Der Rüde und die läufige Hündin

  • Ich setze halt ohne Ausnahme die Kommandos durch und schaue, dass ich immer so arbeite, dass der Hund noch für Alternativverhalten empfänglich bleibt (Was nicht heißt, dass ich das immer anbiete). Wie man dem Hund sagt, dass er dabei keinen Stress hat, das müssen dann andere erklären.

    Möglicherweise ist das dabei der Knackpunkt: um keinen Stress in einer bestimmten Situation zu haben, BRAUCHT man ein entspannendes/runterfahrendes Alternativverhalten. Der Stress durch diese läufige Hündin ist ja nicht weg, nur weil Timur sich z. B. auf Kommando hinsetzt. Ich kann mir vorstellen, dass ihm gezieltes Entspannungsverhalten da mehr hilft.

    Und auch hier gilt: wenn Dich das selbst stresst, nimmt grad dieser Hund sich das über die Maßen an. Die Haltungsumstände eines HSH, der eben auch eine Herde beschützt UND gelegentlich im öffentlichen Raum unterwegs sind, sind schon sehr speziell. Dass der sich dann extrem an Dir orientiert und Deinen Stress noch auf seinen draufpackt, ist fast unausweichlich. Auch, wenn Dein Stress erst losgeht, wenn Timurs schon begonnen hat, er nimmt das dann als Bestätigung, dass er richtig damit liegt, Stress zu haben.


    Es klingt erstmal schön, wenn Timur dabei Kommandos befolgen kann. Mir wäre dennoch zunächst wichtiger, dass er mit der Nähe der läufigen Hündin entspannt umgehen kann. Meinen Hunden hilft leichter Körperkontakt, die lehnen sich dann ganz leicht an mein Bein. Auch T-Touches am Ohr kann man problemlos überall anwenden zum Runterfahren. Und hier ist immer mindestens genauso wichtig, nicht nur zu "sagen", was der Hund nicht machen soll, sondern genau das zu verstärken, was ich vom Hund will. Da gibts ein "jawoll" für ein tiefes Ausatmen, für eine Lockerung der Körperspannung, für eine andere Aktivität, die nichts mit der Läufigkeit zu tun hat.


    Ich würde vermutlich 2-gleisig arbeiten - zum einen ein für Timur aktiv entspannendes Alternativverhalten finden, dass ich ihm anbiete, wenn er beginnt (!) Stressverhalten zu zeigen, im Idealfall sogar, bevor und ihm gleichzeitig die Erfahrung ermöglichen, was es mit diesem Läufigkeitskram auf sich hat, indem ich ihm die Möglichkeit schaffe, ein-/zweimal eine läufige Hündin über die gesamte Läufigkeit hinweg täglich zu erleben. Das ist ein- bis zweimal gefühlt viel Aufwand, hilft aber dem Hund, das Ganze einzusortieren.

  • Verstehe ich das richtig: Du gehst nicht Mal täglich spazieren und dann direkt in einen Kurs in fremder Umgebung mit anderen Hunden drumherum?

    Wie kommst du auf "direkt"? Timur kennt das seit er ein Welpe ist. Irgendwann als er erwachsen wurde, hat es ihn dann zu sehr gestresst in fremden Umgebungen und unter fremden Hunden zu sein. Dann haben wir es gelassen, weil er das ja einfach auch nicht muss. Aufgrund von mir nicht beeinflussbarer Umstände wurde aber irgendwann von ihm erwartet, dass er das Können und Zeigen muss. Also haben wir es dann täglich trainiert und ja, DAS war schlimm. Für ihn und für mich, wir haben es aber geschafft, dass die Situationen fremde Umgebung, fremde Hunde und sogar Stadttrubel für ihn nicht mehr außergewöhnlich sind, sondern nur noch etwas aufregendere Alltagserfahrungen. Er kann das, es bringt ein bisschen Abwechslung, mir macht es Spaß und auch er geht gerne spazieren und hat auch keinen Stress mehr beim Zusammensein mit fremden Hunden oder in der belebten Einkaufsstraße. Also spricht mMn gar nichts dagegen, dass wir das ab und zu mal tun und auch an so einem Kurs teilnehmen. Ganz im Gegenteil würde ich sogar sagen, dass dieses Können unseren Alltag eher positiv beeinflusst hat, wenn es auch für sein Leben eigentlich nicht nötig wäre.

  • Ja, das ist mir doch klar, deswegen ja überhaupt dieser Thread. Ich weiß, dass er mittlerweile eben einfach gut hört, sich hemmt und zurücknimmt und dadurch viel mehr Stress erträgt als es andere Hunde wohl könnten und gerade deswegen finde ich, muss ich insbesondere darauf schauen, dass ich ihn nicht, weil es ja geht, Situationen aussetze, die einfach unfair sind. Der Gehorsam besteht ja in erster Linie z.B. daraus, dass er nicht einfach zu der Hündin hinlaufen darf, sondern bei mir bleiben muss, sich entsprechend abrufen lässt usw. Die Hündin geht ja nun einmal nicht einfach weg und selbst mit Leine, müsste er sich ja hemmen, was ihm mit Leine grundsätzlich schwerer fällt. Ich glaube, viele haben hier einfach zu viel Hundeplatzarbeit im Kopf. Wir gehen ja im Prinzip einfach nur zusammen spazieren, unterbrochen von der ein oder anderen Übung, die dann aber abgestimmt wird, auf das, was Timur leisten kann in der Situation. Die äußere Ablenkung ist halt abgestimmt auf den Ausbildungsstand, da kann ich ja schlecht verlangen, dass wir wegen der läufigen Hündin nun wieder irgendwo in der Einöde trainieren.
    Nähe und Körperkontakt sucht er viel und das wird auch gegeben. Ich sehe ja, dass er gestresst ist und dass er sich so viel Mühe gibt. Ist aber jetzt auch alles "meckern" auf hohem Niveau, also wirklich überhaupt kein Vergleich zu der Situation vor etwas mehr als einem Jahr, wo er wirklich fertig war mit der Welt und komplett im negativen Stress hing. Jetzt ist es eher der Gedanke an kleine Kangal-Mixe und bisl "Spaß". Er würde halt so gerne ... :D
    Nur zur Einordnung, ich bin tatsächlich auch nicht gestresst, weil er sich so "benimmt" . Ganz im Gegenteil, ich bin mega stolz auf ihn, der Stress bei mir kommt, weil ich genervt bin von der Situation, dass ich die Stunden nicht so nutzen kann, wie ich es geplant hatte. Dahin ging ja auch meine Frage, ob solche Situationen einfach normal sind für die Besitzer intakter Rüden und wie man damit am besten umgeht. Oder ob man üblicherweise dieses Problem gar nicht hat, weil alle anderen Rüden so abgeklärt sind, dass sie einfach normal arbeiten können. Ich habe nun mitgenommen, dass vieles einfach an der Gewöhnung liegt und man dann in die Richtung vermehrt Erfahrungen schaffen müsste, dass einem sowas beim nächsten Mal evtl. nicht wieder passiert. Bisher war es bei ihm halt auch noch nie so extrem, obwohl ja schon immer mal eine läufige Hündin dabei war.
    Was mich eben nervt ist eher das "systemische Problem", dass ich nun gezwungen war, ihn dieser Situation so auszusetzen oder ich eben einfach 3/8x Kurs hätte aussetzen müssen, denn in der Trainingsstunde ist ja genau dieser bedachte Trainingsaufbau nicht möglich bzw. nur mit hohen Abstrichen, wenn man dem Hund einen hohen seltenen Reiz einfach ohne Training dauerhaft vor die Nase setzt.

  • Irgendwann als er erwachsen wurde, hat es ihn dann zu sehr gestresst in fremden Umgebungen und unter fremden Hunden zu sein.

    Hm,


    das ist jetzt schon das zweite Mal, daß so was in dieser Richtung schreibst.

    Kann es sein, daß nicht die läufige Hündin "Schuld" am Ganzen ist, sondern generell diese Umgebung und fremde Hunde, und somit auch das Training in ihr?

  • Ich habe ja auch einen intakten Rüden mit mittlerweile 9,5 Jahren hier sitzen.

    Deinen Frust kann ich daher durchaus nachvollziehen.


    So, wie du es beschreibst, hat Timur trotz prinzipiell guten Gehorsams gewisse Themen mit Stress, z.B. Stadtsituationen, unter anderen Hunden sein etc., und du machst den Kurs mit ihm vor allem, um daran zu arbeiten. Wenn der Kurs sinnvoll aufgebaut ist, dann finde ich das auch total verständlich und eine gute Option, um da mit Training was zu erreichen.

    Aber ich denke auch, dass man von einem Hund, der da sowieso schon etwas gestresst ist, dann wohl nicht erwarten kann, sich zusätzlich auch noch ruhig/entspannt zu verhalten, wenn auch noch eine läufige Hündin dabei ist. Das ist dann wohl der "Overload". Ich finde, man kann von einem Hund nicht verlangen, da direkt mit mehreren Stressoren auf einmal entspannt fertigzuwerden. Im Zweifel würde da nur helfen, möglichst viel Abstand reinbringen, und nicht die normalen Übungen mitmachen, sondern einfach nur jedwede Aufmerksamkeit zu dir hin und weg von der Hündin hochwertig zu bestätigen und zu belohnen.

    Klar, irgendwo ärgerlich, wenn man den Kurs eigentlich ja aus anderen Gründen besucht, andererseits könnte man es als Möglichkeit sehen, mal die Anwesenheit einer läufigen Hündin gelassen tolerieren lernen zu trainieren. Aaaber wenn das Drumherum für den Hund zu stressig ist, sind das auch dafür natürlich nicht die bestgeeigneten Umstände. Und im worst case, also Hund ist übermäßig gestresst oder überhaupt nicht mehr aufnahmefähig, würde ich da mittlerweile konsequent einen Schlussstrich ziehen und das Training vorzeitig abbrechen oder ausfallen lassen, solange die läufige Hündin dabei ist.



    Ich war mal mit meinem damals noch nicht mal 2jährigen Rüden auf einem neuen Hundeplatz für einen Grundgehorsams-Kurs. Rex war damals noch sehr interessiert an Artgenossen und halt einfach noch ein Grünschnabel-Jungspund, der Platz war ihm völlig unbekannt - und dann war da eine läufige Hündin unter den Teilnehmern. Boah, was habe ich in der Stunde gelitten, weil Rex mich eigentlich wohl fast nur ignorierte und fiepsend zur Hündin hinzerrte bzw. mit der Nase nur permanent am Boden klebte. Und eine der Trainerinnen meinte dann auch noch, mir sagen zu müssen, dass das Verhalten meines Hundes so extrem sei, dass ich ihn unbedingt kastrieren lassen müsse.

    Zuhause habe ich dann tief durchgeatmet, mich beruhigt - und beschlossen, den Kurs durchzuziehen. Die Hündin war dann auch durch mit der Läufigkeit und Rex wieder deutlich aufnahmefähiger und somit hat der Kurs uns auch etwas gebracht.

    Im Laufe der Jahre wurde sein Verhalten läufigen Hündinnen gegenüber bzw. halt in deren Anwesenheit auch deutlich gelassener. Letztes Jahr konnte er leinenlos auf einem Platz arbeiten, auf dem zeitgleich auch eine läufige Hündin in Standhitze trainierte. Das hätte ich mir damals mit ihm als Jungspund echt nie erwartet!

  • Irgendwann als er erwachsen wurde, hat es ihn dann zu sehr gestresst in fremden Umgebungen und unter fremden Hunden zu sein.

    Hm,


    das ist jetzt schon das zweite Mal, daß so was in dieser Richtung schreibst.

    Kann es sein, daß nicht die läufige Hündin "Schuld" am Ganzen ist, sondern generell diese Umgebung und fremde Hunde, und somit auch das Training in ihr?

    Nein.
    Sicher ist er noch immer etwas aufgeregter in der Stadt als irgendwo im Wald, aber welcher Hund, der nicht in der Großstadt wohnt, ist das nicht? Natürlich potenzieren sich Ablenkungen irgendwann und vllt wäre es ihm im Wald ein ganz klein wenig leichter gefallen, aber wenn 95% seiner Gedanken um die Hündin kreisen, dann ist definitiv wohl in erster Linie die Hündin die Ursache für seine Aufregung.

  • Das klingt bei Euch "Profis" immer so einfach.


    Abbrechen, Umleiten, aushalten lernen. Und zack, hat man den gelassenen Hund neben sich.


    Ich weiß nicht, ob es wirklich so einfach ist und die, die es nicht hinbekommen, einfach die Erziehung nicht hinkriegen. Aber ich würde mal behaupten, so einfach ist es nicht immer runter zu brechen.


    Ich versteh total, was du meinst Sascha. Wir hatten eine ähnlich Situation. Man hat letztlich nicht mehr das eigentliche Trainingsziel des Kurses gemacht, sondern einfach nur noch mit dem Hund geübt die Situation auszuhalten. Und hat sich dann gefragt, muss man das so intensiv üben, wenn im täglichen Zusammenleben diese Situation einfach sehr selten vorkommt?


    Klar, hast du einen Mehrhundehaushalt mit intakten Rüden und Hündinnen, dann ist das eins der wichtigsten Themen. Aber für uns ist das eigentlich irrelevant, weil es extrem selten solche Situationen gibt, wo das gebraucht wird.


    Und dann fragt man sich schon, wofür man denn eigentlich in diesem Kurs ist, wenn das eigentliche Trainingsziel grade gar nicht trainiert werden kann.

  • Ich möchte einen Perspektivwechsel vorschlagen:


    Du sagst, du willst in dem Kurs an ein paar Stellschrauben drehen -> die läufige Hündin zeigte dir eine Schraube, die du bisher nicht auf dem Schirm hattest.


    Du sagst, dein Hund sei in solchen Situationen sowieso gestresst -> die läufige Hündin hat dem "nur" einen weiteren Faktor zugefügt, der im normalen Leben deines Hundes wahrscheinlich genauso oft vorkommt wie ein Stadtspaziergang. Also irgendwie doch genau das was du wolltest nur mit zusätzlichem Schwierigkeitsgrad.


    Vielleicht hilft es dir, die Hündin nicht als Störfaktor sondern als zusätzliche Ablenkung zu sehen. Die dir auf unerwartete Art ermöglicht hat, genau das zu tun, was du von Anfang an wolltest. Der Kurs hat ja eigentlich gar nicht zum Inhalt, an solchen Stressthemen zu arbeiten. Aber durch die Hündin wurde es zum Inhalt. In meinem Kopf klingt das gar nicht nach verschwendeter Zeit und Geld sondern nach Erfolg. Auch wenn der Erfolg vorerst vor allem darin besteht, dass dir ein potentielles Problem bewusst geworden ist.

  • Ich gehe ja nicht solche Kurse. Aber...

    Man hat letztlich nicht mehr das eigentliche Trainingsziel des Kurses gemacht, sondern einfach nur noch mit dem Hund geübt die Situation auszuhalten. Und hat sich dann gefragt, muss man das so intensiv üben, wenn im täglichen Zusammenleben diese Situation einfach sehr selten vorkommt?


    Und dann fragt man sich schon, wofür man denn eigentlich in diesem Kurs ist, wenn das eigentliche Trainingsziel grade gar nicht trainiert werden kann

    Wenn ich Kurs X buche und dann - wieso auch immer - das eigentliche Trainingsziel nicht trainiert werden kann UND ich das, was ich stattdessen 'trainieren' muss, im Alltag nicht brauche, es mich nervt und den Hund uebermaessig stresst (und ich nicht daran arbeiten will/kann), dann gehe ich nicht mehr in diesen Kurs.

    Es zwingt einen doch niemand :ka:

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