Tierschutzhunde und die Leinenaggression

  • In den letzten Monaten habe ich jede Menge Tierschutzhundebesitzer kennengelernt, deren Hunde sich zu Leinenpöbler entwickelt haben oder die schon von Anfang an bei Hundesichtungen auf Krawall gebürstet sind.


    Ich habe den Eindruck, dass viele dieser Tiere - vielleicht durch Sozialisation ohne Menschen im Tierfreilauf oder auf der Straße - zum Beschwichtigen neigen bzw. sich sofort ablegen. An der Leine gibt es die Möglichkeit nicht, deshalb suchen die Tiere sich eines der anderen "F" aus.


    Die meisten, die ich kenne, trainieren als Lösung das weiträumige Ausweichen, Konzentration auf den Hundeführer in Verbindung mit positiver Verstärkung. Die größte Herausforderung scheint mir dabei, diese Distanz irgendwann so weit zu verkürzen, dass ein Vorbeikommen in einer für Menschen alltäglichen Entfernung (1-2m) möglich wird.


    Habt ihr in der Vergangenheit oder als neueste Entwicklung für diese Zielgruppe alternative Wege kennengelernt und erfolgreich angewendet?

  • Mein Weg war der gleiche (Ausweichen und auf Entfernung positiv üben) und wir kamen nach einem Jahr auf normalen Wegen aneinander vorbei.


    Man muss nur aufpassen, dass es Training und nicht Ablenkung ist. Den Keks gibts also nicht, nur weil der Hund mich nonstop anstarrt. Den Keks gibts, wenn der Hund den anderen Hund gezielt anschaut und per Marker oder Kommando wieder mich fokussiert (Augenkontakt). Denn vom Zielobjekt wegschauen, ist gar nicht so einfach! Darüber lässt sich dann kontinuierlich die Distanz senken. Merkt man, der Blick zurück zu mir fängt an zu stocken (ich muss 2x drum bitten), ist Schluss und die mögliche Distanz erreicht. Man muss eben dauerhaft immer etwas näher ran und weicht ansonsten bis dahin weiträumig aus.


    Ich glaube, viele scheitern am Knackpunkt: Der Hund muss den anderen Hund sehen! Das Lob gibt es fürs entspannte Blick abwenden zu mir. Das kann dann auch 10x der selbe Hund in 1 Minute sein. Blick-Ping-Pong. Nicht "Starr das Herrchen/Frauchen zu Tode".

  • Zeigen & Benennen ist mit ein Weg, die Distanz bei gleichzeitiger Wahrnehmung des Auslösers und Verarbeitung dessen, zu verkürzen.

    Es dauert allerdings und ist individuell.


    Bei Dexter sind wir so von Auslösen auf 50m Sicht auf normalen Abstand von ca 2m (je nach Hund und dessen Körpersprache geht auch 0,5-1m) runter gekommen.


    Dazu habe ich auch das Pendeln benutzt.

    Da geht man auf den Auslöser zu, und dreht kurz bevor der eigene Hund es nicht mehr erträgt um.

    Geht ein paar Schritte zurück und dreht wieder in Richtung Auslöser um.

    Das ggf immer wieder.



    Das an der Seite ablegen oder absitzen lassen ist durchaus für viele Hunde gut machbar.

    Sie sollten aber den anderen Hund möglichst nicht fixieren und auch natürlich nicht auf gleicher Höhe dann explodieren.

    Dann funktioniert das nicht.

  • Bei diesem "pendeln" frage ich mich, ob der Hund nicht davon gefrustet und verwirrt ist. Aus Hundesicht dürfte das doch wenig Sinn machen.

    Ich persönlich denke halt, dass Hunde hinter diesem Verhalten wenig Sinn erkennen und ihren Hundeführer irgendwann für ein wenig bekloppt halten.

    Einen Bogen laufen, auch in großem Abstand halte ich für Verhalten, das der Hubd versteht, da das seinem Repertoire entspricht, aber "pendeln" habe ich Hunde in freier Bewegung nie gesehen.

    Ich vermute ja mal, dass Hunde, die gelernt haben, ihre Begegnungen selbst zu regeln, per se durch die Leineneinschränkung gefrustet sind.

    Aber da ich nie einen Tierschutzhund hatte, sind das halt Vermutungen, die ich aufgrund generellen Hundeverhaltens anstelle.

  • Bei diesem "pendeln" frage ich mich, ob der Hund nicht davon gefrustet und verwirrt ist. Aus Hundesicht dürfte das doch wenig Sinn machen.

    Ich persönlich denke halt, dass Hunde hinter diesem Verhalten wenig Sinn erkennen und ihren Hundeführer irgendwann für ein wenig bekloppt halten.

    Einen Bogen laufen, auch in großem Abstand halte ich für Verhalten, das der Hubd versteht, da das seinem Repertoire entspricht, aber "pendeln" habe ich Hunde in freier Bewegung nie gesehen.

    Ich vermute ja mal, dass Hunde, die gelernt haben, ihre Begegnungen selbst zu regeln, per se durch die Leineneinschränkung gefrustet sind.

    Aber da ich nie einen Tierschutzhund hatte, sind das halt Vermutungen, die ich aufgrund generellen Hundeverhaltens anstelle.

    Ja, ganz genau das ist auch meine These, deshalb bin ich so gespannt, ob es jemanden gibt, der einen völlig anderen Weg gegangen ist und trotzdem zum Ziel kam.


    Auch wenn das mit dem Pendeln für mich neu ist, ist das schon sehr nah am ursprünglich Ansatz. Alternativ ginge noch, die Distanz bei einem konkreten Hund sehr langsam zu verkürzen (mache ich mit meinem ganz gerne, wenn ich Leute kenne und die mitspielen), oder sich lange bei einer Ansammlung von Hunden aufzuhalten (wie im Verein). Eine andere Situation wäre noch, den Hund anderen Reizen so weit auszusetzen, dass die anderen Hunde kaum noch eine Rolle spielen, das geht dann aber vermutlich schon in Richtung "Flooding".


    Ich hätte gedacht, es gibt auch noch komplett andere Ansätze, wobei vermutlich keiner Deckeln mit Tierschutzhunden macht, oder?

  • Ich hätte gedacht, es gibt auch noch komplett andere Ansätze, wobei vermutlich keiner Deckeln mit Tierschutzhunden macht, oder?


    Ist dann die Frage nach der Motivation des Pöbelns. Will er bloß den Dicken machen und hat eher Spaß daran, weil er sich damit das Ego poliert, kann man durchaus mit "Deckeln" bzw deutlich verbieten was erreichen.

    Das ist dann einfach eine Regel bzw Grenze für den Hund.



    Ansonsten ist es auch durchaus zielführend, Übungspartner zu haben, an denen man einfach das stupide dran vorbei Gehen übt.

    Das können anfangs auch bekannte Hunde sein, bei denen der Hund nicht auslöst.

    Abgewandte Seite, Leine kurz aber ohne Spannung und dran vorbei.

    Mit jeder Wiederholung wird es "langweiliger" und damit weniger aufregend.


    Das hilft auch dem Halter sehr, innerlich etwas entspannter zu werden. Mit Pöblern ist man ja oft dann angespannter (auch wenn man es anfangs nicht war, wird man ja doch oft frustriert und gestresst, weil man weiß was kommt) und das fördert es dann auch beim Hund weiter.

    So eine Art Teufelskreis.


    Den Hunden hilft es generell, wenn sie die Begegnung nicht selbst regeln dürfen. Dafür muss aber eben der Halter auch entsprechend Hilfe geben und führen.

    Viele müssen da erst reinwachsen.




    Bzgl Pendeln.

    Nein, das war garnicht frustrierend für die Hunde. Im Gegenteil war es entspannend.

    Umdrehen, Blick zu mir bestätigen und Druck damit rausnehmen.

    Hat man direkt an der Körpersprache gemerkt, wie die Spannung abfiel, wenn man vom Auslöser weg ging.



    Das Leinenpöbeln ist oft, aber natürlich nicht immer, Unsicherheit. Weil der Hund gelernt hat, dass er es selbst regeln muss und kein Vertrauen in Bezug auf andere/fremde Hunde in den Halter vorhanden ist.

    Deshalb machen das auch genug Hunde, die garnicht aus dem Tierschutz sind. Weil der Halter nicht oder zu wenig regelt und der Hund überfordert damit ist, es alleine machen zu müssen.


    Ob der Hund ohne Leine eigentlich nett wäre mit anderen Hunden, ob er die verkloppen möchte, ob er sie jagen oder abchecken will oder einfach bloß seine Ruhe möchte, das ist sehr individuell.

  • Zeigen & Benennen ist mit ein Weg, die Distanz bei gleichzeitiger Wahrnehmung des Auslösers und Verarbeitung dessen, zu verkürzen.

    Es dauert allerdings und ist individuell.

    Zeigen & Benennen möchte ich nochmal bestärken. Elvis ist kein Leinenpöbler, aber es hat bei uns bei Drosseln (ja, den Vögeln) wahre Wunder gewirkt. Die wollte er nämlich immer unbedingt jagen und die Viecher haben ihn und mich irre gemacht, insbesondere wenn sie balzen oder miteinander kämpfen und Megaradau machen und wild durch die Gegend flattern, "jag mich, jag mich!".


    Bei uns hat das Z&B bizarrerweise so gewirkt, dass Drosseln für Elvis uninteressant geworden sind, nachhaltig bis heute. Irgendwie hat es den Reiz entreizt, sowas wäre natürlich bei einem Leinenpöbler auch hilfreich.

    Ich vermute ja mal, dass Hunde, die gelernt haben, ihre Begegnungen selbst zu regeln, per se durch die Leineneinschränkung gefrustet sind.

    Das mag sein.

    Ich möchte aber darauf hinweisen dass nicht alle Tierschutzhunde Begegnungen selbst regeln konnten oder nur sehr eingeschränkt. Insbesondere, wenn sie nicht direkt von der Straße an die End- oder Pflegstelle vermittelt werden.


    Elvis z. B. war in seinem Tierheim 1 Jahr an einer Hütte festgebunden und 1 Jahr mit anderen Hunden im Gehege. Er hat mehrere Narben, u. a. eine im Gesicht von Beißereien aus der Zeit. Mit seinem Kreuzbandriss war er zusätzlich gehandicappt.


    Ob im Freilauf oder an der Leine, sein Sozialverhalten ist bis heute nicht besonders toll. Er hat früher wie ein Irrer gefiddelt (und ich dachte lange, er will spielen) und dafür von anderen Hunden öfter einen drauf bekommen, wodurch er beim nächsten Mal nur umso hysterischer gefiddelt hat. Bei netten Gegenüberhunden kippte das Fiddeln dann gerne ins Rammeln.


    Ob Fiddeln oder Rammeln, hat sich da dann meist total reingesteigert und von alleine nicht wieder rausgefunden. Sprich, er hatte in seiner Tierschutzhund-Zeit zwar gelernt, seine Begegnungen selbst zu regeln, aber nicht besonders erfolgreich.

  • Bzgl Pendeln.

    Nein, das war garnicht frustrierend für die Hunde. Im Gegenteil war es entspannend.

    Umdrehen, Blick zu mir bestätigen und Druck damit rausnehmen.

    Hat man direkt an der Körpersprache gemerkt, wie die Spannung abfiel, wenn man vom Auslöser weg ging.

    Das sehe ich ja ein, aber beim Pendeln wendet man sich doch wieder dem Auslöser/anderem Hund zu, sobald der eigene Hund wieder runtergefahren ist. Bis die Anspannung wieder auf einen gewissen Punkt steigt.

    Das wiederholt man mehrmals.

    Da frage ich mich schon, was der Sinn ist.

    Und das setzt ja auch voraus, dass man den Hund so gut lesen kann, dass man den "Kipppunkt" kommen sieht und sich immer abwendet, bevor der Hund ins Pöbeln kippt. Halte ich in der Praxis für den HH für sehr anspruchsvoll.

    Viele HH mit Pöblern können doch diesen Punkt bei ihrem Hund gar nicht sicher erkennen, oder?


  • Das ist durchaus richtig!


    Auch ist die Methode im Alltag oft nicht ideal anwendbar, weil einem ja jemand Fremdes entgegen kommt, den man nur bedingt beeinflussen kann.

    Bei uns war das ein Baustein im Training, den ich wenn es möglich war angewendet hab - zusätzlich zu anderen.

    Als alleiniges Training ist das Pendeln aber leider kaum umsetzbar.



    Der Sinn beim Penden ist, dass der Hund mit einem deutlich heruntergefahren Stresslevel still am anderen Hund vorbei gehen kann.

    Und das klappt auch!

    Man pendelt eben mehrfach hin und zurück, bis man den Hund passiert.

  • Danke für die Erläuterung.

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