Gibt es kein Bauchgefühl mehr?

  • Das spannende ist, dass häufig die Annahme mitschwingt, dass das Bauchgefühl immer richtig liegt

    Soweit würde ich jetzt auch nicht gehen wollen.

    Es kann sich auch irren, bzw total daneben liegen.

  • Tatsächlich waren Entscheidungen, die ich gegen mein Bauchgefühl getroffen habe nahezu immer blöd.

    Das geht mir ganz genauso.


    Wenn man das unter Bauchgefühl versteht (dieses Gespür dafür, was für einen selbst gut ist) - ja, absolut. Super wichtig. Dass wir aus mehr bestehen als nur dem Verstand, natürlich. Und dazu hat ja auch die Wissenschaft einiges zu sagen... Psychologie, Neurologie, Sozialwissenschaften.


    Das ist für mich jetzt nur relativ weit weg von der Ausgangs-Frage. Also der nach einem früher vorhandenen Bauchgefühl in Bezug auf Hundeerziehung, dass den heutigen Menschen irgendwie abhanden gekommen ist.


    Das sehe ich einfach nicht. Ich kann beim besten Willen die Erfahrung nicht teilen, dass Menschen "früher" mehr Gefühl, Verständnis, Respekt, Einfühlungsvermögen für Hunde hatten, als heute. In einem irgendwie generellen Sinn.


    Immerhin meinen die Leute es heutzutage in aller Regel gut, wollen ihrem Hund keine Gewalt antun. Das war "früher" wirklich anders. Da war Gewalt gegen Tiere, genauso wie gegen Kinder oder Frauen, völlig normal. Das ist für mich der wesentliche Unterschied zwischen "früher" (länger als 30 Jahre her) und "heute".


    In mir sträubt sich einfach alles, da mehr "Bauchgefühl" reinzuinterpretieren.


    Dass andere Menschen andere Erfahrungen gemacht haben oder die Welt anders interpretieren, sei natürlich unbenommen.

  • Ach, ich weiß nicht.

    Ich mag z. B. Fliegen nicht. Mich stresst von A bis Z alles dabei, und wenn der Hinflug überstanden ist, stresst mich schon der Gedanke an den bevorstehenden Rückflug. Mein Bauchgefühl wird sich also immer melden und mir zu verklickern versuchen, dass dieser Flug jetzt eine absolut dämliche Idee ist und ich das lassen soll. Würde ich auf dieses Bauchgefühl hören, würde ich nie wieder ein Flugzeug betreten. Oder einen Flughafen, die alleine finde ich schon blöd.


    Bauchgefühl ist auch oft einfach (unbewusste oder bewusste) Angst oder Unsicherheit vor irgendwas.


    Aber ich habe den Eindruck, um die Art Bauchgefühl geht es hier im Thread eher weniger, sondern die Tendenz geht mehr zu Bauchgefühl = intuitives Handeln.

  • Das geht mir ganz genauso.

    Das geht jedem Menschen so und nennt sich "hindsight bias"

    Auch das, selbstverständlich.


    Ich hab jetzt eher in die Richtung gezielt, dass man sich innerlich irgendwie gegen etwas sträubt - und dann muss man eben genauer hinsehen, was los ist, was genau einem da so widerstrebt.


    Ich finde, wenn sich mein "Bauchgefühl" meldet, dann auch meistens eine rationale Erklärung dafür. Und wenn es nur ist, dass ich zugebeben muss, dass ich dabei bin, mich zu überfordern/überfordern zu lassen, oder in eine ungute Situation bringen zu lassen. Im Job erlebe ich das sehr regelmässig.


    Und das trifft natürlich durchaus auch auf den Umgang mit Tieren zu. Ich musste erst mal lernen, eine Reitstunde abzubrechen, wenn ich fand, dass das jetzt Mist ist, statt der vermeintlichen Autorität eines Reitlehrers zu folgen.

    Und die Liste der Hundevereine, bei denen ich mich nicht wohl gefühlt habe, ist lang...


    Ich meinte damit jetzt keine esoterischen "Frau geht nicht an Bord und dann stürzt das Flugzeug ab" Sachen. Es gibt IMMER jemanden, der den Flieger verpasst hat. Und auch nicht das "hinterher ist man immer schlauer" Phänomen.

  • Würde ich auf dieses Bauchgefühl hören, würde ich nie wieder ein Flugzeug betreten. Oder einen Flughafen, die alleine finde ich schon blöd.

    Eben - das Bauchgefühl hat nicht immer recht.

    Ein gutes Beispiel dafür, warum man seinem "Bauchgefühl" eben NICHT immer folgen oder vertrauen sollte.


    Oder eben doch - warum sollten Menschen fliegen? Könnte man auch sagen. Es ist eine reine Interpretationsfrage.

  • Ich find auch nicht, dass das Bauchgefühl immer recht hat. Es ist die Kombi aus Kopf und Bauch, die einen in einem ausgewogenen "Kräfteverhältnis" sehr gut durchs Leben steuert.


    Und Hunde sind zwar eine andere Spezies - aber immerhin ebenso soziale Lebewesen wie wir es sind und somit sind einige Dinge total ähnlich.


    Als ich als ersten Post schrieb, ich würde mich für viele Menschen freuen, wenn sie mehr ihr Bauchgefühl fänden, meinte ich damit unter anderem die unzähligen und gefühlt immer mehr werdenden wirklich verzweifelten Menschen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Hund tun sollen - es soll perfekt sein, aber "Welpe beißt", "Hund kläfft bei Besuch und ist aufgeregt", "Hund rastet an der Leine aus", "Hund jagt" - und in vielen Fällen - gefühlt fast den meisten - wäre es sehr einfach sich nicht in Theorie-Konstrukte, Pläne und Regeln zu stürzen, sondern einfach mal zu hören, was einem der "gesunde Menschenverstand"/"Bauchgefühl"/"Erfahrung mit Lebewesen der eigenen Spezies" da so raten würde und es wären viele Themen gar keine Katastrophen. Weil was man (nicht nur hier, sondern überall wo sich Menschen treffen, die Hunde haben) so mitbekommt, werden alle auffindbaren Schablonen und Theorien der Reihe nach probiert - zum Teil sehr sehr lange weil dabei steht, das muss man gaaaaanz langsam aufbauen. Aber das ist so viel Stress für alle.


    Japp, bleib ich bei: Mal in sich reinhören und einfach machen.

  • Wie immer wunderbar wertschätzend formuliert :lepra:


    Traumata und Umwelteinflüsse können sich genau auf diese Weise weitervererben.

    Ich denke schon, dass sich auch andere Erfahrungen, Neigungen, "Riecher" und ja, Bauchgefühl (im Umgang mit Tieren oder wie man im jeweiligen Umfeld zurechtkommt) über die Jahre weitervererbt haben und Erfahrungen verbal und nonverbal weitergegeben wurden. Ich glaube auch, dass es ein "kollektives Gedächtnis" gibt in einer Bevölkerung oder bestimmten Gruppen/Systemen.

    Aber klar, haltet mich einfach für schwachsinnig, ist einfacher xD

    Es ist noch völlig unklar, inwieweit epigenetische Veränderungen überhaupt vererbt werden können (vererbt, also ans noch gar nicht entstandene Leben weiter gegeben. Dass sie Einfluss auf einen Embryo oder ein Stillkind haben können, ist weniger umstritten. Aber auch hier ist die Frage, was Epigenetik und was Sozialisation ist).


    Denn epigenetische Veränderungen betreffen Körperzellen, vererbt wird über Keimzellen. MWn ist überhaupt erst für ein Epigenom eine Vererbung nachgewiesen worden. Und es wird - wenn überhaupt - auch nicht das „Trauma“ vererbt, sondern eine genetische Disposition für erhöhte Stressanfälligkeit.


    Für die Weitergabe „kollektiver Traumata“ muss man die Epigenetik nicht unbedingt bemühen, hier reichen Sozialisationsprozesse als Erklärung schon völlig aus. Derzeit ist nicht auszuschließen, dass Epigenetik eine Rolle spielt, aber nicht in der Form von intuitivem Wissen vergangener Geschehnisse. Das ist zwar aktuell eine gern genutzte Auslegung, aber ohne Grundlage.


    Es gibt definitiv eine Form von kollektivem Gedächtnis (ohne dass man wiederum Jung dafür bemühen müsste). Nennt sich Sprache. Denn da sind wirklich Wissen, Nichtwissen, Informationen und Falschinformationen über Generationen hinweg zusammengeflossen und beeinflussen das Denken, Fühlen und Handeln. Weswegen z. B. aktuell so viel Wert darauf gelegt wird, eine diskriminierungsfreie Sprache zu entwickeln.


    Edit: Und nein, ich halte Dich ganz sicher nicht für schwachsinnig :smile:

  • Hummel,

    aber in meiner Umgebung sind so viele Menschen, die dann Gewalt anwenden. Weil ihnen Ihr Bauchgefühl sagt, dass dieser Köter genau weis, was er soll, aber nicht will. Oder nicht weiß, wer der Boss ist, oder was auch immer. Und das sind eher keine Theoretiker.

    „Hör einfach mal auf dein Bauchfühl“ ist daher ein Rat, den ich keinem geben würde, den ich nicht wirklich gut kenne.

    Zumal:mein eigenes Bauchgefühl auch manchmal sagt: der Kerl will dich nur ärgern, verpass ihm mal ne richtige Abfuhr. Und dann schalte ich lieber wieder meinen Verstand an…

  • Hummel,

    aber in meiner Umgebung sind so viele Menschen, die dann Gewalt anwenden. Weil ihnen Ihr Bauchgefühl sagt, dass dieser Köter genau weis, was er soll, aber nicht will. Oder nicht weiß, wer der Boss ist, oder was auch immer. Und das sind eher keine Theoretiker.

    „Hör einfach mal auf dein Bauchfühl“ ist daher ein Rat, den ich keinem geben würde, den ich nicht wirklich gut kenne.

    Zumal:mein eigenes Bauchgefühl auch manchmal sagt: der Kerl will dich nur ärgern, verpass ihm mal ne richtige Abfuhr. Und dann schalte ich lieber wieder meinen Verstand an…

    Für mich ist das unterkomplex.

    Weil wenn der Hund rüpelig ist und distanzlos und dir dein Bauchgefühl genau das sagt: der ist mir gegenüber frech und respektlos, dann darf man auch intuitiv reagieren und das Tier einordnen. Weil es das versteht, wenn die Reaktion authentisch aus dir kommt. Warum muss man da dann alles zerdenken?

    Das heisst nicht, dass man auf alle Handlungen, des Hundes so reagieren soll und vor allem nicht aus Ärger oder Wut, aber ich seh hier doch viel mehr das Gegenteil, man traut sich da gar nicht mehr handeln, was ich auch schlimm finde.

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