"Das ist doch nicht normal!" - Was ist 'normal'?

  • Mir ist da zu diesem Thema gestern eine Frage gekommen. Und ich finde thematisch passt diese recht gut hier rein. Vielleicht kann mir ja jemand eine fundierte Antwort geben. Tante Google konnte es nicht.

    Und zwar geht es bei meiner Frage, um Fremdhundebegegnungen.

    Jeder kennt sie, nicht jeder liebt die, die Tutnixhunde, die jeden Hund begrüßen möchten.

    Jeder kennt auch die anderen, auch sie liebt nicht jeder, die Leinenpöbler.


    Zum Grübeln gebracht hat mich, dass einige Trainer sagten, es sei durchaus nicht unnormal, wenn ein Hund in der Pubertät laut bellt, um den Fremdhund zu signalisieren "geh weg!". Das dies nicht gewünscht ist und trainiert werden muss, ist absolut klar.


    Welcher Typ Hund handelt hier eigentlich "normal" oder lieber noch Arttypisch?

    Ich finde es schwer, hier selbst etwas abzuleiten. Von meinem Ansatz her, würde ich tatsächlich zweite Sorte als "normal" betiteln. Begründung: Wenn zwei Wolfsrudel aufeinander treffen, rufen die sicher auch nicht "hey Leute, schön euch zu sehen, lasst uns eine Pyjamaparty schmeißen!!!". Nun sind Wölfe und Hunde aber durch Selektion schon in einigen Bereichen etwas von einander entfernt.


    Aus gesellschaftlicher Sicht sollte natürlich Hund 1 gewünscht sein. Aber ist dieses Verhalten aus Hundesicht wirklich "normal"?

  • Aus gesellschaftlicher Sicht sollte natürlich Hund 1 gewünscht sein. Aber ist dieses Verhalten aus Hundesicht wirklich "normal"?


    Kommt halt auch viel auf die Rasse an.


    Für mich persönlich wünschenswert wäre, jeder Hund würde die Grenzen des anderen respektieren.

    "Normal" ist aber, dass es immer Hunde gibt und geben wird, denen das aus diversen Gründen egal ist und die trotzdem machen was sie wollen.


    Normal ist auch, dass es Hunde gibt, die die allermeisten anderen Hunde völlig unnötig finden und ihre Ruhe und ihren Abstand haben möchten.


    Und letztendlich, ja, Hunde stammen vom Wolf ab und teilen einige Verhaltensweisen, aber die sind keine Wölfe mehr.

    Einiges ist deutlich anders und daher ist der Vergleich oft nicht so sinnvoll.

  • Normales Hundeverhalten ist für mich ganz wertfrei erstmal alles womit ich bei jedem Hund rechnen muss.

    Wie oft, manchmal sogar ob überhaupt und in welcher Ausprägung unterscheidet sich dann nach Individuum.

    Mal als ganz simples Beispiel, bellen ist für mich eine typisch hündische Verhaltensweise.

    Was wäre für dich nicht normal?

    Also bei deinem Beispiel: Weißt du von Verhaltensbeispielen, die ein Hund schon mal gezeigt hat,

    die du anderen Hunden trotzdem nicht zutrauen würdest?

  • „Normal“ braucht immer ein „für“.

    Wenn das ein stummes „für“ ist, kann es sein, dass Leute aneinander vorbeireden.


    Normal für

    … den deutschen Durchschnittshund.

    … einen Malinois Welpen.

    … einen Gebrauchshund in Profi-Händen.

    … einen Gebrauchshund eines Hobbysportlers.

    … einen Labbi seriöser Herkunft.

    … einen frischen Direktimport aus dem spanischen Tierschutz.


    Normal ist für mich, dass Menschen und Hunde Fehler machen.

    Normal ist (leider!) für mich auch, dass Menschen nicht einschätzen können, wie ihre eigenen Hunde auf andere Hunde oder Kinder reagieren.

    Normal ist für mich, dass sich nicht das Leben jedes Menschen um Hunde dreht, so wie manche kaum kochen können, nicht nähen, nicht segeln, angeln oder landwirtschaftliche Maschinen bedienen.


    Normal ist für mich auch, dass ich Mulder nicht mit auf einen Urlaub nehmen würde, bei dem uns russische, rumänische — oder überhaupt freilaufende Gruppen von Straßenhunden oder Wolfsmixen begegnen.


    Normal ist für mich auch, dass ich nach langer Wanderung durch menschenleere Gebiet, nicht einfach einen Bauernhof (so ich einen finde) mit Hunden betreten würde.


    Ich habe den Anspruch, dass es für mich normal sein sollte, dass ich in Deutschland mit meinem angeleinten Hund sorglos auf öffentlichen Straßen herumspazieren kann.


    Und ich finde es auf ärgerliche Art unnormal, wenn es Waffen oder Herumschleichen wie in der Wildnis braucht,

    um zu kompensieren, dass es so einfach möglich ist Tiere zu erwerben, denen der „Normale“ deutsche Hundeliebhaber nicht ausreichend fachlich gewachsen ist.

  • Mir geht es bei dem Wort "normal/arttypisch" tatsächlich im Bezug auf Fremdhunde erstmal um die Frage, ob es ein "normales" hündisches Verhalten geben müsste. Aber für mich liest sich jetzt ja schon heraus, dass dies eben auf Grund der Zuchtziele und Rasseeigenschaften nicht existiert.

    Und ich finde es auf ärgerliche Art unnormal, wenn es Waffen oder Herumschleichen wie in der Wildnis braucht,

    um zu kompensieren, dass es so einfach möglich ist Tiere zu erwerben, denen der „Normale“ deutsche Hundeliebhaber nicht ausreichend fachlich gewachsen ist.

    Ja das "normal für..." existiert in meiner Frage von oben eben nicht. Normal für Hunde scheint es ergo nicht zu geben (siehe oben).


    Ich kann deine Ansicht an dieser Stelle absolut nachvollziehen. Aber ich persönlich finde es bereits wertend aus persönlichem Meinungsbild heraus. Denn es setzt die Annahme voraus, dass eben das andere Ende der Leine nicht fachlich ausreichend gewachsen ist. Das mag erfahrungsgeprägt sein und ist dein gutes Recht.

    Ich hingegen würde per se einfach mal für jeden Hund erwarten, dass er an eine fachlich gewachsenen Halter gerät, der die Bedürfnisse des Tieres und sein Wohlergehen erfüllen kann. Das Empfinde ich als "normal", wenn ich die Verantwortung für ein Tier übernehme. Aber auch hier beweist ja die Realität, dass dem nicht immer so ist.

  • Welcher Typ Hund handelt hier eigentlich "normal" oder lieber noch Arttypisch?


    Keiner. Denn wahrscheinlich würde kein Hund von sich aus auf die Idee kommen, schnurgerade auf jeden anderen an der Leine zuzugehen, ihn dabei anzusehen, um dann schlussendlich mit geringem Abstand an ihm vorbeizugehen und das alles ohne dabei auch nur die geringste Regung zu zeigen.

  • Selbstverletzendes Verhalten zum Beispiel, das ist für mich krankhaft. Da braucht es genetische Disposition und Auslöser für. Das traue ich nicht jedem Hund zu und den Anderen wünsche ich es auch nicht.

  • Jeder kennt sie, nicht jeder liebt die, die Tutnixhunde, die jeden Hund begrüßen möchten.

    Jeder kennt auch die anderen, auch sie liebt nicht jeder, die Leinenpöbler.


    Zum Grübeln gebracht hat mich, dass einige Trainer sagten, es sei durchaus nicht unnormal, wenn ein Hund in der Pubertät laut bellt, um den Fremdhund zu signalisieren "geh weg!". Das dies nicht gewünscht ist und trainiert werden muss, ist absolut klar.

    Da würde ich doch denken, dass es wesentlich subtilere Methoden gibt, um zu signalisieren "Geh weg" oder "Komm nicht her". Da muss ein Hund ja nicht laut werden. Mein Hund bellt wirklich nie an der Leine, was ich sehr angenehm finde. Er signalisiert aber dennoch schon ziemlich früh, was er signalisieren will, also entweder "Weißt schon, wer hier der Babo ist, gell" über "ich bin der Tollste" bis "Hau ab und komm nie wieder!". Alles über Körperspannung, Gangbild, Blicke, Ohren, Rute... Körpersprache eben.



    Es kommt aber denk ich auch auf die Rasse an. Collieartige oder Spitze sind wohl wesentlich "gesprächiger", und letztlich kommt es auch auf die Motivation des Leinenpöblers an. Ist es Aufregung, Übersprung, Frust oder echte Aggression?

    Meine Schäferhündin damals hat zum Leinenpöbeln geneigt, die musste dann eng im Gehorsam geführt werden, um ein Bellen zu verhindern. Die hätte aber auch gern aus jedem Fremdhund ihr Abendessen zubereitet.


    Zudem kommt noch dazu, dass Hunde, die an der Leine pöbeln, manchmal ohne Leine total anders sind, ohne die direkte Verbindung zu ihrem Menschen über die gespannte Leine. Da können die dann plötzlich kleine Brötchen backen und sind freundlich deeskalierend unterwegs.



    Ich finde es schwer, hier selbst etwas abzuleiten. Von meinem Ansatz her, würde ich tatsächlich zweite Sorte als "normal" betiteln. Begründung: Wenn zwei Wolfsrudel aufeinander treffen, rufen die sicher auch nicht "hey Leute, schön euch zu sehen, lasst uns eine Pyjamaparty schmeißen!!!". Nun sind Wölfe und Hunde aber durch Selektion schon in einigen Bereichen etwas von einander entfernt.

    Was Wölfe angeht, habe ich für mich mitgenommen aus dem, was ich gelesen habe, dass es im Grunde sehr oft um Deeskalation geht, aber natürlich auch um Ressourcen und Erhalt des Rudels. Heißt, ein einzelner Wolf würde einem intakten Rudel im Normalfall immer aus dem Weg gegen, außer er ist kühn genug, das fremde Rudel zu übernehmen.



    Und was ich noch mitgenommen habe, ist, je leiser, umso gefährlicher. Wirklich töten, das wird ein Wolf oder ein Hund nicht mit Pauken und Trompeten ankündigen. Deshalb halte ich von böse bellenden Hunden natürlich trotzdem Abstand. Aber betrete ich ein Grundstück und sehe einen Aussie da zur Statue erstarrt mich fixierend stehen, dann geh ich da rückwärts wieder raus. Denn diese Warnung empfinde ich als wesentlich deutlicher und ernster gemeint als Gekläffe.



    Aber ist dieses Verhalten aus Hundesicht wirklich "normal"?

    Du meinst jetzt das Leinenpöbeln? Naja, aus Hundesicht ist es auch nicht normal, am Schnürchen um den Hals herumgeführt zu werden. Das eine hat aber irgendwo mit dem anderen zu tun.


    Je nachdem. Wenn der Hund daraus Befriedigung zieht und einen Gewinn aus seiner Sicht, zudem der Mensch ihm nicht was anderes beibringt... woher soll er denn wissen, dass das doof ist?

    Ich empfinde Leinenpöbler erstmal als Nervensägen. Ich weiss, dass bei manchen Hunden da mehr dahinter steckt und es trotz viel Training und Engagement nicht komplett weggeht.

    Die meisten Hunde hier sind aber eher Typ unerzogener Begleithund, der sich komplett ausleben darf. Da empfinde ich das Gebelle als relativ normal, weil der Hund die Alternative nicht kennt, nämlich leise vorbeigehen und Leckerli und Lob einsacken. Und oft wird der Hund auch viel zu eng und mit zu wenig Abstand an Stressoren vorbeigeführt. Das fördert natürlich Aufregung, Stress und damit Bellen.

  • Welcher Typ Hund handelt hier eigentlich "normal" oder lieber noch Arttypisch?

    Beide. ;)

    Hundeverhalten hat eine riesige Bandbreite.


    Es ist normal für Hunde, fremde Artgenossen nicht unbedingt im eigenen Dunstkreis zu wollen. Es ist genauso normal, fremde Artgenossen kennenlernen zu wollen. Auch ist es normal, Sym- und Antipathien gegen individuelle Artgenossen zu haben. Solche spontanen Erstreaktionen nach Kennenlernen zu revidieren ist immer noch normal. Und sich angesichts eines Artgenossen auf ganz individuelle Art abweisend, gleichgültig oder interessiert zu zeigen ist sowieso normal.

  • Vielen Dank euch beiden!


    DerFrechdax

    "Normal", Arttypisch - wie auch immer du es nennen willst.

    Wie gesagt, ich habe mir diese Frage erst gestellt, nachdem mir jemand sagte, dass Pöbeln an der Leine durchaus "normales hündisches Verhalten" sei, um diesen erstmal Hund mit "Gebrüll" auf Abstand zu halten. Und das dies eine normale Entwicklung im Heranwachsen sei.


    Wenn das als "normal" gelten würde, müssten sich ja die Hallo-Sager-Fraktion aus Hundesicht absolut "unnormal" verhalten.


    Aber Selkie hat es fein zusammengefasst. Das eben beide Varianten nicht wirklich unnormal sind.

    Und es in der Hinsicht eben auf Grund von vielen Einflüssen kein einheitlich "normales" Verhalten gibt.

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