Für mich ergibt sich beim Lesen irgendwie das Bild eines Hundes, der einerseits mit Neuem nicht gut umgehen kann und der sich andererseits auch sehr schlecht selbst regulieren kann (Thema Schnüffelteppich).
An der Umweltunsicherheit arbeitest du scheinbar sehr einfühlsam und extrem kleinschrittig mit ganz viel positiver Verstärkung. Das kann für den ein oder anderen Hund ein ganz toller Weg sein und scheint ja grundsätzlich auch zu funktionieren. Nichtsdestotrotz würde ich dir und dem Hund zuliebe mal kritisch hinterfragen, ob das für euch auf Dauer wirklich so zielführend ist.
Stand jetzt läuft euer Zusammenleben, wenn ich das richtig verstanden habe, so:
Hund findet den Reißverschluss komisch? Du übst mit ihm gezielt, den Reißverschluss nicht mehr komisch zu finden.
Hund findet die Klospülung komisch? Du übst mit ihm gezielt, die Klospülung nicht mehr komisch zu finden.
Hund findet die Spülmaschine komisch? Du übst mit ihm gezielt, die Spülmaschine nicht mehr komisch zu finden.
Hund findet das Auto komisch? Du übst mit ihm gezielt, das Auto nicht mehr komisch zu finden.
Das Problem an der Sache ist, dass das bei einem Hund, der bei allem Unbekannten unsicher ist, ein Fass ohne Boden ist. Der Punkt, an dem euer Hund alles auf der Welt mal gesehen hat und dann entspannt durch die Welt laufen kann, wird nicht kommen.
Anstatt dem Hund nach und nach die Angst vor bestimmten Objekten oder Geräuschen zu nehmen, würde ich deshalb lieber daran arbeiten, ihm die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen.
Der muss gar nicht lernen, dass die Klospülung, die Spülmaschine oder der Reißverschluss ihn nicht fressen. Er muss "nur" lernen, dass ihm in deinem Beisein nichts passiert.
Und das funktioniert meiner Erfahrung nach am Besten, indem man einfach souverän agiert und den Hund dabei sein und es in gewisser Weise aushalten lässt. Ohne großes Training, ohne gezieltes Untersuchen und Schönfüttern von einzelnen Dingen, sondern einfach nur über das Erlebnis "Okay, hier sind zig Dinge, die ich alle nicht kenne - aber nichts davon greift mich an."
Richtig, richtig schlimme Ängste vor bestimmten Objekten kann man dann immer noch gezielt angehen, untersuchen, schönfüttern etc. Aber erstmal muss die generalisierte Angst vor dem Unbekannten in den Griff bekommen werden.
Ich packs in den Spoiler, weil es mir nun speziell in deinem Fall nicht danach klingt, aber ist sicher gut, das auch auf dem Schirm zu haben:
Hütis sind ja Meister der Verhaltensketten. Die stellen Verknüpfungen her, auf die der Mensch im Traum nicht kommt. Insbesondere wenn es darum geht, Aufmerksamkeit und Leckerlies abzugreifen.
Mit so Aktionen wie dem Schönfüttern, wenn der Hund schon Meideverhalten zeigt, wäre ich deshalb bei solchen Kandidaten sehr, sehr vorsichtig.
Es ist hinreichend bekannt, dass das Belohnen von Angst nicht dazu führt, dass der Hund das nächste Mal mehr Angst hat. Denn Emotionen kann man nicht belohnen.
Aber, was vielen Menschen nicht klar zu sein scheint: Das Belohnen von Meideverhalten kann durchaus dazu führen, dass der Hund im Alltag zunehmend Meideverhalten zeigt. Bei allem, ganz egal, ob er tatsächlich Angst davor hat oder nicht.
Die andere Sache ist dann der extreme Stress. Wenn schon der Schnüffelteppich so ein Problem ist, klingt das für mich, als würde es da generell nicht so super um die Selbstregulation und das Stressmanagement stehen.
Gerade bei sehr reizoffenen, schnell angeknipsten Hunden, die keine besonders schöne Vergangenheit haben, kann es vorkommen, dass die einfach nie gelernt haben, dass man nach Stress auch wieder runterfahren kann. Ist für die einfach keine naheliegende Option. Die steigern sich dann rein und rein und kommen von selbst gar nicht auf die Idee, den Stop-Knopf zu drücken und wieder runterzufahren.
Ich habe das leider schon mehrfach bei Hunden aus dem Tierschutz erlebt. Gar nicht mal nur bei Hütis, sondern generell bei Hunden, die eher reizarm und oftmals ohne ausreichenden Kontakt zur Mutterhündin aufgewachsen sind. Mein eigener Rüde ist auch so ein Kandidat.
Solchen Hunden hilft man meiner Erfahrung nach am meisten, wenn man den Stress (bzw. das Reinsteigern in den Stress) sehr frühzeitig gnadenlos abbricht. Also wirklich einfach über Gehorsam verbietet, weiter rumzustressen und hochzufahren.
Das ist im ersten Moment keine wahnsinnig nette Methode, für viele klingt das total unfair weil der arme Hund kann ja nichts dafür, dass er Stress hat. Ja, stimmt absolut. Aber oft ist es der einzige Weg, um da einen Fuß in die Tür zu bekommen. Und wenn es hilft, den Hund zeitnah aus seiner Stressspirale zu befreien, ist das für mich tatsächlich deutlich tierschutzfreundlicher als den Hund durch Rumeiern mit sanfteren Methoden, Gewöhnung etc. weiter in seinem Stress zu lassen.