad im Schatten einfach Wasser. Ist sie gerade nicht in Panik geraten, obwohl Ally 2 m weit weg war, dann kann man ihr auch den Napf mit Wasser vor die Nase stellen (sich selbst dann wieder entfernen, vielleicht kann sie das dann annehmen!).

    Nichtsdestotrotz würde ich solche Scherze derzeit auf keinen Fall machen. Erst den Hund Sicherheit gewinnen lassen, zusammen mit Ally. Dann, wenn sie zeigt, sie kann einen kleinen Abstand ertragen, indem sie z.b. mal stehen bleibt und schnüffelt, obwohl Ally weitergeht, dann kann man solche Sachen gezielt unterstützen. Nicht gestellt trainieren, aber unterstützen, indem das Stehenbleiben und auch die eigene Entscheidung, etwas selbst bzw. alleine machen zu können, zusätzlich bestätigt wird.


    Mir wurde vom Tierheim bei Faro auch gesagt, daß er wahrscheinlich lernbehindert ist, und gar nichts annehmen kann. Aber hey- wenn dieser Hund lernbehindert ist, möchte ich Fritz heißen!!

    Der hat sich, sobald er aus dem Tierheimstreß draußen war, so toll gezeigt! Inzwischen hat er ganz viele Dinge quasi nebenbei im Alltag gelernt. Den Abruf (ich kann draußen schlecht üben mit ihm, weil ich ihn selten ohne Leine laufen lassen kann, wenn Leute anwesend sind geht das nicht, und auf dem Feld, wo es Spuren gibt, schon gleich dreimal nicht- aber mit wenig Ablenkung im Park zB funktioniert es toll), ein Stop, das Kommando Warte, Sitz, Platz, Bleib, er kann auch sitzenbleiben, während Biene um ihn herumläuft. Er hat gelernt, am Fahrrad zu gehen. Er hat gelernt, mit mir zu spielen. Er hat gelernt, zu apportieren. Er hat gelernt, den Futterbeutel zu suchen (also quasi Zielobjektsuche), bevor er ihn herbringt. Anschließend hat er gelernt, daß man auch ein Zerseil apportieren kann.

    Und, das beste überhaupt, er hat gelernt, eine Freundin von mir gerne zu haben und ihr zu vertrauen, so daß ich die beiden sogar miteinander alleine lassen kann, wenn ich geschäftlich unterwegs bin. Sie ist außer mir die einzige Person, bei der er nicht zupackt, wenn sie ihn anfaßt.

    Er kann inzwischen beim Tierarzt geimpft werden, ohne ihn in Narkose zu legen. Ich halte ihn entsprechend, und er läßt es sich auch gefallen. Da ist soooooososo viel passiert in diesen 2,5 Jahren bisher! Aber das hat erst angefangen, nachdem der Streß weg war, und der Hund hier angekommen war. Ich durfte ihn vom zweiten Tag am streicheln, warum auch immer, den Hund hat drei Jahre lang vorher niemand mehr angefaßt, weil er sich gewehrt hat. Es hat auch lange gedauert, bis ich ihn jetzt inzwischen vorbehaltlos überall anfassen kann, auch wenn er im Spiel etwas zu hochgedreht ist. Ohne, daß er auch nur zu grummeln beginnt, weil zu viel oder so. Anfangs durfte ich ihn nur kurz streichen. Dann etwas länger. Irgendwann hat er sich demonstrativ auf den Rücken geschmissen und mir den Bauch zugedreht, damit ich ihn streichle. Aber ich mußte trotzdem immer noch vorsichtig sein. Es gab ganz lange immer noch einen Moment, in dem es ihm zu viel wurde, in dem er steif wurde, oder sogar sehr sehr deutlich gegrummelt hat, und ich habe ihn genau damit die Situation dann auch beenden lassen wenn es zu viel wurde. Habe also gezielt gefördert, daß er es zeigt, wenn ihm etwas zu viel wird, statt zuzupacken.

    Ich habe sein Vertrauen gewonnen, indem ich in solchen Momenten SOFORT die Finger von ihm gelassen habe. Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, er testet das regelrecht aus. Und als er gemerkt hat, daß ich IMMER SOFORT ablasse, wenn er auch nur das geringste Anzeichen von Unbehagen zeigte, ging es plötzlich. Es fiel mir erst nach einer ganzen Weile auf, aber ich konnte ihn dann echt ewig streicheln, ohne daß er noch irgendwie geknurrt hätte oder gegangen wäre. Mini Schrittchen. Step für Step. DER HUND entscheidet,cwie schnell es weitergeht, und wann. Er zeigt es Euch, vertraut ihm.

    Auch ein Spielen wird sicherlich noch kommen, aber erst wenn der Hund komplett entspannt sein kann.

    Gebt der Kleinen die Zeit, und freut Euch über jeden Millimeter, den es vorwärts geht.

    Es ist wunderschön, wenn man es schafft, das Vertrauen des Hundes zu erringen. :smiling_face_with_hearts:

  • eine Frage an den Rest hier: kann es sinnvoll sein, für Ally einen Welpenauslauf aufzustellen? So dass sie sich Auszeiten von Maya nehmen kann?

    Maya Ally aber trotzdem sehen und hören kann 1m daneben, selbst aber nicht eingeschränkt wird?

    Ally trägt ja gerade ne ziemliche „Last“, und wenn sie zu sehr bedrängt wird über zu lange Zeit könnte das ja irgend auch mal kippen, oder nicht?

  • Natürlich haben wir sie gerettet. Besser als im Tierheim gehts ihr hier bestimmt.

    Ich arbeite im TH und finde das solche Aussagen bzw Denkweisen mitunter das größte Problem sind, dass die Leute immer meinen sie hätten die Hunde gerettet... Und der Hund müsste "dankbar" sein hier sein zu dürfen. So ein Quatsch. Das erschwert ein realistisches Bild auf den Hund enorm wenn man mit solchen vermenschlichten Ansichten daherkommt und die auf den Hund überträgt.

  • Ich würde jetzt erstmal tief durchatmen und völlig den Druck aus der Situation nehmen. Und schauen, ob sich dadurch schonmal etwas am Verhalten ändert und Maya sich nicht mehr ganz so klammerig an Ally hängt.


    Angel.ina


    Das heißt für Euch, dass Ihr erstmal komplett alle Erwartungen an Maya loslasst. Sondern einfach akzeptiert, dass sie da ist, im Moment nicht mehr als schattenhafter Mitläufer sein möchte. Und dass das nicht schlimm, bedrückend, quälend, enttäuschend oder so ist - sie ist einfach so. Sie lebt vermutlich schon sehr lange mit Angst und Vorsicht, das ist Teil ihrer Persönlichkeit. Was nicht heißen muss, dass sie nicht ein sehr glücklicher Hund werden kann, dass können auch Hunde mit Ängsten werden. Aber „normal“ - was immer für das für Euch bedeutet - in dem Sinn, dass sie 1A so wird wie ein Hund, der hier aufgewachsen und liebevoll sozialisiert wurde, wird sie wahrscheinlich nie werden. Lockt sie nicht (allenfalls mal beiläufig Leckerchen fallen lassen in ihrer Mähe, aber ohne Ansprache), schaut sie nicht lange oder konzentriert an. Macht mit unaufgeregter freundlicher Neutralität alles, was gemacht werden muss und lasst sie ansonsten auf Euch zukommen. Das kann dauern.


    Ihr müsst dafür halt wirklich die Erwartungshaltung aufgeben, dass sich jetzt schnell etwas verändert, sondern sie ganz gelassen so nehmen, wie sie ist und Euer Leben (soweit möglich) wie gewohnt weiterleben. Was auch immer Ihr vom Hund erwartet oder erhofft und wenn Ihr am Zweifeln oder enttäuscht von ihr seid - sie bekommt das mit und es bedrängt sie. Ein wenig Druck ist angeraten, wenn sie nur in einem Schneckenhäuschen sitzt, aber da gehört so viel Fingerspitzengefühl dazu. Dazu würde ich Anleitung von einem Tierarzt oder Trainer mit tiefen Kenntnissen in Angstverhalten abwarten, wenn Ihr keine Erfahrung mit ängstlichen Hunden habt.


    Nimmt sie - sei es auch noch so kurz und verstohlen und von der Seite aus - Blickkontakt auf bzw. guckt, was Ihr macht? Dann ist der Fuß schonmal in der Tür, dann ist die Chance sehr gut, dass weiterer Kontakt nur eine Frage von Ruhe und Zeit ist.


    Hat sie eigene Rückzugsmöglichkeiten bei Euch gesucht und kann sie die frei nutzen? Meine Bulgarin hat sich in der Zwischenzeit gut hier eingelebt, viele Angstauslöser können wir hier auch vermeiden (Dorf am Ärmel der Welt). Aber ihr Schlafbedürfnis ist immer noch enorm, das gehört einfach zu ihr.


    Ich drücke Euch die Daumen.


    Edit: Und zum allgemeinen Thema noch einmal angemerkt: Straßenhunde in Osteuropa werden nicht kastriert und wieder auf die Straße verbracht, das ist rechtlich nicht zulässig. Sie werden gejagt, gefangen und in Shelter verbracht, wo sie entweder landesintern vermittelt werden, aber das ist nur ein minimaler Bruchteil, von Orgas übernommen werden, oder eben im Shelter verbleiben bis zu ihrem Tod. Der je nach Qualität des Shelters sehr schnell eintreten kann und mit Tötungsaktionen muss gerechnet werden. Der größte Teil der Hundefänger agiert staatlich beauftragt. Der Mythos vom gesunden glücklichen Straßenhund, der von geldgeilen Tierschützern von der Straße, auf der er sich wohlfühlt, weggefangen wird um in die Fremde verschleppt zu werden, ist genau das: Ein Mythos.


    Was allerdings richtig ist, ist, dass „Dankbarkeit“ ebenso ein Mythos ist und der Hund aus seiner Perspektive tatsächlich schlicht entwurzelt ist.

  • Ich denke auch, vielleicht haben die Hunde es auf Dauer hier wirklich besser, weil sie regelmäßig essen bekommen weil sie zur Ruhe kommen, weil sie nicht auf der Straße leben müssen.


    Aber Fakt ist, die meisten dieser Hunde kennen dieses Leben bei uns nicht. Sie werden tatsächlich aus dem ihnen vertrauten Straßenleben herausgerissen und quasi daraus entführt, das ist durchaus nicht verkehrt ausgedrückt.

    Die kommen hier nach Deutschland, zu irgendwelchen Haltern, die Dankbarkeit erwarten, während der Hund einfach nur panisch ist, weil er von Menschen auf der Straße bestenfalls noch getreten oder geschlagen wurde, aber sicher nichts Gutes erlebt hat. Komplett andere Situation, komplett anderes Umfeld, plötzlich regelmäßiges Futter eingesperrt in einer Wohnung mit Menschen, die das Tier ängstigen, weil es anderen Umgang mit Tieren durch Menschen gewöhnt ist.


    Im ersten Moment wenn die Tiere hier ankommen, bin ich mir sicher, wünscht sich jedes Einzelne auf seine Straße zurück.


    Und das muß man im Kopf haben, um die Tiere verstehen zu können. Um ihre Reaktion erkennen und verstehen zu können. Um selbst auch richtig reagieren zu können auf sie, und ihnen ausreichend Zeit zu geben, sich auf diese komplett neue Situation einzulassen.

    Deswegen: niemals nicht bedrängen, Sicherheit geben, am Anfang vielleicht sogar immer dieselbe Gassirrunde, damit der Hund lernt: hinter diesem Zaun wohnt Dackel Fiffi, hinter jedem Zaun Katze Maunzi. Nach einer Weile weiß er was ihn an welcher Ecke erwartet, merkt, daß ihm in dieser Gegend nichts passiert. Kann anfangen, zu entspannen.


    Bis zu diesem Zeitpunkt fühlt der Hund sich mit Sicherheit nicht "gerettet".


    Wenn es einem gelingt, ihm die nötige Sicherheit zu geben, dann kann der Hund irgendwann auftauen und kann entspannt werden und sein Leben hier genießen. Wenn er seine Halter kennt und ihnen vertraut, dann könnte man ihn fragen, ob er wieder auf die Straße zurück möchte, und er würde vielleicht dann doch nein sagen.


    Aber im ersten Moment wenn diese Hunde hier ankommen, fühlt sich keiner von denen hier wohl, sicher oder willkommen oder gar "gerettet". Im Gegenteil. Alles furchtbar gruselig, und alle Menschen stürzen sich auf den Hund, ohne Rücksicht auf Verluste, weil der muß ja dankbar sein.... :winking_face_with_tongue:Das einzige, wofür diese Hunde in dem Moment dankbar wären, wäre ein Mauseloch, in dem sie verschwinden könnten....

  • Das einzige, wofür diese Hunde in dem Moment dankbar wären, wäre ein Mauseloch, in dem sie verschwinden könnten....

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