Miserable Ratgeber für Ersthundehalter

  • Aber Menschen werden nicht authentisch reagieren, nur weil man Ihnen das sagt. Versteht man das? :dizzy_face: :rolling_on_the_floor_laughing:

    Ja, versteh ich.

    Denn die Höflichkeit im zwischenmenschlichen Umgang verbietet vielmal "authentische" Reaktionen. Und schon gar nicht wissen Menschen ohne bisherigen Hundekontakt, was im Umgang mit selbigen "authentisch" sein soll.


    Tatsächlich bedeutet authentisch auch nicht automatisch richtig oder angemessen. Ungefilterte authentische Reaktionen rein aus dem Bauch heraus auf unerwünschtes Hundeverhalten können oft völlig unangemessen sein. Es haben schon zuviele Hunde "authentisch" Gewalt erfahren....

  • Den Rat nicht auf jede Aufforderung des Hundes einzugehen finde ich per se auch nicht schlimm. Es kommt halt stark auf den Typen Hund und die Beziehung an.


    Natürlich ist es nicht gut, den Hund allzusehr in den Mittelpunkt zu stellen und jedem seiner Wünsche jederzeit nachzugeben.


    Aber der Rat, jegliche Eigeninitiative des Hundes unter der Überschrift "der will die Herrschaft an sich reißen" zu sehen und daher abzuwürgen, ist auch falsch. Das führt zu einem Grundmißtrauen gegen den eigenen Hund. In diesem Licht wird dann jedes Fehlverhalten, jedes noch-nicht-können, jeder jugendliche Übermut als absichtliche Respektlosigkeit gegenüber dem Besitzer gedeutet. Das macht diese Sichtweise so potentiell giftig für die Beziehung zum Hund.

  • Was haben eigentlich alle für ein Problem mit authentisch sein. Will mir irgendwer wirklich erzählen, dass es für Anfänger einfacher ist komisch rumzuschauspielern?

    Mit dem authentisch sein hat vermutlich keiner Probleme. Es ist aber meiner Meinung nach kein nützlicher Rat. Nicht weil er nicht richtig wäre sondern weil er nicht hilft.


    Fall 1: der Leser ist im Grunde authentisch, dann wird der lernwillige Anfänger bestenfalls nichts neues lernen und schlimmstenfalls die eigene Authentizität hinterfragen und dadurch verunsichert.


    Fall 2: der Leser und Anfänger ist nicht authentisch im Umgang mit dem Hund. Dann weiß er auch nicht wie das geht und kann mit dem Rat genau gar nichts anfangen.


    Dazu kommt, dass ein Mensch ganz authentisch die völlig falschen Dinge tun kann. Wem hilft es, wenn ein Anfänger unsicher ist, wie er auf eine bestimmte Situation reagieren soll, und das ganz authentisch zeigt? Was nützt es, wenn ein Anfänger ganz authentisch Dinge tut, die für Hunde richtig blöd sind? Das muss gar nicht die von naijra genannte Gewalt sein, das können ganz simple Kleinigkeiten sein: die falsche Belohnung (das berühmte über den Kopf streicheln), Belohnung im falschen Moment (tückisch für Anfänger) und ganz vieles mehr. Manchmal muss man Dinge erst mühsam lernen, und ist in dieser Lernphase alles andere als authentisch. Da ist es unter Umständen besser , erst mal zu schauspielern. Fake it till you make it.

  • die falsche Belohnung (das berühmte über den Kopf streicheln), Belohnung im falschen Moment (tückisch für Anfänger) und ganz vieles mehr.

    Das ist doch keine Schauspielerei, das sind einfach nur Fehler im Umgang.


    Schauspielern heißt den Hund künstlich ignorieren, sich beißen und drangsalieren lassen ohne sich zur Wehr zu setzen (obwohl man das möchte!), das sind diese ganzen Dominanzspielchen bei denen man keine Schwächen zeigen darf usw.

  • Das ist doch keine Schauspielerei, das sind einfach nur Fehler im Umgang.

    Sag ich doch.

    Es sind Fehler, die Menschen ganz authentisch machen.



    Schauspielern heißt den Hund künstlich ignorieren, sich beißen und drangsalieren lassen ohne sich zur Wehr zu setzen (obwohl man das möchte!), das sind diese ganzen Dominanzspielchen bei denen man keine Schwächen zeigen darf usw.

    Aber wenn der Mensch nicht weiß, wie er reagieren soll, dann kann er nicht authentisch sein und gleichzeitig das Richtige machen. Er kann nur authentisch Fehler machen oder (vorerst) unauthentisch eine neue Handlungsweise üben.


    "Sei authentisch" unterstellt, der Mensch wisse längst, was zu tun sei. Weiß der es aber nicht, hilft ihm dieser Rat keinen Schritt weiter.

  • Niemand hat behauptet, dass einen das fehlerfrei macht. Wieso erwartest du das von diesem einen Ratschlag? Kein Tipp der Welt kann gegen jeden einzelnen möglichen Fehler helfen. Außer so ein unendlich nützlicher Ratschlag wie "mach keine Fehler".


    Es gibt aber nunmal viele Tipps die darauf abzielen sich zu verstellen, zu schauspielern und es gibt genug Leute die das auch machen. Gegen diesen Fehler hilft dieser Tipp.

    Nicht mehr.

    Nicht weniger.

  • Ich dachte zuerst jetzt werden Bücher aufgezählt die man sich besser nicht kaufen sollte. Ich bin enttäuscht xD



    Hmm mal überlegen...


    In den ersten Büchern die ich so hatte ( das dürfte so 15 Jahre + her sein) standen so Dinge drin wie bspw :


    - Du musst immer vor dem Hund durch die Tür gehen

    - Der Hund muss immer hinter dir gehen

    - Der Hund darf nicht auf die Couch


    Sonst Dominanz!


    Und da gab's noch so witzige Listen verschiedener Rassen aufgelistet in einer Tabelle, wo es dann verschiedene Punkte gab nach so Dingen wie Anfängertauglichkeit, Wachen, Kinderfreundlichkeit, Aufwand der Fellpflege, Gesundheit oder sowas ähnliches.

    In einem Buch wurden für einen Kinderhaushalt bspw insbesondere Westie, Berner Sennen, Labrador, Yorkshire Terrier, Golden Retriever oder sowas ähnliches empfohlen. Puh, is echt ewig her, und ich weiß nicht ob wir die alten Teile noch irgendwo haben. Aber ich erinnere mich wirklich an viel bzgl Anfänger-oder nicht Anfängerrassen.


    Natürlich hatten wir uns vor dem Westie auch ein Westie Buch gekauft ( und nochmal davor hatten wir übrigens ein Schnauzer-Buch, was ich leider nicht mehr finde, und wo mich ein paar Seiten bzgl Flöhe und Zecken dezent verstört haben weil die Viecher in Nahaufnahme gedruckt waren, und da wars bspw auch OK dem Hund nen Eis vom Eisstand zu geben und so Sachen. Aber wie gesagt - eeewig verschollen, kein Schimmer was da drin stand).

    Ich erinnere mich noch dran, wie ich mit Entsetzen festgestellt habe, dass unser Westie ja nicht buddelt, sich nicht in Schlamm wälzt, nicht baden geht und ums verrecken nicht apportiert. Denn in dem Buch waren total viele Westie Bilder mit Bällchen drin, und im Wasser, und total verschlammt, und gebräunt am Buddeln. :rolling_on_the_floor_laughing:



    Wobei ich bestätigen kann - bisher ist mir auch noch nie ein Rassen Buch untergekommen in welchem wirklich auch nur halbwegs gute Trainingstipps oder Dinge über Verhalten drin waren.. Aber ich finde das ist auch nicht der Sinn eines Rassen Buchs.

    Wenn ich mir Lektüre einer bestimmten Rasse kaufe, dann möchte ich wissen wie der geschichtliche Background ist, wie sie charakterlich drauf sind, wie die Fellpflege ausschaut, worauf man sich einstellen kann, wie es gesundheitlich ausschaut und Ähnliches.


    Ich hatte auch mal ein Buch, da wurde empfohlen den Hund wenn er Ängste oder Aggressionen hat einfach mit Rescue Tropfen abzufüllen, glaub ich. :thinking_face:



    Aber, ich weiß grad nicht wie gut ich das thema treffe, ehrlich gesagt 😅

  • Es gibt aber nunmal viele Tipps die darauf abzielen sich zu verstellen, zu schauspielern und es gibt genug Leute die das auch machen. Gegen diesen Fehler hilft dieser Tipp.

    Nicht mehr.

    Nicht weniger.

    Irgendwie reden wir aneinander vorbei. :???:

    Ich kann es leider nicht anders sagen: ich halte das nicht für den Fehler. Wenn ich mein Verhalten ändern will, muss ich mich erstmal verstellen und schauspielern bzw. das neue Verhalten einüben.

  • Tatsächlich bedeutet authentisch auch nicht automatisch richtig oder angemessen. Ungefilterte authentische Reaktionen rein aus dem Bauch heraus auf unerwünschtes Hundeverhalten können oft völlig unangemessen sein. Es haben schon zuviele Hunde "authentisch" Gewalt erfahren....

    Du bringst das Problem, was ich häufig mit 'authentisch' habe, auf den Punkt. Wenn 'sei authentisch' bedeutet, dass man den Hund seine ungehemmten und unreflektierten Emotionen eins zu eins spüren lässt, kann das nicht gut sein. Ich glaube zwar nicht, dass diejenigen, die für Authentizität plädieren, genau das meinen, aber es kann durchaus so ankommen und völlig unangemessene verbale, emotionale und körperliche Ausbrüche und Übergriffe dem Hund gegenüber legitimieren.

    Das Gegenteil, eine völlig verkopfte Art der Hundehaltung, in der nichts Intuitives mehr zu spüren ist, kann aber natürlich genau so wenig funktionieren. Genauso ist es doch beim Schwarz-Weiss-Denken bezüglich Strafen (z.B. 'man darf den Hund nie strafen!') Wie fast überall ist also ein gesundes Mittelmass die beste Wahl.

    Ich sammle ja Hundebücher und bin immer wieder erstaunt, wie auch manche ältere Erziehungsratgeber (19. bis Anfang 20. Jahrhundert) einen ziemlich gewaltfreien Umgang mit dem Hund propagieren. So zwischen den 1970er und 90er Jahren hab ich viele Werke, die sehr grafisch und explizit ziemlich brutale Erziehungsmethoden propagieren. Ab 2000 wird das wieder etwas besser und es kippt dann manchmal sogar ins Gegenteil. Spannend finde ich auch, wie sich einzelne Werke in Neuauflagen verändern: so hat das Grosse Kosmos Erziehungsprogramm z.B. doch einige Updates erhalten. Ich fände es sehr spannend, wenn dazu gezielte Untersuchungen durchgeführt würden und herauszufinden, ob sich meine eigenen Beobachtungen der Strömungen damit decken.

  • Genau, etwas Ähnliches wollte ich auch gerade schreiben: Authentisch sein ist längst nicht immer das Richtige!

    Es gibt einen Unterschied zwischen "authentisch" und "professionell". Ich möchte nicht wissen, wie oft Hundetrainer oder Tierärzte ihre Kunden anbrüllen und in den Boden stampfen würden, wenn sie authentisch handeln würden. Ich arbeite therapeutisch und habe in Studium und Ausbildung gelernt, dass wir in der Therapie bitte nicht authentisch agieren sollen.
    Ich glaube auch, dass der Begriff von den meisten Menschen anders verstanden und oft damit gerechtfertigt wird, dass der Hund ja sowieso merke, welche Emotionen der Mensch gerade hat. Aber wir wissen doch alle, dass es nicht immer die beste Entscheidung ist, nach seinen Emotionen zu handeln - und das ist nicht nur eine sinnlose gesellschaftliche Konvention, sondern ein wichtiger Faktor für das Zusammenleben in einem Sozialverbund.
    Ich bin also wütend, genervt und beschämt, dass mein Hund an der Leine ausrastet und möchte ihn anbrüllen, damit er ruhig ist, aber ich mache es nicht, sondern bleibe äußerlich ruhig, auch wenn der Hund meine Anspannung natürlich bemerkt und mir das Ganze mega unangenehm vor den anderen ist. Da muss ich eben an meiner inneren Einstellung arbeiten oder was auch immer tun, damit das anders wird - aber eben nicht authentisch reagieren.

    Also, wie auch immer man das auslegt - es bleibt ein schwammiger Begriff und damit nicht sonderlich hilfreich, sondern eher ungünstig, weil er einen großen Spielraum schafft und im blödesten Fall auch immun gegen wirklich gute Ratschläge macht. Konkrete Handlungsanweisungen* (mit Erklärung) sind besser!

    *Nachtrag: Wenn sie denn gut sind. xD

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