Ich bin in den 50ern geboren und habe in Sachen Ernährung einiges mitbekommen, was heute teils exotisch klingt, teilweise aber schon wieder modern wird.
Wir hatten wenig Geld, Vater war der einzige Verdiener. Wir lebten in 2 kleinen Zimmern (Wohnküche + Schlafzimmer) mit Ofenheizung im Haus der Grosseltern. Bad und Toilette wurden von insgesamt 8 Personen benutzt - im Bad wurde auch die Wäsche im grossen Kessel gemacht.
Im Sommer bestand das Abendessen schon mal aus Erdbeeren aus dem Garten mit Keksbruch aus dem Laden der anderen Grosseltern. "Richtiges" Fleisch gab es eigentlich nur sonntags, den traditionellen Braten. Unter der Woche waren für meine Mutter und ich Kartoffeln, Nudeln, Gemüse, Griessbrei, Brötchenauflauf usw. die Regel. Für Papa gab es ein Stück Wurst dazu oder auch mal eine Frikadelle. Morgens Brot mit Butter (nein Margarine gab es nicht, lieber nur eine dünne Schicht Butter) und selbstgekochte Marmelade. Abends wieder Brot - mit Gurke, Tomate, Apfelscheiben usw. und für Papa etwas Wurst oder Käse.
Es wurde fast alles selbst gemacht, Fertiggerichte gab es sowieso kaum.
Suppengemüse: Für Fleischbrühe wurde mit dem Fleisch Suppengemüse mit aufgesetzt, damit die Brühe auch Geschmack bekam. Meist wurde dann später noch zusätzlich ein Stück Sellerie und ein paar Möhren mitgekocht, die später mit den Fleischresten (die am Stück kaum essbar gewesen wären) zu einem "gemischten Salat" verarbeitet wurden. Ich fand den immer eklig und mochte den gar nicht essen. Wahrscheinlich kommt daher auch meine Antipathie gegen Sellerie.
Pfannkuchen für die ganze Familie wurden aus 2 Eiern, viel Mehl, etwas Milch und etwas Wasser gemacht. Sie waren dünn und fest - ich habe sie besonders geliebt, wenn sie kalt waren und die Ränder leicht knusprig wurden. Die Milch wurde teilweise extra stehen gelassen, um Dickmilch zu erzeugen. Am Wochenende gab es eigentlich auch immer einen Kuchen, meist eher einfache Hefekuchen, da die Zutaten billiger waren als für Rührkuchen. Der Gipfel des Genusses war und ist für mich der gedeckte Apfelkuchen aus Hefeteig mit Zimt in der Apfelfüllung und ganz dünnem Zuckerguss. Besonders am zweiten Tag war der dann etwas weich geworden... lecker.
Heute kann ich nachvollziehen, was meine Mutter geleistet hat, um uns jeden Tag sättigende Mahlzeiten zu liefern - damals war ich schon manchmal neidisch, wenn die Nachbarskinder sich fast täglich ein Teilchen beim Bäckerwagen oder auch ein grösseres Eis beim Eismännchen holen durften. Dafür hatten wir aber tolles Obst im Garten....
Bei den Grosseltern väterlicherseits ging es etwas üppiger zu - sie hatten auch einen kleinen Laden "Lebensmittel - Kohlen". Da gab es immer Kaffee, Wurst, Käse, Keksbruch, etwas zähe Mohrenköpfchen, die so nicht mehr verkauft werden konnten, restliche weisse Brötchen, Obst mit Druckstellen usw. Meine Mutter hat dort für sehr wenig Geld ziemlich regelmässig ausgeholfen, durfte aber selten etwas mitnehmen.
Fleisch wurde am Wochenende "bestellt", denn der Cousin der Oma hatte eine Metzgerei. Ich glaube allerdings nicht, dass es da Preisnachlässe gab. Vielleicht befand sich in der Tüte mal eine Zugabe.... Streichwurst, Salami oder mal ein Schinkenendstück.
Die Abfalltonne war für die 8 Personen so gross wie heute die normale Biotonne - und war oft nicht voll, wenn der Müllwagen kam, denn es wurde eigentlich alles verarbeitet. Eine Todsünde war es, Brot wegzuwerfen.
Die Ernährung zu dieser Zeit und teilweise auch noch während meiner Schulzeit war sicher nicht die ausgewogenste und beste Form. Wir haben aber nichts vermisst und waren weitestgehend gesund. Mir hat die Zeit eine fatale Vorliebe für Süsses beschert - das hat sich dann auch in der entsprechenden Körperform gezeigt, die ich bis heute nicht ablegen konnte, obwohl ich mich inzwischen deutlich besser und gesünder ernähre.
Ich bewundere im Nachhinein das Talent unserer Eltern und Grosseltern, aus sehr wenig etwas Gutes zu machen, auch wenn ich einiges nicht mochte und bei Linsen- und Erbsensuppe eher gefastet habe, als das zu essen (hat aber auch nix genutzt). Heute geht ja der Trend wieder in die Richtung, möglichst wenig wegzuwerfen - aber dennoch sind die Mülltonnen voll.
Gruss
Gudrun