"Der Halter macht den Hund" - viel Wahres dran oder eher eine Binse?

  • Weil Angst löst ein Anschiss ja nicht direkt aus, sondern eher so eine Störung des Gefühls, dass man gemeinsame "good Vibrations" hat. Und das will, denke ich, fast jeder Hund und eine Störung finden die halt blöd und vermeiden die möglichst, wenn die gemeinsame Basis passt.

    Genau das ist für mich ein Trugschluss. Nicht alle Hunde sind Konfliktvermeider. Sprechen wir von zielgerichtetem Verhalten, dann entscheidet ganz einfach die Motivation, ob ein Verhalten ausgeführt wird oder nicht. Und was ein Hund als motivierend empfindet, unterscheidet sich.


    Es gibt Hunde, da ist das so, denen sind die "good vibrations", wie du es nennst, total wichtig. Klar sind die dann motiviert, einen Konflikt (= "bad vibrations") zu vermeiden. Das ist doch der Inbegriff von will to please, dass der Hund diesen "good vibrations" eine wahnsinnig hohe Wertigkeit zuschreibt und sie eine dementsprechend große Rolle im Abwägeprozess für oder gegen ein Verhalten spielen.


    Aber genauso gibt es Hunde, die deutlich weniger positive Gefühle aus "good vibrations" ziehen und im Umkehrschluss auch wenig Probleme mit Konflikten/"bad vibrations" haben. Die gute Stimmung aufrecht zu erhalten ist für die also schlicht und ergreifend wenig motivierend. Im Abwägeprozess für oder gegen ein Verhalten spielt das bei so einem Hundetyp dadurch nur eine sehr geringe Rolle, ganz unabhängig der gemeinsamen Basis und Bindung.

  • Hm. Mit Terriern habe ich z.B. tatsächlich keine eigenen Erfahrungen.

    Kann also sein, dass die echt drauf pfeiffen, wenn da vom Halter "ungute Schwingungen" ausgehen.

    Und was hält die dann davon ab, Dinge zu tun, die sie sein lassen sollen? Also wenn sie Konflikte grundsätzlich annehmen?

    Den Hund so zu führen, dass es erst gar nicht zu Konflikten kommt, stelle ich mir praktisch unmöglich vor.

  • Kann also sein, dass die echt drauf pfeiffen, wenn da vom Halter "ungute Schwingungen" ausgehen.

    Ich kann nur von uns zwei reden, und da stellt sich das für mich so dar, dass Jack "ungute Schwingungen" schon verunsichernd findet, er die aber nicht immer mit seiner "Tat" in Verbindung bringt.


    Bin ich also sauer, weil er schon wieder ins letzte Drecksloch gehüpft ist, ist das verstörend bis nebensächlich für ihn, ändert aber nichts daran, dass er ins nächste vielleicht auch wieder hüpfen wollen würde :see_no_evil_monkey:Sogar im Gegenteil, kriegt er einen Anpfiff, stürzt er sich im Übersprung gleich wieder in den nächsten Wassergraben und rennt da auf und ab :ugly:


    Vielleicht ist ihm die Befriedigung dieses Impulses auch wichtiger als meine gute Laune... :ka: Ich bin allerdings auch nicht nachtragend, und nach nem Anschiss scheint hier auch immer wieder die Sonne.


    Insgesamt scheint mir das Pfützen- und Wasserthema aber auch irgendwie losgelöst von der Qualität unserer Bindung. Eher so "Schatzi, ich hab dich lieb, und ich weiß, du magst das nicht, aber ich muss da grad mal eben kurz *hüpft in den nächsten Schlammgraben*"



    Und irgendwie hab ich bei meinem Hund auch immer das Gefühl, er kennt mich ein Stück weit besser als ich mich selbst und denkt immer um eine Ecke mehr als ich :lol: Beängstigend :ugly:



    Edit, weil ich das eben noch sehe:


    Und was hält die dann davon ab, Dinge zu tun, die sie sein lassen sollen?

    Sollte es dazu kommen, dass sich zufälligerweise die Interessen des Terriers und seines Menschen decken, dann machen sie durchaus, was sie sollen xD


    Ne, im Ernst, hier ist es auch einfach manchmal Beschneidung der Freiheiten, so leid es mir tut. Und immer dem Hund einen Schritt voraus sein |)

  • Manchmal sehe ich das ja auch Kaya direkt an, wie sie da abwägt. Meistens lässt sie es dann nach Ermahnung. Manchmal ist es ihr wichtiger, ihre Idee umzusetzen.

    Ich persönlich denke, dass Hunde, obwohl sie die Konsequenzen kennen, sich bewusst dafür entscheiden, sie in Kauf zu nehmen.

    Ich glaube tatsächlich nicht, dass alle Hunde immer bewusst Konsequenzen abwägen und Entscheidungen treffen. Das gibt es, klar. Den Moment des Abwägend kenne ich auch. Bei mir ist das vor allem Balu, dem man dieses Denken und Abwägen manchmal ganz klar ansieht. Da ist es dann auch einfacher, einzugreifen. Weil man genau diesen Moment abpassen kann.

    Bei Reika kenne ich das eigentlich überhaupt nicht. Bei der habe ich quasi nie das Gefühl, dass sie eine bewusste Entscheidung für Ungehorsam trifft. Bei Reika kommt es mir viel eher so vor, dass die immer, wenn sie kann (!) die Entscheidung für Gehorsam trifft. Sie ist auch sehr sensibel, würde also wohl in die "bad vibrations verhindern" Ecke gehören. Aber manchmal ist die Kapazität für die 'richtige' Entscheidung nicht da. Da ist die Aufregung zu groß und/oder Impulskontrolle zu klein. Aber das ist in dem Moment kein bewusstes "jetzt sch*** ich auf dich", sondern da läuft auf Grund der Aufregung dann halt das Verhalten ab, dass sie in dem Moment als Automatismus drin hat.

    Ich glaube, wenn dieses Fundament da ist, hat man einen Hund, der sich aufgehoben fühlt und deswegen auch eine Grundgelassenheit entwickeln kann. Und das, glaube ich, ist unabhängig von der Rasse.

    Witzig. Nach meinem Empfinden ist gerade diese Grundgelassenheit, die einige Hunde haben, quasi nicht trainierbar. Das ist in meiner Erfahrung massiv charakterabhängig.


    Das alles heißt nun natürlich nicht, dass man keinerlei Einfluss hat. Sicher hat man den. Und vielleicht verstehe ich deine Antworten auch falsch. Aber es klingt für mich sehr verallgemeinert so, als könnte ein 'guter' Halter aus jedem Hund einen chilligen, grundgelassenen Mitläufer machen. Und das sehe ich tatsächlich nicht so.

    Ich denke: Ein richtig guter Halter könnte wohl so gut wie jeden Hund so führen, dass dieser keine Gefahr für die Umwelt ist. Aber nicht jeder Hund kann gleichermaßen entspannt werden oder alle Situationen aushalten lernen.

  • Und was hält die dann davon ab, Dinge zu tun, die sie sein lassen sollen? Also wenn sie Konflikte grundsätzlich annehmen?

    Den Hund so zu führen, dass es erst gar nicht zu Konflikten kommt, stelle ich mir praktisch unmöglich vor.

    Grundsätzlich kann man mit Terriern genauso über Belohnung und Strafe arbeiten wie mit jedem anderen Hund. Aber man muss eben auf dem Schirm haben, was für den Terrier eine Belohnung oder Strafe darstellt (und was ihm am Hintern vorbeigeht). Es gibt ja zig Wege, zu belohnen oder zu strafen, die über die eigenen Emotionen und zwischenmensch-hundliche Vibes hinaus gehen.


    Schwieriger ist eher, dass die meisten Exemplare noch dazu echt hartgesottene Kerlchen sind. Die lassen sich je nach Reiz nicht so leicht mit den üblichen Methoden der positiven Strafe hemmen und erst recht nicht dauerhaft. Also, geht natürlich schon irgendwie, aber nicht mit Methoden, die ich regelmäßig zur Erziehung anwenden möchte. Zumal der ein oder andere Terrier wenn es hart auf hart kommt durchaus dazu neigt, auch mal Zähnchen zu nutzen, um seinen Willen durchzusetzen.

    Da ich also im Zweifelsfall weder hartnäckiger noch stärker als das Terriertierchen bin, muss ich eben klüger sein. Anstatt in den Konflikt zu gehen, verkaufe ich ihm meine Interessen einfach sehr regelmäßig als seine eigenen.

    Da läuft ganz viel über positive Verstärkung und sehr, sehr hochwertige Belohnung sowie über Absicherung, damit er mit dem unerwünschten Verhalten nicht zum Erfolg kommt. Zum Glück ist meiner sehr verfressen, der tut zwar nichts für mich, aber sehr wohl für Käse-Snackies :D


    Langfristig erfolgreiche Arbeit mit einem Terrier funktioniert meiner Erfahrung nach am besten über freiwillige Kooperation. Die Zusammenarbeit muss sich für das Terriertierchen mehr lohnen als das unerwünschte Verhalten. Bei vielen Verhaltensweisen ist das machbar, bei manchen ist und bleibt das unerwünschte Verhalten halt reizvoller und da braucht es dann einfach Management. Absolut zuverlässigen Kadavergehorsam wird kein Terrier entwickeln.

  • Meine alte Dame hatte Spaß an Konflikten und man hat richtig gesehen, wie sie sich ins Fäustchen gelacht hat, wenn sie es geschafft hat, dass ich die Contenance verloren habe. Das ist keine Fotomontage bzw. nicht bearbeitet - so war die :smile: :


    e3efa6f018f8ebe7a0091db5.jpg


    Nichtsdetotrotz war sie gelassen bis ins Mark (weil sie das Motto „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“ zu ihrem Lebensmotto gemacht hat). 120% verlässlich, wenn sie akzeptiert hatte, was sie tun sollte. Die ist genauso entspannt über den Frankfurter Weihnachtsmarkt spaziert wie durch den wildsaureichen Wald.


    Der Schlüssel war, sie davon zu überzeugen, dass sich die Zusammenarbeit lohnt und sie am meisten Spaß hat, wenn wir glücklich sind. Hat deutlich mehr Einsatz unsererseits gebraucht als jetzt beim Pudelchen.

  • Trifft es vielleicht nicht ganz, aber geht schon in die Richtung: ich habe mir neulich das Buch "Beziehung, Erziehung, Bindung" von U. Ganslosser und K. Kitchenham (Kosmos- Verlag) gekauft. In diesem geht es auf Basis verschiedener wissenschaftlicher Studien um die Mensch-Hund-Beziehung und die verschiedenen Einflüsse auf das Verhalten des Hundes. Auch Epigenetik, Genetik, Prägung.

    Ich finde, das Buch ist wissenschaftlich fundiert und sehr informativ.

    Aufgrund der Lektüre würde ich meine These dann doch abschwächend umformulieren:

    Ob der Hund in der Lage ist, ein seinem Wesen gemäßes für ihn zufriedenstellendes Leben zu führen, wobei er gesellschaftstaugich ist, liegt zu einem hohen Prozentsatz in den Händen des Halters.

    Ich lasse das Buch mal als Lesetipp da.

  • Also weniger ob man den Hund "macht", sondern doch einfach nur ob man gesellschaftstauglich ist und der Hund sich dabei wohlfühlt?

    Weil das ist ja was ganz anderes.


    Und auch wieder viel Definitionssache. Was ist gesellschaftstauglich? Das ist doch auch ne individuelle Sache.

    Lebe ich irgendwo in der Einöde ist gesellschaftstauglich was anderes als wenn man mitten in der Stadt wohnt. Ist man viel unterwegs ist es wieder was anderes als wenn man nur an einem Ort bleibt, etc.

    Und auch hier: Ob das klappt liegt an allererster Stelle daran ob man die passende Rasse auswählt. Was natürlich eben Haltersache ist, klar.


    Beispiel:

    Ich finde Hamilton super gesellschaftstauglich. Der kann überall hin mit, egal ob wir in Feld Gassi gehen, im Wald, ins Restaurant gehen oder ins EinkaufsCenter.

    Er ist meist leise, bellt wenig, sozial hoch verträglich und mag Kinder.

    Für andere ist er aber vermutlich nicht gesellschaftstauglich. Er ist nicht wirklich leinenführig, kann kein Fußlaufen, man muss drauf achten das er nicht irgendwo das Bein hebt, hat natürlich heftig Jagdtrieb auf Sicht und ist dann auch nicht abrufbar. Generell ist sein Gehorsam eher semi. Und wenn er Bock hat mobbt er.

    Oh, und er mag Konflikt. Führt den auch absichtlich herbei, es gibt Tage wo er wirklich absichtlich so garnicht hört bis ich explodiere und dann freut er sich.

    Ich liebe den Arschkeks abgöttisch und er und ich kommen super klar. Und für sein Wesen hat er sicher ein sehr zufriedenstellendes Leben bei mir, 4 Sklaven die alles tun was der Herr will und eine nervige Alte die er sehr gern hat aber die eben nicht alles tut was er will. :lol:

    (Und man sollte besser immer ne weiche Unterlage für ihn dabeihaben, weil harter Boden dem edlen Hintern nicht taugt)


    Taro ist viel einfacher. Aber für mich weniger gesellschaftstauglich weil er halt typisch Sheltie sehr vokal ist....

    Wir arbeiten dran, aber er wird immer vokal bleiben. Das gehört zu ihm, wo andere Hunde bei Aufregung tänzeln muss er die Klappe aufreißen. Dennoch ist er natürlich auch gesellschaftstauglich und ist ja eh erst 1 Jahr alt, da kommt noch viel an Lernen und auch noch etwas Entwicklung.


    Arren.... Der war super. Immer.

    Den konnte man immer überall mit hinnehmen, der hat zwar nicht gehört und konnte nicht an der Leine laufen, aber der liebte alles und jeden und war damit wirklich easy weil es wirklich egal war wo er war. Feld? Wald? EinkaufsCenter? Kirmes? Der Hund war happy. Mittendrin statt nur dabei war sein Motto.

    Körpergefühl einer Abrißbirne, aber trotzdem hätte man ihn jederzeit in eine Kindergartengruppe werfen können, in ein Altenheim, wo auch immer.


    Löle, klein, süß, leise. Immer und überall mitnehmbar, leinenführig. Zurückhaltend bei Menschen, Artgenossen fand sie scheiße. Dennoch perfekt gesellschaftstauglich für mich.


    Vier verschiedene Hunde, alle sehr unterschiedlich. Und nun Nummer fünf:

    Mein allererster ganz eigener Hund. Trolly. Perfekt. Wirklich.

    Super Gehorsam, leinenführig, so gehorsam das ich eigentlich nichtmal ne Leine gebraucht hätte. Menschen, Hunde, sie konnte mit allen. Die konnte man immer und überall mithinnehmen, die hat man niemals bemerkt. Wirklich nicht.


    Und obwohl ich in den 20 Jahren nach Trolly noch viel mehr gelernt habe über Hunde ist kein Hund je wieder so dermaßen perfekt gewesen wie sie.

    Weil eben jeder Hund ein Individuum ist. Sie war die perfekte Mischung aus "Ich will dir unbedingt und absolut gefallen!" und Intelligenz, hat alles super schnell kapiert. Mein one in a million Hund.

    (Und ich fühle mich echt gesegnet das ich fünf so verschiedene Hunde, die alle auf ihre Art absolut toll waren/sind in meinem Leben haben durfte)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!