Konkret also: ich bewerte während dieser rund 1,5 h nicht im einzelnen, ob und wie oft mein Hund die Ohren „wichtigwichtig“ nach vorne klappt, ob und wie oft er die Rute „daueroben“ hat, ob und wie oft er aufgeregt in die Luft rüsselt. Oder ob und „wie sehr“ er ein Kaninchen bemerkt. Ich krieg’s halt oft mit. Und sollte er sich gerade mords aufrüschen, weil er’s hündisch kann, mei, ja, dann hat er als Hund draußen im Freien gerade gemerkt, dass er ein Hund draußen im Freien ist. Wo ist das Problem?
Mir fehlt in der bisherigen Diskussion derzeit irgendwie jede - eine würde reichen - sachverständige Grundlage für die Behauptung, dass, weil ein wuseliger, umweltaktiver oder meinetwegen auch „reizoffener“ oder „hochtriebiger“ Hund, groß, mittelgroß, Terriermix, Golden Retriever, Staffordshire, Malinois … der einen Geruch in der Nase hat und deshalb hin und her flitzt, womöglich sogar jiept, alle Anzeichen dafür trägt, dass ihm der Aufenthalt im Freien gerade schlimm schadet - und er deshalb dringend aus dieser Situation befreit werden muss. Oder er andernfalls zweifellos Schaden nimmt. Weil er (
@Lockenwolf) die „Außenreize mit seinem Jagdtrieb nicht so einfach wegsteckt“.
Ich meine, diese Problemzuschreibung würde doch für (>)90 Prozent aller Hunde zutreffen, die als Beutegreifer nunmal wissen bzw. alle (durch sämtliche Zuchtabzweigungen links, rechts, hoch und runter) nicht ganz und gar vergessen haben, was Jagen ist und es in manchen (oder vollständig allen) Jagdsequenzen halt verflixt auch können. Oder? Hunde eben.
@Lockenwolf gibt selbst den Hinweis:
Was machen die Unterschiede der einzelnen Rassen aus? Wo ist ein Hund nicht gleich Hund?
>> es ist für einen Beutegreifer und das sind Hunde nunmal eben nicht arttypisch stumpf und ohne Interesse durch die Pampa zu latschen. Da gehen die Sinnesorgane auf Höchstleistung weil es potenzielle Jagd verspricht Ausschau zu halten. Wie stark diese Veranlagungen ausgeprägt sind ist abhängig von Rasse und Individuum. Aber es liegt allen in den Genen. <<
Um dann aber im selben Atemzug den primären Teil der Jagdsequenz als „stumpf“ und interesselos zu qualifizieren: Nämlich die (schnelle) Bewegung hin zur Beute - was im noch ersteren Schritt ja verlangt, eine hinreichende Bewegungskompetenz überhaupt erst regelmäßig einzuüben und stetig praktizierend wach zu halten. (Mit allen Nebenwirkungen, die das für den muskulären Aufbau und Tonus, die Sprung-/Gelenksstruktur usw. hat.) Bei einem Haushund freilich nicht deshalb, um bis zur letzten Konsequenz zu jagen und zu töten. Sondern um so gesund zu sein und zu bleiben, dass er als Hund jagen könnte. (- Wenn ich Spielverderberin es ihm nicht mit einigem Vorlauf an Erziehungsaufwand verbieten würde.)
Schon klar, ein Hund, der sich nicht versiert bewegen kann, weil er kaum oder nicht ausreichend rauskommt, kann erst recht nicht jagen. Offensichtlicherweise. Und lebt damit aber eben auch nicht im Potential dessen, was „allen [Hunden] in den Genen“ liegt.
Ich will hier keinen uferlos fundamentalen Wider-die-Natur-des-Hundes-Diskurs beginnen, weil ich die 35.0000 Stöckchen nach dem Hölzchen jetzt schon sehe, aber zu sagen: Mancher ausgewachsener, gesunder, großer Hund braucht Bewegung nicht, ist einfach … steil. Und eine Bewegungsempfehlung, die in die Gegenrichtung zeigt, in einem Thread weginsistieren zu wollen und den direkten Widerruf zu verlangen, weil sie aus der Orthodoxie des Forums fällt, wie sie sich hier offenbar durchgesetzt hat, ist mindestens … wunderlich. Wie man es anschaut, es bleibt mE eine Behauptung, die begründungspflichtig ist. Und jedenfalls nicht mit „isso“ gesetzt werden kann.
Wenn ich lese, dass ein Border Collie nach 10 Minuten Schafe Hüten erst einmal laaange Ruhe braucht und also die nächsten Tage keinesfalls mit knapp einstündiger Bewegung im Freien zweimal am Tag (von mehr rede ich nie) belästigt werden darf, dann - so ehrlich hau ich das jetzt einfach mal raus -: glaube ich das nicht. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dann glaubt das auch der nächstniedergelassene Tierarzt, ein Hundetrainer, Hütehundausbilder, Verhaltenspsychologe undsoweiter nicht ohne weiteres. Mir ist bewusst, dass das irgendwas zwischen maximal unhöflich und borniert klingt, aber ich kann mir das im Moment nur so erklären, dass wir bei der Beobachtung und Beschreibung eines Hundes vermutlich ein erheblich verschiedenes Verständnis von Begriffen wie „um die Ohren fliegen“ u.ä. haben.
Ich hab mir beim Lesen manchmal überlegt, ob für solche oder ähnliche Schilderungen vielleicht ja ein Video zur Anschauung hilfreich wäre. Also ein Video, das aus eurer Sicht für euch (!) unverkennbar zeigt, dass sich euer Hund - während des Spaziergangs von rund eineinviertel Stunden - gerade „völlig abschießt“ … oder dass jede weitere Minute nun „gefährlich“ werden könnte … oder dass er euch gerade „um die Ohren fliegt“ … oder dass deutlich wird, das der Spaziergang an der Stelle sofort abgebrochen werden muss.
Ist eine Videoaufnahme für diese Diskussion ne doofe Idee? Auf unsympathische Weise neugierig? Keine Ahnung. Vermutlich.
Und um nochmal die wesentliche Abgrenzung kenntlich zu machen:
>> Um nicht missverstanden zu werden: Klar gibt es waschecht verhaltensneurotische Hunde. Aber nach allem was ich darüber weiß, ist die Diagnose bei solchen Hunden doch nicht mal eben übern Daumen („Ah, rennt übern Tisch, muss an der Bewegung im Freien liegen“) feststellbar, sondern beispielsweise sind Cortisolmessungen in verschiedenen Zuständen und Alltagssituationen halbwegs geeignet, eine solche Diagnose überhaupt erst abzusichern. Und dann schaut man im nächsten Schritt, wie das Ursache-Wirkungsverhältnis eigentlich ist. Dreht der Hund völlig frei, weil er zweimal am Tag 1,25 Stunden Bewegung im Freien hat? - Oder weil er kein angemessenes Bewegungsangebot hat? Und klar kann es bei einem ausgewiesen verhaltensneurotischen Hund gegebenenfalls sein, dass ein individuelles Trainingsprogramm ausgetüftelt werden muss, bei dem der Bewegungsbedarf (bis auf weiteres) speziell organisiert und von Spaziergängen von 1,25 Stunden erstmal abgesehen wird. <<
Ansonsten und im nichtverhaltensneurotischen Normalspektrum gesprochen, würde ich jederzeit damit rechnen, dass (m)ein Hund seine legendär sensible Nase auch benutzt, und dass er deutlich zeigt, wenn ihm was Spannendes vor die Nase kommt. Ob der jetzt jagdlich spezialisiert ist oder nicht. Ich find’s nicht krank oder schlimm „drüber“, wenn ein Hund dann auch mal gründlich zappelig wird, um dann - eine solide Grunderziehung vorausgesetzt - im Kontakt mit mir irgendwann (ich meine das bewusst dehnbar) auch wieder runterzukommen. Ohne dass mir die Beschreibung nahe läge, dass mir mein Hund gerade „um die Ohren geflogen“ ist. Ich kann das ehrlich nicht sehen. Ich hab das noch nie gesehen. Nicht bei einem nichtverhaltensneurotischen Hund im handelsüblichen Verhaltensspektrum mit seinen handelsüblichen Ausreißern nach oben (wuselig-hektisch) und unten (strunzenfaul-chillig).
Und ich kenne - derzeit - niemanden außerhalb dieses Forums, der das so sieht. Ich kenne außerhalb dieses Forums allerdings auch nicht Wendungen mit „Löffelchen“, die dem Hund an einem Tag „ausgehen“ und dass man sich gegenseitig hinschreibt, wieviele des eigenen Hundes davon heute schon weg sind, weshalb man für heute nichts mehr mit ihm unternehmen kann. Ich will mich nicht darüber lustig machen, mir ist das außer hier nur noch nirgendwo in Internethundeforenhausen begegnet. Und im echten Leben auch nicht.
Nun ist das natürlich erstmal auch nur anekdotisches Geplänkel („Ich kenne niemanden, der …“ / „Also alle, die ich kenne, …) und irgendwie natürlich unproduktiv für eine Diskussion. Aber ich hab ja das Angebot formuliert, hier mal probehalber eine Objektivierungsebene in diese Bewegungs-Diskussion in diesem Forum einzuziehen - oder es jedenfalls zu versuchen. Und ich hab angeboten, mit euch gemeinsam nach Links auf sachkundige Seiten von Tierärzten, Hundetrainern, Hundeforschern zu suchen, die das stützen würden. Ich habe bisher noch keinen gefunden.
Uff. Vielleicht wird nach diesen 1537 Versen mein Ausgangspunkt in dieser Diskussion ein bisschen verständlicher. Das das wäre jedenfalls das beste, was diesem ellenlangen Riemen hier passieren könnte. :-)
Wir sitzen da offenbar einfach auf unterschiedlichen Startblöcken, was unsere Überlegungen in Sachen ‚Hund und Bewegung‘ angeht. Mehr ist es wohl nicht. Aber weniger halt auch nicht.