Gibt es kein Bauchgefühl mehr?

  • Naja, ein Nein bedeutet bei mir eigentlich: Ich seh was du gerade machst oder machen willst. Und ich will das nicht.

    Abbruch halt.

    Ich will nicht das sie unbedingt zu mir kommt. Für das gibt es Komm.

    Von mir aus kann sie Schmetterlinge fangen oder sonst wo schnüffeln aber eben nicht in den Wald rennen, zu diesem Hund, zu diesem Spaziergänger. Oder irgendwas undefinierbares vom Wegrand fressen.

    Man muss das Nein ja nicht inflationär benutzen, aber ich finde es gut wenn es sitzt. So als Notbremse.

    Bei Wandelroeschen gibt es halt ein klar definiertes Signal. :ka:

  • Gut, Zurückrufen und dann vielleicht auch noch Leckerli als Belohnungen wäre hier vermutlich ohnehin tödlich. Meine würde dann nur noch Unsinn machen. 😂

  • Natürlich. 'Von mir aus' wäre auch noch Vieles möglich. Nur kann der Lernende halt einfach keine Gedanken lesen und wird es nie können. Es ist eine Philosophiefrage, ob ich mich selber oder den Hund ins Zentrum stellen will und kann.


    Ich hab kein Problem mit Abbrüchen. Ich finde sie für meine Zwecke einfach nicht dienlich und habe sehr viel sinnvollere Alternativen gefunden.

    Ich mach mir halt gerne so wenig Arbeit wie möglich und erziehe meine Hunde dahingehend, dass sie in den unterschiedlichsten Situationen selber die 'richtigen' Entscheidungen treffen lernen und ich nicht dauernd mit Argusaugen hinterherrennen und hindern und korrigieren muss. Aber wenn andere das so mögen, ist das doch völlig in Ordnung.


    Dazu passt dieses Beispiel von BellaMN ganz gut:

    Zitat

    Was genau sollte ich aufbauen, wenn sie es dennoch versuchen oder einfach was finden? Das es jedes Mal eine Belohnung dafür gibt, wenn sie stattdessen zu mir kommen? Könnte ich machen, aber das würde darin enden, dass meine Hunde absichtlich anfangen zu suchen, was sie nicht fressen dürfen, damit sie mehr Leckerlies einheimsen können. Ist für mich nicht Sinn der Sache. Sie sollen das schlicht und einfach komplett lassen. "NEIN" ist ein vollständiger Satz.

    Meine Hunde lernen, Fressbares anzuzeigen. Ganz einfach. Da kann auf dem Weg liegen, was will, die Hunde zeigen mir das an. Ich schau nach, was es ist und gebe es frei, wenn ich denke, es ist nichts Gefährliches. Manchmal geb ich's auch nicht frei und dann kriegen alle eine Runde Kekse, wenn ich welche dabei habe. Ich bin happy, die Hunde sind happy.


    Zitat

    Und ich hab bei meinen Hunden untereinander auch noch nie erlebt, dass sie sich beim deutlichen Aufzeigen einer Grenze danach hinsetzen, Alternativverhalten anbieten und sich erklären. Für die funktioniert das deutliche NEIN sehr gut untereinander.

    Ich bin kein Hund und bin deshalb überzeugt, nicht wie ein Hund handeln zu können. Ich glaube auch, dass mein Hund das auch weiss. Ausserdem halte ich mich im Allgemein für klüger als Hunde. Aus diesen Gründen benehme ich mich gerne doch einfach meiner Spezies entsprechend und überlasse (angebliche) Tierimitationen lieber anderen.

    Zitat

    Aber meine Hunde werden auch mit 15 nicht verstehen, warum irgendwas draußen fressen nicht erlaubt ist. Die müssen das einfach so hinnehmen.

    Es geht nicht darum, dass Hunde (oder Kinder!) irgendetwas verstehen müssen. Auch Kinder können ein 'Nein' übrigens viel weniger häufig nachvollziehen, als wir uns glauben machen wollen. Selbst wenn wir es erklären. Das ist nicht der Punkt.

    Es geht darum, dass meine Tiere mit mir kooperieren und kooperieren wollen und nicht dauernd das Gefühl haben müssen, ich sei die Spassbremse. Sie sollen - im Gegenteil - den Eindruck haben, dass die Zusammenarbeit mit mir lohnenswert wert. Nicht, weil sie mich so mögen, sondern weil sie gelernt haben, dass es etwas zu gewinnen gibt. Hunde sind Opportunisten. Das macht sehr Vieles einfacher.

    Szenario: Dein Hund findet etwas aus seiner Sicht Fressbares, aber aus unserer Sicht Gefährliches auf dem Waldboden.

    Es gibt einige Möglichkeiten, wie Dein Hund nun reagieren kann. Wie er das tut, hängt sehr von seiner Erfahrung mit Dir als sein Mensch ab. Zwei davon wären:


    Variante A: Hund hat gelernt, dass der Mensch bei Fressen, dass der Hund spontan hat, häufig erregt wird und das Fressbare für sich beansprucht und es verbietet. Merkwürdigerweise lässt der Mensch das Zeug aber liegen ohne selber davon zu fressen, will aber gleichzeitig auch nicht, dass es vom Hund gefressen wird. Die meisten Hunde werden nun sehr schnell lernen, dass es sich lohnt, so schnell wie möglich alles, was geht, davon hinunterzuschlingen. Mensch und Hund haben nicht dasselbe Ziel und kommen in eine Konkurrenzsituation. Es kann nur einer gewinnen.

    Variante B: Hund hat gelernt, dass es sich lohnt, wenn er Fressbares anzeigt. Fressen darf er es nach Begutachtung des Menschen, es fällt aber immer etwas für ihn ab: entweder kriegt er das Leckere vom Boden oder den Keks vom Menschen. Manchmal gibt's auch beides. Der Mensch beansprucht das Fressbare nicht für sich. Es gibt keine Konkurrenzsituation. Alle sind zufrieden. Alle haben gewonnen.

    Bei Variante A streiten Hund und Mensch bei der nächsten Situation wieder um das Fressbare. Bei Variante B nicht. Der Mensch kann sich darauf verlassen, dass die Hunde die richtige Entscheidung treffen. Ich schlender also entspannt und gemütlich meines Weges und kann mich darauf verlassen, dass meine Hunde mir zeigen, wenn sie etwas Tolles gefunden haben. Ich muss nicht dauernd kontrollieren. Aber man muss natürlich schon wissen, wie man das richtig aufbaut. Ein bisschen Fachwissen, Lerntheorie und Köpfchen gehören dann halt schon dazu.

  • Ich denke, das Problem ist nicht mangelndes Bauchgefühl, sondern eine zunehmende Unsicherheit und Unwilligkeit davor, Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen.

    "Bauchgefühl" hat mMn schon immer nur mit einem entsprechenden Wissenshintergrund wirklich funktioniert. Das "Bauchgefühl" war die Mischung aus eigener Erfahrung und Bewertung, die dann letztlich zur Auswahldes (vermeintlich) passenden Weges geführt hat.

    Ich habe heutzutage das Gefühl, dass immer weniger Menschen bereit sind, selbstständig und eigenverantwortlich entscheidungen zu treffen, sondern da immer stark von der Meinung und Wertschätzung von Außenstehenden angewiesen sind, um ihre Entscheidung zu untermauern. Und da social Media und Co einem einer unendlich großen Menge an unterschiedlichen Meinungsgruppen aussetzt, wird es für viele immer schwerer, sich zu entscheiden. Einfach weil ihnen der eindeutige Rückhalt fehlt und die Fähigkeit auf eigene Rechnung zu entscheiden.

  • So lange das Team gut funktioniert und allen Bedürfnissen gut gerecht wird, die Mitglieder sich wohl fühlen und die Interessen Anderer berücksichtig werden, ist es doch gut so, wie es ist? :ka:


    Ich finde es schon interessant, dass es in einem Thread zur Frage des fehlenden Bauchgefühls (hier ja auch benutzt als Unsicherheit darüber, was man in der Interaktion mit dem Hund situativ tun soll) wieder in die Richtung driftet, wer was „Richtiger“ (oder „Falscher“) macht. Geht für mich nicht ganz überein.

  • Variante A: Fressbares vom Boden ist tabu. Basta.

    Variante B: Es wird immer wieder ausdiskutiert ( sofern man mit Hunden diskutieren kann) die Essenz ist aber: Fressbares am Boden ist klasse. Entweder kann ich es essen, oder es gibt Leckerchen, oder vielleicht sogar beides. Es lohnt sich also immer nach fressbarem zu suchen.

    Wenn es für euch funktioniert ist das ja ok. Mir persönlich wäre es zu anstrengend. Wandelroeschen

  • Ich finde bemerkenswert, wie schnell Leute bei diesem Thema immer wieder solche passiv-aggressive "Ich bin besser als du"-Kommentare raushauen müssen, wie dieser hier:


    Ein bisschen Fachwissen, Lerntheorie und Köpfchen gehören dann halt schon dazu.

    Und doch:

    Ich muss nicht dauernd kontrollieren.

    tatsächlich musst gerade du andauernd kontrollieren, denn du hast deinen Hunden ja beigebracht, dass sie alles potenziell Essbare anzeigen, du das kontrollierst und dann wahlweise freigibst oder sie belohnst. Was genau ist das denn, wenn nicht andauernde Kontrolle und deine Entscheidung, ob essbar oder nicht?


    Das mag für dich funktionieren, weil bei dir nicht aller drei Schritte was liegt, wenn du aus dem Haus kommst. Bei mir funktioniert es auf diese Weise nicht und ich möchte auch so nicht alles angezeigt haben. Ich will, dass sie das ignorieren und gar nicht erst als potenziell essbar betrachten. Das funktioniert für mich hervorragend, denn ich muss nicht jedes Mal hinterherstiefeln und schauen. Draußen ist einfach alles vom Boden oder aus fremder Hand tabu.


    Sie müssen da gar keine Entscheidung treffen und es gibt auch keinen Konkurrenzkampf, weil ich von Anfang an dafür Sorge trage, dass vom Zigarettenstummel über die volle Windel bis hin zum Wurststück einfach nichts aufgenommen, sondern direkt beim Gedanken daran was aufzunehmen abgebrochen wird. Ja, in dieser Hinsicht ist bei meinen Hunden alles "NEIN!".


    Das heißt aber nicht, dass ich ständig kontrollieren muss oder immer wieder Konkurrenzkampf aufkommt. Im Gegenteil. Das Thema wird so schnell wie möglich und so nachdrücklich wie möglich abgehakt und ist damit eine generell gültige, verlässliche Grenze, mit der ich mich nicht mehr beschäftigen muss und meine Hunde sich ebenfalls nicht.


    Was ebenfalls nicht heißt, dass meine Fellnasen keine Freiheiten hätten oder nicht gerne mit mir arbeiten. Aber das kann ich deutlich sinnvoller gestalten als "Na, was hast du denn da wieder gefunden?"

  • Ich verstehe, wenn das Konzept für Euch neu ist, RiaMia und BellaMN. Aber nur, weil ihr es noch nicht kennt oder (noch?) nicht nachvollziehen könnt, ist er nicht schlecht oder funktioniert nicht. Es geht tatsächlich einfach um die simple Anwendung der Lerntheorie. Um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, hab ich genau zwei Varianten. Zu belohnen oder zu strafen. Ich wähle den Weg der Belohnung, ihr den anderen.


    Mir jedenfalls geht und ging es in keiner Art und Weise darum, dass irgendeine Methode 'besser' als die andere wäre. Ich habe lediglich erklärt, weshalb ich so handle, wie ich es tue. Gerade weil mein Weg eben häufig der menschlichen 'Intuition' oder dem 'Bauchgefühl' oder wie man es auch immer nennen mag, entgegensteht. Funktionieren tut er trotzdem, ob man es glauben mag oder nicht. Mit Glauben hat meine Art des Trainings nämlich nichts zu tun.


    Mein Kommentar, BellaMN war deshalb ganz bestimmt nicht auf Dich gemünzt und es tut mir leid, wenn Du Dich angesprochen gefühlt hast. So war es nicht gemeint. Eines ist aber tatsächlich richtig: mein Weg erfordert ein Umdenken. Dieses Umdenken ist völlig freiwillig.


    "Bauchgefühl" hat mMn schon immer nur mit einem entsprechenden Wissenshintergrund wirklich funktioniert. Das "Bauchgefühl" war die Mischung aus eigener Erfahrung und Bewertung, die dann letztlich zur Auswahl des (vermeintlich) passenden Weges geführt hat.

    Das finde ich einen ausserordentlich wichtigen Punkt!

  • Ich verstehe, wenn das Konzept für Euch neu ist, RiaMia und BellaMN. Aber nur, weil ihr es noch nicht kennt oder (noch?) nicht nachvollziehen könnt, ist er nicht schlecht oder funktioniert nicht. Es geht tatsächlich einfach um die simple Anwendung der Lerntheorie. Um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, hab ich genau zwei Varianten. Zu belohnen oder zu strafen. Ich wähle den Weg der Belohnung, ihr den anderen.

    Für mich ist das nicht neu, für mich ist es in der extremen Auslegung einfach nicht mehr sinnvoll.

    (Und auch da wieder: Von oben herab von dir. "Naja, ihr kennt das einfach nicht..." - anstatt einfach anzuerkennen, dass es unterschiedliche Schlussfolgerungen und Mischformen daraus gibt. Und auch das operante Konditionieren auf das du dich scheinbar mit "Lerntheorie" beziehst, verwendet sowohl Verstärkung durch Belohnung als auch Reduzierung durch "Strafe" parallel.)


    Nochmal das Beispiel was draußen rumliegt ist tabu: Da arbeite ich anfangs dran, bis es sitzt und dann hat sich das Thema erledigt. Meine Hunde suchen nicht gezielt nach etwas, nur, um sich ein Leckerli zu "verdienen", ich muss nicht ständig kontrollieren. Entspannt für alle.


    Mit positiver Verstärkung fürs Anzeigen würde ich daraus ein lebenslanges Thema machen und das finde ich Quatsch für alle Beteiligten.


    Beispiel: Hund will kauen. Erkenne ich das frühzeitig, biete ich sofort ein Objekt an, an dem das Bedürfnis ausgelebt werden kann. Kaustange, Knochen, Karotte, Beißring - was auch immer.


    Im Optimalfall kommt er dann gar nicht erst in Versuchung / die Not, sich an Möbeln oder Schuhen zu vergehen.


    Kaut Hund schon am Couchtisch rum, gibt es ein klares NEIN. Denn das soll er eben nicht und er soll auch verstehen, dass das tabu ist. Und dann gibt es eine Alternative, damit er dennoch kauen kann. Auf etwas, das er bekauen darf.


    Nimmt er das nächste Mal direkt das erlaubte Kauobjekt und verschont die Möbel, kann ich das zusätzlich durch verbales Lob oder körperliche Zuwendung belohnen und somit verstärken. In dem Fall hab ich also nicht nur die vermeintlich ausschließlichen zwei Wege gewählt, um zum Ziel zu kommen, sondern die dritte Form:


    eine angepasste und zielführende Kombination aus beidem.


    Genau das fehlt mir bei vielen Menschen. Die Anpassung. Da wird Theorien hinterhergehechtet und ein Abbruch zur Strafe erklärt, obwohl es schlicht und einfach ein Abbruch ist. Das Aufzeigen einer Grenze, die nicht überschritten wird /werden soll.


    Mein Hinweis darauf, dass unter Hunden klare Grenzen akzeptiert werden hieß auch nicht, dass ich "Tiere imitiere". Es heißt, dass sie das verstehen und es keine negativen Auswirkungen auf eine anderweitig gute Bindung hat. Und so sehr Menschen sich immer einreden wollen, dass sie was Besseres sind, es besser wissen und sowieso alles durchschauen: Sich mal anzuschauen, wie Tiere miteinander agieren ist eine wichtige, grundlegende und angepasste Basis.


    Wenn ich das mache, brauche ich nicht mit Theorien um mich zu werfen, sondern orientiere mich an der Kommunikation der Spezies. Und diese Kommunikation besteht nicht ausschließlich aus Verstärkung.

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