Border Collies
Mythos: Sind sehr leicht zu erziehen, Allrounder und für alle Sparten des Hundesports denkbar, ideale Familienhunde bei geistiger Auslastung, brauchen viel Auslastung bzw. Kopfarbeit, müssen Ruhe lernen, kinderlieb, starker Bewegungsdrang, intelligent, haben einen starken will-to-please, sind tolle Hütehunde, brauchen Schafe, um glücklich zu sein usw.
Realität: Kann so pauschal nicht beantwortet werden, da die Zuchtrichtungen stark auseinander gehen und sich damit auch die Verhaltensmerkmale und optischen Erscheinungsbilder stark voneinander unterscheiden.
Man sollte sich wirklich vor der Anschaffung klar darüber sein, was man für einen Border Collie möchte. Braucht man ihn tatsächlich für die Arbeit am Vieh, als Familienhund, als Sporthund usw.
Border Collies, die für die Arbeit am Vieh gezüchtet werden, finden sich fast ausschließlich in der Hüteleistungslinie bzw. Arbeitslinie, weil die Hunde dort auf diese Fähigkeiten hin selektiert werden. Zwar finden sich auch in den anderen Linien bzw. aus Mischlinien Border Collie, die brauchbar am Vieh sind, allerdings kann man sich beim Kauf dort nicht mehr auf diese Fähigkeiten verlassen bzw. machen sie einem das Training in vielen Fällen deutlich schwieriger.
Zu den Hunden aus der Arbeitslinie kann man sagen, dass sie bei guter Zucht, Aufzucht und Erziehung wesensfest und freundlich sind. In der Regel sind sie sogar sehr entspannt, aber auch sehr reaktionsschnell. Die, die ich bisher kennen lernen durfte, sind alle stabil in ihrem Wesen gewesen. Das heißt für mich, dass sie nicht übermäßig ängstlich, nicht so leicht überdrehen, sich gut an ihren Besitzer binden und ihm vertrauen und zu Menschen (groß und klein) sehr freundlich sind. Die Hunde brauchen in meinen Augen tatsächlich Schafe, um glücklich zu sein. Wobei das Wort "glücklich" beim Hund ja ein dehnbarer Begriff ist. Meine Beobachtung ist, dass durch die regelmäßige Hütearbeit die Hunde nicht mehr so schnell auf Reize anspringen im Alltag. Sie sind ausgeglichener, ruhiger und entspannter im Alltag.
Leicht zu erziehen sind diese Hunde aus der Arbeitslinie auf der einen Seite durch ihren will-to-please schon. Sie lernen schnell, was man ihnen beibringt, sind aber auf der anderen Seite wiederum schwierig zu erziehen, da sie keinen eingebauten Reizfilter haben und auf vieles anspringen. Daraus können sich Verhaltensauffälligkeiten ergeben bis hin zu Neurosen. Die Welt muss ihnen erst gründlich gezeigt werden und man muss früh problematische Anzeichen im Verhalten erkennen und rasch richtig intervenieren können.
Diese Hunde sind keine Allrounder, sondern Spezialisten auf diesem einen Gebiet. Ihre "Hütetriebelemente sind so extrem in der Zucht verstärkt worden, die sie sich nicht mit anderen Hunden vergleichen lassen. Im Grunde sind sie derart "pervertiert", dass die Hunde dabei sogar tot umfallen könnten, weil sie auch keinen eingebauten Pausenknopf haben. Ihre Lebenserhaltungstriebe wie Essen, Schlafen, Trinken und Sex sind dabei völlig ausgeschaltet.
Sie sind auch nicht für alle Sportarten gleich geeignet. Sie sind schnell, reaktionsschnell, leicht zu führen auch bei sehr hohem Tempo. Das ist super für den Hundesport. Allerdings baut sich ihr Adrenalinspiegel bei schnellen Hundesportarten sehr stark auf und kann sich nicht mehr so leicht runterregulieren. Das bedeutet ein sehr hohes Maß an erzieherischen Kompetenzen, Hunde dort adäquat auch in diesen hohen Erregungszuständen führen zu können. Schafft man dies nicht, hat man lauter stark kläffende, total hibbelige und geiernde Border Collies am Rand stehen, die nun alles andere als leichtführig sind. Und auch einen guten Lauf wird man so nicht hinbekommen. Der Border Collie ist also alles andere als per se ein Erfolgsgarant im Hundesport.
Ihr Bewegungsdrang ist der wie von vielen anderen Hunderassen auch. Mehr und längere Spaziergänge brauchen sie nicht.
Kopfarbeit ist auch so ein Wort. Ich sehe dabei immer Hunde mit diesen Kongs mit Leckerli drin vor mir. Ähnlich wie bei Affen in einem Gehege, damit sie etwas Beschäftigung haben. Die Besitzer berichten dann von den Hunden immer voller Stolz, sie hätten gerade etwas fürs "Köpfchen" getan. Hält man sich allerdings ihre Zuchtgeschichte und den Hütetrieb vor Augen, erscheint diese Beschäftigung (die ja auch durchaus zwischendurch eine nette Idee ist) als keine adäquate "Kopfarbeit", im Sinne einer guten Auslastung. Hier wird "Kopfarbeit" recht weit ausgelegt.
Ideale Familienhunde sind diese Hunde aufgrund des oben genannten in meinen Augen auch nicht. Familien können und wollen sicher nicht alle, so genau auf ihre Hunde achten oder den Kindern ständig verbieten, Gegenstände zu werfen. Ambitionierte Viehhalter oder Hundesportler können diese Hunde natürlich auch innerhalb ihrer Familien halten und sie sind dann auch tolle Familienhunde. Aber deshalb pauschal zu meinen, sie seien ideale Familienhunde mit ein bissl Kopfarbeit ist schon sehr "mutig". Da gibt es einfach von Grund auf entspanntere Rassen für.
Border Collies aus der Showlinie sind da anders. Sie sind aber auch nicht mehr auf den Hütetrieb selektiert worden. Essen, Trinken, Sex und Schlafen stehen da wieder mehr im Vordergrund und sie können davon nicht mehr so leicht abgelenkt werden ;-) Allerdings sind mit diesem Trieb auch der will-to-please nicht mehr wirklich da, die Reaktionsschnelligkeit, die leichte Lenkbarkeit sowie das Feine und Filigrane. Sie wirken in meinen Augen mittlerweile nahezu plump mit ihrem dicken Fell sowie in ihren Bewegungen eingeschränkt. Manche wirken auf mich wie Berner-Sennenhunde. Zudem empfinde ich sie nicht mehr als so wesensfest wie Border Collies aus der Arbeitslinie. Sie haben mitunter ihre Marotten wie Angst, gehen auch schon mal nach vorne, haben mehr Probleme mit Fremden oder Kindern, sind stressanfälliger, ziehen mehr und extrem an der Leine (gut, ist vieles Erziehungssache, allerdings ist die Erziehung hier nochmal eine ganz andere und in meinen Augen auch schwierigere aufgrund der meist recht hohen Unsicherheit von Seiten des Hundes)
Diese Hunde sind auch nicht mehr so gefragt für den Hundesport, weil sie diese guten Fähigkeiten nicht mehr mitbringen. Dafür sind sie diejenigen Border Collies, die mit ein bissl Kopfarbeit, Spaziergängen, Bällen, Wald- und Wiesenagility tatsächlich auszulasten und zufrieden sind. Am Vieh taugen sie in der Regel nicht mehr.
Sport- und Mischlinien haben noch viel Arbeitslinienanteil und sind daher gut vergleichbar mit diesen. Allerdings bleibt ein Stück Überarrschungspaket, weil ihre Selektion nicht so klar ist. Bei diesen Hunden sollte man die Zuchten und deren Hunde vorher gründlich studieren, damit man weiß, was man in etwa kriegt. Einige sehen aus wie Windhundmischlinge und einige sollen optisch ein bissl mehr Richtung Showlinie gehen, allerdings mit mehr Arbeitsfähigkeitsanteil.
Ich finde, dass diese Rasse alleine in ihrer Anschaffung schon große Herausforderungen bereit hält. Von daher ist es gut, wenn man ziemlich genau weiß, was man will. Hat man sich den richtigen Hund für sich herausgepickt, ist er gut gezüchtet, aufgezogen und erzogen worden, dann hat man den besten Freund fürs Leben. Sie sind schon sehr besonders, weil sie einfach alles mitkriegen und man das Gefühl hat, als würden sie einen verstehen.
LG Maren