Beiträge von Shrewd

    Der allabendliche Hundetreff würde meine Hündin auch ins Auenland ballern, wenn sie davor noch zweieinhalb Stunden unterwegs war und geschnüffelt hat. Der wäre hier 2-3 Mal pro Woche maximal als einzige Betätigung an diesem Tag (außer Pinkelrunden natürlich). An den anderen Tagen gäbe es hochwertige Spaziergänge, also Freilauf (sofern machbar; sonst halt Schleppi), ein paar wirklich kurze Übungen eingestreut und Sachen entdecken. Auf einen Baumstumpf klettern, auf einer Mauer langlaufen, sowas. Und dann 1x die Woche konzentriert für 20, 30, 40 (je nach Aufnahmefähigkeit des Hundes) Grundgehorsam im Verein.

    Klingt nach einem klassischen Fall von "nach müde kommt blöd". Ich würde zuhause (also drinnen) konsequent Ruhe durchsetzen. Hier wird nicht geschnüffelt, hier wird nicht gespielt, hier wird nicht getobt, hier wird geschlafen, gedöst, gekuschelt. Fertig.

    Wenn sie dann abends auf dem Sofa hochfährt - was sie garantiert immer noch machen wird, auch wenn ihr das Programm runterfahrt - dann 1x das Abbruchkommando und bei Ignorieren kommentarlos abtrennen; in einem anderen Raum, einen abgetrennten Bereich im Wohnzimmer. Und anschließend ignorieren. Wenn sie ruhig ist, darf sie wieder aus Sofa. Wenn sie wieder hochfährt, alles nochmal von vorne.


    Habt ihr denn tatsächlich ein Abbruchkommando etabliert und auftrainiert, von dem der Hund weiß, dass es "jetzt ist Schluss, sonst Konsequenz" bedeutet? Das ist nämlich mithin eines der häufigsten Dinge, von dem Hundebesitzer glauben, dass sie es haben, ohne es tatsächlich zu haben.

    Absolut. Es geht aber tatsächlich nicht um den einzelnen Keks, sondern um die konditionierte emotionale Reaktion. Theoretisch kann die irgendwann so stark sein, der Hund also das Umorientieren so fest mit Belohnung und einhergehend einem intensiven Dopaminausstoß verbunden hat, dass er gar nicht abwägt "Jagen oder Keks", sondern automatisch handelt. Ob das in der Praxis bei einem wirklich jagdmotivierten Hund funktioniert...


    Das kann schon funktionieren, wenn der Rest stimmt. Es ist ja nicht ausschließlich eine Frage des Jagdtriebes, sondern auch der Beziehung/Bindung zum Halter, der Dauer der Konditionierung usw. Natürlich spielt dann auch das Wesen des Hundes, die Sozialisierung o.ä. eine Rolle. Da spielen so viele teils komplexe Aspekte und Abhängigkeiten mit rein, dass man das meiner Meinung und Erfahrung nach immer individuell nach Hund entscheiden und trainieren muss - womöglich auch über mehrere Jahre hinweg, weil es einfach viele Wiederholungen braucht. Ich hatte es schon mit jagdlich hochmotivierten Hunden zu tun, bei denen das Umlenkverhalten mehrjährige Übung und Wiederholung brauchte, aber irgendwann funktionierte. Natürlich nicht wegen des einen einzigen mickrigen Kekses, sondern weil geduldig eine Konditionierung aufgebaut wurde.

    Also wäre die beste Option ihn dazu zu bringen sich abzulegen?


    Die beste Option ist, dass er irgendein Alternativverhalten lernt, das er in solchen Situationen stattdessen zeigen kann. Entweder von ganz alleine (super) oder mit Kommando (auch gut).


    Mit meinem Herdi-Mix habe ich "Gucken" als Markerwort und Umleitung etabliert. Sie soll mich auf Kommando anschauen, dann gibt's auch nach Jahren immer noch verlässlich eine Belohnung. So kriege ich sie inzwischen aus den meisten problematischen (Jagd-)Situationen wunderbar raus, auch wenn's rassebedingt natürlich etwas länger dauerte. Das Wichtige ist meiner Meinung nach nur, dass du dem Hund ein für ihn/sie attraktives Alternativverhalten anbietest, das so stark positiv konditioniert ist, dass die kurzfristige Belohnung (jetzt sofort Keks im Mund) stärker ist als der Reiz/Trieb.

    1. Hund: JRT. Wusste ich, was ich mir ins Haus hole? Mein jugendlicher (also eher: junger erwachsener) Leichtsinn sagte ja, die Wahrheit lautet nein. Fantastischer Hund, aber Volltreffer bei der Rassebeschreibung: selbstbewusst bis zur katastrophalen Selbstüberschätzung, Jagdtrieb wie Sau, stur wie ein Esel. Dreizehn Lehrjahre. Nie wieder Terrier. Spoiler: haha.


    2. Hund: HSH-Mix. Wusste ich, was ich mir ins Haus hole? Nein, aber diesmal nicht meine Schuld, weil angeblich ein Border-Labbi-Mischling. Stellt sich raus, da ist weder Border noch Labbi drin, aber sehr viel Herdenschutz. Und wahrscheinlich deutlich zu früh von der Mutter entfernt. Fantastischer Hund, aber seit über dreieinhalb Jahren harte Arbeit. Alles war schwierig: Leine, zur Ruhe kommen, im Garten nicht komplett austicken, andere Hunde nicht in handliche Einzelteile zerlegen. Inzwischen bin ich stolz wie bolle, dass der Hund mutmaßlich besser läuft als sich manche anderen HSH-Besitzer nur träumen lassen können, aber. Es. War. Harte. Arbeit. Nie mehr!


    3. Hund: Foxterrier. Habe ich "nie wieder Terrier" gesagt? Haha. Nachdem der HSH deutlich zeigte, dass er sich an selbstsicheren, gefestigten Hunden ausgezeichnet orientieren und anpassen kann, war ich auf der Suche nach einem solchen Zweithund. Auftritt Foxterrier aus dem Tierschutz. Angeblich atypisch, extrem gechillt, extrem menschenbezogen, sehr lange Lunte. Ich skeptisch. Stellt sich raus: stimmt. Der entspannteste, gefestigste Hund, dem ich je über den Weg gelaufen bin. Kann mit JEDEM, ob Hund, ob Mensch. Null stressanfällig. Grandios für den HSH. Aber natürlich Jagdtrieb wie Sau. Rückruf ohne Spur: 101%. Rückruf mit Spur: Du kannst mich mal am Abend besuchen. Lässt sich freilich handhaben. Fantastischer Hund. Bald hoffentlich ausgebildeter Therapiehund. Aber nie wieder Terrier.


    Da steh ich also nun mit meinen drei fantastischen Hunden, die ich nie mehr wieder haben will. Und auch wenn es bis zur nächsten Entscheidung hoffentlich noch viele, viele, viele Jahre dauert ... die eine Stimme im Kopf sagt, lern endlich deine Lektion, nimm einen Goldie und sei glücklich ... sagt die andere Stimme, also wenn du einen JRT, einen HSH und einen Fox gebändigt bekommen hast, warum machst du dir dann einen Kopf über einen Aussie oder einen Cattle Dog? Die sind im Vergleich zum HSH wahrscheinlich Einhörner und Regenbögen.


    Immerhin habe ich gelernt: Beim nächsten Mal gibt's einen Welpen aus einer VDH-Zucht. Ich hab mein Tierschutzspensum erfüllt. Bitte einmal in nicht unfassbar anstrengend.

    Für mich rechtfertigt Armut unmenschliches Verhalten ehrlich gesagt nicht.


    Das Problem ist, dass du menschliches/unmenschliches Verhalten über eine privilegierte Stellung definierst, die nichts mit der Lebensrealität von circa 2/3 der Weltbevölkerung zu tun hat. Du kannst diesen Satz sagen, weil du keine Angst haben musst, morgen zu verhungern, erschossen zu werden, deine Kinder nie wiederzusehen usw. Dein Verständnis von Menschlichkeit ist wohlstandsgeprägt; daran ist auch nichts falsch, bloß sollte man imho einsehen, dass das ein seltenes Geschenk ist und keine Hoheitsbasis über die Moral von Menschen, die für 1/10 deines Lohnes ihre rechte Hand opfern würden.

    Ich würde in diesem Fall gar nicht mehr am Verhalten rumdoktoren, sondern auf Ursachenforschung gehen. Nach deiner Schilderung kann der Hund vieles sein: aggressiv, unsicher, schützend, verteigend und eine Mischung aus all dem. So lange du nicht weißt, was du korrigieren/therapieren musst, bringen alle Diskussionen ums "wie" nichts.


    Ich würde mit den Hundebegegnungen und der Leinenaggressivität anfangen. Zum einen, weil es sich dabei wahrscheinlich um das schlimmste Problem im Alltag handelt, sowohl für Besitzer als auch Hund (Stichwort: dann lieber daheimbleiben, statt wieder Katastrophe an der Leine). Zum anderen, weil es imho am besten einzuordnen ist. Und zum dritten, weil es möglicherweise viele der übrigen Probleme gleich mitbehandelt.


    Was passiert denn, wenn ihr den Hund von einem Freund/Familienmitglied/Bekannten/usw führen lasst und ein anderer Hund vorbeikommt? Selbes Verhalten? Ganz anderes Verhalten? Wie ist die Körpersprache? Relaxed? Ängstlich? Das wäre mein erster Versuch, natürlich ordentlich gesichert für alle Parteien. Und dann würde ich es - wenn möglich - mit noch einer anderen Person, die den Hund führt, versuchen. Idealerweise keine völlig Fremden, sondern Leute, die der Hund kennt, die ihn aber noch nie geführt haben. Warum? Weil es uns hilft, einzugrenzen, wieso der Hund bei euch reagiert, wie er reagiert. Wenn er bei "fremden" Leuten 1:1 das selbe Verhalten zeigt wie bei euch, dann sind tendenziell eher die anderen Hunde das Problem. Ob aus Angst, Aggressivität usw. bleibt dann wiederum rauszufinden. Aber wenn er anders reagiert - unbedingt Körpersprache beobachten/filmen lassen! - dann liegt das Problem womöglich bei euch; der Hund wacht, verteidigt euch als Ressource usw.


    Angenommen der Hund hat einen überzogenen Wachtrieb. Was laut deiner Schilderung durchaus sein kann. Dann behebt eine Korrektur dieses speziellen Verhaltens unter Umständen auch viele der anderen geschilderten Probleme. Wenn er euch nicht mehr bewachen muss, kann der Hund besser und länger schlafen, flippt nicht bei jeder Katze aus usw. Wie gesagt: unter Umständen. Aber erstmal musst du rausfinden, warum der Hund so agiert. Es hilft nix, wenn die eine Trainerin sagt, Unsicherheit, soundso machen, die andere sagt, Aggro, Schlüssel werfen, und die dritte noch was anderes. Du (und jeder Trainer/jede Trainerin) müssen erstmal rausfinden, was der Hund eigentlich so scheiße findet.

    Würdest du dann parallel weiter üben, dass Besuch kommt, nur in Kleingruppen?

    Aus eigener Erfahrung: einer nach dem anderen. Du schreibst ja im Eingangspost schon, dass er bei Fremden gestresst ist und ordentlich Wach- und Schutztrieb zeigt. Eine Kleingruppe ist den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Erst, wenn er bei einer fremden Person sicher gechillt ist, würde ich weitere dazunehmen.


    Der Tipp mit dem eigenen Zimmer ist gut. Aber auch aus eigener Erfahrung: War hier keine Option. Wenn ich meine gleich ins Schlafzimmer tue, wird kräftig gebellt, auch wenn das bei allen anderen Situationen ihr Gechillt-Raum ist. Aber wenn ich sie ne Stunde gucken lasse, eben aus sicherer Entfernung, dann geht sie danach ganz zufrieden nach oben und pennt.

    Hier wohnt auch ein HSH und hier war gestern auch eine Party mit vielen für den Hund fremden Menschen. Das Prozedere ist bei uns: Der Hund bleibt 1-2 Stunden großzügig angebunden auf seinem Stammplatz im Wohnzimmer (Party war auf der Terrasse vor dem Wohnzimmer), und wenn's ihm zu viel wird, geht's für den restlichen Abend ins Schlafzimmer. Das ist sein Rückzugsort, dort darf ihn niemand stören.


    Ich habe längst akzeptiert, dass für diesen Hund der Konktakt zu neuen Menschen in der Wohnung immer mit sehr viel Stress verbunden sein wird. Wir bauen das bei jeder Person langsam auf. Und mehr als eine auf einmal geht halt einfach nicht, wird nie gehen, und das ist auch okay so. Warum soll ich den Hund ständig massiv stressen, nur um vielleicht, ganz eventuell und mit sehr, sehr viel Glück einen am Ende sehr kleinen Erfolg gegen ein paar tausend Jahre Genetik zu erzielen? Lieber arbeite ich viel entspannter an anderen Alltagsgeschichten und akzeptiere, dass der Hund inkompatibel mit fremden Leuten im Haus ist.

    Dein Framing ist wieder interessant. Der harmoniebedürftige (natürlich nicht abwertend gemeint!) Halter, der gleich Angst bekommt, wenn seinem Hund von einem 40kg anstürmten Brocken was "angetan" wird. Bloß weil der Mali halt mal ein bisschen rüpelig war, man kann sich auch anstellen.


    Natürlich trägt da nicht jeder Hund ein Trauma davon. Und natürlich wissen die meisten Hunde, wie sie auf sowas reagieren, nämlich exakt so wie im Video mit Beschwichtigung, Unterwerfung, Flucht. Das ändert halt rein gar nix am Arschlochverhalten von Mali und Halter. Es ist nicht der Job meines oder irgendeines anderen Hundes, einen anstürmenden Mali im Endorphinrausch zu beschwichtigen. Es ist der Job des Mali-Halters, das gar nicht erst zuzulassen. Das ist eine Scheißbegegnung für alle, außer dem Mali. Und der lebt hier nicht mal seine Rasse aus, sondern kanalisiert die falsche Auslastung auch noch zu Lasten anderer Hunde. Eigentlich ist das ein Video darüber, warum manche Leute manche Hunde erst gar nicht führen sollen dürften.