Ich bin mir nicht sicher, ob so manch einer die Augen verdrehen würde, wenn ich sage, dass ich diesen Thread als nicht ganz unpassend für uns finde. So hart und ehrlich wie folgende hab ichs aber vermutlich auch hier im DF noch nie geschrieben.
Heute war wieder so ein Tag, wo ich innerlich seufze und mir das Herz blutet, weil ich mich manchmal frage, ob wir irgendwie zu unfähig sind unserem Hund Sicherheit zu geben. Seit seinem Einzug im letzten Jahr arbeiten wir an seiner weitreichenden Unsicherheit. Insbesondere andere Hunde sind ungebrochen schwierig. Fremdhunde werden zunächst massiv verbellt, bei Annäherung kommt es erst zur Flucht und dann erfolgt ein Freeze. Wir wissen nicht, warum er so reagiert, das Verhalten zeigt er bereits seit Einzug. Wir arbeiten kontinuierlich daran, eigentlich (teils unfreiwillig) fast jeden Tag, da hier in der Großstadt natürlich eine entsprechende Hundedichte herrscht. Wir haben feste, rücksichtsvolle bis ignorante Gassipartner-Hunde. Ich sehe die Fortschritte und trotzdem reicht ein blöder Tag, um ihn mindestens für den nächsten völlig aus dem Lot zu kippen. Im Resultat bedeutet das fernab anderer Hunde einen hektischen, rastlosen, herumbrüllenden Hund, der selbst beim kurzen Lachen von wahllosen Passanten hochgeht. Auch an guten Tagen peitscht er sich an Dingen auf wie Osterglocken in der Wiese, Kinder, die ruhig am Rand des Gehwegs stehen oder die Zeckeninspektion nach dem Spaziergang. So viele Dinge sind solche Kämpfe, denn eine blöde Erfahrung lässt sie zur Krise werden. Mein Freund hat ihn vor einigen Wochen beim Einklicken vom Geschirr ein paar Haare eingeklemmt. Seitdem löst das Geräusch Stressreaktionen aus, Baustelle wird also bearbeitet. Oder die übliche Leckbeschäftigung fürs Kämmen kam dieses Mal aus dem Lickimat-Ufo, das die Pappnasen mir letztens als Belohnung fürs Krallenschneiden überlassen haben - stinkt, da ist was im Busch und ich kreisele direkt vor Unbehagen auf dem Handlingtisch. Oder beim Spaziergang vor einiger Zeit hat er Enten am Ufer beobachtet, die sich (lautlos) entschieden haben aufzustehen und ins Wasser zu gleiten, nachdem er ein paar Schnupperschritte in ihre Richtung gemacht hat. Derart schnell habe ich noch keinen Hund umfallen sehen, so erschreckt hat er sich. Seitdem sind Enten nun also die neuen Todesboten.
Neben haufenweise Gegenkonditionierung haben wir auch an manchen Stellen ruhig die Situation einfach durchziehen ohne groß Gewese probiert, manchmal hilft es, manchmal nicht. Geduld, Geduld für jeden Millimeter. Und doch bin ich jetzt wieder hart und ehrlich: Es gibt Momente, da würd ich am liebsten die Hände in die Luft werfen, mich umdrehen und gehen. Es ist unser erster Hund und gelegentlich bin ich doch wirklich müde, wie viel ich vorausdenken, scannen und managen muss. Manchmal würde ich auch gern aus der Haustür fallen, losmarschieren und wissen, wir haben jetzt einfach nur eine nette Zeit zusammen, trainieren das Mitlaufen im Alltag, wie es in dem Alter wohl üblich ist, und nicht, wir stapfen zum nächsten Grabenkampf gegen Umweltreize. In der Konsequenz bedeutet es für uns eigentlich jeden großen Spaziergang des Tages außerhalb der städtischen Wohnumgebung durchzuführen, wo Freilauf möglich ist und die Reize weitaus geringer. Hier durch Parks oder aber länger um die Blocks und er würde mir die Wände hochgehen, nicht machbar.
Gestern war wieder ein Stresstag. Ein neuer Junghund hat unsere Gassipartner-Hündin begleitet. Innerhalb der ersten 5min Freilauf, angucken vom Junghund und auch viel Schutz durch Umleitungen von mir war er, nachdem sie einmal direkt auf ihn zukam, um bloß sein Leckerchen in unserer Hand abzugreifen, trotzdem so verängstigt, dass er umgedreht, sich an den Hang gesetzt hat und sitzengeblieben ist. Heißt also, einsammeln, Schlepp in die Hand und auf Abstand mit unserer üblichen engmaschigen Unterstützung weiter. (Der restliche Spaziergang ging trotzdem weiter den Bach runter und ich ärgere mich, dass ich hier nicht früher die Reißleine gezogen habe. Passiert ist allerdings gar nichts.)
Nach Stresstagen wie diesem ruhen wir entweder oder wir packen ihn ein und fahren raus aufs leere Feld. Einfach nur Hund sein, keine Anforderung, rennen, schnüffeln, existieren. Er ist noch so jung, keine Frage, aber manchmal wäge ich ab, ob ich meine Erwartung runterschrauben sollte. Gewünscht hatte ich mir einen begeisterten Begleiter für tägliche Spaziergänge, Wanderungen und vielleicht auch Hundesport. Möglicherweise wird das aber auch alles noch, keine Ahnung. Mir fehlt einfach als Ersthundbesitzerin die Erfahrung und der Weitblick. Was ist Alter, was ist Rasse, was ist Temperament, was liegt in (fehlender) Sozialisierung begründet und was ist Wesensschwäche? Ich kann das ehrlich gesagt nicht einschätzen. Ich hab ihn lieb, meinen kleinen Hibbel-Angstknopf und feiere unsere Mut-Abenteuer, aber an manchen Tagen bin ich einfach auch ganz schön matt und hab nicht immer das zuversichtliche Lächeln für uns beide in der Hinterhand.