Angemessenes Verhalten und Moral beim Hund - gibt es das, und was ist das?

  • Ich will gerne nochmal einen Schritt zurückgehen, vielleicht verdeutlicht das ein bisschen, wo meine Kritik oder mein Verständnisproblem in dieser Fragestellung "gibt es angemessenes Verhalten beim Hund" liegt.


    Ich beobachte Aggressionsverhalten Artgenossen gegenüber beim Hund, sagen wir der Einfachheit halber in einer "genormten" Situation, ich werfe also in diesem Beispiel nicht noch verschiedene Formen der Aggression ins Rennen. Anschaulich könnte das in etwa so aussehen:


    77c4525192e3d6f.jpg


    Auf der x-Achse habe ich alle Ausprägungen von Aggression, auf der linken Seite Hunde, die keinerlei Aggression zeigen, auf der rechten Seite Hunde, die sofort eskalieren, und eben alle beobachteten Schattierungen zwischendrin.

    Auf der y-Achse trage ich die Anzahl der Hunde ein, die das jeweilige Verhalten zeigen.

    Das bedeutet, ich beobachte (wie in diesem Schaubild zu sehen) ganz wenige Hunde, die keinerlei Aggression zeigen, ebensowenige Hunde, die sofort alles schreddern wollen, und sehr viele Hunde, die irgendwo dazwischen liegen mit ihrer Aggression.


    Reden wir bis zu dieser Stelle noch über dasselbe?


    Jetzt lege ich über dieses Diagramm mein Wertesystem, nämlich Angemessenheit. Ich sage, Hunde, die eine extreme Form von Aggression oder Defensivverhalten zeigen, reagieren nicht angemessen auf Artgenossen. So könnte das dann aussehen:


    53b0c25f97a.jpg


    Hunde, deren Verhalten zu weit links oder rechts auf der Skala einzusortieren wäre, verhalten sich nicht angemessen.



    Nehme ich nun einen anderen Standpunkt ein und sage, dass Aggressionsverhalten ab einer gewissen Stärke nicht mehr angemessen ist, könnte das Diagramm auch so aussehen:


    1c660b957f524e07f.jpg



    An dieser Stelle entstehen für mich einige Fragen.

    - wer bestimmt diese Grenzen für angemessenes Verhalten?

    - wird bei der Wortwahl eventuell "angemessen" mit "häufig" verwechselt?

    - wir reden in dieser Diskussion über Angemessenheit aus Hundesicht. Das ist in meinen Augen reine Spekulation. Das individuelle Verhalten jedes Hundes wird jeder Hund möglicherweise als angemessen empfinden, sonst würde er ja anders handeln. Ob ein Hund, der sich am rechten Spektrum innerhalb der angenommenen "Angemessenheit" einordnet, aber auch die Reaktion eines Hundes als angemessen empfindet, der am linken Spektrum der angenommenen "Angemessenheit" zu finden ist? Who knows. Und wieder: wer zieht wo welche Grenze?

  • wer zieht wo welche Grenze?

    Kynologen, wie z. B. Feddersen-Petersen: Die Grenze ist "taktile Aggression" wobei sie hier noch den Grad der Beschädigungsabsicht unterscheidet.


    Deine Wahl der Gaußschen Glockenkurve suggeriert übrigens eine gleichmäßige Verteilung von aggressiven Verhalten.


    Wie stellt du bei dieser Kurve die Intensität der Aggression dar, also wo ist die Grenze zu "beschädigendem Verhalten", und Aggression ohne Beschädigung" ?


    Die Angemessenheit wird bestimmt durch die Frage: Was ist denn arttypisch?


    Für das Weibchen der Spinnenart "Schwarze Witwe" ist es sicher arttypisch, das Männchen unmittelbar oder sogar schon während des Paarungsaktes zu verspeisen.


    Für Haushunde ist deeskalatives Verhalten bei Konflikten arttypisch; Deeskalatives Verhalten ist weitaus häufiger bei innerartlichen Konflikten zu beobachten als Eskalationsverhalten.

  • Wie stellt du bei dieser Kurve die Intensität der Aggression dar

    Das ist die Skala auf der x-Achse. Je weiter rechts, desto intensiver die Aggression.

    wo ist die Grenze zu "beschädigendem Verhalten", und Aggression ohne Beschädigung"

    an einer Stelle x=m


    Deine Wahl der Gaußschen Glockenkurve suggeriert übrigens eine gleichmäßige Verteilung von aggressiven Verhalten.

    Mal abgesehen davon, dass das in etwa tatsächlich meiner Beobachtung entspricht (= äußerst wenige Hunde haben Tötungsabsichten, äußerst wenige Hunde zeigen keinerlei Aggressionsverhalten, die meisten sind irgendwo dazwischen), spielt es für die Schaubilder keine Rolle. Ich habe lediglich versucht, darzustellen, wie man Grenzen für "angemessenes" Verhalten festlegen kann, in diesem Fall einmal über Häufigkeit eines auftretenden Verhaltens (Schaubild 2), und einmal über Intensität eines auftretenden Verhaltens (Schaubild 3).

    Genau darauf zielt ja offenbar auch Deine Definition von arttypischem Verhalten ab, wenn ich Dich richtig verstanden habe:

    Deeskalatives Verhalten ist weitaus häufiger bei innerartlichen Konflikten zu beobachten

    bzw. die Definition von anderen Menschen:

    Die Grenze ist "taktile Aggression"


    Das ist beides total legitim. So kann ich eine Grenze für "angemessenes" Verhalten festlegen und begründen. Ich kann genauso auch eine andere Grenze wählen und begründen, in meinem Fall wähle ich z.B. eine andere Grenze hinsichtlich der Häufigkeit, weil in meiner Interpretation der Aggressionsstatistik Aggression der Intensität x>m immer noch so häufig vorkommt, dass ich sie als signifikant einstufe. So kommen wir eben zu unterschiedlichen Bewertungen, was arttypisch oder "angemessen" ist.

  • Ich kann deine Einordnung nicht nachvollziehen bei deinen Grafiken.


    Wo würdest du folgende Hunde auf deiner ersten Skala einordnen:


    1. erwachsene Hündin, eine Zicke wie sie im Buche steht. Jeder sich annähernde Rüde wird von ihr mit Scheinattacke lautstark angebrüllt. Das passiert nahezu immer bei Rüden, also üblicherweise mehrfach am Tag. Sie zeigt also sehr häufig stärkeres Aggressionsverhalten, ohne dabei jedoch taktil zu werden.

    2. Hund, blafft alles an was sich annähert, wird aber nicht taktil und bricht ab, sobald der andere Hund deeskalierend reagiert, und ergreift die Flucht, sobald ihm "Gegenwind" entgegenbläst.

    Also sehr häufiges Aggressionsverhalten, aber auch hier ohne Beschädigungsabsicht.

    3. Hund, zeigt keinerlei Drohverhalten, sondern packt direkt stark beschädigend zu.

  • Deinen Beispielen entnehme ich:

    Hund 1 zeigt weniger Aggressionsverhalten als Hund 2, weil Hund 2 sich nicht nur auf Rüden beschränkt, meintest Du das? Hund 3 zeigt stärkeres Aggressionsverhalten, aber es gibt noch Luft auf der Skala nach oben, weil "stark beschädigend" noch nicht gleichbedeutend ist mit "tötet sofort"?


    Dann sind die Hunde in der Reihenfolge a<1<2<3<b zu finden, wobei a die geringste beobachtete Ausprägung von Aggressionsverhalten bezeichnet, b die stärkste.

  • Ich finde die Diskussion interessant und die Graphik, die tassut eingebracht hat sehr hilfreich.

    Für mich war nämlich wirklich schwer, das Thema überhaupt zu fassen.

    Moral würde ich sagen gibt es beim Hund nicht, dafür fehlt ihm die Fähigkeit zum abstrakten Denken, m.A.n. Wir pfropfen den Hunden unsere Moral auf. Danach ist es halt böse, wenn man den Kleinhund killt. Stellt sich für den Hund eventuell anders dar.

    Angemessenes Verhalten wird m.E erlernt und zwar danach, was der führende Mensch als angemessen definiert.

    M.E. kann so auch jeder Hund lernen, dass Kleinhunde töten nicht erwünscht ist. Ist halt je nach Veranlagung des Hundes schwieriger oder leichter.

    Bei Hundundmehr finde ich, dass sie ausgehend von ihren Retrievern - so eine hab ich ja auch hier sitzen- Aggressionsverhalten, das nicht retrievertypisch ist, zu sehr pathologisoert. Auch taktiles Aggressionsverhalten ist nicht automatisch unangemessen. Es gibt Hundetypen, die regeln taktil, aber auch das ohne schwere Beschädigungs- oder Tötungsabsicht.

    Schwieriges, weil sehr komplexes Thema mit mehreren Ebenen.

  • Hund 1 zeigt weniger Aggressionsverhalten als Hund 2, weil Hund 2 sich nicht nur auf Rüden beschränkt, meintest Du das?

    Nein, meinte ich zwar nicht, könnte aber so aus den vorliegenden Informationen abgeleitet werden.

    Dann differenziere ich noch mal weiter: Hund 1, die Zicke, zeigt ihre Zähne ind sehr kurzem Abstand zum Rüden und kommt dabei mitunter (also nicht immer) bis an die Haarspitzen des Rüden.

    Hund 2 nähert sich mit seinen Attacken bis auf 3m (ist jetzt eine willkürlich gewählte Grenze, aber nehmen wir diese mal an), und reagiert dann wahlweise mit Abbruch oder Flucht, je nach Reaktion des anderen Hundes.

    Hund 3 zeigt stärkeres Aggressionsverhalten, aber es gibt noch Luft auf der Skala nach oben, weil "stark beschädigend" noch nicht gleichbedeutend ist mit "tötet sofort"?

    "Stark beschädigend" bedeutet, mit großem Einsatz seiner ihm zur Verfügung stehenden Kraft, unabhängig vom Gegner. Das kann - je nach Kontrahenten - "nur" starke Bissverletzungen zur Folge haben, aber gerade bei deutlichem Kräfteunterschied (Größe z. B.) auch mit dem Tod des Kontrahenten enden.


    ...........


    Welche Bedeutung hat der Scheitelpunkt bei der Gaußschen Glockenkurve?

  • Hund 1 zeigt weniger Aggressionsverhalten als Hund 2, weil Hund 2 sich nicht nur auf Rüden beschränkt, meintest Du das?

    Nein, meinte ich zwar nicht, könnte aber so aus den vorliegenden Informationen abgeleitet werden.

    Dann differenziere ich noch mal weiter: Hund 1, die Zicke, zeigt ihre Zähne ind sehr kurzem Abstand zum Rüden und kommt dabei mitunter (also nicht immer) bis an die Haarspitzen des Rüden.

    Hund 2 nähert sich mit seinen Attacken bis auf 3m (ist jetzt eine willkürlich gewählte Grenze, aber nehmen wir diese mal an), und reagiert dann wahlweise mit Abbruch oder Flucht, je nach Reaktion des anderen Hundes.

    Das heißt, Hund 1 würde in Deinem Beispiel eine höhere Intensität von Aggression als Hund 2 zeigen, weil er die Individualdistanz des Gegenübers stärker unterschreitet? Dann finden sich die Hunde im Diagramm so wieder: a<2<1<3<b


    Welche Bedeutung hat der Scheitelpunkt bei der Gaußschen Glockenkurve?

    Das ist das Verhalten, das von den beobachteten Hunden am häufigsten gezeigt wurde.

  • Das heißt, Hund 1 würde in Deinem Beispiel eine höhere Intensität von Aggression als Hund 2 zeigen, weil er die Individualdistanz des Gegenübers stärker unterschreitet?

    Tut sie (die Hündin) das?

    Oder hat nicht vielleicht zuvor der Rüde ihre Individualdistanz unterschritten, weshalb sie der Meinung ist, ihn anzublaffen?

    Das ist das Verhalten, das von den beobachteten Hunden am häufigsten gezeigt wurde.

    Ah, ok.


    D.h. , es wird also zu jedem Hund ein Ethnogramm gemacht und aufgeschrieben, wie oft er welche Intensität an aggressivem Verhalten zeigt?


    Welches Verhalten ist das denn am Scheitelpunkt?

    Ist das schon taktil (also im Beschädigungsbereich)?

    Anmerkung: Anrempeln oder gar Umrempeln zählt zu den taktilen (beschädigenden) Verhaltensweisen.

  • Oder hat nicht vielleicht zuvor der Rüde ihre Individualdistanz unterschritten, weshalb sie der Meinung ist, ihn anzublaffen?

    Da bin ich ganz Deiner Meinung, es kommt auf den Kontext an, welches Verhalten "angemessen" ist. (Mit ein Grund, warum ich von dem Wort "angemessen" in diesem Zusammenhang generell nicht überzeugt bin.)

    Hier gings in dem Fall um einen "genormten" Versuch, denn sonst ist Verhalten schlecht vergleichbar.


    D.h. , es wird also zu jedem Hund ein Ethnogramm gemacht und aufgeschrieben, wie oft er welche Intensität an aggressivem Verhalten zeigt?

    Gut, dass wir drüber reden, Missverständnisse passieren so schnell: nein, mit meinen Schaubildern wollte ich was anderes darstellen. Wir reden ja darüber (glaub ich :D ), welches Verhalten bei Hunden generell "angemessen" ist. Dafür schaue ich mir in der gleichen, "genormten" Situation an, in welcher Form viele, verschiedene Hunde jeweils auf diese Situation reagieren.

    Diese Reaktionen schreibe ich mir alle auf. Hund 1 nimmt Hund 2 gar nicht zur Kenntnis. Hund 1 hebt die Rute, wendet aber gleichzeitig den Kopf ab, Ohren gehen zurück. Hund 1 wird steif und knurrt. Hund 1 sieht anderen Hund und rennt sofort hin, um direkt in Tötungsabsicht zuzubeißen. Hund 1 sieht anderen Hund und rennt sofort hin mit Imponiergehabe. Hund 1 wedelt mit lockerer Rute. Hund 1 legt sich in Lauerstellung auf den Weg. Hund 1 geht in den Konflikt, es entstehen Schrammen auf beiden Seiten. Und so weiter. Viele, viele Versuche.

    Dann sortiere ich die beobachteten Reaktionen nach Intensität der gezeigten Aggression und ordne dem Verhalten jeweils zu, wie viele Hunde dieses Verhalten gezeigt haben.


    Ist das so besser verständlich?

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