ANTI-JAGD-TRAINING oder Dr. Jekyll und Mr. Hyde

  • Aber ich trainiere ja bewusst erstmal in aushaltbaren Reizlagen und mit einem Hund, der noch klar ist und belohne ihn dafür, wenn er dem Reiz standhält. Der Hund lernt dabei, dass es sich lohnt zu widerstehen. Das tut er nie um mir einen Gefallen bei klarem Verstand zu tun. Sondern er widersteht dem Impuls und orientiert sich zu mir, wegen der Aussicht auf etwas Lohnenswertes. Bis es nach und nach zu einer Reiztoleranz kommt und die Zeitfenster größer werden zu reagieren. Aber ich bin mir sicher, würde ich da wiederkehrend minderwertig belohnen, würde der Effekt verschwinden.


    Deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass ein Hund, der sich an der Schwelle "soll ich, soll ich nicht?" befindet, durch ein sicheres Versprechen auf seinen persönlichen Jackpott eher für mich entscheidet, als auf "irgendeine" Belohnung. Wobei ja sowieso bei schwierigen Situation hochwertig belohnt wird und der Hund das aus Erfahrung weiß. Aber wenn er noch nicht so viele Erfahrungen gemacht hat, weil man am Anfang des Trainings steht?

  • Hier gibt es sehr hochwertige Leckerlies (meist getrockneten Pansen), die ich auf den Boden streue.

    Dann kann der Hund seine Nase benutzen, hat beim Finden der Leckerlies Jagderfolg und sich selbst durch Schnüffeln runterregulieren.


    Für ihn wäre ein Ball definitiv höher wertig. Wenn aber zur Erregung am Wild auch noch das Wissen „voll geil, gleich den Ball hetzen“ kommt, fällt ihm ruhiges Anzeigen und stehen bleiben (logischerweise) deutlich schwerer. Ich möchte ruhiges Verhalten fördern, daher die Futtersuche.

    Bei Nilo war genau das die richtige Belohnung. Der hätte das Futter vielleicht sogar noch genommen und hätte ich ihn dann nicht gesichert, wäre er weg gewesen. :ugly:


    Durfte er hingegen in entgegengesetzte Richtung sein Felldummy hetzen, packen, schütteln und zergeln, war er glücklich. Nach Ausgabe durfte er dann noch hochwertig fressen.


    Bei Pelle sind da noch ganz viele Fragezeichen. Da wird schon bei einem eigentlich recht geringem Reiz weder großartig gehetzt (er springt dem Bewegungsreiz nach, nimmt aber nichts auf), noch frisst er. Es sei denn es ist seeeehr lecker und selbst das zieht nicht immer. Das wird ein langer Weg da genug Ruhe reinzubekommen, dass Lernen überhaupt stattfinden kann.

  • Meiner Erfahrung nach ist beim AJT weniger die Hochwertigkeit der Belohnung ausschlaggebend für den Hund um dem Reiz nicht nachzugehen, sondern im Hirn noch klar zu sein.


    Ich belohne hochwertig, weil ich die Leistung des Hund wertschätze, nicht weil ich wirklich glaube, dass der Hund es nur tut, weil es Belohnung X gibt.

    Das ist eine sehr wichtige Aussage!

    Es geht nicht um die Belohnung - es geht darum, ob diese Belohnung VERSTÄRKT.

    Tut sie das nicht, ist es keine Belohnung, sondern Bestechung.


    Pelle findet nicht immer alles gleich geil, bzw. entsprechend gestresst, lässt er sogar das Würstchen liegen.

    Dann sollte daran gearbeitet werden, dass Pelle nicht mehr so gestresst ist. Später mehr dazu.

    Sondern er widersteht dem Impuls und orientiert sich zu mir, wegen der Aussicht auf etwas Lohnenswertes.

    Da liegt der Fehler, denn dabei geht es nicht um etwas Lohnenswertes, sondern im Fall des Falles darum, ob der Hund es in dem Moment als LOHNENSWERTER empfindet.

    Das wird ein langer Weg da genug Ruhe reinzubekommen, dass Lernen überhaupt stattfinden kann.

    Genau deshalb muss JAGEN gelernt werden mit einem jagdlich hochambitionierten Hund.

    Dieser Jagdregelkreis lässt die Hormone des Hundes in die Höhe schießen, und wenn der Hund nicht lernt, innerhalb dieses Regelkreises zu DENKEN - dann wird er immer wieder in Stress sein, je nach Jagdanreiz wird er dann von jetzt auf gleich völlig weggeschossen.


    Dieses Jagen wird außerhalb realer Jagdsituationen geübt. Regelmäßiges Üben, kleinschrittiges Aufbauen und Abwechslung geben dem Hund einen Rahmen, in dem er sein Jagdverhalten ausleben KANN.


    Bietet der Hunde außerhalb dieses Trainings in der "Freizeit" (also bei den Spaziergängen) etwas Förderungswürdiges an, dann ist das ein ZUSÄTZLICHES Sahnebonbon, ein Geschenk für UNS, welches wir ZUSÄTZLICH fördern können.

    Das ist aber ein Zusatz, und nichts, worauf sich das von uns gewünschte Jagdverhaltenstraining alleine aufbauen lässt.

  • Mal eine andere Frage:

    Kommen bei euch momentan auch gefühlt aus jedem zweiten Gebüsch Rehe?

    Aktuell ist es echt anstrengend, ich kann Finja nicht mal auf Gehwegen losmachen, da ich jeden Moment damit rechnen muss, dass ein Reh irgendwo rausspringt.

    Bei uns gibt es schon einige Rehe, aber eigentlich sieht man die selten, Finja riecht die halt „nur“. ;)

    Manchmal sehe ich 2 Monate lang kein einziges.

  • Schön, wie du das für deinen Hund auseinanderklamüserst :bindafür: Man kann es mit dem Ankündigen machen, je nach Hund kann es aber dafür sorgen, dass der Hund ins abwägen kommt- ist mir von einer Trainerkollegin so zugetragen worden. Der Hund kam nach dem Ankündigen ins Abwägen. Bei dem Hund ist man besser mit dem Überraschungseffekt gefahren. flying-paws hatte letztens auf ihrer Hundeschulwebseite eine interessante Abhandlung dafür, dass wenn es der Hund kann, nicht zu hochwertig zu belohnen, wenn z.B. Wild angeschaut wird, da die Hasen beispielsweise nur zur Ankündigung einer wilden Zergelei werden- was der Situation an sich dann ja trotzdem sehr aufregend werden lässt. Fand ich super erklärt und klar nimmt nicht jeder Hund direkt am Anfang dabei nur schnödes Trockenfutter ;)

  • Hundundmehr


    Ja, dass Pelle Entspannung und Ruhe lernen muss, ganz grundsätzlich, ist gerade oberste Priorität. Vor der Arbeit an seiner Artgenossenproblematik und vor der Arbeit am Jagdverhalten. Erst wenn sich sein Hintergrundstress senkt, kann ich anfangen zu arbeiten. Das gelingt aktuell mal mehr, mal weniger. Aber ohne das, wird es keine Veränderung geben können. Das hat Anja Fiedler für mich auch physiologisch in ihrem Buch super erklärt.


    Auch, dass ich dazu neige den Hund über Bestechung zu motivieren, weiß ich und auch, dass das nicht langfristig zielführend ist. Aber da hat mir bei Nilo unsere Trainerin schon immer für auf die Finger geklopft. Grundsätzlich stimme ich dem, was Du sagst absolut zu - ich kann es nur nicht so gut ausdrücken. Verstanden habe ich das Prinzip schon, aber frei vom Fehlerteufel im Training bin ich ganz sicher nicht. Mit Nilo haben mich 9 Jahre Training verbunden. Das war eingespielt und ich wusste irgendwann genau wann und wo und wie ich ihn händeln kann.


    Bei Pelle stehe ich nach vier Monaten im Grunde ganz am Anfang und lese mich deshalb neu ein, stelle Fragen, lasse mich von einer Trainerin begleiten und so weiter. Ich bin gespannt, wohin uns der Weg so führt.


    Da bin ich einfach neugierig auf die Strategien von anderen. :smile:

  • Dann mal meine Strategie bei Amigo :smile:


    Ungefähr zum Zeitpunkt seiner - sehr spät aufgetretenen - Pubertät hatte er eine Phase, wo er aus seinem Jagdverhalten gar nicht mehr rauskam.

    Das äußerte sich so, dass er permanent auf der Suche nach jagdlichen Reizen war, die Nase war permanent am Boden oder im Wind, die (Schlapp-)Ohren auf Radar gestellt, die Körperspannung und Haltung zeigte permanent einen Hund "auf der Jagd".


    Was mir zu Gute kam: Amigo kannte von Welpe an Freilauf, und Leine hatte für ihn die Bedeutung: Der Bewegungsspielraum ist zwar eingeschränkt, aber die Leine hinderte ihn nicht daran, seinen hündischen Bedürfnissen nachzukommen.

    Dazu zählt aber nicht Jagd, weil (zumindest für einen Retriever) Jagd eben nur ohne Leine möglich ist.


    Da ich bei ihm schon vor der Pubertät mit Apportiertraining angefangen hatte, hatte ich hier schon Basics, bei denen Amigo von sich aus schon sehr viel Motivation mitbrachte.


    So konnte ich die Leine einsetzen, um ihm anzuzeigen: Jagd ist beendet.

    So habe ich ihm immer mal wieder WÄHREND der Spaziergänge kurze Apportiereinheiten angeboten, und das Ende dann durch Anleinen signalisiert. Angeleint blieb er, bis ich merkte dass er nicht mehr im Jagdmodus war - und das war daran zu erkennen, dass er wieder anfing die Umwelt eben nicht in seiner typischen Jagdhaltung zu scannen, sondern einfach anfing zu schnüffeln zum Markieren, z. B., oder eine modrige Stelle mal genauer zu inspizieren, also überhaupt Gerüche wahrzunehmen, die keinen Jagdspaß versprechen. Oder auch überhaupt Interesse an anderen Hunden zu haben.


    In den ersten Tagen hat es 15 Minuten gedauert, bis der Kerl aufhörte, an meinem Knie klebend mit bettelnden Augen "Mehr, mehr, mehr:cuinlove:" einzufordern. Das war echt zäh...

    Aber diese Zeiten wurden immer kürzer, und nach ca. 3 Monaten konsequenter Anwendung dieser Vorgehensweise konnte Amigo tatsächlich sofort akzeptieren, wenn ich die Dummies wieder einpackte und "Ende" signalisierte - und dann sofort auf "Normal-Spaziergeh-Modus" umschalten.


    Dazu kam natürlich Konditionierung auf seine Hauptbeute - die Dummies.


    Will ich etwas sehr intensiv trainieren, nutze ich Superleckerchen als Superverstärker.

    Hundewurst ist da richtig toll, aber der Jackpot sind hier Hähnchenherzen.

    Die setze ich selten, aber ganz bewusst ein, wenn ich gezielt Lernlektionen vertiefen will.


    Hm - ein sehr bewährtes Mittel, um ganz klar "Ende der Jagd" zu signalisieren, ist das Futter-Erarbeiten: Ich habe die morgendliche Löserunde eine Zeit lang so gestaltet, dass es zunächst einen kurzen Lösegang gab; Anschließend habe ich 2, maximal 3 Apportaufgaben gegeben, und direkt danach gab es vor Ort die mitgebrachte morgendliche Futterration. Danach ging es zum Auto/nach Hause, und da war dann Ruhe.

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