Ich würde von mir behaupten, ich bin nicht allzu schnell zu erschrecken, aber heute morgen haben mir die Knie geschlottert...
Ich bin mit Ida heute früh im Wald spazieren gegangen. Wir gingen auf einem schmalen und kurvigen Waldweg. Es wurde gerade richtig hell, wir stapften durch den Schnee und genossen die Ruhe und Einsamkeit.
Ida lief einige Meter hinter mir und schnüffelte interessiert an einer Stelle.
Ich sinnierte vor mich hin, da hörte ich es neben mir rascheln. Ich blickte nach rechts - und sah mich Auge in Auge mit einem großen Wildschwein. Mir blieb beinahe das Herz stehen.
Ich drehte mich langsam und vorsichtig nach Ida um - mein Geruchsgenie war immer noch mit ihrer Stelle beschäftigt und dann im Begriff, auf mich zuzuschlendern. Ich legte all mein Bemühen in meine Stimme, um Ida nicht auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Ich glaube, ich sagte intelligenterweise: Oh schau, was ich gefunden habe. In dem Moment, in dem Ida das Wildschwein erblickte, hatte ich sie bereits am Halsband zu fassen bekommen und klickte in Windeseile den Karabiner der Leine fest. Aus Idas Kehle ertönte ein tiefes Knurren, ihre Haare stellten sich auf und die Ohren lagen platt am Kopf. Wir hatten beide wirklich richtig Angst.
Das Wildschwein stand einfach da und starrte uns an! Es hat alle Theorien, wonach Wildschweine weg laufen, sobald sie Menschen wittern, einfach ignoriert und stand da und glotzte.
Nun gibt es ja mehrere Möglichkeiten, wenn einem Wildschweine begegnen, so viel hatte ich mal gehört. Man sollte nicht rennen, sie sind sowieso schneller, sondern langsam weg gehen. Oder auf einen Baum klettern, was ein besonders hilfreicher Tipp ist, wenn man einen 30 Kilo schweren Hovawart neben sich stehen hat. Ich habe mich dann deshalb für die erste Möglichkeit, das Weggehen, entschieden und das habe ich idiotischerweise auch Ida in ganz leisem Ton erklärt: Komm, wir gehen jetzt gaaanz langsam weg.
In dem Moment sah ich noch zwei weitere Wildschweine, ca. 10 Meter weg.
Ida war dann relativ still, kein Bellen, nur ein leises, tiefes Knurren war zu hören und ich ging rückwärts auf dem Waldweg zurück, den Hund ganz dicht an mir. Das Wildschwein glotzte immer noch und kam dann einige Schritte hinterher. Ich bin mir sicher, dass es ein Eber war. Er war einfach riesig, die beiden anderen konnte ich nicht richtig sehen.
Noch nie in meinem Leben ist es mir soo schwer gefallen, nicht zu rennen und ich hatte das Gefühl, mit meinen langsamen Schritten einfach nicht vom Fleck zu kommen.
Ich drehte mich von den Augen des Wildschweins weg und ging und ging... Ida wollte sich immer umdrehen, um zu gucken, ich habe sie eisern neben mir festgehalten und ging Schritt für Schritt für Schritt...
Nach ca. 20 Metern drehte ich mich um, das Wildschwein stand immer noch da, war inzwischen ganz auf den Waldweg getreten. Da fing Ida an zu bellen. Ich dachte, das wars.
Das Wildschwein drehte sich aber um und lief auf dem Waldweg weg von uns in die entgegen gesetzte Richtung. Meine Knie waren inzwischen so weich, dass ich das dringende Bedürfnis verspürte, mich hinzusetzen.
Wir standen mucksmäuschenstill im Wald und horchten. Es war ein ziemliches Getrampel zu hören, das sich aber von uns entfernte.
Ich sank neben Ida in den Schnee und sie leckte mir ausgiebig das ganze Gesicht. Ich glaube, wir waren beide einfach froh, der Gefahr entkommen zu sein und nahmen den kürzesten Weg zurück zum Auto.
Nun, nach mehreren Tassen Tee, einigen Atemübungen und zwei Zigaretten (ich rauche sehr, sehr selten) habe ich mich wieder runter gefahren. Ida liegt auf dem Sofa und schnarcht. Für heute haben wir beide genug erlebt. Dabei hat der Tag gerade erst angefangen!