Frustrationstoleranz, Impulskontrolle und Co - wirklich so fundamental wichtig?
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Hi zusammen,
ich bin Ricarda, 23 Jahre alt, und Hunde haben mich schon mein ganzes Leben begleitet. Mein Opa hat Schäferhunde gezüchtet und sich nebenbei auch um Pensions- und Pflegehunde gekümmert. Im Rückblick würde ich sagen, er war seiner Zeit weit voraus – er hatte so gar nichts für das klassische Training auf dem Schäferhundeplatz übrig. Stattdessen hat er sich auf Fährtenarbeit spezialisiert und darin sogar andere Hunde ausgebildet.
Fast alle seine Hunde hatten einen ausgeprägten Ball- und Stock-Fetisch, haben am Tisch gebettelt und jeden kleinen Mucks rund ums Haus gemeldet. Wenn ein Hund zu viel bellte, wurde er von meiner Oma aus dem Wohnzimmer ausgesperrt – das war die größte Strafe. Richtige Probleme gab es aber eigentlich nie.
Mein Interesse am Hundetraining kam erst später, während meines Studiums, als ich mich im Rahmen der Entwicklungspsychologie intensiver mit Hunden beschäftigt habe. Für eine Seminararbeit habe ich mich dann tief in das Thema eingelesen, und seitdem lässt es mich nicht mehr los. Ich habe diverse Bücher verschlungen, war Praktikantin in einer Hundeschule und überlege sogar, nach dem Studium eine Ausbildung zur Hundetrainerin zu machen.
Deshalb bin ich auch viel auf Social Media unterwegs und schaue mir an, was Trainer dort so teilen. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass viele Hunde – oft schon Welpen – unter enormem Druck stehen. Da gibt es Trainingspläne, bei denen Impulskontrolle, Frustrationstoleranz und Ruhe trainiert werden sollen, aber ich habe oft das Gefühl, dass den Hunden dabei kaum Raum für eigene Entwicklung gelassen wird und stattdessen sehr viel Druck aufgebaut wird. Manchmal scheint mir, dass der Frust erst entsteht, weil sie in extrem enge Trainingssituationen gebracht werden.
Ruhe, meiner Erfahrung nach, kann man Hunden nicht aufzwingen. Was ich als Trainings sehe, ist meist eher eine Art Belohnungsaufschub: Der Hund lernt, dass er für das Aushalten irgendwann eine Belohnung bekommt – und spätestens nach der dritten Wiederholung weiß er das auch. Für mich wirkt das eher wie eine Geduldsprobe als wie eine Übung für echte Frustrationstoleranz. Bei Menschenkindern wird ja auch oft empfohlen, diese Toleranz im Alltag zu fördern und nicht in künstlichen Situationen zu erzwingen.
Umso mehr frage ich mich, warum man mit Junghunden auf belebten Supermarktparkplätzen Deckentraining macht und sie dann körperlich begrenzt, wenn sie aufstehen. Ich würde meinem Hund so etwas nie antun, und trotzdem habe ich einen Schäferhund-Mix, der Weihnachten entspannt schlafend auf seiner Decke verbracht hat – obwohl viel Trubel war.
Kürzlich wurde ich auf einen Instagram-Account aufmerksam gemacht, wo eine Trainerin einen Malinois mit Aggressionsproblematik adoptiert hat. Das Thema finde ich spannend, weil ich durch meinen Opa immer wieder Malinois kennengelernt habe. Die Trainerin spricht oft darüber, wie viel in der Vergangenheit bei diesem Hund falsch gemacht wurde – und Frustration spielt dabei eine große Rolle.
In einem ihrer Beiträge sieht man ein Video, in dem der Hund angeleint auf einen Ball starrt und unbedingt hin möchte. Dazu schreibt sie:
"Und dadurch, dass sowas hier tabuisiert, moralisiert und dementsprechend nicht mehr zugemutet wird, sollen Hunde wie Percy getötet werden. Frusttoleranz minus zehn, weil Frust ist ja böse, sowas darf ein Hund ja nicht erleben! Und wenn dann doch mal Frust aufkommt, das Tier vor Mangel an Strategien in ungehemmte Aggression mit massiver Beschädigungsabsicht kippt, dann machen wa ihn halt tot. Geht’s noch?"
Ist es wirklich so einfach? Fehlen Hunden bei Frust tatsächlich die Strategien? Und können sie diese entwickeln, wenn "nach Lehrbuch" trainiert wird, indem sie in eine Box gesperrt oder auf einer Decke festgehalten werden?
Ich würde mich über eure Meinungen dazu freuen – und über Literaturtipps, falls ihr da etwas empfehlen könnt!
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Hi
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Was ich als Trainings sehe, ist meist eher eine Art Belohnungsaufschub:
richtig, das verwechseln viele, gibt aber auch schon genug Trainer die genau auf diese Krux aufmerksam machen. Das ist ja dann quasi wenn überhaupt "nur" Impulskontrolle wenn der Hund lernt er darf NOCH nicht ran.
Ansonsten hab ich sehr einleuchtend gelernt: Frustrationstoleranz ist kein Muskel der größer und stärker wird je öfter man das trainiert, der Hund kann nur lernen in bestimmten Situationen weniger Frust zu empfinden und weniger Löffelchen für Situation x zu verbrauchen. Aber durch immer mehr und mehr Frust wird das nichts, im Gegenteil, viele Hunde werden nur immer ausdauernder dabei (Leute mit Fiephunden können das sicher bestätigen)
Also nein, ich halte von allerlei Stellvertreterkonflikten ebenfalls nichts. Lieber im Alltag konkret in den Situationen üben in denen ich möchte, dass mein Hund auf Dauer lernt sich zurückzunehmen und die Knete im Kopf nicht für irgendwelche Dreiecksübungen "verschwenden".
Und mit üben meine ich nicht ausharren sondern den Hund aktiv unterstützen.
Also
Fehlen Hunden bei Frust tatsächlich die Strategien?
Einerseits ja, sehe ich schon so (abgesehen davon dass es einfach Individuen gibt die viel mehr Frust empfinden als andere)
ABER
wenn "nach Lehrbuch" trainiert wird, indem sie in eine Box gesperrt oder auf einer Decke festgehalten werden?
Nein, nicht durch solche Methodiken.
(Natürlich muss man da vernünftiges Deckentraining von differenzieren!)
Gut, dass das kein allgemeines Lehrbuchvorgehen ist (zumindest nicht in meiner Bubble)
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Och die haben schon Loesungsstrategien. Aber die sind eben oft nicht gern gesehen - aus Gruenden. Und ja, fuer MICH hat ein Hund (gerade Mali und Co.) sehr frueh sehr klar zu lernen mit Frust umzugehen (in einer Art und Weise, die die Gesellschaft akzeptiert) und Impulsen nicht immer und nicht sofort nachzugeben.
Und mAn sind Hunde, die all das nicht koennen auch im Sport/der Arbeit nicht grossartig fuehrbar. Was dann eben zusaetzlich aetzend ist.
Box und Decke sind da mAn nicht der super Weg. Aber das macht jeder anders und ich werde sicher nicht irgendein Insta-Video bewerten das ich nur aus einer Beschreibung hier kenne.
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Training hilft. Dabei gibt es verschiedene Wege.
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Ohne Impulskontrolle keine Arbeit. Somit... selbsterklärend.
Belohnungsaufschub ist wichtig, aber keine direkte Arbeit an der Frustrationsoleranz. Siehe Maren Grothe. Unterschiedliche Trainingsansätze für unterschiedliche Ziele.
Frust aushalten muss jeder Hund lernen, der in irgend einer Art gescheit arbeiten soll. Kann man aufbauen, kann man lernen. Es ist auch ein Umgang mit Lösungsstrategien.
Deckentraining ist hier Alltag. Allerdings über klassische Konditionierung in die Ruhe, und ja, gerade heute habe ich das am (sehr kleinenI) Bahnhof gemacht. Denn eines Tage muss der Hund das ruhig aushalten, wenn Leute herum gehen und andere Hunde arbeiten dürfen. Arbeit, die ihn in sehr hohe Trieblage bringen, also sehr viel Spass macht.
Klar im Kopf sein in der Arbeit ist viel Basic-Aufbau. Sehr viel. Und Impulskontrolle im Kleinsten ist dabei ein sehr wichtiges Zahnrad.
Achso, ich meide Instagram. Social Media Trainer sind mir egal. Ich trainiere mit echten Menschen mit echtem Wissen und Können. Das bringt mir 100x mehr.
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Zu deiner Frage im Titel: Ja, das Lernen, mit Frust umzugehen und Impulse zu kontrollieren, ist für mich in der Hundeerziehung sehr wichtig.
Wie das geschieht (Methoden) und wann das geschieht (Entwicklungsstand) usw. liegt an Rasse und dem individuellen Wesen des Hundes und den Fähigkeiten und Kompetenzen des Halters. Es ist komplex.
Ich habe das Gefühl, du möchtest eventuell auf etwas anderes hinaus? Was ist deine genaue Frage?
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Woran will man denn Frustrationstoleranz festmachen? Situativ? Wo es der Hund vielleicht gelernt hat? Was ist mit generell?
Gibt ja solche und solche Hunde.
Ich kenn Hunde, die können wunderbar entspannen, während andere Hunde arbeiten. Wenn andere den Napf voll kriegen und sie nicht, gucken se doof, aber verlassen sich drauf, dass bei der nächsten Runde wieder was im Napf ist. Den gleichen Hunden springt aber in anderen Situationen der Draht aus der Kappe.
Oder ganz anderer Typus Hund - die sind so in sich ruhend - da kann man sich dumm und dusselig anstellen, aber Frust kommt da nicht raus. Und das ist eher der Typ Hund, der das von sich aus mitbringt.
Das ganze Leben - sowohl von Hund als auch Mensch besteht aus Frust aushalten. Beginnt mit frisch auf der Welt und mal nicht sofort was zu trinken, wenn der Hunger kommt und man anfängt zu brüllen.
Wenn man nicht die ungeteilte Aufmerksamkeiten bekommt, wenn man sie gerne hätte. Wenn man sich nicht prügeln darf, obwohl man es gern würde. Wenn man nicht das essen darf, was man essen will.
Ich würd den ganzen Kladderdatsch (Impulskontrolle und Frustrationstoleranz) eher als Fähigkeit zur Selbstregulation mit dem Können, diese Gefühle nicht nur auszuhalten und zu kontrollieren, sondern mit diesen auch wirklich umzugehen, bezeichnen.
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Ist es wirklich so einfach? Fehlen Hunden bei Frust tatsächlich die Strategien? Und können sie diese entwickeln, wenn "nach Lehrbuch" trainiert wird, indem sie in eine Box gesperrt oder auf einer Decke festgehalten werden?
Ich habe meine Mühe mit demonstrativ herbeigeführten Situationen, die zeigen sollen, dass der toll trainierte, devote Hund jetzt das tut, was man ihm beigebracht hat, weil man ein ach so toller Hundeflüsterer und Alpha ist, wie man es zu hauf sieht in den sozialen Medien.
Natürlich muss ein Hund verschiedenes lernen, der Umgang mit Reizen, das Warten, Aushalten-können, Ausblenden, aber auch Impulskontrolle und Frustrationstoleranz gehören zu unser aller Leben dazu.
Ein Hund, der nicht in der Einsamkeit lebt sondern inmitten unserer Zivilisation existieren muss, hat jeden Tag zig Situationen, wo er obige Qualitäten üben und zeigen kann und sogar muss.
(Was es bedeutet, wenn ein Hund diese Fähigkeiten nicht hat, weil nicht gelernt oder aus Wesensschwäche nicht möglich bzw nicht adäquat vom Menschen begleitet, sieht man dann, wenn man bedauernswerte Exemplare von zitternden, bellenden, in Übersprungshandlungen gefangenen Hunden im Trubel beobachten kann. Diese Hunde werden quasi erschlagen von Reizen um sie herum.)
Je nach Rasse sind das natürlich andere Auslöser. Nicht jeder Hund würde einen Skateboarder hinterherwollen, Tauben jagen oder spielende Kinder hüten.
Aber möchte ein Hund das, ist es sinnvoll, das schon in den Ansätzen zu erkennen und durch Training zu unterbinden, das Bedürfnis in die richtigen Bahnen zu lenken bzw umzulenken oder auch den Hund aus der Situation herauszunehmen. So lernt der Hund dann dosiert, den Reiz zu ignorieren, greift dafür aber Leckerli ab oder darf dem Ball hinterher, oder man arbeitet übers schnöde Verbot oder Management.
Was lernt der Hund so aber auch im Laufe der Zeit? Frustrationstoleranz und Impulskontrolle
Mein Hund hat auch gelernt, auf der Decke zu liegen, wenn ich das möchte. Das fordere ich dann ein, wenn ich es brauche, weil Besuch da ist. Ich fordere es nicht in der Fußgängerzone der nächsten Großstadt an einem Samstag im Schlussverkauf, um zu zeigen, was für ein toller Hecht ich bin.
Mein Hund hatte sich ganz kurzzeitig als Junghund eine ganz wunderbare Strategien überlegt bei Frust. Wurde er angekläfft, fand er es eine ganz exzellente Methode der Frustabfuhr, wenn er sich umdrehte und entweder in unseren Seniorhund schnappte oder in Herrchens Jogginghose. Den Zahn haben wir ihm aber aus verständlichen Gründen recht schnell gezogen. Ideen haben Hunde viele, aber erwünscht sind sie halt nicht alle
In eine Box sperren hätte da natürlich genau gar nichts geholfen, genauso wenig wie Futter wegnehmen, aus der Hand füttern oder was sich Rudelführer- und Dominanzgurus noch an Gängeleien einfallen lassen, um dem Hund vermeintlich zu zeigen, dass sie am längeren Hebel sitzen. Das ist häufig künstlich erzeugter Frust, den ich ethisch fragwürdig finde und mMn ähnlich gelagert ist wie man früher Kinder in den dunklen Keller gesperrt hat, weil sie nicht aufgegessen haben oder ins Bett gemacht haben. In keinem Zusammenhang, schädlich, zerstörerisch gar, wenn es um Vertrauen und Geborgenheit geht, für den Hund kommt noch der Verlust der Glaubwürdigkeit ob eines derart unsouveränen und erratischen Verhaltens dazu. Ein Mensch, der so handelt, dem kann man nicht trauen, da trifft der Hund dann lieber seine eigenen Entscheidungen. So wird eine Spirale nach unten draus.
Und noch ein Wort zur Wesensfestigkeit. Ein in sich ruhender, normal sozialisierter Hund aus guter und verantwortungsvoller Zucht, mit einem ihn sinnvoll führenden und auslastenden Menschen, kann eine ganze Menge Frust aushalten und damit konstruktiv umgehen. Das ist wie mit der vielgepriesenen Resilienz. Manche Menschen haben sie, manche nicht so. Es gibt Faktoren, die Resilienz fördern und welche, die sie unterminieren.
Hinterhofzucht, Traumata, falsches Training, verpasste Zeitfenster (Stichwort Timing), die falsche Hunderasse im verkehrten Umfeld, alles das kann dazu führen, dass ein Hund eine kurze Zündschnur entwickelt und sein Leben lang begleitet werden muss in für ihn herausfordernden Situationen, die für einen anderen, mental stabileren Hund kein Problem darstellen. Ist halt auch ein großes Stück weit individuell.
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Mein Interesse am Hundetraining kam erst später, während meines Studiums, als ich mich im Rahmen der Entwicklungspsychologie intensiver mit Hunden beschäftigt habe.
Kannst du den Zusammenhang erläutern?
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Impulskontrollübungen und Frustrationskontrolle und Trainingspläne kamen ja erst vor ca 18 Jahren in der Hundeerziehung im deutschsprachigem Raum namentlich auf und waren ein Aha Erlebnis für viele.
Das hat es ja vorher alles auch schon gegeben.
Neu waren die engagierten Menschen, die Trainingspläne entwarfen und strukturiert, freundlich und tiergerecht etwas mit Hunden erreichen wollten.
Das „Deckentraining“ ist keine Erfindung der Neuzeit.
Wer es braucht, soll’s machen. Ich brauchs in meinem Leben zur Zeit nicht mit dem aktuellen Hund.
Neu ist für mich, dass es anscheinend zwanghaft in manchen Hundeschulen gelehrt wird, bis zur völligen Absurdität.
Was war jetzt deine Frage?
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Hallo
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