Das P.S. mal vorher: Entschuldigt bitte den ausschweifenden Stil, aber ich musste mir das heute einfach mal alles von der Seele schreiben!
Als ich mit Anfang Dreißig wieder zurück aufs Land zog und den elterlichen Hof übernahm, erfüllte ich mir meinen seit langem gehegten sehnlichsten Wunsch und holte mir von einem anerkannten Züchter aus Jena eine reinrassige Schäferhündin ins Haus und die Familie. Sarah, so taufte ich das neue Rudelmitglied, entstammte mit ihren neun Wochen einer hervorragenden Zuchtlinie und ließ sich, wie mir schien, mehr als willig aus dem Kreis ihrer acht Geschwister entführen. Sie war die Zurückhaltendste unter den vielen tobenden Rabauken, was ich als blutiger Anfänger in Sachen Hundehaltung natürlich begrüßte, und bereits während der einstündigen Fahrt in ihre künftige Heimat, die sie fortwährend gestreichelt an meiner Seite verbrachte, schlossen wir den Bund fürs Leben. Ihre Erziehung, wenn man das angesichts des Fehlens jeglicher Schwierigkeiten überhaupt so nennen darf, verlief wie von selbst und völlig unproblematisch. Auch ohne Leine lief sie bereits nach wenigen Tagen ungerufen immer hinter mir her, auf Zuruf preschte sie jederzeit und ohne jede Einschränkung heran. Die Grundkommandos wie „Sitz“, „Platz“ oder „Bleib“ beherrschte das kleine Leckermaul relativ schnell und da ich sie innerhalb des Dorfes mit allen möglichen Menschen und Tieren sozialisierte, wuchs da binnen eines halben Jahres ein wahrer Traumhund heran: Gegenüber Menschen absolut verschmust, sei es Kleinkind, Rentner oder Briefträger, unkompliziert gegenüber Kleintieren und Artgenossen. Betritt jemand den Hof, legt sie sich auf den Rücken und will den Bauch massiert haben, so dass ein Hinterlauf wie besessen wirbelt. Mit den Jahren freilich entwickelte sie eine Abneigung gegenüber Hündinnen und wurde auch gegen Rüden aggressiver, wohingegen das Verhältnis zu Menschen immer inniger wurde. Ihre größte Leidenschaft ist nach langen Wanderungen durch Wald und Feld und Herumtollen im Wasser nach wie vor das Stöckchen- und Ballholen. Wenn es die eigene Konstitution zuließe, könnte man sie stundenlang pro Tag der „Beute“ hinterher jagen lassen – sie wird nie müde und entwickelt währenddessen eine ungestüme Energie und hitzige Leidenschaft, die sie „animalischer“ auftreten und erscheinen lässt und die Führigkeit minimal beeinträchtigt. Leider leidet Sarah seit frühester Jugend an einer Allergie, was ihre Lebensqualität durch ständiges Jucken, Lecken der Pfoten und wiederkehrende Ohrenentzündungen zum Teil sehr stark beeinträchtigt. Ungezählte Tierarztbesuche und Therapieversuche griffen hier lindernd ein und momentan ist sie über weite Teile des Jahres beschwerdefrei.
Und dann kam es, wie es bei Tierfreunden irgendwann kommen muss! Auch wenn mir mein Beruf gestattet, die Hündin tagsüber nicht allzu lang allein lassen zu müssen und eigentlich immer jemand aus der Familie auf dem Hof anwesend ist, schwebte mir schon immer ein Zweithund vor. Gesellschaft für Sarah, noch mehr Freude und Erfüllung für den Hundehalter, dem sogar für die fernere Zukunft ein kleines Rudel Deutscher Schäferhunde träumte. Nach langem Suchen fand ich bei einem erfahrenen Züchter den kleinen Rüden, den ich mir vorgestellt hatte. Während seine Geschwister in der abgesteckten Welpenecke eines großen Grundstücks zutraulich zu mir kamen, verharrte Hector, der noch nicht wusste, dass er künftig so heißen würde, verhalten in sicherer Entfernung und ließ sich trotz aller Ermunterungen nicht dazu bewegen, heranzukommen und seine reservierte Haltung aufzugeben. Er schaute aber nicht ängstlich oder scheu, sondern klug und aufmerksam zu mir hin und stob, als ich mich ihm näherte, sofort davon. Ein schwieriger Fall, das war mir klar, aber er gefiel mir, denn er unterschied sich mit seinem rötlichen Fell und seiner sehr schlanken Figur deutlich von seinen schwarzen und wesentlich kompakteren Geschwistern. Im Grunde sah er aus wie ein kleiner Fuchs und erst Monate später zeigte sich seine eigentliche Färbung, eine Art schwarz-grau mit braunen und weißen Stellen bei natürlich schwarzer Schnauze, wolfsähnlich und traumhaft schön. Ich packte ihn ins Auto und ähnlich seiner Vorgängerin ging es schmusend nach Hause ins künftige Revier.
Die Idylle drohte jedoch bereits bei Ankunft zu platzen, denn der Zeitpunkt konnte nicht schlechter gewählt sein. Sarah hatte die erste Hitze des Jahres hinter sich und laborierte wie so oft an einer heftigen Scheinträchtigkeit mit drallem Euter und Nestbau im Garten. Als ich den Kleinen absetzte, stürzte sich die sonst so friedliche Hündin ohne Vorwarnung wie eine Furie auf ihn und erst im letzten Moment gelang es mir durch energisches Eingreifen, ein Blutbad zu verhindern. Dieser rüden Begrüßung unerachtet strebte Hector sofort zu ihr hin, er war in einem recht großen Rudel ohne großen Menschenbezug aufgewachsen und fühlte sich daher Sarah von Beginn an mehr verwandt als mir. Leider beruhte diese Zuneigung nicht auf Gegenseitigkeit. Mir war klar, dass ich der Hündin als Rudelführer und sozusagen Alphatier klar zu machen hatte, dass das Rudel jetzt Zuwachs und sie sich in meinen Willen zu fügen hat. Leichter gesagt, als getan! Sie hatte in viereinhalb Jahren niemals auch nur im Ansatz die Rangordnung in Frage gestellt, nie musste ich zu derberen Erziehungsmethoden Zuflucht nehmen – ein Wort oder schlimmstenfalls ein zarter Klaps genügten völlig. Natürlich hatte ich mich vorher belesen und wusste, dass Hündinnen wesentlich eifersüchtiger als Rüden auf Neuankömmlinge reagieren; aber was jetzt die nächste Zeit abging, hatte ich so nicht vorausgeahnt! Normalerweise gibt sich laut Literatur der Stress nach ein paar Tagen und ich gab mein Bestes. Ich schenkte beiden Hunden exakt die gleiche Zuwendung, vernachlässigte keinen und war dank Urlaub immer vor Ort. Sie lagen beide abends mit auf dem Sofa, sie links, er rechts; ich band dem Kleinen einen alten Strumpf um den Hals, wir unternahmen alles gemeinsam – nichts half. Drehte ich mir nur kurz einmal weg, griff die Ältere an. Es ist ja so schon schwer und aufwändig, einen Welpen aufzuziehen: Darauf achten, dass er sich gut ernährt und nach den Mahlzeiten nicht herumtollt und seine Ruhezeiten einhält, sich nicht verletzt, stubenrein wird, sich sozialisiert, den Tierarzt kennen lernt und so weiter und so fort. Wenn dann noch Probleme mit dem anderen Hund dazu kommen, wird es schnell zu viel für alle Beteiligten. Nach vierzehn Tagen ohne Schlaf bei dauernder Wachsamkeit ging ich am Stock und ich fühlte die Entscheidung nahen. Sie kam, weil ich sie erzwang! Ich hatte mich hinter einer Tür mit einer für die Hunde nicht einsehbaren Verglasung postiert, diese geschlossen und beobachtete nun die beiden. Hector lag wie immer an der Schwelle, als Sarah heranschlich und eben im Begriffe war, zuzubeißen, währenddessen ich mit Zeder und Mordio aus der Tür stürmte und der Älteren diesmal mit aller Konsequenz deutlich machte, dass ich ihre Untaten auch sehe, wenn ich ihrem Blickfeld entwischt bin und sie in jedem Fall wieder so hart bestrafen werde, wenn sie sich noch mal an dem Welpen vergreift. Die Lektion saß und sie hat ihn in der Folge nie wieder angerührt.
In den nächsten Wochen und Monaten verlief alles nach Plan, die beiden verstanden sich von Tag zu Tag mehr. Freilich musste man wachsam bleiben, denn eine 35 kg schwere Hündin kann beim Tollen und Spielen auch unbewusst und ohne Vorsatz einem noch heranwachsenden Hund gefährlich werden. Ganz ohne Blessuren geht das für beide nicht ab – die spitzen Zähne rissen so manche blutige Spur in die Schnauze der Älteren und deren Masse bekam der Kleine auch so manches Mal zu spüren, die Natur hat daher den Welpen nicht zu Unrecht ein noch sehr flexibles Gebäude mitgegeben. Unbeaufsichtigt sollte man beide das erste halbe Jahr auf keinen Fall lassen, auch so ziehen sich die Spielenden selbst unter strenger Aufsicht noch genug Verletzungen zu. Wie ich bald merkte, geriet die Erziehung Hectors wesentlich schwieriger als die seiner nunmehrigen Freundin. Trotzdem ich ihn in den ersten vier Wochen meine ganze Zeit widmete, bei ihm in der Küche schlief, mich ständig mit ihm beschäftigte, mit ihm spielte, ihn zeitig mit auf den Hundeplatz nahm und ihn wieder im Dorf sozialisierte und er bereits stark auf mich fixiert wusste, dass ich der Rudelchef war, zog es ihn immer stärker zu Sarah hin. Er folgte ihr auf Schritt und Tritt und hörte zunächst gar nicht auf seinen Rufnamen: Wenn ich ihn holen wollte, war ich besser beraten, nach Sarah zu rufen, denn die kam sofort und in ihrem Schlepptau er. Nur mühsam erreichte ich über Monate den Grundgehorsam, den ich von der Älteren her so beiläufig gewohnt war. Sicher, Rüden sind in der Regel ohnehin nicht so leicht zu erziehen wie Hündinnen und Hector besaß offensichtlich einen ganz eigenen Charakter und auch eine Art Dickschädel – dennoch wurde mir bald klar, dass ich größere und schnellere Erziehungserfolge nur erreichte, wenn ich den Rüden alleine hernahm, ihn fern der „Alten“ erzog und auf Spaziergängen und Wanderungen seine Bindung an mich verstärkte. Wer aber hat die Zeit, zwei Mal am Tag mit zwei verschiedenen Hunden zwei Stunden durch die Wälder und Wiesen zu ziehen? So beließ ich es zumeist beim Alten und ging mit beiden meine tägliche große Tour und konnte dabei eine Menge über das Sozialverhalten im Rudel lernen, wie nämlich unter anderem der Rüde Tag für Tag selbstbewusster wurde und die Absicherungsposition für sich beanspruchte, während Sarah näher bei mir blieb. Überhaupt hat der sich allmählich entwickelnde Schutztrieb enorm dazu beigetragen, Hector so stark an mich zu ketten, dass sein Verhalten dem Sarahs immer ähnlicher wurde. Für Außenstehende sind die beiden kaum noch auseinander zuhalten, der inzwischen siebenmonatige Rüde unterscheidet sich nur von der Leibesfülle und im Deckhaar von der beinahe fünfjährigen Hündin.
Also nun alles in Butter? Mitnichten! Ein Rest Eifersucht ist Sarah immer geblieben, besonders deutlich, wenn ich von der Arbeit komme und sie mich beide hinterm Zaun erwarten. Wenn Hector auch seine wilde Freude zeigt, jault Sarah und knufft ihn derb von der Seite. Inzwischen erlebte sie auch die zweite Hitze des Jahres, infolgedessen der mittlerweile wahrscheinlich geschlechtsreife Rüde außer Rand und Band wieder für schlaflose Nächte sorgte. Sah man nicht hin, besprang er wie ein Verrückter die in den Stehzeiten natürlich sogar ruhig haltende Hündin, sperrte man ihn weg, jaulte und heulte er unablässig. Einer von beiden wird sich wohl irgendwann einer Kastration unterziehen müssen. Schwerer wiegt jedoch ein anderer Fakt, nämlich der, dass sich die zwei Schäferhunde nunmehr täglich so oft so extrem in die Wolle kriegen, dass ich um die Gesundheit beider fürchte. Dabei kann man keinem einen wirklichen Vorwurf machen, über weite Strecken des Tages liegen sie friedlich im Garten oder laufen herum und beschäftigen sich allein oder gemeinschaftlich. Beiden aber ist die extreme Vorliebe für Stöckchen, Steine und Knochen zu eigen: Nimmt der eine etwa ein Stück Holz auf, eilt der andere hinzu und so ein Zerren kann schon mal eine halbe Stunde währen. Mal gewinnt der eine, mal der andere. Aber hin und wieder gerät es außer Kontrolle und schon einige Male sah ich mich gezwungen einzuschreiten, wenn Sarah die Beherrschung ganz verlor, den Rüden umschmiss und vor seiner Kehle bellte und knurrte. Sie ist sonst sehr langmütig und lässt den frechen Kerl gewähren und ihm vieles durchgehen, was sie fremden Hunden niemals erlauben würde. Immerhin ist sie schon eine ältere Lady und der jugendliche Heißsporn hält sie so auf Trab, dass die Symptome ihrer Allergie beinahe vollständig abgeklungen sind. Aber ab und zu wird es ihr doch zu viel und wenn noch die Rangelei um einen Knochen dazu kommt, fürchte ich um Leib und Leben des Rüden. Sie ist noch nicht zu bezwingen und er lässt nie locker, auch wenn er am Boden liegt, weil sein dominanter Charakter nach und nach zum Vorschein kommt. Die Frage der Rangordnung ist also seit Wochen ungeklärt und ich fürchte, da keiner von beiden nachgibt, dass ich nun doch Hector aufgeben und damit wieder abgeben muss, um ein Unglück zu vermeiden. Ich brauche hierzu Rat und Hilfe! Vielleicht war Sarah doch zu lange allein auf mich fixiert, als dass sie ihre Eifersucht jemals wieder wird abstellen können. Ich argwöhne, dass sie selbst, wenn Hector über Jahr und Tag die körperlichen Voraussetzungen für die Durchsetzung einer neuen Rangordnung besitzt, eher sterben würde, als zurückzustecken. Was soll ich tun???