Tag 32 - ankommen
Zum ersten Mal liegt die Wetterprognose daneben und anstatt mit Regen werden wir gegen 09.00 Uhr mit Sonnenschein überrascht. Ich trau dem Frieden ja nicht wirklich, im Zelt hält es uns aber auch nicht mehr, also stehen wir entspannt auf, ich baue das Zelt zur Sicherheit erst ganz am Schluss, nach mehrfachem Blick in den Himmel, ab.
Da Saint Nazaire ja leider auf den Radschildern nicht angeschrieben ist läute ich für mich den Countdown ein als es noch 10 Kilometer bis Saint Brevin Les Pins sind, dort steht der Nullpunkt der Eurovelo Route 6.
Es ist sehr windig, immer mal wieder leichte Regenschauer, aber wir zuckeln ganz entspannt vor uns hin, keine Eile, kein Stress, nochmal in einen Supermarkt, nochmal unterstellen als es etwas stärker regnet, nochmal Unsicherheiten wo denn nun der Weg durchführt, nochmal eine Schlange, dieses Mal ein Ringelnatternbaby welches ich erst für einen sehr grossen Regenwurm in schwarz halte und dann für Fotos mein Feuerzeug daneben lege um die Größenverhältnisse darzustellen.
Gegen Ende der Strecke geht es nochmal an der Landstraße entlang, dann aber biegen wir ab und sind an der Promenade der Loire unterwegs welche jetzt sehr breit ist und in der sich immer mehr größere und kleinere Schiffe tummeln.
Natürlich darf auch Kenai die letzte Strecke aus eigener Kraft bewältigen und ich lasse ihn am Rad laufen. Als ob er ahnen würde dass dieses Abenteuer gleich endet geht er von gemütlichen traben über in einen energiereichen Galopp welcher zwar nicht lange anhält, mir aber die ersten Tränen in die Augen treibt.
Als wir dann vor dem Nullpunkt (grosses Schild mit den Distanzangaben) stehen fliessen die Tränen dann richtig und ich beglückwünsche Kenai und mich selber zur bestanden diesjährigen Tour und zum erfolgreich komplett absolvierten EV6.
Ein paar Bilder und dann ist es Zeit für die Tradition, mit der bis jetzt noch jedes Abenteuer geendet hat und wir gehen zum Ufer des Atlantiks, ich ziehe Schuhe und Socken aus und gemeinsam gehen wir ein paar Schritte ins Wasser uns lassen unsere Füße und Pfoten vom Wasser umspülen.
Über die Loiremündung führt eine riesige und erschreckend steile Brücke, welche wir auf dem Weg nach Saint Nazaire noch überqueren müssen.
Als ob es das Verkehrsuniversum heute nochmal richtig gut mit mir meint habe ich nicht nur den Fahrradstreifen, sondern eine komplette Fahrbahn für mich und das ist auch wirklich gut so, denn wir werden von so unfassbaren Windböen von vorne, hinten, links und rechts herungeschleudert, ich bin nur noch damit beschäftigt das Rad zu stabilisieren und auch als ich schiebe wird es nicht wesentlich besser. In so einer Situation neben sich LKWs mit 70km/h zu haben könnte dann doch brenzlig werden.
Wenn das Verkehrsuniversum uns gut gesonnen ist, dann muss uns das Wetter noch einmal herausfordern und so habe ich zwar bei der Ankunft neben viel Wind und Böen auch Sonne, aber genau am höchsten Punkt der Brücke beginnt es wieder zu regnen, was schon fast ein wenig absurd ist.
Mit einigen Mühen finde ich das Hotel, in welchem bereits vor mehreren Tagen die von mir georderten Pappkartons für den Rücktransport des Equipments angeliefert wurden. Eigentlich habe ich das Bedürfnis nach etwas Entspannung, aber der Hausherr kommt gleich mit dem notwendigen Werkzeug für die Demontage der Pedale an und während er versucht diese zu lösen (er schafft es nur bei einem der zwei Pedale) kann ich mich ja schlecht in die Sonne setzen. Also hänge ich das Zelt auf damit es wenigstens noch ein wenig trocknen kann bevor ich es einpacke.
Praktischerweise kann man aus einer der Packtaschen einen Rucksack basteln da er versteckte Gurte besitzt, so entscheide ich, welche Dinge morgen mit mir wieder mit nach München kommen und welche in den Boxen in den Tagen danach geliefert werden. Wichtig ist wenig, eigentlich nur die ganzen Tickets für die Bahn, Napf für den Hund, aber wenn ich schon Platz habe, dann nehme ich die ganze Schmutzwäsche mit.
Im Zimmer beutelt es mich emotional ähnlich wie es die Windböen vorher auf der Brücke geschafft haben. Es ist so unwirklich, dass wir morgen nicht mehr Rad fahren werden, keine Nächte mehr im Zelt, kein improvisieren, keine Suche nach Wasser sondern bald schon wieder die Enge einer Wohnung, einer Stadt und Herausforderungen auf anderen Ebenen. Gleichzeitig bin ich bereits wieder im Aktivitätsmodus, immerhin muss ich noch alles einpacken und dann möchte ich noch zum Strand und morgen geht es schon sehr früh wieder zurück und dann Rückkehr und dann Schweiz und und und.
Die Emotionen schiebe ich nach hinten, gehe duschen, kümmere mich um das Equipment und erst am Abend lasse ich Kenai im Zimmer zurück, besorge mir ein Desperados (Sekt wäre mir lieber gewesen, gab es aber nicht und nach 5 Wochen haut mich alles mit noch so wenig Alkoholgehalt um) und laufe zur Promenade bei welcher ich mich mit Blick auf den Atlantik hinsetze, einige Lieder in Dauerschleife höre und die Tour Revue passieren lasse.
Nähe Rouans bis Saint Nazaire, 36 Kilometer