"Rassezucht gone wrong" - sind sie noch zu retten?
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Die Rassezucht allgemein bewegt sich sehr weit weg vom ursprünglichen Standard der Rassen, was ich persönlich sehr bedaure.
Vielleicht sind aber auch die Standards ein Teil des Problems.
Ein Gutteil von zb Leistungszucht funktioniert problemlos ohne Standard (und nein, Leistungszucht ist auch nicht automatisch super und besser) bzw würde funktionieren, gäbe es von Zuchtverbänden keine Vorgaben über so und so viele zu erbringende Formwerte aka Schönheitsbeurteilungen zur Zuchtzulassung.
Größer, kleiner, mehr oder weniger Fell, perfekte Ohren und unperfekte nebeneinander wären eigentlich begrüßenswert, weil sie mehr Variation bringen. Standards wollen möglichst wenig Variation - und sind dann noch Interpretationssache, in Kombination mit einem Beurteilungssystem, das persönliche Geschmäcker von Formwertrichtern belohnt oder fördert.
Nein, ich komme für mich immer mehr zu dem Schluss: sieht ungefähr aus wie ein und verhält sich wie ein .... sollte sein, worum es geht.
Es ist bei genug Hundetypen gelungen, über Jahrhunderte ein ungefähres Erscheinungsbild zu behalten. Standards brauchte es erst mit der Einführung von Hundeausstellungen und Reinrassigkeit über alles.
Ja sorry, da muss ich lachen: "Meine" Rasse gibt es angeblich seit 3000 Jahren, seit 80 nen Standard, der 3x bisher geändert wurde. Verdammt, was ham die 2920 Jahre lang ohne Standard gemacht? Wie ging denn das? Wo doch einzig der Standard sagt, wie es schon die 2920 Jahre davor gewesen sein muss, denn sonst könnt er ja keine 3000 Jahre alte Rasse im total vollen Original und einzig wahr beschreiben. (Dass das mit den 3000 Jahren so auch Unsinn ist, steht nochmal auf einem anderen Blatt, aber man beruft sich eben darauf.)
Fun Fact: derjenige, der den Originalstandard verfasste, nachdem jemand anderer die Originalrasse wiederbelebte und Individuen sammelte, die dem Standard entsprachen, den es noch gar nicht gab - nun, dieser jemand hatte mit der Rasse nicht mal Kontakt, sondern arbeite nach Fotos und Briefaustausch. Eine nicht gänzlich ungewöhnliche Praxis in den Anfängen der Standardschreiberei.
Bei "meiner" zweiten Rasse gibt es, genauso lang wie die Rasse selbst, eine zweite, standardlose (und anerkennungs- und papierlose) Schiene, die hierzulande völlig unbekannt ist. Is ein sehr ähnlicher Hundetyp, nur optisch breiter gefächert, in mehreren Größensubklassen und mit mehr oder weniger Mixanteil. Funktioniert auch. (Bzw hat eigentlich längst in Teile der FCI Population Eingang gefunden, obwohl das am Papier nie stattfand. Dem heiligen Standard entsprechen manche mehr, manche weniger. Dem Verwendungszweck alle. Und welcher Hundetyp sie sind, erkennt man auch ohne Probleme.)
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Nope, ist es nicht. Mendel- ganz simpel.
Wuerden die Regeln (oder die Entdeckung) von Mendel immer gelten, waeren wir viel viel weiter im Bezug auf genetische Defekte (sowohl beim Menschen, als auch bei Hunden). Ein einzelnes Gen zu identifizieren ist deutlich einfacher als mehrere. Und genau das ist bei vielen Dingen eben das Problem.
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Erwartungen ans dogforum mal wieder erfüllt, viele interessante Infos erhalten - danke!
dagmarjung: Danke für den Buchtipp, werd's mir beschaffen.
Helfstyna: Dass die Eindämmung von DCM so kompliziert ist, wusste ich ebenfalls nicht. Wird die Rasse eigentlich heute noch als Diensthund bei Polizei und Sicherheitsdiensten geführt? Sind sie von der Nervenstärke dafür noch geeignet?
Der erste Dobermann, den ich bewusst wahrgenommen habe, war nämlich im Grundschulalter Amor, seines Zeichens Polizeihund und Ende der 1960er Jahre natürlich noch voll kupiert, der vor Dienstantritt immer mit Maulkorb über die Wiese vor unserem Haus flitzte, bevor er auf Herrchens Pfiff ins Auto sprang und mit zur Arbeit fuhr. Eine imposante Erscheinung.
Zumindest noch bis bis in die 1980er Jahre waren Dobermänner meiner Wahrnehmung nach relativ häufig in Polizeihundestaffeln zu finden, zahlenmäßig natürlich nicht so stark vertreten wie die deutschen Schäferhunde.
Ich hatte sie als nervenstark, mannscharf, Ein-Mann-Hunde und mit ziemlich kurzer Lunte abgespeichert, aber ich denke, die Nervenstärke, das war einmal...
Ich sehe ein Problem in der heutigen Rassehundezucht darin, dass so ziemlich alles, was 4 Pfoten hat, als Sport-, Begleit- und Familienhund geeignet sein soll und nicht mehr, wie Irish Terrier so treffend vom Parson Russell schrieb, auf die ursprünglichen Rasseeigenschaften selektiert wird.
Und auch, dass Hunde heutzutage in ihrem Bewegungsdrang und ihren natürlichen Verhaltensweisen extrem reglementiert werden, weil sie im modernen Leben einfach unnötig sind:
Der Terrier untertunnelt den Rasen auf Mäusejagd? Der Australian Shepherd patroulliert in der Reihenhaussiedlung an 3,50 m Zaun zum Nachbarn und meldet jede Bewegung?
Wenn ich allein an die ganzen Rituale à la "Ich regele das" denke, frage ich mich manchmal, warum dann überhaupt ein Hund?
Die Berner Sennenhunde meiner Kinder- und Jugendzeit hatten alle Arbeit als gemäßigte und hoftreue Hofwächter, spazieren ging mit denen niemand, die meisten lebten nicht mit im Haus.
Und zum Draußenleben muss ein Hund gesund und robust sein.
Praktisch war halt, dass man sie nicht wegsperren musste wie fast immer Schäferhunde. Der Vater einer meiner damaligen Freundinnen hatte z. B. einen Handwerksbetrieb, und der Berner scharwenzelte tagsüber zwischen allen, die aufs Gelände kamen, umher, ließ sich streicheln, spielte mit uns Kindern, döste, wenn nix los war - aber wehe, das Tor war zu!
Ich kam einmal, ich meine, am Wochenende, machte das Tor auf - und ganz schnell wieder zu, denn da kam das imposante Tier deutlich schneller als sonst und böse kläffend angeschossen ...
Man musste klingeln, ansonsten stellte er alle, die bei geschlossenem Tor einfach so hereinkamen. War jemand von der Familie dabei, war alles ok.
Das war der Typ Berner, den ich persönlich gerne häufiger sehen würde, nämlich eindeutig kleiner und leichter als heute. Und der wurde alt, deutlich über 10.
Die Frage ist halt, wer braucht heutzutage noch so einen Hofwächter. In dem geschlossenen Thread wurde der Berner ja als "Begleithund" betitelt.
Und für einen Begleit- oder Familienhund ist es eben praktischer, einfach nur bärig, imposant und nicht zu fordernd an die Beschäftigung zu sein.
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Es ist bei genug Hundetypen gelungen, über Jahrhunderte ein ungefähres Erscheinungsbild zu behalten. Standards brauchte es erst mit der Einführung von Hundeausstellungen und Reinrassigkeit über alles.
Ich finde das gerade beim Jack Russel interessant. Die wurden erst 2000 FCI anerkannt. Vorher wurden sie von lokalen Vereinen und auch einfach so gezüchtet. Laut der finnischen Studie haben sie eine größere Heterogenität und eine lange Lebenserwartung.
Ich finde, Zuchtziel sollte sein, das zu erhalten. Nicht, jetzt auch einen bestimmten Typ zu selektieren, egal ob klassisch oder modern, sondern verschiedene Typen zuzulassen und immer wieder für Durchmischen zu sorgen. Das erfordert aber ein ganz anderes Zuchtmanagement.
Mit der ursprünglichen Verwendung ist das ja auch so eine Sache. Ursprünglich waren die Jack Russels Jagdhunde und nebenbei Farmhunde. Der Jagdgebrauch lag aber schon lange zurück, als die FCI Zucht begann. Hätte man jetzt auf Jagdeigenschaften züchten sollen, weil das die ursprüngliche Verwendung war? Oder doch lieber als gemäßigter Familienhund, weil die Population dann viel größer sein kann? Auch wenn dann vielleicht ursprüngliche Eigenschaften verloren gehen?
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Das ist mE generell ein Problem - als moderne Hundezucht in Europa anfing, wars eben oft zweck-/einsatzgebunden.
Du brauchst für diese Jagd das, für jene Jagd dieses, Rinder hütet man so, Schafe so, allerlei.
Und heute brauchen(!) vielleicht 75% der Hundehalter nichts mehr von ihrem Hund als seine Gesellschaft, die verrückteren 10% machen vielleicht noch Sport, und dann bleiben noch 15% die einen echten Zweck haben - Jagd, Hüten, Assistenz, Polizei/Zoll.
Heißt strenggenommen, die meisten Hunderassen sind obsolet geworden. Gleichzeitig sind Menschen inzwischen Personalisierungsjunkies. Alles muss genauso aussehen, wie man sich das vorstellt.
Also nimmt man nicht „den erstbesten“ Begleithund, sondern dann ist es auf einmal wichtig, ob der Kipp- oder Stehohren hat, ob er kurz- oder langhaarig ist usw.
Und dann kaufen sie auf einmal doch den Aussie, weil er so hübsch bunt ist und man das unbedingt will. Eigenschaften sind dann egal.
Daher fände ich es z.B. Quatsch, nen griffigeren JRT zu züchten, weil die einfach kaum gebraucht werden. Die würden dann nicht gekauft oder es gäbe x Vorfälle mehr oder zig unglückliche Hunde.
Bedarf ist realistisch eben vor allem an eigenschaftslosen Begleitern.
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eigenschaftslosen
Was ist denn bitte eigenschaftslos?
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Ich verstehe schon, was mit "eigenschaftslos" gemeint ist, nämlich weder Schärfe - gute Definition siehe Schwarzwildbracken-Thread! - noch Jagdtrieb, geschweige denn Wach- oder Schutztrieb zeigen, d. h. Gott und die Welt ins eigene Haus bzw. die eigene Wohnung lassen, im Mehrfamilienhaus bitte auch dann keinen Pieps von sich geben, wenn der Hund stundenlang alleine gelassen wird, im Büro unsichtbar sein, mit Minirunden vor dem Vollzeit-Arbeitstag zufrieden sein (denn sonst isser ja "drüber"), aber beim sog. Hundesport bitte volle Leistung bringen.
Und fotogen für irgendwelche Posts in den sozialen Medien sein.
Allein die Wortwahl in der Beschreibung von Hundeverhalten und -erziehung lässt mich manchmal an einen Computerkurs denken; bei "Hoch-/Runterfahren" schüttelt es mich regelmäßig.
Ich wage mal die Behauptung, ohne eine abgerundete Mischung an "Eigenschaften" und damit einen Verwendungszweck ist keine vernünftige Hundezucht möglich.
Border Collie und Australian Shepherd sind gute Beispiele dafür, wie die Nervenstärke verloren gehen kann, wenn die Hunde keine Gelegenheit mehr haben, Selbstbeherrschung am lebenden Objekt, nämlich Hütevieh, zu lernen, weil sie sonst riskieren, verletzt zu werden.
Laut flying-paws gibt es inzwischen zwei genetische Varianten vom Border Collie, und in der Showrichtung ist Epilepsie ein Problem.
Auskreuzen kann übrigens wunderbar funktionieren, wenn man Hunde verpaart, die denselben Verwendungszweck haben; flying-paws hat das erfolgreich mit ihrer Kooliehündin praktiziert, die aufgrund ihrer hervorragenden Arbeitsleistungen, die sie auf Hütewettbewerben unter Beweis gestellt hat, über das sog. Register on merit als Border Collie anerkannt wurde, weil sie in der oberen Border Collie-Klasse mitspielt.
So hat sie aus der Kooliehündin schon den 2. Wurf Border Collies gezogen, jeweils mit einem ebenso hochklassig arbeitenden Border Collie-Rüden.
Wie jemand mit Fug und Recht schrieb: Zuchtbücher öffnen würde was bringen, ebenso die Umorientierung auf das, was neben den äußeren Merkmalen in der FCI-Rassebeschreibung steht.
Und da steht beim Berner z. B. "Gebrauchshund".
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Ich wage mal die Behauptung, ohne eine abgerundete Mischung an "Eigenschaften" und damit einen Verwendungszweck ist keine vernünftige Hundezucht möglich.
Und ich wage mal zu behaupten, dass niemand einen eigenschaftslosen Hund möchte. Zumindest habe ich das noch nie gehört. Die meisten "Hundeanfänger", die ich kenne und von denen ich hier lese, wollen einen freundlichen, geduldigen, robusten, verspielten, fröhlichen, aufgeschlossenen, verschmusten Hund.
Alles genau so Eigenschaften wie Schärfe, Wachsamkeit und jagdliches Interesse. Begleithund ist auch genau so ein verwendungszweck wie Hütehund
Aber gut, das driftet hier in eine sehr seltsame "früher war alles besser"-Tirade ab, daher halte ich mich denke ich ab jetzt lieber raus. Schade, es fing interessant an.
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Wird die Rasse eigentlich heute noch als Diensthund bei Polizei und Sicherheitsdiensten geführt? Sind sie von der Nervenstärke dafür noch geeignet?
Im echten Dienst (Polizei, Militär, Zoll) so gut wie gar nicht. Die Hunde sind nicht mehr hart genug, einfach oft zu wenig Gebrauchshund, relativ teuer und das Gesundheitsrisiko ist halt immer gegeben. Hinzukommt, dass sie vergleichsweise groß und schwer sind, wenn man sie mit Mali oder DSH vergleicht.
aber ich denke, die Nervenstärke, das war einmal...
Nö, eher im Gegenteil, Hunde aus vernünftiger Zucht sind heute oftmals eher schon zu gechillt. Denen fehlt das Angekratzte, dieses auf Hab acht und immer einsatzbereit sein.
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Heute leben Hunde mit uns in unserer Wohlstandsgesellschaft. Sie werden gut und reichlich gefüttert und medizinisch versorgt. Gegen Krankheiten gibt es Impfungen, gegen Würmer Tabletten. Sie leben nicht mehr draußen in Kälte oder Hitze, sondern mit uns in gleichmäßig temperierten Wohnungen. Kranke und schwache Welpen werden medizinisch versorgt und aufgepäppelt, früher wären sie gestorben.
Selektionsdruck durch harte Lebensbedingungen fällt weg.
Zur früheren Zeiten, in der Entstehungsgeschichte der allermeisten Rassen, sorgten die ungleich härteren Lebensbedingungen für einen Ausgleich für die auch damals schon angewandte Inzucht. Es kamen eben nur solche Hunde durch, die robust genug waren und auch noch die jeweils gewünschte Leistung brachten.
Was ist denn bitte eigenschaftslos?
Heute definiert sich der ideale und von vielen gewünschte Familien- und Begleithund vor allem durch das, was er nicht tut: nicht bellen, nicht jagen, nicht wachen, keinerlei Agressivität gegen Artgenossen und schon gar nicht gegen Menschen zeigen, nicht anspruchsvoll in Bezug auf Bewegung, nicht zu lebhaft, nicht fordernd in Bezug auf geistige Beschäftigung usw.
Man lese sich nur die Zuchtzielbeschreibung des Elos durch, der genau für diese Bedürfnisse gedacht ist.
Das steht natürlich im Gegensatz zu den früheren Zuchtzielen der allermeisten Rassen, die eben jagen, wachen, hüten oder sonstwie arbeiten sollten.
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