Hallo,
ich finde den Artikel sehr interessant, jedoch ein wenig zu einseitig. Auf mich wirkt das, als habe man sich erst eine Theorie ausgesucht, dann die Beispiele gefunden, an denen man sie "belegt". Was uns im Studium als wissenschaftliches Vorgehen beigebracht wird, läuft allerdings umgekehrt ab. Erst sehe ich mir die Tatsachen an, dann bilde ich eine Theorie aus.
Wieso komme ich darauf?
Erstens:
Für mich wurden die Beispiele sehr schlecht gewählt. Kein Hundebuch, mit dem ich mich bislang auseinander gesetzt habe, würde das Hundeverhalten dieser Beispiele pauschal so bewerten. Nur das erste Beispiel (Hund im Bett) steht, finde ich, mit Rangordnungstheorien in einem Zusammenhang. Es wird gern mal genommen, vielleicht auch häufiger zu Unrecht. Wenn es nämlich pauschal beurteilt wird (hund auf bett - alles klar, Rangordnungsproblem).
Ich persönlich glaube schon daran, dass auch bei Hund und Mensch eine Rudelstruktur auftritt. Aber deshalb pauschal alles auf die Rangordnung abzuschieben, fiele mir nicht ein (hoffe ich zumindest). Es ist doch ein Unterschied, ob der Hund immer im Bett schlafen durfte und plötzlich nicht mehr, oder ob er es einfach als erhöhten Schlafplatz verteidigt.
Beispiel: Tolstoi hüpfte wie selbstverständlich auf unser Bett. Ich schließe daraus, dass er das beim Vorbesitzer durfte (Tierheimhund), nicht aber, dass er Dominanz ausüben will.
Ich stimme der Autorin zu, dass bei den von ihr gewählten Beispielen kein "Dominanzverhalten" vorliegt. Aber daraus abzuleiten, dass es so etwas gar nicht gibt?
Zweitens:
Ich finde es widersprüchlich, dass erst betont wird, dass Wölfe (frei lebend) kaum Dominanzverhalten zeigen, nur um dann zu erklären, dass Hunde sich ohnehin nicht wie Wölfe verhalten. Inwiefern ist es dann überhaupt relevant, ob die Wissenschaftler Gehege-Wölfe oder freilebende Wölfe beobachtet haben?
Nebenbei: ist es nicht eher so, dass ein Hund mehr Gemeinsamkeiten mit einem Gehege-Wolf als mit einem freilebenden Wolf aufweist?
Ich behaupte, dass Hunde sich selten aussuchen können, mit wem sie zusammen leben, in welcher Umgebung sie herumlaufen und wen sie dort treffen. Ist das dann keine stressige Situation?
Mir scheint diese ganze Hund-Wolf-Argumentation, die sie anführt, aufgrund des Widerspruchs nicht so einleuchtend. Und ich persönlich führe Dominanz bei Hunden nicht auf Wolfsverhalten zurück, sondern auf Hundeverhalten.
Beispiel: Ich besuche mit Tolstoi andere Hundehalter. Sobald Tolstoi sich dem Napf, dem Schlafplatz, dem Liegeplatz oder auch nur dem anderen Hund selbst nähert, wird er vom anderen Hund am Nackenfell gepackt und auf die Seite geworfen.
Keine "Dominanz"?
Fazit:
Ich finde es sinnvoll, dass die Autorin so genannte Hundeexperten und ihre Pauschalurteile in Frage stellt und den Missbrauch mit dem Begriff Dominanz aufzeigt.
Die generelle Aussage, Hunde hätten keine Rangordnung, eine Hund-Mensch-Beziehung sei kein Rudel etc. würde ich aber mit Vorsicht genießen. Ein Thema, hundert Meinungen. Wie immer. Auch mein ganzes Geschwafel hier ist ja nur eine Meinung, meine nämlich
Liebe Grüße,
Stine
PS: Und dann ist ja noch die Frage, was man unter "Alpha-Tier" etc. versteht. Unser Hund z. B. nimmt es nicht ernst, wenn man ihn anbrüllt. Hysterie hat nichts mit einem gelassenen, selbstsicheren Alpha zu tun. Der hat das nämlich gar nicht nötig. Ich will meinem Hund Sicherheit vermitteln, nicht einfach mal drauflos unterwerfen. Wenn man aber unter Alpha-Verhalten Gewalt und Schreierei versteht (oder verstehen will, um zu beweisen, dass es kein solches Verhalten gibt), ist das m.E. die falsche Richtung.