"Rassezucht gone wrong" - sind sie noch zu retten?

  • Zitat

    Die Mutter von meinem Hund kommt aus Deutschland und der Vater aus den Niederlanden, aber aus Italienischen uns Schwedischen Linien.


    Das möchte ich gerne als Beispiel nehmen (nicht persönlich!)


    Die Linien werden gerne Ländern zugeordnet.


    Und dann denken viele Leute, ach wie toll, der Hund ist ja kaum verwandt. Klar, der Käufer senkt so.


    Schaut man sich aber den Stammbaum genauer an, zeigt sich auf 5-10 Generationen meistens ein extrem anderes Bild.


    Da ist der amerikanische Vater plötzlich eng verwandt mit der Schweizer Mutter, und die 3 Grossmutter eng mit der anderen in Schweden lebenden Grossmutter etc.


    Das passiert ja auch Züchtern. Die reden dann von Linien aus Ländern, ohne genauer zu werden wie diese Linien entstanden.


    Es nützt mir nichts für den Genpool, wenn ich auf 5 Generationen 4x einen bestimmten Rüden drin hab und 3x nen anderen Rüden.

    Der Ahnenverlust ist so exorbitant hoch. Unabhängig davon, wie die "Linien" den Ländern zugeordnet sind.


    Das meine ich damit, dass Züchter und Käufer immer genauer hinschauen müssen.

  • So, wie wir Hunde heute nach FCI-Standard 'rasserein' züchten, sind Rassehunde tatsächlich dem Untergang geweiht, bzw. einige sind tatsächlich nicht mehr zu retten. Dazu kann man jeden x-beliebigen Genetiker oder Biologen fragen, der im Grundstudium auch nur einigermassen aufgepasst hat.


    Da wir hier aber von Hunden und keinen Wildtieren sprechen, dauert es sehr viel länger, bis


    a) auf die Problematik in der breiten Masse oder durch den Gesetzgeber reagiert wird und


    b) die Population dermassen vor die Wand gefahren ist, dass selbst die besten zur Verfügung stehenden Hi-Tech-Verfahren im tiermedizinischen Bereich im Reproduktionsbereich nicht mehr helfen können.


    Beide Punkte können unter Umständen auch gar nicht eintreten. Ethisch vertretbar ist eine solche Zuchtpraxis allerdings schon lange nicht mehr. Übrigens wussten eigentlich alle Schöpfer neuer Rassen vor ungefähr 200 Jahren darüber auch sehr gut Bescheid: ich kenne keinen einzigen, der seine Hunde so unfassbar eng zog und ohne (vergleichsweise häufig) 'frisches Blut' hinzuzufügen, wie wir das heute tun...


    Einfach davon auszugehen, dass der Endverbraucher selber auf die Idee kommt, ein gewisses Produkt (also in diesem Falle einen Rassehund) zu kaufen, das funktioniert einfach nicht. So schmerzlich das für mich, als jemand, der grundsätzlich an die Menschheit glauben will, auch sein mag: von alleine wird sich nichts ändern. Man sieht nirgends besser als in diesem Forum, wie User zwar mit grösster Genugtuung auf Liebhaber anderer Rassen einwirken können, wenn die Rede dann aber plötzlich auf die eigene Liebhaberei kommt, wird sich und die 'eigene Rasse' mit Krallen und Klingen verteidigt. Das wird sich von alleine nicht ändern.


    Zusätzlich sind Tiere (und Menschen...) ja leidensfähig und denken - wie man ebenfalls im Forum immer wieder anschaulich sieht - in Einzelfällen und persönlichen Erfahrungen anstatt in Populationen und Generationen. Solange wir weiterhin Tiere vermehren, die das selber nicht mehr können (zumindest bei den englischen und französischen Bulldoggen sind künstliche Besamungen die Regel) und Krankheiten nur behandeln anstatt zu versuchen, sie auszumerzen, sehe ich schwarz, dass sich in der Rassehundezucht etwas ändern wird.


    Es gibt ausserdem grössere Probleme in der Tierhaltung und Politik als die Nische der Rassehundezucht.

  • Also nur des Verständnisses wegen: wenn man es genau nimmt, bleibt am Ende nur der gut durchmischte Mix, wenn man in den nächsten Jahrzehnten einen einigermaßen gesunden Hund haben will ?

  • So, wie wir Hunde heute nach FCI-Standard 'rasserein' züchten, sind Rassehunde tatsächlich dem Untergang geweiht, bzw. einige sind tatsächlich nicht mehr zu retten. Dazu kann man jeden x-beliebigen Genetiker oder Biologen fragen, der im Grundstudium auch nur einigermassen aufgepasst hat.

    Nein, ich bin Biologin, habe im Grundstudium aufgepasst, promoviere im Bereich "Evolution der Tiere" und würde so eine undifferenzierte Aussage nie unterschreiben.

  • Also nur des Verständnisses wegen: wenn man es genau nimmt, bleibt am Ende nur der gut durchmischte Mix, wenn man in den nächsten Jahrzehnten einen einigermaßen gesunden Hund haben will ?

    Reagierst Du damit auf meinen Beitrag? Falls ja, dann nein. :upside_down_face:


    Ich bin absolut für die (sinnvolle, ethisch vertretbare) Hundezucht. Ohne die genetische Vielfalt zu erhöhen, geht das aber nicht. Ich wäre somit eher dafür, Hunde nach gewissen 'Typen' zu züchten als nach klar abgegrenzten Rassen, wie das heute der Fall ist. Ich verstehe aber auch, wieso man an einzelnen Rassen als Kulturgut festhalten wollte.

    Ein Vorschlag wäre z.B., dass die Zuchtbücher geöffnet würden. Die, die hoffentlich trotz besseren Wissens immer noch dringend 'rassenrein' mit 'rassenrein' verpaaren wollten, könnten das tun. Die anderen dürften - gesundheitlich durchgecheckte - Tiere auch dann miteinander verpaaren, welche nicht derselben Rasse angehören.


    So können Züchter und Käufer immer noch selber entscheiden, ob sie einen 100% reinrassigen (und eben genetisch völlig verarmten) Hund halten und züchten möchten, oder einen, der zu 50% aus Rasse x und zu 50% aus Rasse y besteht. Die Puristen können unter sich bleiben, die Liberalen hätten ebenfalls einen Platz. Wenn das unter dem Dach der FCI (oder einer entsprechenden Organisation) passieren könnte, was wohl leider zumindest im Moment noch illusorisch ist, wären eben auch Mindeststandards möglich, nach welchen Zuchthunde ausgewählt werden müssten.


    Schönheitswettbewerbe, bzw. Rasseschauen könnte es trotzdem noch geben: aber vielleicht müsste man dann tatsächlich von völlig willkürlichen Ideen wie einem weissen Fleck am falschen Ort wegkommen und sich den Typ des Hundes anschauen. Ideal wären für mich für eine Zuchtzulassungsprüfung eine positive Formwert- sowie eine Wesensbewertung. Die Wesensbewertung könnte entweder durch eine Arbeitsprüfung oder einen klassischen Wesenstest abgelegt werden.


    An oberster Stelle liegen für mich bei einer Zucht, welche diesen Namen auch verdient, die physische und psychische Gesundheit der produzierten Tiere sowie ihre Eignung für das Umfeld, für das sie produziert wurden.

  • Und dann Richter, die darauf aber auch schauen!

    Sonst nützt ja alles nichts

    Das ist ja vielerorts das Problem.



    Was nützen mir momentan die bereits bestehenden Vorgaben, wenn der Hund diese nur mit ach und krach oder kaum erfüllt, der Richter aber offensichtlich die Brille zu Hause vergessen hat?


    Wenn der Showlabi auf dem 50m Apport fast kollabiert? Oder der Arbeitslabi fast die Nerven beim Flatterband verliert ? Wenn alles nur noch extrem ist und die Richter freut es?


    Die Kontrollgremien müssen genauso mithalten. Da krankt das System gewaltig. Denn Vorgaben - nicht nur Schlechte - gäbe es teilweise bereits.

  • Würden die Richter sich an den Standard halten, dann wäre schon mal viel gewonnen.


    Denn schaut man sich die Rassenstandards mal an, dann geben sie das, was momentan an Ideal bei Hunden gesehen wird definitiv nicht her.

  • wie groß der Genpool bei den Bernern eigentlich ist und ob man mit entsprechender Zuchthygiene tatsächlich die Lebenserwartung heraufsetzen kann oder ob man nicht Gefahr läuft, die Genetik so sehr zu verengen, dass neues Unheil zu befürchten ist.

    Seid das Inzuchtniveau einer Rasse genetisch gemessen werden kann, sind ja doch einige Studien zu diesem Thema erschienen.

    Und die zeigen doch sehr deutlich, dass das Inzuchtniveau zwischen den Rassen erheblich variiert. Und auch, dass die Lebenserwartung mit diesem Inzuchtniveau zusammen hängt.


    Ich verlinke einfach mal diese Studie aus Finnland. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9886701/


    im Supplementary file2 (DOCX 73 KB)  


    findet man eine Tabelle, die die Messwerte der einzelnen Rassen darstellt. Dort sieht man auch die genetische Heterogenität in % (Mischlinge haben im Durchschnitt 43,2% Heterogenität, ein Clon hätte 0%. Je geringer die Heterogenität, desto höher die Inzucht)


    Man sieht, dass es noch große Unterschiede zwischen den Rassen gibt. An wenigsten betroffen ist dabei ausgerechnet der (Parson) Jack Russel Terrier, der hier merkwürdigerweise negativ erwähnt wurde.

    Bei einigen Rassen ist die Heterogenität schon gewaltig niedrig - und die Lebenserwartung auch. Boxer, Dobermann und auch der Berner Sennenhund gehören dazu.


    Ich würde mal so alles in allem sagen: Es ist nicht "die Rassenhundezucht" an sich am Ende, aber einige Rassen sind tatsächlich so enggezüchtet und haben gleichzeitig das Pech, so viele negative Genvarianten "erwischt" zu haben, dass sie ohne erhebliche Durchmischen außerhalb der Rasse nicht mehr zu retten sind.

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