Hi und servus allerseits - da ich scheinbar außer Stande bin, kurze Beiträge zu verfassen, entschuldige ich mich nochmal im Vorfeld für die vielen Zeilen. Ich möchte euch gerne teilhaben lassen an unserem Leben mit Neo, unserem mittlerweile 8 Monate alten Vizsla-Rüden. Das natürlich nicht ganz uneigennützig und aus Mitteilungsdrang, sondern mehr zur Selbstreflexion, um gewisse Themen von der Seele zu schreiben und, um eure Eindrücke, Erfahrungen und letztlich euer Wissen anzuzapfen. Im Großen und Ganzen ist das aber eher ein Brief ohne direkten Adressaten.
Neo ist, wie ich denke, ein typischer Vizsla-Rüde: sensibel, reizoffen, launisch, anhänglich, körperbetont und -was elementar ist- er denkt, er sei ein deutlich deutlich kleinerer Hund. ("Ja Neo, das ist mein Gesicht auf dem du stehst" / "Ja Neo, dein Körper wächst und nein, mein Schoß wächst nicht in selbem Maße mit" / "Nein Neo, nur weil wir Menschen am Tisch sitzen, heißt das nicht, dass du deinen eigenen Stuhl bekommst").
Nachdem die Welpenzeit überstanden war, oder wir zumindest dachten, sie sei überstanden, hat er sich gut entwickelt und wir waren logischerweise wegen einiger Marotten frustriert, aber gleichermaßen stolz, was wir zu dritt (meine Freundin Alex, Neo und ich) geschafft haben.
Neo war und ist immer schnell erregt und schnell gestresst. Am deutlichsten wird das , wenn meine Freundin von der Arbeit kommt. Neo - flippt - aus. Es wird auf sie zugesprintet, an ihr hochgesprungen, an ihr geknabbert und alles auf einem höchten Anspannungsniveau, sodass wir grundsätzlich dazu übergegangen sind, dass, sobald jemand die Wohnung betritt, Neo irgendetwas in den Mund bekommt: Kauwurzel, Spielzeug, Socke, etc. Wenn ich die Wohnung betrete, kommt er mir zwar auch entgegen, insbesondere dann, wenn ich Einkäufe in Tüten trage, er ist aber bei weitem nicht so aufgeregt wie im ersten Fall.
Womit wir bei der Beziehung von Neo zu Frauchen sind. (Als Randnotiz: Wir haben die Situation, dass ich im Home Office arbeite und demnach immer zuhause bin. Meine Freundin ist an 2-3 Tagen pro Woche im Büro.)
Seit geraumer Zeit tragen die beiden einen Kampf aus: Insbesondere dann, wenn Alex am Esstisch arbeitet, oder es gar wagt, sich auf die Couch legen zu wollen, wird der Hund laut. Er knurrt, beschwert sich, bellt und drangsaliert sie bis zum Gehtnichtmehr. Zurechtweisung, Korrektur, räumliche Beschränkung machen ihn nur wilder. Er ist extrem angespannt und kneift ihr auch nicht selten in die Hände - d.h. er beißt nicht, er kneift genau genommen nicht mal, sondern öffnet eher seinen Mund und -in Ermangelung einer besseren Formulierung- "stülpt" ihn über die Hand. Sie möchte die Situationen selbst lösen, indem sie ihm selbstbewusst entgegentritt und ihm klar mitteilt, dass sie das Sagen hat. Notfalls auch indem sie ihn am Geschirr festhält und versucht, ihn zur Ruhe zu zwingen. Dieses "Spiel" wird mehrmals täglich und teilweise für bis zu 90 Minuten gespielt, oder aber, bis ich es nicht mehr aushalte und den Hund mit zu mir ins Nebenzimmer (mein Büro) nehme, wo er dann in der Regel nach kürzester Zeit einschläft.
Generell mache ich mir Sorgen um sein Stresslevel, insbesondere in solchen Situationen in der Wohnung. Wir wollen das "Drinnensein" eigentlich als Ruhemöglichkeit etablieren, wo wir gemeinsam die Eindrücke verarbeiten und -nicht zu knapp- kuscheln wollen. Das gelingt uns aber noch nicht wirklich.
Ich möchte euch ein bisschen mitnehmen in die Ursachenforschung, weil ich mir zwar nicht sicher bin, ob ich richtig liege, aber trotzdem den ein oder anderen Ansatzpunkt habe:
1. Verlässlichkeit von Frauchen und Herrchen:
- Gänzlich unterschiedliche Persönlichkeiten: ich bin eher entspannt und laissez faire, meine Freundin eher analytisch und manchmal "helikopteresque" -> Neo wird nicht ganz stringent und konsequent gleichermaßen erzogen und ist unsicher
- Ungeduld: Ich muss dringend an meiner Ungeduld und Gelassenheit arbeiten. Wenn ich einen anstrengenden oder psychisch belasteten Moment (oder Tag) habe, wurde ich in der Vergangenheit zu oft laut und teils auch körperlich (Packen am Geschirr/Festhalten) -> Neo ist unsicher und kompensiert durch stressbedingte Ausflipper ("Oh nein, bald kommt der große Menschenfreak wieder und schreit mich an")
- Konsequenz: Neo möchte immer auf der Höhe sein und das buchstäblich. Auf die Couch, aufs Bett, auf den Suhl, auf die Bank - Hauptsache erhöht. Unsere Hundetrainerin hat uns explizit davon abgeraten, ihn in der Phase der Rudelfindung auf die Couch zu lassen, weil er es einfordern könnte. Wir haben uns nicht daran gehalten. An regnerischen Sonntagen, die wir auf dem Sofa verbringen, fahren wir die Couch aus und es wird zu dritt dort gekuschelt. Wenn die Couch nicht ausgefahren ist, sollte Neo eigentlicht nicht auf die Couch, er darf es hin und wieder aber trotzdem. Das ist massiv inkonsequent, unfair und für den Hund nicht nachvollziehbar. (Ehrlich gesagt auch für keinen Menschen).
2. Auslastung:
Es ist der Beginn der Pubertät, der Radius wird größer, die Ohren funktionieren irgendwie ein bisschen schlechter und generell gibt's in der Welt da draußen doch die ein oder andere Sache, die viel (und ich meine wirklich: vieeeeel) interessanter ist, als das, was der Mensch da will.
Wir haben in den vergangenen zwei Wochen eine recht deutliche Wesensveränderung in Neo festgestellt. Die Unruhe wurde deutlich mehr und schlimmer, der Stresslevel noch höher und das Zusammenleben insgesamt schwerer, insbesondere in der Kombination Frauchen und "Hündchen". Deswegen habe ich beschlossen, dass wir das Pensum kürzen, das wir gemeinsam absolvieren, weil ich zugeben muss, dass ich trotz intensiver Beschäftigung mit der Frage "Was ist zu viel, was ist zu wenig - wie laste ich meinen Hund richtig aus?" übertrieben habe. Es hat, ohne irgendetwas rechtfertigen zu wollen, einfach wahnsinnig Spaß gemacht, mit dem Hund zu arbeiten, die Welt zu erkunden und mit ihm zu lernen. Er hat super mitgemacht, war voll dabei und es gab tolle Momente, ich muss aber in der Retrospektive sagen, dass es in meinen Augen schlicht zu viel und vor allem zu schnell zu viel war.
Unser bisheriger Alltag liest sich wie folgt:
7:30 - Aufwachen, Pipi, Gassirunde mit Freilauf und Training/Suchspielen (Apportieren, Leckerchen, Abbruchsignale, Rückruf, diverse Kommandos [Bleib, Sitz, Platz, Fuß, Rechts/Links etc.], Impulskontrolle, teils Hundekontakte auf Wiese, Ruheübungen) - Sicherlich nie alles auf einmal, aber immer eine Form der Arbeit. Länge der Runde gesamt: 45-60 Minuten
8:30 - Essen
10:00 - Pipi (5 Minuten)
12:00 - Aufwachen, Pipi, Gassirunde mit Freilauf und Training/Suchspielen (Apportieren, Leckerchen, Abbruchsignale, Rückruf, diverse Kommandos [Bleib, Sitz, Platz, Fuß, Rechts/Links etc.], Impulskontrolle, teils Hundekontakte auf Wiese, Ruheübungen) - Sicherlich nie alles auf einmal, aber immer eine Form der Arbeit. Länge der Runde gesamt: 45-60 Minuten
14:00 - Pipi (5 Minuten)
16:00 - Pipi (5 Minuten)
17:00 oder 18:00 - Aufwachen, Pipi, Gassirunde mit Freilauf und Training/Suchspielen (Apportieren, Leckerchen, Abbruchsignale, Rückruf, diverse Kommandos [Bleib, Sitz, Platz, Fuß, Rechts/Links etc.], Impulskontrolle, teils Hundekontakte auf Wiese, Ruheübungen) - Sicherlich nie alles auf einmal, aber immer eine Form der Arbeit. Länge der Runde gesamt: 45-60 Minuten
22:00 - Pipi (5 Minuten)
---Schlafenszeit---
Man muss dazusagen, dass wir viele Pipigänge eingeplant hatten, weil wir noch kleinere bis mittelschwere Stubenreinheitsprobleme hatten. War ich mit Neo alleine, hat er zwischen den Runden meist bei mir im Büro auf dem Sofa geruht und/oder geschlafen, ist zwischenzeitlich aufgewacht und hat sich einen Kuss abgeholt, war aber insgesamt entspannt. Was anderes war das, wenn ich die Türe offen hatte und er quasi Zugang zur gesamten offenen Wohnung hatte. Dann war er deutlich rastloser, hat sein Hundebett im Wohnzimmer zerlegt, oder grundsätzlich viel von dem gemacht, was er eigentlich nicht darf (Küchenzeile hochspringen, Dinge vom Tisch klauen etc.), bis er sich dann im Wohnzimmer auf die Couch gelegt hat (was er de facto auch nicht durfte, aber: was Herrchen nicht weiß, macht ihn nicht heiß und ich habe das auch nicht oft wissentlich "übersehen"). Ähnlich ist das, wenn meine Freundin zuhause im Wohnzimmer arbeitet und er bei ihr ist.
Auf die Erkenntnis, dass das Pensum zu viel sein könnte, habe ich eben jenes heruntergefahren, um zu testen, wie er darauf reagiert. Das Ganze machen wir nun seit ca. einer Woche:
7:30 - Aufwachen, Pipi, Gassirunde an der Schleppleine. Schnüffeln, Laufen, "Hund-Sein". Nur Grundgehorrsam, keine speziellen Übungen, ggf. Rückruf. Länge der Runde gesamt: 20-45 Minuten
12:00 - Aufwachen, Pipi, Gassirunde an der Schleppleine. Schnüffeln, Laufen, "Hund-Sein". Nur Grundgehorrsam, keine speziellen Übungen, ggf. Rückruf. Länge der Runde gesamt: 20-45 Minuten
ca. 17:00 - Aufwachen, Pipi, Gassirunde an der Schleppleine. Schnüffeln, Laufen, "Hund-Sein". Nur Grundgehorrsam, keine speziellen Übungen, ggf. Rückruf. Ggf. eingezäunte Hundewiese ohne oder mit wohlwollendem Hundekontakt, ggf. leichte Suchspiele (Leckerchen im Gras). Länge der Runde gesamt: 30-45 Minuten
ca. 22:00 - Letzte Pipirunde (5 Minuten)
Generell wohnen wir eher städtisch. Wir haben zwar viel Grün und viel Natur, man muss aber auch ganz klar sagen, dass wir fußläufig auf die Schnelle nirgendwohin kommen, wo nicht mindestens in den letzten 30 Minuten fünf andere Hunde gelaufen sind. Insofern gibt es vermutlich unendlich viel zu schnüffeln und für einen Junghund unendlich viele Einflüsse. Ich werde zukünftig zusehen, dass wir mit ihm einmal am Tag in der Abendrunde weiter raus fahren, sodass wir in unberührtere Natur kommen.
(An dieser Stelle muss ich sogar abschneiden, weil der Text die zulässige Zeichenanzahl überschreitet )